Der New Yorker Club Max’s Kansas City im Dezember 1979: Lydia Lunchs brachiale Punk-Band Teenage Jesus & The Jerks tritt auf. Im Publikum tummeln sich lässige Typen, die meisten tragen schwarze Lederjacken, niemand tanzt.
Und dann dies: Als Vorgruppe betreten zwei schrill gekleidete Frauen mit Bienenkorb-Frisuren und mehrere schwule Männer die Bühne. Ihre Klamotten und Perücken haben sie beim Trödler erstanden, und sie sehen aus, als wären sie mit der Zeitmaschine aus den Fünfzigern gekommen. Die Band nennt sich The B-52’s und schockiert das Publikum mit überkandidelter Party-Musik. Aus ihrer Heimat Athens in Georgia seien sie es gewohnt gewesen, dass die Leute tanzten, erzählte der Sänger Fred Schneider später, in New York habe sich niemand bewegt. „They were enjoying it, but it wasn’t cool to dance. Lord knows, we didn’t look too cool.“
Es kann nicht schaden, daran zu erinnern, dass die Band damals gegen den Strom schwamm. Die B-52’s waren keine bunte, belanglose Pop-Kapelle. Sie waren Exzentriker, ihr Klang eine Mischung aus dem Pop der Sechziger und New Wave. Heute verbindet man ihren Namen vor allem mit den Tanznummern Love Shack und Rock Lobster, mit den sirenenhaften Harmonien Kate Piersons und Cindy Wilsons und den kontrastierenden Anfeuerungen Fred Schneiders. Ricky Wilson, der im Jahr 1985 an den Folgen einer HIV-Infektion starb, spielte seine Gitarre gleichzeitig als Bass. Er entfernte die beiden mittleren Saiten und stimmte die unteren so tief es ging. Den beiden oberen entlockte er einen Surf-Klang, der an die Instrumental-Band The Ventures erinnerte. Ricky Wilsons Schwester Cindy spielte Bongos und ergänzte so das eckige Schlagzeugspiel Keith Stricklands. Pierson und Schneider ließen im Hintergrund die Keyboards quietschen.
Zwischen den Jahren 1980 und 1994 erschienen sechs Alben, danach machte die Gruppe eine lange Pause. Seit einiger Zeit treten sie wieder auf, jetzt erscheint ihr neues Album Funplex. Und all das Beschriebene funktioniert auch dreißig Jahre nach dem Auftritt in New York prächtig. Im ersten Stück Pump klingen die Keyboards wie aus einem fünfzig Jahre alten Science-Fiction-Film. Die beiden Frauen laden zum Sex und zum Tanz, sie ergehen sich in technischen Anspielungen: „Pump it up / give it up / turn up the track“, singen sie, „Hard kiss / love chain“, quakt Fred Schneider dazwischen. Man muss das nicht verstehen, man soll sich hingeben.
Funplex ist sauberer und ausgewogener produziert als auf die recht schroffen frühen Alben. Der Schlagzeuger Strickland spielt nun auch Bass und Gitarre, viele seiner Rhythmen sind elektronisch. Gelegentlich schrammelt er ein bisschen zu verträumt vor sich hin, dann wieder spielt wohltuend kantig. Die Gastschlagzeuger Zachary Alford und Sterling Campbell treten dann wuchtig gegen die Bassfelle.
Mit der Single Funplex benennen die B-52’s, wogegen sich ihre Party-Klänge heute richten. Den „pleasure seeker / shoppin‘ for a new distraction / movin‘ to the muzak / lookin‘ for the real thing“ nehmen sie aufs Korn, den Konsumenten auf der vergeblichen Suche nach dem Authentischen. Die Mall ist ihnen das Museum der Gegenwart, der Ort an dem die Widersprüche der Gesellschaft zu Tage treten. „Faster Pussycat thrill thrill / I’m at the mall on a diet pill“, besingt Fred Schneider Konsum- und Fitnesswahn. Das Stück endet mit den Worten „Misery at the Funplex! / And there’s too much sex! / The world is going to hell / And what is that horrible smell?“ So wie unter der glitzernden Oberfläche der Einkaufswelt Abgründe lauern, geht der allgegenwärtig zur Schau gestellte Sex mit einer puritanischen Moral einher.
Verdrießlich stimmt sie das noch lange nicht. Wenn schon alles zur Hölle geht, sollte man wenigstens Spaß dabei haben. „Keep doin‘ what you’re doin‘ / cause you’re doin it right / keep doin‘ what you’re doin‘ / ‘Cause it’s what I like“ singen sie in Ultraviolet. Und so halten es die B-52’s.
„Funplex“ von den B-52’s ist bei Astralwerks/EMI erschienen.
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