Ein Reichsbürger-Paar im Allgäu betreibt seinen eigenen Staat und verbreitet Verschwörungstheorien. Wegen wirrer Drohbriefe an Behörden droht den beiden jetzt Gefängnis.
Von Sebastian Lipp
Der Brief, den Rentner Rolf am „23. Tage des zwölften Monats anno Domini 2017“ an die Direktorin des Amtsgerichts in Kaufbeuren im Allgäu schrieb, hatte es in sich. „Zu ihrer gefälligen Kenntnisnahme“ versuchte der heute 72-Jährige die Behördenleiterin Rita Ostenried mit seinem Schreiben vom 23. Dezember 2017 zu nötigen, innerhalb von drei Tagen eine „Erklärung unter Eid unter unbegrenzter Haftung“ vorzulegen. Bleibe diese aus, stehe fest, dass die von Rolf S. angeführten Sachverhalte „vollumfänglich wahr“ seien und er „mit 150 Milliarden Dollar der aktuellen amerikanischen Währung zu entschädigen“ sei.
Nein, Rentner Rolf ist kein bescheidener Mann. Vom damaligen bayerischen Justizminister Winfried Bausback forderte er sogar 450 Milliarden US-Dollar, weil dieser sein „privates kommerzielles Instrument zweimal nacheinander entehrt“ habe, wie es so kryptisch wie unsinnig in seinem Brief hieß. Zwischen Ende Dezember 2017 und Anfang März 2018 forderte er so mehr als eine Billion Dollar „Schadensersatz“.
Reichsregierung im alten Schulhaus
Natürlich waren die bizarren Geldforderungen klägliche Versuche – doch in der Welt von Rolf S. haben sie Konjunktur. Er ist Reichsbürger. Unter Anhängern dieser teils rechtsextremen Strömung kursieren Blankoschreiben, mit denen der Absender behaupten kann, nach internationalem Handels- oder Kommerzrecht Anspruch auf horrende Schadensersatzforderungen zu haben.
Für Rentner Rolf allerdings ging es um seine ganze Existenz, ja sogar um sein Staatsgebiet. Vor 20 Jahren bezog er mit seiner Frau Ingrid das ehemalige Schulgebäude im 500-Seelen-Dorf Sulzschneid im Allgäu. Dort machte er sich zum Wirtschaftsminister einer Kommissarischen Regierung des Deutschen Reiches, das nach dem Glauben von Reichsbürgern weiterhin existiert. In der vergangenen Woche wurde das Gebäude zwangsversteigert, dem Ehepaar droht die Räumung.
Das Reich begann, den Bach runterzugehen, als der von Rolf S. verhasste Staat sich die Forderungen auf Schadensersatz nicht mehr gefallen ließ. Bereits einmal war er für solche Briefe wegen versuchter Erpressung verurteilt worden. Im vergangenen Jahr erhob die Staatsanwaltschaft erneut Anklage wegen des „sozial unerträglichen“ Verhaltens, nachdem er erneut sieben solcher Briefe verschickte. Das Amtsgericht Kaufbeuren verhängte Ende 2018 eine Haftstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung. Rolf S. ging in Berufung, legte sich neue schräge Erklärungen für sein Verhalten zurecht.
Reichsflugscheiben und Außerirdische
Angesichts der drohenden Gefängnisstrafe zeigte er sich nun aber reuig. Er habe eingesehen, dass er „das Kommerzrecht falsch verstanden“ habe. Deshalb werde er in Zukunft auf derartige Schadensersatzforderungen verzichten. Unter dieser Prämisse gewährte der Vorsitzende Richter Claus Ammann am Montag vergangener Woche Bewährung. Sollte sich S. innerhalb der nächsten drei Jahre noch einmal derartig verhalten, droht ihm ein Aufenthalt im Knast.
Es wäre eine demütigende Erfahrung für Rentner Rolf, der ja nicht nur ein Ministeramt bekleidet, sondern auch einen Ruf als rechter Meinungsmacher genießt. Das Schulhaus, in dem er wohnt, ist zugleich Sitz des Argo-Verlags, der in Büchern und Magazinen einen skurrilen Mix aus Esoterik, Pseudowissenschaft und rechtsradikalen Themen anbietet. Von „Neuer Germanischer“ und Alternativmedizin, Kornkreisen, „Reichsflugscheiben“ und Außerirdischen ist dort zu lesen. Hinzu kommen Geschichtsrevisionismus, Holocaustleugnung und vor allem antisemitische Weltverschwörungsideologien.
Ingrid S., die auch als Verlagsleiterin fungiert, bezeichnete sich ab 2001 als „Außenministerin“ der Reichsregierung und verschickte „diplomatische“ Schreiben an die Behörden echter Regierungen. Auch sie wurde bereits mehrfach verurteilt und hat Gefängnisaufenthalte hinter sich.
Neue Strafen drohen
Rentner Rolf war von den Bewährungsauflagen des Landgerichts unterdessen wenig beeindruckt. Nur 24 Stunden nach dem Berufungsprozess polterte er in einem anderen Gerichtssaal mit neuen Schadensersatzforderungen los. Weil er eine Hypothek der Bank nicht begleichen konnte – oder wollte – und Schulden bei Finanzamt, Verwaltung und Justiz angehäuft hatte, wurde sein Haus zwangsversteigert.
Die potenziellen Bieter, im Wissen um den sperrigen Bewohner, waren skeptisch: „Es ist ja bekannt, dass wir es hier mit Reichsbürgern zu tun haben. Wie wirkt sich das auf den Erwerb des Gebäudes aus?“, fragte eine Interessentin vor der Auktion die Vorsitzende Richterin. „Mit dem Zuschlag werden Sie Eigentümerin. Wie Sie sich den Besitz verschaffen, damit hat das Gericht nichts zu tun“, gab diese ratlos zurück. Dennoch erwarb eine Frau aus Schwaben das Haus für 380.000 Euro.
Die neue Eigentümerin signalisierte im Anschluss an die Versteigerung, sie sei bereit, über eine vorübergehende Duldung der bisherigen Bewohner zu sprechen. Doch es läuft ohnehin schlecht im Argo-Verlag, der nach all den juristischen Querelen der Inhaber nur noch auf Sparflamme läuft. Nun droht auch Ingrid S. eine eine erneute Haftstrafe, und das sogar von mehr als einem Jahr. Sie hatte dieselben Briefe verschickt wie ihr Mann. Das Reich der Reichsbürger – es könnte bald nur noch so groß sein wie eine Gefängniszelle.