Die NPD lädt ein – und 1.000 Neonazis folgen: Im sächsischen Ostritz haben Rechtsextreme an diesem Wochenende hemmungslos gefeiert. Das Festival wird zu einer großen Werbeveranstaltung der Nazipartei.
Von Henrik Merker
Als sich am Samstagnachmittag die Tore zum Hotel Neißeblick im sächsischen Ostritz öffnen, strömen Reporter ohne Sinn und Verstand hinein. Auf dem Gelände vor der Herberge steht ein Tisch, 80 Journalisten drängeln und schubsen. „Ich stand hier aber eher!“, brüllt einer von ihnen einen anderen an. Kollegen müssen die Kontrahenten trennen.
An dem Tisch sitzt ein Mann und bittet um Ordnung: Thorsten Heise, Neonazi, NPD-Politiker und Veranstalter des rechtsextremen Netzwerktreffens Schild und Schwert. An diesem Wochenende lockt das Festival nach Polizeischätzungen rund 1.000 Neonazis in das Städtchen an der Grenze zu Polen. Mit Rechten, Gegendemonstranten und Polizisten platzt der 2.400-Einwohner-Ort aus allen Nähten.
Geburtstagsparty für den Führer
Heise, der Mann am Tisch, grinst. Die Journalisten machen, was er will: Sie drängen sich um ihn und um das, was er zu sagen hat, auch wenn das weder bedeutsam noch verständlich ist, denn Mikrofon und Lautsprecher gibt es nicht.
Hinter den folgsamen Reportern schleichen sich Gestalten in T-Shirts der verbotenen Rechtsrockband Landser auf das Gelände, dazu Skinheads in Kleidung mit Symbolen von Combat 18, dem bewaffneten Arm des militanten Neonazinetzwerks Blood and Honour. Einer trägt ein Shirt der seit 2015 verbotenen Vereinigung Sturm 18. Die 18 steht für die Buchstaben A und H im Alphabet: Adolf Hitler.
Ihm zu Ehren steigt seit seinem Geburtstag am 20. April die Sause mit Konzerten, Kampfsportdarbietungen, Verkaufsständen und vielem mehr. Eigentlich ist es eine große Werbeveranstaltung der NPD. Auf der improvisierten Pressekonferenz sitzen neben Heise der sichtlich gealterte Udo Voigt, früherer Bundeschef und heutiger Europaabgeordnete, und Sebastian Schmidtke, ebenfalls aus dem Bundesvorstand der Partei. Doch sie sagen kaum ein Wort, wirken neben Heise wie Statisten. Ostritz ist seine Show.
Auch die Identitäre Bewegung ist vertreten
Am Rande der skurrilen Szene steht der bekennende Antisemit Nikolai Nerling und filmt mit einer Kamera. Der suspendierte Grundschullehrer fragt Heise, ob sein Festival denn nicht sogar eine Bereicherung für die Region sei – Heise grinst wieder, gibt seinem Geistesbruder ein „Ja“.
Noch während der Propagandashow fällt eine Person auf, die sich bemüht aus dem Sichtfeld der Reporter bewegt: Andreas K., Mitglied der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung im sachsen-anhaltischen Halle. Die Gruppe hat sich offiziell von der NPD losgesagt – aber wenn neonazistische Szenebands wie Oidoxie und Lunikoff Verschwörung auf dem Schild und Schwert spielen, sind sie wie selbstverständlich dabei. Die meisten Mitglieder des Halleschen Identitären-Ablegers stammen aus NPD-Jugend und Kameradschaftsszene.
SS-Symbol auf T-Shirts
Nach einer halben Stunde ist Schluss mit der Pressekonferenz. Polizisten und ein für das Festival engagierter Sicherheitsdienst namens Arische Bruderschaft schieben die Reporter vom Gelände. Später bekommen es die Ordner aber selbst mit den Beamten zu tun: Beweissicherungseinheiten der Polizei rücken an. Das Logo der Arischen Bruderschaft, zwei überkreuzte Handgranaten, ist verboten. Es wurde ursprünglich von der SS-Division „Oskar Dirlewanger“ benutzt, jetzt prangt es auf den Shirts der glatzköpfigen Ordner und auf Bannern.
Noch Samstagnacht hatte die sächsische Polizei auf Twitter vermeldet, das Symbol sei legal. Am Tag verfügte ein Görlitzer Gericht dann die Beschlagnahme aller Gegenstände mit dem Logo, gegen alle Nutzer wurden Verfahren wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen eingeleitet.
Das massive Polizeiaufgebot in der Stadt und an der Grenze hindert die Neonazis nicht an Provokationen und Angriffen. Nachdem die Beamten am Samstag ein striktes Alkoholverbot für Heises Gelände verhängt haben, pilgern die Festivalbesucher quer durch Ostritz, um sich im Supermarkt für ihren Rausch einzudecken. Auf dem Rückweg lassen sie sich volllaufen.
Nazis patrouillieren durch die Straßen
In den schmalen Straßen wird es eng – und gefährlich. Auf einer Kreuzung zwischen den zwei Ostritzer Gegenveranstaltungen rotten sich die Rechten auf einmal zusammen. Eine linke Gruppe stellt sich ihnen in den Weg, die Polizei trennt beide Gruppen, bevor es zu Handgreiflichkeiten kommt.
Seit das Schild und Schwert am Freitag begonnen hat, patrouillieren die Neonazis Tag und Nacht durch die Stadt. Die Polizei hat an jeder Kreuzung Checkpoints eingerichtet, um Angriffe zu verhindern. Doch dicht ist das Kontrollnetz zu keinem Zeitpunkt. Sogar durch den Bereich, in dem sich die Journalisten aufhalten, laufen regelmäßig Rechtsextreme. Sie drohen, schlagen gegen Kameras, wenn die Polizisten wegsehen.
Konsequenzen gibt es nicht. Auch die Besucher der Gegenproteste fühlen sich bedroht, Freitag brachen sie eine Veranstaltung deswegen eher ab. Die Neonazis konnten dafür unbehelligt ein Kampfsportevent mit Teilnehmern aus ganz Europa abhalten und Bands lauschen, die nach Angaben vieler Reporter laut „Sieg heil“ grölten. Die Polizei widerspricht: Die Bands hätten nur „Skinhead“ gerufen.