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Whiskey, Bier und keine Füller

 

Auch wenn dieses Lob gegen die zehn Gebote der Musikkritik verstößt: „Wasser kommt Wasser geht“ von Captain Planet ist die beste deutsche Punkplatte seit Langem.

Vorgestern Abend in der Wunderbar, Westerstede. Mehr schlecht als recht mühen sich zwei lokale Bands auf der winzigen Bühne ab. Die eine macht Hardrock, die andere hat gar keinen Stil. Ob man die hier kenne, frage ich meinen Stehtisch-Nachbarn. Hier in der Gegend schon, sonst eher nicht. „Aber die andere Band, die noch spielt, ist ziemlich bekannt, die kommen sogar aus Hamburg oder so.“ Sogar. In der niedersächsischen Provinz steht Hamburg für Qualität.

Die andere Band heißt Captain Planet und macht Punk mit deutschen Texten. Und Bekanntheit ist relativ. Vor zwei Jahren haben sie eine Vinylsingle mit vier Liedern veröffentlicht, Unterm Pflaster der Strand. Die erste Auflage von rund 600 Stück ist mittlerweile vergriffen, es wurde eine zweite gepresst. Sie spielen in kleinen Läden, die sind meistens voll. Auch in der Wunderbar drängen sich 60, 70 Leute zwischen Bar und Bühne. Vorne wird getanzt und mitgesungen, hinten trinkt man Whiskey und Jever vom Fass. Ein einzelner Punk im Publikum entspricht dem Klischee.

Die vier Jungs auf der Bühne tun es nicht, Punk ist heute nicht mehr die Kombination aus Musik und Mode, die er in den späten Siebzigern war. Im Jahr 2007 ist man auch mit kurzen Haaren, T-Shirt, Jeans und Turnschuhen glaubwürdig. Der Schlagzeuger Sebastian Habenicht hat heute Geburtstag, die Band hat offensichtlich riesigen Spaß am Spiel und ist dem Publikum gegenüber ausgesprochen höflich. Vielleicht weil es der letzte Auftritt einer dreiwöchigen Tour durch die Republik ist, vielleicht aber auch, weil die Musiker so betrunken sind, dass sie sich überall wohlfühlen würden. Als einzige Band des Abends bringen sie wirklich Energie auf die Bühne.

Wasser kommt Wasser geht ist das erste Album von Captain Planet. Und auch, wenn dieses Lob gegen mindestens zwei der goldenen Gebote Volker Matzkes verstößt: Es ist die beste deutsche Punkplatte seit Langem. Keines der elf Stücke klingt unausgegoren oder kompromisshaft, all killer, no filler sagt man in England. Nicht dass der Deutschpunk daniederläge, viele großartige Platten entstanden in der letzten Zeit. Im Vergleich zu Wasser kommt Wasser geht haben sie aber alle ihre – kleinen – Schwächen. Captain Planets Texte sitzen besser als die von Turbostaat. Die Lieder sind noch druckvoller als Matulas fabelhaftes Debüt Kuddel, der Gesang ausgefeilter als der auf Duesenjaegers Schimmern, die Kompositionen sind feinsinniger als die von Antitainment oder Kommando Sonnenmilch. Auch die Produktion ist brillant.

Arne von Twistern schreibt und singt kluge Texte, stellenweise schreit der Gitarrist Benni Sturm im Hintergrund die zweite Stimme. Sebastian Habenicht und Marco Heckler bauen mit Schlagzeug und Bass ein stabiles Gerüst, auf dem die beiden anderen sicher turnen. Die Gitarre malt originelle Melodien, immer wieder gibt es Tempowechsel und Brüche. Arne von Twisterns Worte sitzen, das ist das Besondere. Keine Zeile wird verschleppt, nirgendwo holpert der Vers. Gereimt wird ohnehin nicht. „Heute Nacht hab’ ich die Welt verstanden“, ruft der Sänger, „und sie mich“. Seine Texte stecken voller Erinnerungen an vergangene Sommer, ans Unterwegssein, an Menschen und Orte. Er singt vom „Kopfkissen meiner Erinnerung“, das ist keine Metapher, sondern sehr greifbar.

Das Stück Ohne Worte trägt eine Beziehungskrise in den Wilden Westen: „Zwölf Uhr mittags, am Ende der Straße scheint der Mond.“ Statt der Pistole umklammert seine linke Hand eine Bierflasche. Sie schweigen sich an: „Sieben Minuten ohne Worte, tausend Kilometer von deinem Mund zu meinem Ohr.“ Einen Gewinner gibt es nicht.

Bei Hols Stöckchen bitte klingt die gesungene Melodie ein bisschen nach Nena: „Jetzt suchen sie schon mit dem Hubschrauber nach dir, jeder Lichtkegel am Himmel, der gilt dir.“ Aber das geht in Ordnung, denn wenn Nena ein Talent hat, dann sind es schließlich die Melodien.

Viele Texte entfalten etwas Poetisches, wenn man sie einfach nur mitliest …

„Zwischen Himmel und Alster
Ein schäumendes Meer
Ein Fußballplatz im Hinterhof
Das Geld in deiner Tasche
So gut behütet und dann doch gestohlen
Im falschen Moment das Richtige getan
Und umgekehrt
Ich geh nicht mehr nach draußen
Wenn es regnet.“

… heißt es in Auftauchen um Luft zu holen.

Ein Motiv zieht sich durch beinahe alle Lieder: Wasser kommt und geht, aber meistens ist es da. In Wespenstich rieselt der Regen durch das löchrige Dach, in Ohne Worte haben die Autos Tropfen auf den Scheiben. Auch in den meisten anderen Stücken regnet es. Immerhin zweimal scheint die Sonne, so ist das in Hamburg.

„Wasser kommt Wasser geht“ von Captain Planet ist als LP und CD erschienen bei Unterm Durchschnitt.

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