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TR/snthsnd.98 hat Herzschmerz

„Intimacy“ nennen Bloc Party ihr drittes Album. Doch von wegen Kuschelrock: Brachial wälzt sich ein elektronisches Klangmonster aus den Lautsprechern. Viele Fans dürften sich die Ohren reiben

Der Virenscanner schlägt stillen Alarm, ein kleines Fenster blinkt mich an. „Im Verzeichnis /Eigene Musik/IndieRock/BlocParty/Intimacy ist das trojanische Pferd TR/snthsnd.98 enthalten. Quarantäne, Ignorieren oder Löschen?“

Dabei sah alles so gut aus. Die englische Band Bloc Party gibt im Jahr 2008 kein einziges Interview, reist um die Welt und stellt im August mal eben ihr neues Album für siebeneinhalb Britische Pfund ins Netz. Erstmal keine CD, keine Platte, kein Vertrieb, nur Daten. So funktioniert die moderne Musikwelt, ist das noch eine Erwähnung wert?

„Sind das noch Bloc Party?“, fragte man sich schon angesichts der Vorabsingle Mercury im Sommer. Da dröhnen die Bläser wie bei James Bond neben elektronischem Hack, das Stück hat keinen richtigen Refrain und ist weit entfernt von den ursprünglichen Klängen der Band. Weniger Rock, mehr Elektronik, das ist nicht ohne Risiko in einem Geschäft, das zum großen Teil von Konzerteinnahmen lebt.

Der Virenscanner wartet auf eine Entscheidung. Kurzes Nachsehen im Netz bestätigt: Der Download ist in Ordnung, die Kategorisierung macht Probleme. Bleibt nur, die heuristische Erkennung auszuschalten und sich selbst ein Bild zu machen. Also, „Ignorieren“ und los:

„I want to declare a war“ brüllt Ares, der Gott des Blutbads. Kurz blitzt die Unsicherheit wieder auf: Wenn doch was kaputt geht? Moment, darum geht es ja, um die Rohheit der Straße, ums Kämpfen. Dizzee Rascal könnte da noch mehr erzählen, aber der rappt woanders. Gegen Ende hält der Sänger Kele Okereke kurz Inne und wundert sich, dass die nasebrechenden Hände mit ihren Berührungen auch Wunder bewirken könnten. Drum heißt das Album wohl Intimacy.

Intimacy? Die Platte ist kein Kuschelrock, soviel ist schnell klar. Brachial und ausproduziert wälzt sich ein Klangmonster aus den Lautsprechern. Bei Biko blickt es über den Fluss Styx – und stellt fest, dass die Welt nicht nett ist zu den kleinen Dingen. Hier singt Okereke, dass man nicht allein sei, dort wünscht er sich zurück in eine gute Zeit. Am Ende ist alles Trugschluss, ein leeres trojanisches Pferd. Kaum hat man sich damit abgefunden, machen die hellen Glocken und der technoid treibende Rhythmus von Signs die Verzweiflung ertragbar. Ist das der Ausweg?

One Month Off klingt, als solle es die langjährigen Anhänger mit dem Album versöhnen, trotz der vielen Computerspielgeräusche. Zephyrus stößt ihnen gleich wieder vor den Kopf, der Gott des Westwindes weht uns zum Ausgangspunkt zurück. Die Melange aus elektronischen Chören, lamentierendem Gesang und angezerrtem elektronischen Schlagzeug ist immerhin so ambitioniert, dass man nicht gleich weiterdrückt.

Und schließlich verteilen Bloc Party dann die Belohnung. Wer bis zu Stück Nummer 9 ausgeharrt hat, bekommt Better Than Heaven, Talons und Ion Square zu hören – da hat die Band ihren Markenzeichenklang ins Jahr 2008 übertragen. Ion Square setzt den Schlusspunkt des Albums, es ist eine treibende Nummer, die mit melancholischer Leichtigkeit und warmen Synthesizer-Arpeggien recht versöhnlich klingt. Kele Okereke richtet ein warmes Schlusswort an die Hörer. Bei all dem Schmerz, der die Band bis hierhin trieb, ist „I carry your heart here with me, I carry it in my heart“, eine der intimsten Zeilen des Albums.

