Martina Topley-Bird war die Muse Trickys. Jetzt bringt sie ihr zweites Album heraus und lässt ihn hinter sich. »The Blue God« klingt wie ein Roadmovie und hat weder Anfang noch Ende.
Geschichte vergessen und die Gegenwart in den Fokus stellen, um die Musik und nicht die Herkunft zu betrachten? Geht in diesem Fall nicht ganz.
Also kurz: Martina Topley-Bird und Tricky, der TripHop-Produzent aus Bristol, waren mal verliebt und schrieben zusammen Mitte der Neunziger einige richtungsweisende Lieder. Dann trennten sie sich und versuchten es als Solisten, Tricky produzierte immerhin noch ein paar Stücke ihres Debüts Quixotic aus dem Jahre 2003. Das machte die Musik nicht schlechter, doch die Muse hatte es schwer, aus dem Schatten zu treten.
Nun erscheint ihr zweites Album, The Blue God. Der Schatten durfte sich ausruhen, denn als Produzent heuerte Dangermouse an. Vom Regen in die Traufe mag man sich denken, ist der Eine von Gnarls Barkley und Produzent von Beck und den Gorillaz doch ein gefragter Hintermann derzeit. Da ist die Gefahr groß, wieder nur als Stimme zur Musik eines anderen zu gelten.
Dem ist nicht so, so viel sei vorweggenommen. Stimme und Stimmung dominieren das Album und werden in die passenden Klänge gebettet, nicht umgekehrt. Das fängt bei Phoenix an, aufgeräumt und doch verträumt klingt das. Und ein bisschen nach dem versuchten Abschied von der Vergangenheit, Martina Topley-Bird singt von Verwandlung und Wiederholung. Die elektronisch verfremdete Zweitstimme ist eine gelungene musikalische Entsprechung.
Sie hält sich nicht lange damit auf, die Carnies sind in der Stadt – die Schausteller. Es gibt hüpfende Basslinien und leicht melancholische Orgelklänge die auch mancher Soul-Diva gut stünden. Solcher Retro-Pop-Klang, der produktionstechnisch an die Sechziger erinnert, zieht sich unterschwellig durch das ganze Album. Doch die Stimmungen und die musikalischen Bandbreite Topley-Birds gehen weit darüber hinaus. Man ist versucht, das eine oder andere Lied einer bestimmten Ära oder einem Stil zuzuordnen. Hört man aber genauer hin, ist man sich plötzlich nicht mehr sicher. Schließlich hört man nur noch Eigenständigkeit. Something To Say etwa zeigt das schön: Anfangs dominiert ein düsteres, eher elektronisches Grundthema, das dann im Refrain aufbricht und durch verzerrte Gitarren an die Surf-Klänge der Beach Boys erinnert.
Passend zum Titel des Albums mag man sich ein Konzert in einer blau schimmernden Unterwassergrotte vorstellen. Und würde sich Julee Cruise dorthin verirren, bei Baby Blue wäre sie bestens aufgehoben. Das anschließende Shangri La nimmt sich Zeit und wirkt wie der Aufstieg. Hübsche Streicher und ein kaputt klingendes Schlagzeug erzeugen eine Spannung, in der sich der hauchig-fragile Gesang wohlfühlt. Hier klingt Martina Topley-Bird nur nach sich selbst, das macht das Stück zu einem der Höhepunkte des Albums.
Die Single Poison ist unspektakulär eingängig, in Razor Tongue gemahnt sie kurz vor Schluss an ihre Vergangenheit in Bristol. »I’ve changed, you’ve changed«, singt sie und »All the shit fades«. Das sind doch mal Ansagen, an wen auch immer. Das letzte Stück Yesterday schließlich lässt es mit zusammengeschnittenen Klängen und wagemutiger Melancholie fulminant schimmern. An den Kanten des Stücks sind unausgetretene musikalische Pfade auszumachen, denen man gerne folgen möchte.
The Blue God ist wie ein Roadmovie. Das Album hat weder Anfang noch Ende, unterwegs passieren wunderbare Dinge. Sucht man im Internet nach Blue God, findet man tatsächlich eine mythische Figur, die in walisischer Hexentradition die Verkörperung von Jugend und Erotik ist. Oder einfach Vishnu, der im göttlichen Blau der Wolke erstrahlt und sein Leben dem Schutz der Menschen und der Zerstörung des Bösen widmet. Wie schön.
»The Blue God« von Martina Topley-Bird ist bei Independiente/Rough Trade erschienen.
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