Auf dem Z2X-Festival habe ich einen Blitzvortrag gehalten. Ich bin davon überzeugt, dass gleichberechtigte Teilhabe nur gelingen kann, wenn wir Behinderung neu denken. Hier kommt der Vortrag in Textform.
Die Welt ist im Pokémon Go-Fieber. Vor Kirchen, Wanderwegweisern und Bahnhöfen versammeln sich plötzlich Scharen von Menschen, die auf ihr Handy starren und versuchen Pokémons zu fangen oder einen virtuellen Kampf zu gewinnen. Ziel des Spiels: so viele verschiedene Pokémons wie möglich fangen. Millionen von Menschen sind weltweit auf der Jagd nach den Figuren. Weiter„Pokémons im Rollstuhl fangen – der Weg ist das Ziel“
„Randgruppen-Artikel“ steht über dem Text. Das ist, zugegeben, keine sehr originelle Überschrift, aber der Text selbst hat es in sich. Er stammt aus der Abizeitung der Liebfrauenschule im hessischen Bensheim aus dem Jahr 1996. Der ironische Text macht die Leser darauf aufmerksam, dass sich im Abiturjahrgang der katholischen Mädchenschule nicht weniger als 41 Randgruppen befunden hätten – und das bei einer Jahrgangsgröße von etwas mehr als 90 Abiturientinnen. Weiter„Debattenkultur: Wenn Randgruppen nicht mehr am Rand stehen“
Es sollte eine ganz normale Filmpremiere in London werden: Für Me before you oder Ein ganzes halbes Jahr, wie das Buch und der Film in Deutschland heißen, hatte man den roten Teppich ausgerollt und viele Fans warteten auf die Schauspieler Sam Claflin (Hunger Games) und Emilia Clarke (Game of Thrones).
Aber nicht nur Fans des Films waren anwesend, sondern auch eine Gruppe von Rollstuhlfahrern, die gegen den Film und das zugrunde liegende Buch protestierten.
Spoilerwarnung! Nicht weiterlesen, wenn man die Handlung des Buchs oder des Films nicht vorab wissen möchte.
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Der erfolgreiche Geschäftsmann Will ist vom Hals abwärts querschnittgelähmt und seine Eltern suchen für ihn eine neue Assistentin, die ihn rund um die Uhr pflegt. Sie finden Louisa, die zwar völlig unerfahren ist, aber, da sie bislang beruflich wenig Glück hatte, bereit ist, den Job anzunehmen. Die beiden verlieben sich ineinander, verbringen nach großen Anlaufschwierigkeiten eine tolle Zeit miteinander und trotzdem will sich Will umbringen, weil er sein Leben für nicht mehr lebenswert hält. Am Ende tut er das auch. Er reist in die Schweiz und stirbt mit Hilfe von einer Sterbehilfeorganisation. Kein Happy End. Das Buch ist todtraurig, der Film ist es sicher auch. Ich habe das Buch gelesen und kenne auch schon die Fortsetzung des Romans.
Um es vorweg zu sagen, ich mochte das Buch. Ich mag auch Jojo Moyes‘ Schreibstil. Ich mochte die Liebesgeschichte und die Hauptperson der Handlung, Louisa. Was ich nicht mochte, war alles, was mit dem Tod von Will zu tun hatte und seinen Tod überhaupt. Und ja, es gibt Stellen in dem Buch, da kann ich als selbst querschnittgelähmte Frau nur mit dem Kopf schütteln. Da merkt man dann schon, dass das jemand geschrieben hat, die nicht querschnittgelähmt ist und auch nie eine Beziehung mit jemandem hatte, der diese Behinderung hat, sondern alles nur vom Hörensagen interpretiert.
Warum nun also der Aufschrei? Sowohl in den USA, Kanada als auch in Großbritannien, wo der Film diese Woche anläuft, gibt es Proteste von behinderten Menschen. Auch auf Twitter wird lautstark protestiert.
Nicht behinderte Schauspieler spielen behinderte Menschen
Es ist wirklich fast schon lächerlich, aber ja, auch in Hollywood spielen nicht behinderte Schauspieler behinderte Rollen – und das meist ziemlich schlecht. Ich werde langsam wirklich müde, mich darüber aufzuregen. Es nervt halt einfach nur noch. Dementsprechend gibt es auch wenig Akzeptanz für diese Filme vonseiten vieler behinderter Menschen. Sie empfinden es wie „Blackfacing„, das Anmalen von weißen Schauspielergesichtern mit schwarzer Farbe, statt gleich schwarze Schauspieler einzusetzen.