Plötzlich wird klar, dass der Virenscanner zurecht warnte. Jetzt ist es zu spät, das trojanische Pferd ist längst da und wird nicht mehr gehen. Der Titel hatte es ja angekündigt, wer Intimität möchte, der muss ein paar Schranken öffnen. Intimacy kann sich nur annähren, wer ein kleines Risiko eingeht.

Wem der Download zu riskant ist oder zu wenig betastbar, der kann dieser Tage das Album schließlich als klassischen Tonträger erstehen – und bekommt sogar noch zwei Stücke obendrauf.

„Intimacy“ von Bloc Party ist als CD und LP bei Cooperative/Universal erschienen.

Wer Bloc Party im Interview hören möchte, klicke am Freitag, dem 31. 10., um 22 Uhr das Netzradio ByteFM an. Michael Seifert widmet der Band seine zweistündige Sendung „Almost Famous“.

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Ein Knäuel roter Fäden

Das Geheimnis der Bodies Of Water ist schwer zu fassen. Hinter jedem Takt lauert eine Überraschung. Ihr Album „A Certain Feeling“ macht sogar unseren Autor manchmal sprachlos

Eine Band, die sich Bodies Of Water nennt, weiß wohl, was sie tut. Zumal dann, wenn sie ihre Platte mit dem hochtrabenden Titel A Certain Feeling beim Label „Secretly Canadian“ veröffentlicht, dem Hafen der ausgeflippten und experimentierwütigen Folkmusiker. Bodies Of Water sind wahre Enthusiasten, das hört man ihren Liedern an.

Die Hingabe zur Musik führte die Eheleute David und Meredith Metcalf, die Schlagzeugerin Jessie Conklin und den Bassisten Kyle Gladden vor fünf Jahren in Los Angeles zusammen. Sie teilten die gleichen musikalischen Vorlieben, doch Begeisterung war nicht gleich Können: Zwar hatte David Metcalf eine klassische Musikausbildung genossen, doch weder Meredith Metcalf noch Jessie Conklin konnten ihre Instrumente richtig spielen. So sind die Bodies Of Water eine ganz erstaunliche Unternehmung, mit einer Mischung aus Können und Leidenschaft folgt ihre Musik den Einflüssen aus Gospel, Tropicalia und Novizentum. David Metcalf kennt die ausgetretenen Pfade der Musikgeschichte, seine Mitmusiker sind bockig genug, ihnen so selten wie möglich zu folgen.

Das Album eröffnet mit Gold, Tan, Peach And Grey. Ein säuselnder Chor und eine treibende Basslinie nehmen den Hörer in Empfang, das Stück mündet in Sechziger-Rock. Nach drei Minuten mutiert es, Bläser stimmen ein. Hier sprüht eine Euphorie, der man sich schwer entziehen kann. Das bleibt so. Under The Pines überrascht im ersten Moment als Rockoper, wird dann plötzlich durch eine Gitarrenlinie kontrastiert und pendelt sich nach Chorgesang und Klavier in einer Melange aus Zurückhaltung und Kraft ein. Die verschiedenen Einflüsse, die Zeitlosigkeit, die Kombination aus folkloristischen Grundzügen und psychedelischen Dissonanzen errichten einen eigenständigen Klang. Bodies Of Water erfinden die Musik nicht neu, aber sie erweitern sie etwa um das großartige Only You – ein Stück so toll, dass die Ausführung des Autors nicht mithielte.

Water Here und Keep Me On sind exemplarisch: Hier bringen Bodies Of Water das zielstrebig Treibende, die Suche auf den Punkt. Wiederum klingen die beschreibenden Worte kläglich. Man muss es hören, um zu verstehen. Dann öffnet Keep Me On seine Tore und hüllt das Gehör in einem warmen Mantel aus mehrstimmigem Gesang und Bläsern. Even In A Cave fasziniert durch seine anfängliche Kargheit und Strukturlosigkeit. In If I Were A Bell erschreckt man kurz ob der Stadiontauglichkeit, entspannt aber schnell, wenn die Band den Pop in Monotonie ersticken.

Das Geheimnis dieser Band ist schwer zu fassen. Sie spielt länger als nötig? Beliebig klingt sie nie, langweilig schon gar nicht. Einer monotonen Phrase lässt sie Pathos folgen – und umgekehrt. Hinter jedem Taktstrich lauert eine Überraschung, auch nach mehrfachem Hören. Es ist, als führte der rote Faden auf immer neuen Pfaden zum Ziel. Dem Gemüt ist das zuträglich.

