Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Schüttelt Haare und Hirnzellen

 

Messer! Guter Bandname, gutes Debütalbum aus Münster. Irgendwie Punk, irgendwie Postpop. Es will uns etwas sagen – nur was, sollen wir selbst herausfinden.

© This Charming Man

Stakkato und Fläche. Analoge Klangwut, Geschrammel mit Struktur. Heulende, psychotische, manchmal gar keine Gitarren. Dazu Bass, viel Bass, peitschender Bass, treibender Bass. Basslast. Der Gesang heiser, unmelodiös, monoton, nicht tonlos. Gelangweilte Entrüstung, Mittelschichtenfatalismus. Texte von Toten und Ruinen, Dunkelheit, Tränen im Auge, Stimmen im Nebel, Wut, viel Wut. Das Schlagzeug schnell, nicht zu schnell, aber nie untertourig, nie verzögernd. Hier und da ein Hall, ab und an Effekte, meistens geradeaus das Ganze, modernisierter Punkrock ohne eins-zwei-drei-vier-Attitüde. Indierock, dieses konstruierte Genre. Also: Postpunk. Auch so ein Etikett, das sich von irgendwas distanziert, ohne es zu verstoßen…

Man könnte Messer anders beschreiben, als der Bandname klingt, weniger schneidend und scharf. Eher phänomenologisch, soziokulturell eingebunden, im Duktus kritischer Analyse gewollter Aussagekraft, klanglich wie textlich, also verschachtelt und gestenreich. Man könnte schwafeln, in die Tiefe gehen, denn da ist viel zu entdecken, das spürt man. Zugleich aber kommt einem beim Hören des Debütalbums Im Schwindel der Gedanke, Messer aus Münster, dieses Quartett grüblerischer junger Männer aus der Fahrradstadt, Studenten angeblich mit Scheitelfrisuren und Röhrenjeans, wollen gar nicht analysiert, beschrieben, entdeckt werden, sondern einfach nur schnell und präzise auf den Punkt kommen. Ihren Punkt.

Man glaubt zwar, darin Bekanntes wieder zu erkennen, verwirft es allerdings schon deshalb rasch: Fehlfarben, der Monarchie-und-Alltag-Start – sind liedförmiger. Blumfeld, die alten Pop-Verdreher – sind lyrischer. 206, die jungen Rock-Verdreher – sind empörter. Von Spar, Turbostaat, Sport, Kante, German Wave vor der Neuen Deutschen Welle, deutscher Postpunk nach der Hamburger Schule – all so was schimmert, besser: brettert durch die Platte, wirkt aber an keiner Stelle wie eine blasse Durchpause.

Das psychedelische Auftaktstück Was man sich selbst verspricht, die bedächtigeren Mutmaßungen über Hendrik, das verwaschene Romy zum Schluss, zwischendrin ein Jochen-Distelmeyer-Gedenk-Gedicht namens Weißer Rauch: Alles kann für sich stehen, als sei der Übungsraum, aus dem Messer noch gar nicht so oft entkommen sind, ein Kokon, eine Wabe.

Viel gelacht wurde darin womöglich nicht. Im Schwindel ist ein konzentriertes, ein brachiales Album, das sich dennoch nicht in seiner Ruppigkeit, der schlechten Laune ausruht. Es will uns etwas sagen, nur was, sollen wir selbst herausfinden.

Vorschlag: Messer sind sauer, wollen uns ihre miese Stimmung aber nicht aufdrängen. Es gibt da Interpretationsspielräume, die im Punkrock, ob Post- oder sonstwas, selten sind. Es ist Krach mit Niveau. Bisschen aufdringlich düster manchmal, bisschen trist, bisschen sehr Off-Stage, aber mit Perspektive. Im zweiten Album muss es da allerdings deutlich weiter gehen, sonst trägt der vertrackte, wütende Sound mit dieser Sprache nicht mehr. Im Moment reicht es für eine gute halbe Stunde Empathie zum Haare- und Hirnzellenschütteln.

„Im Schwindel“ von Messer ist erschienen bei This Charming Man.