One day, I hope to see a movie where the disabled character is written by a disabled writer, played by a disabled actor & they #LiveBoldly
Das Argument gegen das Buch und den Film, das Leben mit einer Behinderung wird als unwert dargestellt, kann ich durchaus verstehen. Will beantwortet die Frage, warum genau er eigentlich sterben möchten, fast immer nur damit, dass er so – also behindert – nicht leben möchte. Er sei nicht der Typ, der sein Schicksal einfach akzeptiert. Na prima!
Und das, obwohl er eigentlich recht angenehm leben könnte: Er hat mit Louisa am Ende eine tolle Freundin, seine Eltern bemühen sich, ihm das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, er hat ein schönes Haus und ziemlich viel Geld, kann das Haus verlassen, zu Veranstaltungen gehen und vieles mehr. Zudem wird für den Film auch noch mit „Lebe mutig“ geworben (#liveboldly), was man entweder so verstehen kann, dass das Leben mit Behinderung immer Mut erfordert. Das ist eine typische Heroisierung behinderter Menschen, wie es auch gerne Medien machen. Aber auch die andere Interpretation, dass man sein Leben so lange mutig leben soll, wie man es noch kann, ist nicht viel besser.
Das Buch setzt schon fast als logisch voraus, dass man nach einer Querschnittlähmung nicht mehr leben möchte. Dass das behinderte Menschen auf die Palme bringt, vor allem querschnittgelähmte Menschen, verstehe ich, denn klar ist, die Mehrheit möchte leben und das vermutlich meist unter weit schwierigeren Umständen als der Rollstuhlfahrer im Buch.
Hey, everyone involved in @mebeforeyou: I’m a disabled woman and I #LiveBoldly by embracing my life as it is and accepting myself as I am.
Sexualität und Behinderung wird falsch oder gar nicht dargestellt
Eines der dümmsten Vorurteile, denen man als behinderter Mensch so im Laufe des Lebens immer wieder begegnet, ist, dass behinderte Menschen keinen Sex haben können oder gar keine Sexualität haben. Da könnte man meinen, wir leben in einer aufgeklärten Welt, in der jeder weiß, dass es Sex in den unterschiedlichsten Facetten gibt, aber das scheint sich weder bis zur Autorin noch nach Hollywood rumgesprochen zu haben, denn auf eine gute Sexszene wartet man auf den vielen Seiten des Buches vergeblich. Damit wird ernsthaft der Eindruck erweckt, ein querschnittgelähmter Mann könne kein Sex haben oder wenn, dann sicher keinen erfüllenden, dann kann man es auch gleich lassen.
Der US-amerikanische Regisseur Dominick Evans, der selbst im Rollstuhl sitzt, schrieb über den Film: Behinderte Menschen „haben es satt, Filme anzuschauen, in denen behinderte Menschen falsch dargestellt werden. Auch weil wir nicht miteinbezogen werden, nirgendwo. Wir wurden zum Drehbuch nicht befragt. Kein Rollstuhlfahrer hat das Drehbuch geschrieben. Sogar die Hauptrolle spielt ein nicht behinderter Schauspieler, was dazu führt, dass er nicht einmal weiß, ob er gut spielt, wie schädlich seine Darstellung und wie unauthentisch das Drehbuch ist.“ Ohne behinderte Menschen einzubeziehen, fahre das „nicht behinderte Hollywood“ damit fort, das Leben für behinderte Menschen schwerer zu machen, weil es das sei, was Menschen sehen und sie annehmen, das sei die Wahrheit.
Mit dieser Meinung steht Dominick Evans nicht alleine da. Hunderte englischsprachige Tweets und zahlreiche Kommentare in amerikanischen und britischen Medien gab es in den vergangenen Tagen. Bleibt abzuwarten, welche Reaktionen der Film in Deutschland auslöst, wenn er am 23. Juni in die Kinos kommt.
Ich hatte mich so auf den Eurovision Song Contest in Stockholm gefreut. Eigentlich war ich nie ein großer ESC-Fan, bis ich im vergangenen Jahr zum ersten Mal den Wettbewerb in Wien erlebt habe. Was für eine tolle Stimmung der Song Contest im Publikum, vor den Fernsehgeräten und nicht zuletzt im Pressezentrum erzeugt! Das macht einfach Spaß.
Meine Stimmung ist allerdings in diesem Jahr bislang noch nicht so richtig toll – und das liegt am ESC-Pressezentrum.