„A Certain Feeling“ von Bodies Of Water ist auf CD und LP bei Secretly Canadian/Cargo erschienen.

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Wunderbar schattenlos

Martina Topley-Bird war die Muse Trickys. Jetzt bringt sie ihr zweites Album heraus und lässt ihn hinter sich. »The Blue God« klingt wie ein Roadmovie und hat weder Anfang noch Ende.

Martina Topley-Bird The Blue God

Geschichte vergessen und die Gegenwart in den Fokus stellen, um die Musik und nicht die Herkunft zu betrachten? Geht in diesem Fall nicht ganz.

Also kurz: Martina Topley-Bird und Tricky, der TripHop-Produzent aus Bristol, waren mal verliebt und schrieben zusammen Mitte der Neunziger einige richtungsweisende Lieder. Dann trennten sie sich und versuchten es als Solisten, Tricky produzierte immerhin noch ein paar Stücke ihres Debüts Quixotic aus dem Jahre 2003. Das machte die Musik nicht schlechter, doch die Muse hatte es schwer, aus dem Schatten zu treten.

Nun erscheint ihr zweites Album, The Blue God. Der Schatten durfte sich ausruhen, denn als Produzent heuerte Dangermouse an. Vom Regen in die Traufe mag man sich denken, ist der Eine von Gnarls Barkley und Produzent von Beck und den Gorillaz doch ein gefragter Hintermann derzeit. Da ist die Gefahr groß, wieder nur als Stimme zur Musik eines anderen zu gelten.

Dem ist nicht so, so viel sei vorweggenommen. Stimme und Stimmung dominieren das Album und werden in die passenden Klänge gebettet, nicht umgekehrt. Das fängt bei Phoenix an, aufgeräumt und doch verträumt klingt das. Und ein bisschen nach dem versuchten Abschied von der Vergangenheit, Martina Topley-Bird singt von Verwandlung und Wiederholung. Die elektronisch verfremdete Zweitstimme ist eine gelungene musikalische Entsprechung.

Sie hält sich nicht lange damit auf, die Carnies sind in der Stadt – die Schausteller. Es gibt hüpfende Basslinien und leicht melancholische Orgelklänge die auch mancher Soul-Diva gut stünden. Solcher Retro-Pop-Klang, der produktionstechnisch an die Sechziger erinnert, zieht sich unterschwellig durch das ganze Album. Doch die Stimmungen und die musikalischen Bandbreite Topley-Birds gehen weit darüber hinaus. Man ist versucht, das eine oder andere Lied einer bestimmten Ära oder einem Stil zuzuordnen. Hört man aber genauer hin, ist man sich plötzlich nicht mehr sicher. Schließlich hört man nur noch Eigenständigkeit. Something To Say etwa zeigt das schön: Anfangs dominiert ein düsteres, eher elektronisches Grundthema, das dann im Refrain aufbricht und durch verzerrte Gitarren an die Surf-Klänge der Beach Boys erinnert.

Passend zum Titel des Albums mag man sich ein Konzert in einer blau schimmernden Unterwassergrotte vorstellen. Und würde sich Julee Cruise dorthin verirren, bei Baby Blue wäre sie bestens aufgehoben. Das anschließende Shangri La nimmt sich Zeit und wirkt wie der Aufstieg. Hübsche Streicher und ein kaputt klingendes Schlagzeug erzeugen eine Spannung, in der sich der hauchig-fragile Gesang wohlfühlt. Hier klingt Martina Topley-Bird nur nach sich selbst, das macht das Stück zu einem der Höhepunkte des Albums.

Die Single Poison ist unspektakulär eingängig, in Razor Tongue gemahnt sie kurz vor Schluss an ihre Vergangenheit in Bristol. »I’ve changed, you’ve changed«, singt sie und »All the shit fades«. Das sind doch mal Ansagen, an wen auch immer. Das letzte Stück Yesterday schließlich lässt es mit zusammengeschnittenen Klängen und wagemutiger Melancholie fulminant schimmern. An den Kanten des Stücks sind unausgetretene musikalische Pfade auszumachen, denen man gerne folgen möchte.

