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Im Takt des Ameisenbärs

 

Saroos bringen ihre Umwelt zum Klingen und Schwingen: Kreissäge, Blechdose und Metronom, Rasseln, Eimer und Glühwürmchen. Und wie heißt noch dieses Instrument, das George Harrison in Indien spielen lernte?

Saroos

Welch ein musikalischer Ameisenhaufen. Überall wimmelt und wuselt es. Stimmen flüstern hektisch, exotische Instrumente huschen von hier nach dort, es knackt im Unterholz. Man haut auf alles, was so rumliegt, Eimer, Blechdosen, Gläser. Ein Synthesizer dröhnt vertraut, jemand hat eine Rassel mitgebracht. Und was klingt da, ist das eine Kreissäge? Oder ein Schnipsel von Filmmusik? Ein Metronom? Die Ohren gehen einem über, sie wollen überall zugleich sein. Plötzlich kommt der Ameisenbär und lässt den Waldboden unter einem dröhnenden Basslauf erzittern.

Schon die ersten drei Stücke auf Saroos‘ Debütalbum stechen viele Genres an. Die dicksten Scheiben schneiden sie sich bei Elektronika und HipHop ab, HipHop ohne Worte. Doch halt. Bei During This Course rappt plötzlich einer. Ohne Luft zu holen, vier Minuten lang variiert er nur zwei Töne. Was erzählt er da eigentlich? Mit Everyone Was There gehen wir noch tiefer in den Wald, es ist sphärisch, ruhig, dunkel. Wie heißt noch das Instrument, das George Harrison in Indien spielen lernte? Irgendwann bleibt der Bass ganz aus, es wird Nacht im Saroos-Wald.

Gerade als man denkt, man hätt’s begriffen, kommt Videos & Vehicles und führt Trompete und Kontrabass ein, Jazz also auch noch. Wird da Miles Davis gesampelt? Warm und ruhig klingt die Trompete, ist das irgendwas von In A Silent Way? Nur zwei Töne werden abgewechselt, sie verschleppen den Takt gehörig. Das trocken angespielte Schlagzeug muss sie immer wieder zur Ordnung rufen. Am Ende löst sich das Stück in Wohlgefallen auf, der Blechbläser entfernt sich langsam durch einen hallenden Gang. Unverständlich brabbelnde Stimmen werden lauter, das Schlagzeug torkelt unentschlossen in ein nahes Nirvana.

Saroos verstehen sich auf Stimmungen. Troubled Sleep klingt sogar ein bisschen nach Lagerfeuer. Eine akustische Gitarre, mit der Handfläche bearbeitete Trommeln, dazu das säuselnde Geräusch, das entsteht, wenn man die Saiten oben zwischen Bund und Wirbeln anschlägt. Im Hintergrund murmeln Wölfe und Füchse, die unbemerkt in zweiter Reihe sitzen. Und da, ein Glühwürmchen. Kann man das hören? Schließlich graut der Morgen und All We See führt uns zurück in das hektische Treiben des Ameisenhaufens. Auch der Rapper und der Ameisenbär sind wieder da. Am Ende hat er das Gewusel weggeschlürft. Mit Noone gleitet die Platte aus, umschmeichelt einen nochmal, obwohl sie es gar nicht mehr nötig hätte. Die Libellen schwirren über den verwaisten Ameisenhaufen.

Saroos sind Christoph Brandner und Florian Zimmer. Man hört aus ihren Stücken die schönen Popentwürfe Lali Punas (dort spielt Brandner) genauso heraus, wie die introvertierten Elektronikbasteleien von iso68 (der Band von Zimmer). Der Rapper ist Alias, die exotischen Instrumente spielt Saam Schlamminger, beide sind alte Bekannte aus dem großen Notwist-Umfeld. Das muss man alles nicht wissen, um diese Platte zu mögen.

Das selbst betitelte Album von Saroos ist als LP und CD erschienen bei Alien Transistor

Hören Sie hier „This Ain’t No Place“ von Saroos

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