Ich sitze zum Beispiel gerne auf der Dachterrasse des Kaufhofs an der Hauptwache in Frankfurt und schaue über die Stadt. Sie befindet sich im 7. Stock. Würde ich einen Sicherheitsexperten um Rat bitten, wird der mir raten, mich da besser nicht aufzuhalten. Denn es wird schwierig, mich als Rollstuhlfahrerin aus dem Gebäude zu holen, falls es brennt (ob das Haus einen feuerfesten Fahrstuhl hat, weiß ich nicht).
Im vergangenen Jahr habe ich viel Zeit im 28. Stock eines Gebäudes in Wien verbracht. Dort gab es zwar einen Feuerwehrfahrstuhl, er war aber oft außer Betrieb. Nur die normalen Fahrstühle liefen. Ich bin aber gerne in hohen Gebäuden und genieße die Aussicht. Das ist für mich ein Stück Lebensqualität. Um sicher zu sein, dürfte sich mein Leben eigentlich nur im Erdgeschoss abspielen. Weiter„Sicherheit versus Teilhabe“
Was für nicht behinderte Menschen eine Selbstverständlichkeit ist, endet für behinderte Menschen oft in einer Enttäuschung. Konzertbesuche beispielsweise. Das musste der Hamburger Student und FilmemacherMichel Arriens erleben, als er ein Konzert der Band Kollektiv Turmstrasse im Musikclub Gruenspan besuchen wollte. Er ist kleinwüchsig und bewegt sich auf einem kleinen Roller fort, da er weite Strecken nicht laufen kann.
Doch als er beim Gruenspan ankam, verweigerte man ihm den Einlass, obwohl er die Konzertkarten bereits gekauft hatte. Der Mitarbeiter des Clubs auf St. Pauli teilte ihm freundlich, aber bestimmt mit, dass er mit seinem kleinen Roller nicht zum Konzert dürfe.
Nicht barrierefrei = kein Zugang
Auf der Website des Gruenspan steht in der FAQ:
„Das Gruenspan ist leider nicht barrierefrei. Toiletten, Garderobe und Notausgänge sind nicht barrierefrei erreichbar. Insbesondere aufgrund der Erreichbarkeit der Notausgänge können wir Rollstuhlfahrern aus Sicherheitsgründen leider keinen Einlass gewähren.“
Ich kenne solche Situationen und ich weiß auch, wie frustrierend sie sind. Stellen Sie sich mal vor, man verweigert Ihnen den Zugang zu einem Konzert, einem Lokal oder zum Kino, weil Sie Schuhgröße 41 haben. Oder weil Sie über 1,70 Meter groß sind oder sonst eine Eigenschaft haben, an der Sie erst einmal nichts ändern können. So ist das mit einer Behinderung auch: Sie gehört einfach zu einem wie die Körpergröße oder die Schuhgröße.
Seit 40 Jahren keine Rollstuhlfahrer
Schon immer habe ich mich gefragt, wer eigentlich diese Menschen sind, die solche Entscheidungen treffen? Wollen die kein Geschäft machen? Keine Konzertkarten verkaufen? Und wie sieht das eigentlich rechtlich aus? Kann ein Club wirklich sagen: Aufgrund Deiner Behinderung kommst Du hier nicht rein?
Der Geschäftsführer des Gruenspan, Robert Hager, zeigte sich überrascht darüber, dass sich jemand an dieser Regelung stört. Das Gruenspan sei Deutschlands ältester Club und seit rund 40 Jahren kämen Rollstuhlfahrer nicht hinein. Daran habe sich noch nie jemand gestört. Das sei ja auch allgemein bekannt, dass das Gruenspan das so handhabe.
Problem Brandfall
„Unser Gebäude ist von 1898 und die Entfluchtungssituation ist schlichtweg nicht barrierefrei“, erklärte mir Hager. Die Besucher müssten auf jeden Fall sechs oder acht Treppenstufen überwinden. Im Brandfall beispielsweise könnten andere über einen Rollstuhlfahrer stolpern und er käme selbst nicht hinaus. Feuerschutztechnisch sei das ein Problem: „Das untersagt Dir zwar keiner. Ich bin als der Betreiber aber in der Haftung.“
Ganz so einfach ist es rechtlich nicht, erklärt mir Oliver Tolmein, Rechtsanwalt der Kanzlei Menschen und Rechte und spezialisiert auf das Antidiskriminierungsrecht. Immer wieder würde der Brandschutz als Grund von Anbietern von Musikveranstaltungen, von Theatern oder von Vergnügungsparks angeführt, um Menschen, die Rollstühle nutzen, die blind oder gehörlos sind, den Zutritt zu ihren Veranstaltungen zu verwehren. Charakteristisch sei dabei, dass außer der pauschalen Auskunft „wegen Brandschutz“ oder „aus Sicherheitsgründen“ nichts mitgeteilt werde, so Tolmein. „In konkreten gerichtlichen Verfahren haben sich die Brandschutzbedenken nicht bestätigt.“ Es gebe auch Theaterveranstalter, die nachgegeben hätten, nachdem eine Anwalt eingeschaltet wurde.
