Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Lasst uns jung klingen!

 
Anfang der Neunziger hatten die Charlatans aus Manchester einige mitreißende Lieder aufgenommen – dann wurden sie müde und lahm. Mit ihrem zehnten Album „You Cross My Path“ knüpfen sie endlich an den früheren Wohlklang an.

Charlatans You Cross My Path

Here Comes A Soul Saver hieß eines der hymnischen Stücke auf dem unbetitelten, vierten Album der Charlatans. Seelen retten, das wollten sie – und schauten von der Hülle, als meinten sie es ernst. Das war Mitte der Neunziger, und die Charlatans waren schon damals keine junge Band mehr.

Erinnern wir uns: Angefangen hatten sie im Jahr 1989, als in Manchester die von DJs und Musikern aufbereitete Fusion aus House, von den Sechzigern inspirierten Gitarrenklängen und dem Kreischen der Hammond-Orgel ihren ersten Höhepunkt erreichte. Damals konnte man Manchester noch eine Arbeiterstadt nennen, eine Stadt der Industrie, das Leben war nicht einfach, doch gab es Hoffnung: Das nächste Wochenende kam bestimmt. Wo England trostlos war, da waren die Nächte lang.

Gerade als der Manchester-Rave am schönsten war, verschwand eine Band nach der anderen in der Versenkung. Nicht so die Charlatans. Ihr Debüt Some Friendly war im Jahr 1990 dank der Single The Only One I Know zum Kassenschlager geworden. Danach gab es fast jedes Jahr eine neue Platte der Band. Die Musiker entfernten weiter sich von ihrem Konzept, Musik für den Tanzboden zu machen und suchten ihr Glück bald in klassischen Popliedern. Aus hedonistischen Disko-Gängern und Pop-Ravern wurde eine Band, die in den späten Neunzigern so klang wie die Rolling Stones ein Vierteljahrhundert zuvor: Rhythm & Blues bosselten sie zu Britpop, der Gitarrist Mark Collins spielte lupenreine Keith Richards-Riffs.

Irgendwann büßten die Charlatans den Groove ein. Die Alben der vergangenen Jahre waren mau, manche richtig schlecht. Man wollte sie nicht mehr hören.

Welche Überraschung: Auf ihrem gerade erschienenen zehnten Album You Cross My Path ist alles wieder da: New Order’sche Melancholie, tanzbare Rhythmen, wummernde Orgeln und Melodien, die sich in Ohr und Herz verhaken. Und auch das spröde Timbre des Sängers Tim Burgess klingt endlich wieder kraftvoll, das zähe Dehnen der Silben kommt so unvergleichlich großmäulig daher, wie man es von früher kennt.

Das erste Stück Oh! Vanity legt einen hinreißenden Ohrwurm über ein stoisch durchgeprügeltes Schlagzeug. Die folgenden Bad Days und Mis-takes ziehen mit ins Manchester der frühen Neunziger. Und das Titelstück: Hart schlägt der Rhythmus, die Gitarre setzt ein, störrisch, beinahe hochnäsig, dann diese unverkennbare Stimme Tim Burgess’. So luftig und mitreißend klangen die Charlatans lange nicht mehr. Es ist eine Lust, die Band heute zu hören: Hier werkeln Männer über 40, die sich versprochen haben, die beste Platte ihres Lebens zu machen. Zwanzig Jahre nach der Gründung der Band wollen sie noch einmal jung klingen.

Bereits Anfang März konnte man das Album gratis von der Website der Band herunterladen, 30.000 Menschen nahmen diese Möglichkeit wahr. Für Charlatans-Sammler und Liebhaber des haptischen Musikgenusses gibt es indes einen besonderen Ohrenkitzel: Neben der CD erscheint ein aufwändiges Kistchen mit großen, schwarzen Schallplatten.

„You Cross My Path“ von den Charlatans ist auf CD und LP erschienen bei Cooking Vinyl/Indigo.

Weitere Beiträge aus der Kategorie ROCK
18th Dye: „Amorine Queen“ (Crunchy Frog/Cargo 2008)
These New Puritans: „Beat Pyramide“ (Domino Records/Indigo 2008)
Kettcar: „Sylt“ (Grand Hotel van Cleef/Indigo 2008)
The Sonics: „Here Are The Sonics!!!“ (Etiquette Records 1965)
dEUS: „In A Bar, Under The Sea“ (Island/Universal 1996)

Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter www.zeit.de/musik