Am Anfang ist der Odem der Maschinen. Ein Stöhnen wie aus zeitlosen Ursphären haucht aus dem Vocoder im Eröffnungsstück The Waiting Room. Es führt ein in eine Welt analoger Vierviertelschläge und organisch brummelnder Elektronik. 23 Seconds heißt das Debüt des kanadischen Trios Cobblestone Jazz, der Titel betont nicht ohne Grund die Emphase des Augenblicks inmitten der sich ewig schlängelnden Technovibrationen.
Einer der drei Kanadier, Danuel Tate, ist studierter Pianist und spielt seit seiner Jugend in Jazzbands. Fern der Fertigmuster aus dem Kochstudio der Computerklänge vereinfacht er mit seinem Keyboardspiel die komplexen Harmonien des Jazz zu springlebendig hüpfenden Elektrohymnen. Das Stück Lime In Da Coconut ist so ein Knaller, gebaut aus einer einzigen Melodie, um die herum er variiert und phrasiert, bis einem auch ohne Diskokugel die Lichter vor den Augen tanzen. Die beiden anderen im Bunde sind der DJ und Produzent Tyger Dhulas und der Technostar Mathew Jonson.
Die Unberechenbarkeit museumsreifer Drumcomputer gibt bei Cobblestone Jazz den Ton an. Sie haben einen Hang zu den schönsten Traditionen der elektronischen Musik und verstehen sich aufs Einfache im Überschwang der technischen Möglichkeiten. In 23 Sekunden kann viel passieren, vielleicht ist das die Botschaft des Albumtitels.
Schon bei der fast 15 Jahre zurückliegenden Kooperation mit Juan Atkins und Moritz von Oswald für die Platte Jazz Is The Teacher forschte Mathew Jonson an der Improvisationsfähigkeit der Technomusik. Nun steht wieder Berlin im Fokus des transatlantischen Austauschs, hier befinden sich das Studio von Cobblestone Jazz und Jonsons Wohnsitz.
Wenig spektakulär, doch umso ergreifender knatschen gemütliche Basssynkopen aus den alten Synthesizern, mit dem Track W erobern sie gerade die Clubs weltweit. In einem Dreieck aus Jazz, House und Techno krabbeln die sparsamen musikalischen Ideen wie elektrifizierte Ameisen hin und her, immer wieder aufgescheucht durch Vocoder im Dauereinsatz. Im Morphing der Echos und Klangverschiebungen transzendiert diese Beweglichkeit in ein unaufgeregtes Fließen und Schweben, feenartig verzerrt umwehen klassische House-Chöre und künstliche Streicher das wummernde Beatgerüst. Trance nannte sich diese atmosphärisch suggestive Musik einmal, doch Cobblestone Jazz machen keinen Kuschelrock für den Techno-Wühltisch.
Sie sind keine Nesthocker, die – überdrüssig der computerisierten Klangästhetik der letzten zehn Jahre – an den heimischen Ofen zurückwollen. Ihnen ist die analoge Produktionsweise ein musikalisches Ziel, dem sie in der Improvisation nachgehen. Ungehemmt darf sich der Hörer den eigenen Vorstellungen hingeben, wie die vier satten Grundschläge des Techno auf das alte Kopfsteinpflaster vor der Jazzbar trommeln, bevor sie den Clubtanzboden erreichen.
23 Seconds ist ein Doppelalbum, das ist keineswegs vermessen. Unwiderstehlich toben auf der zweiten CD die beiden Vorjahreshits India In Me und Dump Truck, kontrapunktisch zu einer 40 Minuten langen, einem Jazz-Konzert gleichenden Live-Aufnahme.
„23 Seconds“ von Cobblestone Jazz ist als Doppel-CD und Dreifach-LP erschienen bei !K7/Wagonrepair.
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