Vor neun Jahren erstach ein Neonazi Peter Siebert mit einem Bajonett in Memmingen. Unter dem Motto „Remembering means fighting – Gegen Nazis und ihre Umtriebe“ erinnerten etwa 220 Menschen daran und forderten ein konsequentes Vorgehen gegen die Strukturen der Rechten in der Region.
Memmingen im Allgäu und die ganze Region habe ein Neonaziproblem, dem dringend begegnet werden müsse, „weshalb wir heute hier in Memmingen auf der Straße sind.“ Das erklärte ein Sprecher der Veranstalter vor den etwa 220 Menschen, die unter dem Motto „Remembering means fighting – Gegen Nazis und ihre Umtriebe“ am 22. April durch die Innenstadt zogen. Zur Demonstration hatte ein linkes antifaschistisches Bündnis aufgerufen.
Als bedeutender Teil des örtlichen Neonaziproblems sehe man die dort ansässige Neonazikameradschaft Voice of Anger, die dem Landesverfassungsschutzbericht nach die größte Naziskinhead-Gruppierung Bayerns sei. Anfang letzten Jahres gelang der Gruppe der Kauf einer Immobilie. Der Eigentümerwechsel ist formal zwar nicht vollzogen, da die Stadt ihre laut Grundbuch notwendige Einwilligung zunächst erteilte, dann aber wieder zurücknahm. Dagegen gehen die Neonazis mittels einer Rechtbeschwerde vor, über die aktuell der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entscheiden muss. Dennoch nutzen die Neonazis die ehemalige „Gartenschänke“ einer Kleingartenanalge bei Memmingen bereits als Treffpunkt und zur Vernetzung im einschlägigen Blood&Honour-Milieu. Das könnte auch so bleiben, da der Standpunkt der Stadt, die Einwilligung könne auch nachträglich wieder zurückgezogen werden, auch behördenintern als „wackelig“ gilt.
Interessant sei, so der Redner weiter, auch die Vernetzung von Voice of Anger und der schwäbischen NPD. Diese zeige sich an wechselseitiger Teilnahme an Veranstaltungen der extrem rechten Gruppierungen. So etwa im Januar diesen Jahres. Nach der Veranstaltung wurde ein Journalist von den Neonazis bedroht und zu seinem Auto verfolgt. Einige Wochen später gab es einen Anschlag auf das Auto.
Wirtschaftliche Bedeutung für Voice of Anger habe das Platten- und Klamottenlabel Oldschool Records. Der Inhaber des Unternehmens gilt als Führungsfigur von Voice of Anger. Kürzlich musste er sich vor Gericht für den Vertrieb von hunderten Tonträgern mit teils zu Gewalt aufrufenden und den Neonazismus verherrlichenden Inhalten verantworten. Ein im selben Hause angesiedeltes Projekt Namens Subcultural Recorrds versucht derzeit, eine vorgeblich unpolitische Skinhead-Szene mit Neonazibands zusammen zu bringen.
Die völkische Identitäre Bewegung (IB) versuche auch, so die Demo-Veranstalter weiter, in Schwaben eine große Ortsgruppe aufzubauen. Das gehe aus Dokumenten hervor, die bei einem Stammtisch der Identitären in Memmingen entwendet und im Internet veröffentlicht wurden. „Wie gefährlich die Gesinnung von Menschen der IB sein kann“, zeige das Beispiel des Volker Z. Dieser sei in Pleß in der Region aufgewachsen, lebe mittlerweile in Lübeck, sei Anhänger der IB und habe vergangenen Februar auf einen Antifaschisten eingestochen und diesen schwer verletzt.
Zuletzt wies das Bündnis unter Verweis auf den am gleichen Tag stattfindenen Bundesparteitag der AfD auf die beiden in der Region aktiven Kreisverbände der Partei hin. Der Vorsitzende der Unterallgäuer AfD Christoph Maier scheiterte 2016 in Memmingen als Kandidat zur Bürgermeisterwahl und stehe „für eine Ausgrenzungs- und Abschottungspolitik“. Der Beisitzer in Maiers Kreisverband gehöre der extrem rechten und islamfeindlichen German Defence League an. Der Oberallgäuer Kreisverband darf seinen Vorsitzenden Peter Felser auf Listenplatz 7 zur Bundestagswahl antreten lassen. Mit der Kampagne „Keine Stimme für Rassismus und Rechtspopulismus“ möchte ein Zusammenschluss von nach eigenen Angaben mehr als 10 Gruppen in der Region gegen rechte Hetze im Zusammenhang mit den Bundestagswahlen 2017 vorgehen. Ein Sprecher der Kampagne beklagte in Memmingen, dass „der Rechtspopulismus in der BRD gerade auch durch die zunehmende gesetzliche Umsetzung rassistischer Forderungen einen weiteren Aufschwung“ erlebe. Die AfD stelle „eine treibende Kraft bei diesem Rechtsruck in Politik und Gesellschaft dar“, sei aber nicht der einzige Akteur, der „offenen Rassismus und Nationalismus in Deutschland in den vergangenen Jahren wieder salonfähig gemacht“ habe. Man werde „nicht tatenlos zusehen wenn Menschen nur aufgrund eines Vermerks in ihrem Pass oder ihrer Hautfarbe oder Abstammung angegriffen werden. Egal ob diese Angriffe mit direkter Gewalt, durch Hetze und Diskriminierung oder in Form von rassistischer Gesetzgebung erfolgen.“ Deshalb wolle man „darum kämpfen, weitere Wahlerfolge der AfD zu verhindern und auch den anderen Parteien deutlich machen, dass sich mit Rassismus und Rechtspopulismus keine Mehrheiten in der BRD gewinnen lassen.“
In Erinnerung an den am 26. April 2008 von einem Neonazi in Memmingen ermordeten Peter Siebert legten die Versammlungsteilnehmer Blumen an einem Brunnen in der Innenstadt nieder. Ein Redner erklärte, dass dieses traurige Ereignis Antifaschisten vor einigen Jahren dazu veranlasste, die jährliche Gedenkdemonstration zu veranstalten. Der Mord an Peter Siebert sei kein Einzelfall, sondern Reihe sich ein in eine Serie von 179 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland. Darauf müsse man aufmerksam machen und sich mit den Opfern rechter Gewalt solidarisieren.