The Blue God ist wie ein Roadmovie. Das Album hat weder Anfang noch Ende, unterwegs passieren wunderbare Dinge. Sucht man im Internet nach Blue God, findet man tatsächlich eine mythische Figur, die in walisischer Hexentradition die Verkörperung von Jugend und Erotik ist. Oder einfach Vishnu, der im göttlichen Blau der Wolke erstrahlt und sein Leben dem Schutz der Menschen und der Zerstörung des Bösen widmet. Wie schön.

»The Blue God« von Martina Topley-Bird ist bei Independiente/Rough Trade erschienen.

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In 14 Liedern um die Kokosnuss

Señor Coconut jagt alte Hits durch seinen Rechner und verpasst ihnen den Hüftschwung. Sein neues Album lädt den Hörer zu einer Reise im Tanzschritt, es geht von Kontinent zu Kontinent, von Dekade zu Dekade.

Señor Coconut Around The World

Señor Coconut wohne in Chile, sagen das Internet und die Werbetexte. Was das mit seiner Musik zu tun hat? Versuchen wir es mal so: Käme eine Platte mit Lederhosen-Blasmusik aus Bayern, wäre das nichts Ungewöhnliches. Käme sie aber aus Chile und wäre nicht von einer Band eingespielt sondern Stück für Stück am Computer zusammengesetzt, so wäre das schon die Erwähnung wert. Señor Coconut macht so eine Art Blasmusik, wenn auch keine bayerische.

Señor Coconut heißt bürgerlich Uwe Schmidt. Er nimmt sich der Musik seiner lateinamerikanischen Wahlheimat an und spielt in der typischen Kombination aus Perkussion und Bläsern Welthits nach. Am Computer, aus vielen kleinen Schnipseln zusammengesetzt. Dass diese genau genommen billige Art der Wiederverwertung funktioniert, liegt nur zum Teil an der gelungenen Auswahl der Titel. Viel wichtiger sind Señor Coconuts aufrichtige Wertschätzung lateinamerikanischer Musik und sein Humor.

Was bisher geschah: Seit rund zehn Jahren schüttelt Uwe Schmidt die Kokosnüsse, zuerst auf dem Album El Gran Baile. Das war noch bevor er nach Chile exilierte. Im Jahr 2000 interpretierte er auf El Baile Aleman das Werk der Band Kraftwerk neu, auf Fiesta Songs drei Jahre darauf stellte er Sade, Deep Purple, Michael Jackson und Jean-Michel Jarre nebeneinander auf die Tanzfläche. Im Jahr 2006 bearbeitete er auf Yellow Fever Stücke der japanischen Elektropopband Yellow Magic Orchestra, im gleichen Jahr schenkte er der Welt Coconut FM, eine im Stil einer Radiosendung gemischte Kompilation südamerikanischer Clubmusik.

Jetzt geht es Around The World, der Titel fasst zusammen, worum es bei Señor Coconut offenbar schon immer ging. Dankbar greift er die Vorlage der französischen Tanzbarden Daft Punk auf und bringt die Hüften zum Schwingen. Weiter um die Welt geht es mit Sweet Dreams, die britischen Eurythmics dürfte diese gelungene Version ihres Stücks erfreuen. Stefan Remmler war so angetan von der Neuinterpretation seiner alten Band Trio, dass er bei Da da da ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha gar selbst singt.

Wie und wo sich der in Berlin lebende venezolanische Sänger Argenis Brito und der österreichische Crooner Louie Austen die Klinke in die Hand – besser den Kiss – gaben, ist eines der Rätsel der weltumspannenden Idee dieses Albums. Die synthetische Frauenstimme auf Corcovado hingegen stammt wohl aus Japan, das ist immer eine Reise wert. Havanna hingegen liegt um die Ecke, das Stück Que Rice El Mambo gibt Señor Coconut die Möglichkeit, den kubanischen Musiker Pérez Prado auferstehen zu lassen. Er gilt als Erfinder des Mambo und ist der gute Geist Coconuts Musik.

Beim Pinball ChaCha der Schweizer Elektroband Yello tritt Louie Austen erneut ans Mikrofon. Anschließend holen Señor Coconut und Argenis Brito das vor 25 Jahren in Dänemark gestrandete White Horse wieder in seine Heimat zurück. Laid Back hatten das damals gesungen, ob man ihre Meinung über Konsum und Nicht-Konsum in Südamerika teilt? Die Basslinie spricht eine klare Sprache, das Pferd fühlt sich schnell wieder heimisch.

