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580 Sekunden volles Brett

 

Auf ihrem 14. Album in 22 Jahren zeigen Motorpsycho, dass es im Rock nicht auf die exakte Reproduktion historischer Epochen ankommt. Es zählt nur die Freude, sie auszuweiden.

© Kim Ramberghaug
© Kim Ramberghaug

Fast zehn Minuten, das muss man sich erst mal trauen im popformatierten Jetzt. 580 Sekunden am Stück das volle Brett, gleich zu Beginn also episch und orchestral, pathossatt und frei jeden Augenzwinkerns, psychedelische Gitarrenteppiche in ihrer dicht gewobenen Breite, das mal schleppende mal beschleunigende Schlagzeug, zuweilen förmlich simultan, dazu die hektischen Soli auf allen Saiten mit Bent Sæthers vervielfachtem Gesang darüber, der die meiste Gesangszeit besser auf merkwürdige Mittelaltermärkte zu passen scheint als auf ein gegenwärtiges Rockalbum – es ist ein bisschen der Sound von gestern, den uns die norwegische Orchesterrockwalze Motorpsycho auf ihrem neuen Album zum Auftakt entgegenknüppeln.

Still Life With Eggplant baut dem zeitgenössischen Mainstream auch in den vier Stücken – oder besser Werken – nach dem elegischen hell, part 1-3 gewaltige Klangwände vors Stromlinienradio. Wer das schon Anfang der neunziger Jahre ältlich fand, als die Stonerrock genannte Schwermut zu brüllenden Gitarren aus Led Zeppelins Grabkammern emporstieg, der wird auch Motorpsychos offiziell 14. Album nur ein Kopfschütteln ob der sinnüberfrachteten Inbrunst entgegenbringen. Wer allerdings die Rockmusik vom Kopf und nicht vom Magen her denkt, wird auch diesmal glücklicher als mit mancher angloamerikanischen Band von Weltrang.

Denn ein Track wie das 17-minütige ratcatcher zeigt mit großer Beharrlichkeit, dass Motorpsycho eben nicht bloß melodramatischen Krach liefern, sondern darin lustigerweise klingen können wie die Beach Boys in der Krisenrealität. Dass die tremolosüchtigen Skandinavier ihre instrumentelle Virtuosität nicht im Soundbrei verrühren, sondern, im abschließenden the afterglow schon mal retrospektive Neofolkelemente an überkommenes Krautzeugs knüpfen und dabei zwar alles andere als modern, aber doch auch nicht gestrig wirken.

Schließlich hat Still Life With Eggplant so wenig wie die Band dahinter eine echte Epoche, in der das stilistisch beschränkte Gesamtschaffen spielt. Wie Zeitreisende mit defekter Time Machine schwirren beide durch die Eigenart unserer Gegenwart, Nostalgie und Zukunft so schlecht in Einklang bringen zu können, dass sie sich die Vergangenheit lieber originalgetreu nachbaut, als das Original wertzuschätzen.

Motorpsycho klingen folglich in etwa wie aus dem Manufactum der Rockmusik: echt auf Siebziger getrimmt, zu spät geboren für Authentizität, manchmal wie auf dem Vorgängeralbum Death Defying Unicorn mit einem Schuss Jazz versehen, aber eben nur als historisches Versatzstück, dem man das Artifizielle anmerkt, anmerken soll.

Vielleicht ist das die Daseinsberechtigung von Motorpsycho: der Rockwelt zu zeigen, dass es keine Epochen gibt, sondern nur die Freude an ihnen. Auch wenn Motorpsychos Freude wie immer seltsam traurig klingt.

„Still Life With Eggplant“ von Motorpsycho ist erschienen bei Stickman Records.