Cold Specks ist die gute Hexe des Untergrunds. Mit dem düsteren Soulfolk ihres zweiten Albums verzaubert sie alle, die sich ihr bereitwillig ergeben.
Es gibt Menschen, zu denen man so etwas wie ein vorauseilendes Stockholm-Syndrom entwickelt. Die gerne von einem besessen sein und ein besonders gründliches Auge auf einen werfen sollen, egal, wie ungesund das enden mag, solange man sich nur kurz mal selbst nicht um sich sorgen muss.
„I will contain you„, singt Al Spx mit ihrer entschlossenen Soulstimme, während der Trommler hinter ihr die dicken Pauken schlägt und die Trompete trotzig knatscht, „then cast you away, like a broken memory„. Und man kann gar nichts anderes denken als: ja, bitte.
Schon vor zwei Jahren hat die Kanadierin mit dem knappen Pseudonym unbedarfte Hörer in die Unterwasserwelt ihres Debütalbums entführt. Ohne Zement am Fuß und Feldsteine im Kragen, sie alle hätten jederzeit wieder auftauchen können. Dass sie es nicht getan haben, kann nur daran liegen, dass der finstere Bluespop von Cold Specks schon damals so unfassbar wohliges Magenkribbeln verbreitete. Al Spx, deren Reich der Meeresgrund ist, hat träge treibende Lampionketten zwischen die Korallen gespannt und Hängematten aus Schlingpflanzen gewoben. Sie ist die kluge Hexe des Untergrunds, der man sich jederzeit ergibt.
Auf Neuroplasticity spannt sie das Netz nun noch weiter über Gospel, Jazz und behutsam vertrackten Elektropop. Die alte Referenz an The National ist noch immer nicht weit, aber auch Nina Simone, Zola Jesus oder Shirley Bassey befinden sich in der Nähe.
Cold Specks nimmt ihnen alles und nichts. Ihre Songs sind zu warm, um wirklich Angst zu machen, und nicht triumphal genug für James-Bond-Titel. Zwischen Wabern und und Rasseln reiht sich da eine altvertraute Orgel, bevor ein klassisches Schlagzeug auftaucht und direkt wieder in sich zusammenfällt. Magische Achtziger-Synthies durchziehen ein Stück Sechziger-Midwesternfolk, und akustische und elektrische Gitarren mischen sich über einem schleppenden Beat zum bluesigen Bett für Geisterchöre. Dass die Künstlerin, die zu besonderen Auftritten auch mal besonders wallende Kostüme und dramatische Masken trägt, dabei nicht nur wild gestikuliert, sondern fast immer eine Gitarre in der Hand behält, hört man. So weit sich ihre Musik auch breitet, im Kern stecken immer simpel gezupfter Folk und eine Stimme, die auch abseits der Bühne strahlt.
Eindringlicher als im Schlussstück A Season Of Doubt wird das nicht. Von einem einsam beleuchteten Barpiano und der Jazztrompete von Ambrose Akinmusire begleitet tastet Al Spx sich durch ein unsichtbares Dickicht aus Zweifeln und klingt dabei wie die allererste Gospelsängerin vor Beginn jeder Zeit. Auf halbem Weg begegnet sie dem Swans-Sänger Michael Gira und lässt ihn einige ihrer überartikulierten, zitternd großen Zeilen mitsingen; an ihr deckendickes Vibrato reicht sein Bass nicht heran. Ganz am Ende wiederholt sie immer wieder: „I’ve got an unrelenting desire to fall apart.“ Und spätestens jetzt wird auch der Albumtitel mit der neuronalen Plastizität klar: Auseinanderfallen will man, unbedingt, und dann nur noch liegenbleiben und lauschen. Mit Cold Specks wird der Kopf ganz Ohr.
„Neuroplasticity“ von Cold Specks erscheint bei Mute.