Apropos Heimat. La Vida Es Llena De Cables ist eine Neuinterpretation der Los Samplers, einer gar nicht existenten Band von Señor Coconut (hier getarnt als AtomTM) und Original Hamster. Da sind wir doch schon fast wieder zu Hause. Zum Schluss werden wir ausgeführt in die Moscow Disco von Telex. Toll! Und wer dann noch nicht genug von der Welt gesehen hat, den nehmen die beiden Bonustitel Dreams (Are My Reality) und Voodoo Dreams noch ein Stückchen mit. Voodoo Dreams von Les Baxter und sein Album ‚Round The World With Les Baxter gaben übrigens die Idee für den Titel dieses Albums.

Señor Coconuts Interpretationen funktionieren bei elektronischem Ausgangsmaterial am besten, weil die Unterschiede am größten sind. Es macht Spaß, die vollkommen synthetischen Klänge von Daft Punk und Eurythmics durch Bläser und Trommeln ersetzt zu hören. Tanzbar ist jedes Lied, die geschwungene Welle auf dem n hat der Señor sich redlich verdient.

„Around The World“ von Señor Coconut ist auf CD erschienen bei PIAS/Rough Trade.

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Lichter im Untergrund

These New Puritans aus England bauen eine „Beat Pyramide“. Zu hektischem Schlagwerk setzen sie Bassbrocken auf Gitarrenfels.

These New Puritans Beat Pyramide

Es ist, als warte ich auf einen aus dem Nichts auftauchenden Hubschrauber, der mich zu ihnen bringen soll. Der Geruch von Schweiß und Rauch liegt in der Luft und meine Notizen sind im flackernden Neonlicht schwer zu entziffern. Das dumpfe Dröhnen von Beat Pyramide, dem Debütalbum der These New Puritans, hallt durch den Raum. Der Strom ist ausgefallen, doch die Lichter des Untergrundes scheinen hell.

Das Zusammentreffen läuft anders als geplant. Auf dem Tisch liegt ein Einsatzplan und offensichtlich sind mehrere Strategien durchgespielt worden. Drei Männer und eine Frau erläutern, ich solle das zu Hörende nur als momentan favorisierte Version des Möglichen betrachten. Als das Ergebnis einer Reihe von Experimenten, bei denen sie sich oft nicht einig gewesen seien. Das Schlagzeug, die Gitarre und der Bass sorgen für die Stringenz und die innere Sicherheit der Stücke. Sie machen kaum einmal Halt, immer wieder schlüpfen sie in neue Anzüge, lassen sich verleugnen und verbünden sich mit den Effektgeräten. Sie sind Doppelgänger und Agenten im Dienste der vielschichtigen Modifikation.

Dieses Spiel braucht eine Parole: „Every number has a meaning!“ Überhaupt finden sich viele numerologische Anspielungen im Oszillieren zwischen persönlichen Geschichten und politischen Ideen. Konkretes haben These New Puritans nicht zu bieten, dafür jede Menge Fragen: „If not now then when?“ Man beginnt, Antworten zu suchen. Genau darum geht es wohl.

Swords Of Truth klingt so programmatisch, wie der Titel vermuten lässt und gleichzeitig so wenig didaktisch, wie man erwarten sollte. Die Musik kennt kein Zögern, der intensive Rhythmus gibt die Identität. Die zerschnipselten Trompeten haben sie im Laden um die Ecke geklaut, auf dem Weg hierher wurden sie ein bisschen ramponiert.

Als ich ansetze, eine Frage zu stellen, klingelt das Telefon. Mit einer Handbewegung werde ich zum Schweigen gebracht. Irgendein WuTang-Typ aus Amerika faselt von Neubauten und Industrieklängen, von Wurzeln und Manövern. Man müsse seine Kontakte am Laufen halten, wird mir erklärt. Jeder sei auf eigene Faust unterwegs, jeder bringe seine Vergangenheit und seine Vorlieben ein.

In En Papier klingen diese verschiedenen Aspekte kohärent. Unter treibenden Gitarrenriffs wechselt das Stück behände Rhythmus und Charakter, fließen Weltmusik und Ambient ein. Im Gegensatz dazu funktioniert Infinity ytinifnI geradezu stringent. Zu einem monotonen Bass, einer repetitiven Struktur und sparsamem Schlagwerk erklimmen wir einen Aussichtspunkt. Damit ist der Weg frei für Elvis. „We’re being watched by experts“, ruft der Sänger, mit atemberaubender Geschwindigkeit geht es gen Tal.

