Ja, sowas Gips: Der Pianist Nils Frahm brach sich den Daumen und spielte trotzdem weiter. Sein Album „Screws“ erzählt vom fragilen Glück des Augenblicks.
So simpel ist das manchmal: ein Mann, ein Instrument und eine Lebenskrise. Und das Ergebnis ist Musik, die berührender kaum sein könnte. Musik, so schön, dass sie manchmal schmerzt. Musik, die sich in aller Stille und Ruhe aufzulösen scheint, aber, während sie zu verschwinden droht, doch immer nur intensiver wird.
Nils Frahm heißt der Mann, sein Instrument ist das Klavier. Und die Lebenskrise, die auf seinem neuen Album Screws Niederschlag findet, wurde ausgelöst, als Frahm in diesem Sommer von seinem Hochbett stürzte. Dabei brach sich der Pianist, der es als zentraler Bestandteil der Berliner Neoklassik-Szene zu einiger Berühmtheit gebracht hat und in seinem Durton Studio mit Musikern wie Peter Broderick, F.S. Blumm, Anne Müller oder Efterklang zusammen arbeitet, ausgerechnet den Daumen der linken Hand. In der Notaufnahme bekam er einen Gips, in den Tagen danach kamen die Zweifel. Würde er überhaupt jemals wieder Klavier spielen könnte? Der Arzt jedenfalls hatte es ihm erst einmal verboten.
Der 30-jährige Frahm aber hielt sich nicht daran. Er setzte sich ans Klavier und begann zu spielen – mit seinen neun verbliebenen Fingern. Er probierte, improvisierte, komponierte. Als der Gips entfernt wurde, waren exakt neun kurze Pianostücke entstanden, die zuerst als kostenloser Download zugänglich gemacht wurden und nun unter dem Titel Screws auch noch als CD erschienen sind.
Neun Finger, neun Kompositionen. Ob es der Zufall so wollte, die Vorsehung oder einfach nur der Künstler selbst, das sei dahingestellt. Tatsache ist: Im Gegensatz zu Frahms sonstigen Arbeiten, die an den Grenzbereichen zwischen Klassik und elektronischer Avantgarde neue Klangwelten erforschen und dabei bisweilen durchaus anstrengen, klingen diese neun „kleinen Lieder“, wie er sie selbst nennt, geradezu konventionell.
Ruhig, entspannt, ja bisweilen einschläfernd fließen die neun kurzen Stücke dahin. Wäre man böswillig, könnte man sie wohl auch als Geklimper bezeichnen. Aber lässt man sich ein, dann entwickeln die Aufnahmen eine unglaubliche, ja bisweilen sogar beängstigende Intimität.
Vielleicht ist ja die Vorgeschichte schuld, die, wenn man sie kennt, kaum mehr vom Werk zu trennen ist: Nun glaubt man bisweilen, das Klavier atmen zu hören. Oder sogar, noch ein wenig gruseliger, den Künstler selbst, wie er mit seinem Instrument Luft holt. Immer ist zu spüren, während die Klänge vermeintlich ziellos dahinperlen, wie verunsichert, angegriffen, erschüttert sich der Klavierspieler gefühlt haben muss.
Dabei entwickelt Screws durchaus Qualitäten einer Soundtapete, die möglichst unauffällig den Hintergrund bilden könnte zu einem Abend mit Rotwein im Kerzenschein. Tatsächlich aber handeln die Aufnahmen von existentiellen Dingen. Ohne dass ein einziges Wort gesungen würde, erzählen sie von der Fragilität des Augenblicks, von der Zerbrechlichkeit einer Existenz. Stellen Fragen, geben aber keine Antworten. Denn das Glück ist flüchtig. So flüchtig wie ein hintupfter Klavierton.
„Screws“ von Nils Frahm ist als CD erschienen bei Erased Tapes/Indigo oder als kostenfreier Download erhältlich unter screws.durtonstudio.com.