„Es gibt keine Brandschutzvorschriften, die die Teilnahme von Menschen mit Behinderungen an Veranstaltungen ausdrücklich untersagen“, sagt der Anwalt. „Brandschutz soll nicht Teilhabe verhindern, sondern der Gefährdung von Menschenleben vorbauen. Es geht also darum, ihnen Rettungswege zu eröffnen.“
Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
Wenn jemand wegen einer Behinderung öffentliche Veranstaltungen nicht besuchen darf, sei das nach deutschem Recht ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und damit unzulässig. Zwar sei eine Benachteiligung dann möglich, wenn sie Gefahren vermeidet und Schäden verhütet. Der Anbieter müsse aber beweisen, dass diesen Gefahren nur durch ein undifferenziertes Verbot begegnet werden könne. „Das dürfte in der Regel nicht gelingen“, sagt Tolmein. Vielmehr müsse von einem Konzertveranstalter erwartet werden, dass er über die Jahre Alternativen zum Zutrittsverbot entwickelt habe.
Hinzu kommt: Michel Arriens ist gar kein Rollstuhlfahrer. Er ist einfach nur kleinwüchsig und auf einem Roller unterwegs: „Wenn jedes Restaurant, Café, jeder Club mit einer Stufe mich nicht reinlassen würde, wo dürfte ich dann überhaupt noch rein?“, sagt er.
Die gute Nachricht ist: Auch das Gruenspan hat die Zeichen der Zeit erkannt und wird in den kommenden Jahren umgebaut. Die Ausschreibung läuft bereits. Damit wird der Club barrierefrei und kann der Willkommenskultur des Stadtteils wieder gerecht werden. „Wir werden uns darum kümmern“, versprach mir Gruenspan-Geschäftsführer Hager. „Dafür ist der Stadtteil St. Pauli ja auch bekannt, dass man sich kümmert.“ Wird nach 40 Jahren aber auch Zeit.
Wer in 50 Jahren mal auf die Geschichte der Inklusion in Deutschland zurückblickt, wird über den ARD-TatortFünf Minuten Himmel am Ostermontag mit Heike Makatsch vielleicht sagen: „Und 2016 hatten sie endlich einen Tatort-Ermittler, der im Rollstuhl saß.“ Hurra! Endlich sind behinderte Menschen nicht nur Leichen und Mörder. Endlich haben wir es auf die gute Seite der Macht geschafft, auch im Tatort. Weiter„Hurra, ein „Tatort“-Ermittler im Rollstuhl“
Fast immer wenn ich das Thema Barrierefreiheit anspreche, folgt als vermeintliches Totschlagargument: „Aber bei neuen Einrichtungen wird ja darauf geachtet.“ Ja, schön wär’s. Ein Beispiel gefällig? Ich war vergangene Woche in Berlin und hatte unverhofft ein bisschen Zeit. In der Nähe meines Hotels gibt es das vor vier Monaten eröffnete Spy Museum. Und da ich James Bond & Co. ganz interessant finde, habe ich erwartungsvoll 14 Euro gezahlt, um mir die Geheimdienstgeschichte in Ost und West anzusehen. Auf 3.000 Quadratmetern können Besucher in die geheime Welt der Spionage eintauchen. Dafür wurde ein Gebäude am Leipziger Platz im Herzen Berlins aufwendig umgestaltet.
Ich sage es lieber gleich, ich bin ein Tatort-Fan. Ich habe kein Lieblingsteam, sondern schaue mir fast jeden Tatort an und gehöre auch zu den Menschen, die sich wahnsinnig gerne auf Twitter über das Gesehene austauschen. Dass das Saarbrücken-Team den Kultstatus von Münster mit Jan Josef Liefers und Axel Prahl nicht erreicht, stört mich dabei gar nicht. Der Tatort: Totenstille aus Saarbrücken, der am kommenden Sonntag gezeigt wird, hat für mich trotzdem schon jetzt so was wie Kultstatus. Weiter„Tatort „Totenstille“ – Einblick in die Gehörlosenkultur“