Ich frage noch, ob es stimme, dass die Zwillingsbrüder Jack und George Barnett schon als Kinder in imaginären Bands spielten. Sie lachen, dann erzählen sie von ihrer aktuellen Arbeit an einem Stück für sechs Akkordeons. Solchen Spagat wagt kaum, wer noch nie in einer Fantasieband spielte.

Das Album endet beinahe, wie es begonnen hat. Eine Frau verkündet „I will say this twi…”, sie beendet ihren Satz erst mit dem Neustart der CD: „…ce.“

„Beat Pyramide“ von These New Puritans ist auf CD und LP erschienen bei Domino Records/Indigo.

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Puls im Glanzanzug

Yeasayer aus Brooklyn rufen zum Zirkeltraining. Zehn Stationen einer anderen musikalischen Welt sind zu durchstehen, ein bisschen Sport muss schließlich sein.

Yeasayer All Hour Cymbals

Erste Station:

Gospel-Klatschen. Die Band macht es vor und wir beeilen uns mitzukommen. Dabei ist alles so entspannt. Ein leichtes Klagen, ein weiches Wünschen, warum sollte der Sonnenschein nicht auch uns begrüßen. Und dann passiert es.

Zweite Station.

Wir dürfen unsere Saiteninstrumente auspacken. Das Mädchen mit der Ukulele legt los, wird bald vom Banjo übertönt, gemeinsam erklimmen wir den Gipfel. „Wait For The Summer“, singen wir und warten. Dann wechselt das Tempo und der innere Puls schlägt leichter, schneller, passt sich dem Fluss des Gesangs und des schwingenden Tambourins an und einer nach dem anderen geht einfach, wenn es ihm passt zur

Dritten Station.

Wir haben unsere Raumanzüge mitgebracht, heben aber nicht ab. 2080 ist so weit weg, wir bleiben in der Gegenwart. Der Basslauf und ein gerades Schlagzeug nehmen uns mit auf einen Ritt, bis uns irgendwann doch noch die Schwärze der Popmelancholie umfängt.

Vierte Station.

Nach einem kollektiven Niesanfall sind wir froh, die glänzenden Anzüge noch nicht ausgezogen zu haben. Eifrig machen wir uns an die Arbeit und jonglieren mit Reagenzgläsern und Akkordeons, wir entdecken das Heilmittel und nehmen es nicht.

Fünfte Station.

Ein kurzes „Ah“ bringt uns in die kalifornische Gospelgemeinde Beach Valley. Aus einer Riesen-Zymbal und feinem afrikanischen Sand müssen wir eine indianische Moschee bauen, das ist uns ein Leichtes. Als wir fast fertig sind, schlendert ein Bluesgitarrist um die Ecke, wir begleiten ihn auf Mamas Juwelen.

Sechste Station.

Eine Übung für unser Inneres. Wie schnell vergeht der Ärger, wenn man zuhört. Welch ein erhabener Moment.

Siebte Station.

In mongolischen Fellen stapfen wir durch den Frost, beschwören das Monster der Rock-Steppe und wagen einen Abstecher ins Okkulte. Wie bei 1, 2 oder 3 hüpfen wir von einem Fass auf das nächste und wundern uns, dass am Ende alle Antworten richtig sind.

Achte Station.

Wir sind erleichtert, dass jetzt moderate Waikiki-Hüftschwünge angesagt sind. Wir drehen uns so lange im Kreis, bis uns schwindelig wird, und stolpern zur

Neunten Station.

Im Erdreich ist es dunkel, wir bauen uns eine Wurm-Pyramide.

Zehnte Station.

Wir entfliehen der Düsternis und landen in der roten Höhle. Wir sammeln die umherliegenden Instrumente ein, klettern aus unseren von Sand und Lehm beschmutzten Raumanzügen und suchen Holz für ein Lagerfeuer. Und weil da ein Wald ist, wird es ein großes Feuer. Und weil das nicht reicht, tanzen wir. Und weil das auch noch nicht genug ist, sind wir einfach froh, zu sein, wo wir sind.

Auf dem Heimweg freuen wir uns, wie großartig doch ein bisschen Sport sein kann.

„All Hour Cymbals“ von Yeasayer ist bei We Are Free/Cargo Records erschienen.

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