Acht verletzte Polizisten, Steinwürfe, Pfefferspray: Thüringen ist am Wochenende zum Kampfplatz von Neonazis geworden. Mit einem misslungenen Rechtsrockfestival hat sich die Szene blamiert.
Von Henrik Merker
Über dem Marktplatz der kleinen Thüringer Stadt Apolda wabert der Geruch von Pfefferspray, selbst in einigen Metern Entfernung brennen noch die Augen vom Reizgas. Hunderte kaputte Glasflaschen, Unmengen Müll und mehrere Pflastersteine liegen am Sonntagmorgen noch herum. Die Spuren eines gewalttätigen Kampfes: Neonazis gegen Polizisten. Und die Rechtsextremen haben verloren.
Eigentlich sollte das Wochenende ihr Triumph werden – 6.000 Neonazis aus ganz Europa hatten sich zur dritten Auflage des Rechtsrockevents Rock gegen Überfremdung angekündigt, bekannte Bands wie Gigi & die Braunen Stadtmusikanten und Stahlgewitter sollten auftreten. Doch am geplanten Veranstaltungsort Magdala, gelegen zwischen Weimar und Jena, wartete am Freitag Niederlage Nummer eins: Weil ein Feldweg nicht zum Veranstaltungsgelände gehörte, verhängten die Behörden ein Betretungsverbot, der einzige Zugang war damit gesperrt.
Die rechten Musikfans wichen auf den Marktplatz des knapp 20 Kilometer entfernten Apolda aus – doch dort wurde es eng. Ein Bürgerbündnis aus Parteien und Kirchen belegte einen Großteil des Platzes, die improvisierte Bühne für die Nazi-Bands fiel winzig aus. Niederlage Nummer zwei.
Braune Musikfans sind verzweifelt
Tag zwei, der Samstag, sollte eigentlich zum Höhepunkt des nicht so bunten Treibens werden. Die Neonazikameradschaft Turonen wollte eine Ersatzveranstaltung in Kirchheim nahe der Landeshauptstadt Erfurt organisieren, 1.500 Gäste sollten Platz finden. Doch dann kam wiederum ein Verbot: Die Veranstalter hatten die gesetzliche Anmeldefrist nicht eingehalten. Niederlage Nummer drei.
Auf den Feldwegen zwischen Apolda und Kirchheim stehen in der Zwischenzeit etliche Neonazis, verzweifelt dreinblickend und mit Bier in der Hand. Einige waren extra aus der Slowakei angereist. Die verärgerte Menge reiste weiter, wiederum zum Marktplatz von Apolda. Den gescheiterten Organisatoren aus der Turonen-Kameradschaft wurde die Leitung entzogen, durch das Programm führte der Berliner NPD-Kader Sebastian Schmidtke. Ihm zur Seite stand der Neonazi Marcel Zech aus Brandenburg. Zech saß zuletzt acht Monate in Haft, weil er sich das Eingangsportal von Auschwitz auf den Rücken tätowieren ließ.
Rechter Gewaltexzess
Geblieben waren nur noch rund 500 Gäste. Einige Ordner der Veranstaltung waren bekannte Gesichter: Sie hatten bereits bei den gewalttätigen Vorfällen von Chemnitz in der ersten Reihe gestanden. Wie dort skandierte der Mob von Hooligans und Neonazis die Parolen „Wir sind das Volk“ und „Widerstand“. Konkurrenz bekamen sie vom städtischen Herbstfest, das von Ministerpräsident Bodo Ramelow und Innenminister Georg Maier unterstützt wurde. Mit einem Friedensgottesdienst, kirchlichen Liedern und lauten Trillerpfeifen nahmen Bürger den braunen Besuchern ihren Spaß. Da eskalierte die Stimmung.
Der Mob begann, mit Flaschen, Steinen und Müll auf Polizisten zu werfen. Neonazis sprangen mit Kampfsportbewegungen auf die Beamten. Acht Polizisten wurden verletzt. Auch von einem Dach aus wurden Gegenstände geworfen, meldet die Polizei.
„Erschreckend, widerlich und hoffentlich nie wieder“, kommentiert eine Anwohnerin am Morgen darauf den Gewaltexzess. Mehrere Hundertschaften gingen mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen die Angreifer vor. Neonazis mussten sich die tränenden Augen am Stadtbrunnen auswaschen. Einige von ihnen wurden mit Kabelbindern gefesselt und abgeführt. Die ganze Nacht kreiste ein Hubschrauber über der Stadt, Wasserwerfer standen in Bereitschaft.
Schaden für die Neonaziszene
Während der Ausschreitungen ging das Konzert weiter. Als die Polizei ankündigte, die Versammlung aufzulösen, kam ihnen Versammlungsleiter Schmidtke zuvor und beendete das Konzert – nicht ohne Drohung in Richtung der Polizei: „Später werdet ihr euch wünschen, wir hätten nur Musik gemacht“, brüllte er.
Den Neonazis dürfte durch das Desaster von Thüringen ein Schaden in fünfstelliger Höhe entstanden sein; Besucher, die sich für das Konzert in Magdala Tickets gekauft hatten, fordern ihr Geld zurück, heißt es. „Das wird in der Szene Ärger geben“, sagte Innenminister Maier am Freitag auf einer Pressekonferenz. Auch die Mitglieder der Turonen-Kameradschaft haben ihr Ansehen als Konzertorganisatoren eingebüßt. Nachdem entlarvende Mitschnitte von einem ihrer Konzerte in Kirchheim an die Öffentlichkeit gelangt waren, war dieses von Pleiten geplagte Wochenende der nächste szeneninterne Imageschaden.
Was das gewaltsame Thüringer Wochenende gezeigt hat: Die Neonaziszene radikalisiert sich zusehends. Ihre Finanzierung will sie laut Innenminister Maier durch Großevents sichern. Er fürchtet, dass Rechtsextremisten mit größerem Budget immer wieder in die Öffentlichkeit drängen könnten, sagte er. Mit konsequenten Verboten wolle er der Szene „die Finanzkanäle abschneiden“. Es wäre die nächste Niederlage für die Neonazis.