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Sie bellen und beißen

 

Hamburg: Die berüchtigte linksradikale Spaßkapelle hat wieder zugeschnappt. Knarf Rellöm Trinity lassen mit bissigem Elektrofunk das Hirn brennen und die Hüften zucken

Knarf Rellöm Move Your Ass

Jetzt aber mal Schluss mit lustig. Einen unnützen Spaßkanzler hatten wir ja schon und an die Revolution mit popkulturellem Glanz und Gusto glaubt keiner mehr. Mit dem Untergrund geht es auch nicht weiter: Seitdem auf Neonazi-Umzügen die Lieder von Ton Steine Scherben gegrölt werden, scheint kein noch so untergründiges nonkonformistisches Zeichen mehr sicher vor der moralischen Entwertung.

Wer will sich da noch lange Gesinnungsmonologe musizierender Radikalinskis anhören?

Ja: Ich! Hier, bitte! Aber nur, wenn sie von Knarf Rellöm kommen! Er ist Superman falsch herum, richtig heißt er Frank Möller und tritt gerne in glänzenden Ganzkörperanzügen und Flatterumhängen auf die Bühne. Dann rotzt er mit seiner Mini-Kombo los und spuckt präzise analytischen Wortunsinn:

Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!
Wer verrät uns nie? Sexualdemokratie!

Das ist ein zentraler Refrain auf der neuen Platte Move Your Ass & Your Mind Will Follow, ein Refrain, mit dem Knarf Rellöm in Techno Talking nichts als Ärger hat. Mit dem Monologisieren fängt er schon im ersten Stück Die Tankstelle am Rande unseres Planeten an. Doch dann, ein paar synthetische Tastendauertöne und kühl knallende Beats weiter, bevölkern Bassistin und Sängerin DJ Patex in der Rolle der gelangweilten Zapfsäulenheiligen sowie Schlagzeuger und Keyboarder Viktor Marek als wispernde Köterkatze die utopische Erzählung.

Man wähnt sich im Jahre 2073, das Motto des Jazzmusikers und Visionisten Sun Ra „Space is the place“ wird als roter Faden ausgelegt. Rapper vom Mars nehmen die Botschaft auf und formulieren zu funky schmatzenden Bässen und körperlosem Händeklatschen die Albumtitelzeile. Saftig im Jazz stehend wird das sture Technowummern der Spaßgesellschaft entrümpelt, beinahe klezmerisiert und mit punkiger Astro-Energie neu aufgeladen: Den Kopf verlieren, um das Denken wiederzufinden. Die Kraft der Negation nannte es Popkulturtheoretiker Diedrich Diederichsen – die Elektro-Rhythmusbox zischt böse Peitschenhiebe.

Selbstzufriedenheit: Nein, danke, this is the heavy heavy No-Deutschland-Sound. Im Stück AKD singt DJ Patex „Arme kleine Deutsche“ im absichtlich niedlichen Sopran-Chorus. Knarf Rellöm redet wieder mal mit sich selbst, seinen anderen Ichs, und imitiert einen Streit mit dem Freund am Telefon über die Verharmlosung des weichen Patriotismus. Der flotte House-Groove hüpft den Worten fast davon, quiekende Elektronik erinnert an die Roboter im Video Tricky Disco, dem lustigen Hit aus der Steinzeit von Techno.

Anders als auf vorherigen Platten reißt hier trotz der Splatter-Stilistik der musikalische Faden nicht ab. Zwei sekundenkurze kuriose Hörspiele strukturieren die Titelreihenfolge wie Wellenbrecher, bevor das Stück What’s That Music? mit warmen Händen noch mehr Soul austeilt. Mit fies knarzenden Bassbeats und von Furien aus dem All gespielten E-Gitarren landet schließlich die Außerplanetarische Opposition, um Knarf Rellöm Trinity den Auftrag zur musikalischen Rettung der Welt zu erteilen.

Ganz am Schluss der CD sind zwei Titel aufgeführt, die es – noch – gar nicht gibt! Nächstes Mal, steht mit Kreuzchen auf der Hülle. Selbst die schrägsten lumpigsten Einfälle passen dem Trio elegant wie maßgeschneidert, mitsamt der geklauten Dreifaltigkeit im Bandnamen, der für jede Platte neu erfunden wird. Sowieso zum Verlieben sind Knarf Rellöms typische Wortverdrehungen wie der Hampfhund mit Kerrchen, und wer sagt eigentlich, dass bellende Hunde nicht beißen!

„ Move Your Ass & Your Mind Will Follow“ von Knarf Rellöm Trinity ist als LP und CD erschienen bei What’s So Funny About

Hören Sie hier „AKD (Arme kleine Deutsche)“ und „Außerplanetarische Opposition“

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