Kevin Blechdom wollte mal ein Popalbum aufnehmen, das ihrer Mutter gefällt. Das mit Mocky produzierte „Gentlemania“ ist halb Ordnung, halb Wirrwarr. Aber Pop?
Aua!
Soeben umgarnten einen noch Harmonien, ein gemütlich dahinrollendes Klavier, gen Himmel geleitet von einer verträumten Flöte. Eben traute man noch dem Knistern des Lagerfeuers – mit dem wuchtigen Knall des Lederriemens ist alles dahin.
Wie so oft, wenn Schmerz im Spiel ist: Es ist alles nicht so gemeint. Kevin Blechdom sind auf ihrem dritten Album Gentlemania mal wieder die Talente durchgegangen. Dabei stiftet ihr Künstlername bereits genug der Verwirrung, mit bürgerlichem Namen heißt sie Kristin Erickson. Sie kommt aus den USA, ist 30 Jahre alt und preisgekrönte Computermusikern, Opernkomponistin, Absolventin des renommierten Mills College in Oakland, Instrumentenerfinderin, Webdesignerin, Comiczeichnerin, Virtuosin am Banjo – einst wäre sie beinahe Konzertpianistin geworden.
Sie wollte ein Popalbum machen. Eines, das ihrer Mutter gefallen könnte. Fasziniert hat sie dem letzten Album von Britney Spears gelauscht und Erstaunliches festgellt: „Die machen Beats aus Peitschenknallen! Ein tolles Geräusch, ein Riesenspaß!“ Peitsche ist also Pop. Ihre Inspiration schöpft Kevin Blechdom aus der Mitte des Käsekuchens, nicht vom Rand. Rausschneiden, rein damit in „Gentlemania“. Da muss ihre Mutter, eine passionierte Schuhbemalerin aus Tallahassee, Florida, eben durch.
Kevin Blechdom zur Seite steht noch so ein Wunderkind. Der Kanadier Mocky produzierte die Alben von Jamie Lidell und Leslie Feist. Enorm erfolgreich. Er ist Meister der Geborgenheit, des anschmiegsamen, warmen Klangs von früher. Mit Hysterie kann er wenig anfangen. Er sucht das Wesentliche, Abschweifungen sind ihm fremd. Mit Mocky produzierte Kevin Blechdom die zehn Stücke in Paris und Berlin. Und er muss wie ein Dompteur gearbeitet haben, um die anstürmenden Ideen zu bändigen.
Computer sind nicht zu hören, auch keine Keyboards und sägenden E-Gitarren. Gentlemania bedient sich akustischer Instrumente. Das Schlagzeug wird eher gestrichen als geschlagen. Klar vernimmt man die Jaw Harp – Blechdoms Eigenbau – eine Kreuzung aus Maultrommel und Flaschenöffner. Das Klavier trägt die wehmütige Melodik, und auch wenn Kevin Blechdoms Stimme noch nie zuvor so nah und körperlich zu vernehmen war, lullt die Musik den Hörer niemals ein. Zu stark ist sie gebrochen, zu sehr in der Tradition der Revue verhaftet. Da ist ein enormer Zug.
Die Sängerin schreckschraubt und windet sich schon mal in schwindelerregende Höhen. Eindringlich, emotional und zugleich von gelassener Distanz ist der Vortrag. Ist die Musik kitschig, so gerät der Text sarkastisch. Blechdom konterkariert lieber und überlässt das Übliche den Anderen. Halb Ordnung, halb Wirrwarr ist Gentlemania also kein einfaches Popalbum. Und das ist gut so. Mutti wird es schon gefallen.
„Gentlemania“ von Kevin Blechdom ist auf CD bei Sonig/Rough Trade erschienen.
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