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Moos, Kauz und Zinnen

 
Ganz unbekümmert beleben The Owl Service den Folk der Sechziger. Ihre Neuinterpretationen britischer Volkslieder klingen herrlich versponnen.

The Owl Service

Die Eule erweckt stets den Eindruck, als hätte sie etwas zu verbergen. Mit ihrem Ruf als arrogante Geheimniskrämerin brachte es die Nachtaktive bereits zu Ruhm in der Popkultur. Soll es ganz besonders schaurig sein, schummelt man sie gern ein in Text und Bild. So tut es auch die englische Folk-Band The Owl Service, von deren Plattenhülle uns ein besonders schlecht gelauntes Exemplar anglotzt. Ihren Namen haben The Owl Service dem gleichnamigen Fantasy-Roman Alan Garners entlehnt. In dem 1968 erschienenen Buch wird das Blumenwesen Blodeuwedd von einem Hexer in eine Eule verwandelt und muss sein weiteres Dasein in Baumkronen fristen.

Der Mann hinter der Eule ist der Multiinstrumentalist Steven Collins. Vor zwei Jahren gründete er die Formation, um im englischen Folk-Revival mitzumischen. Schließlich hatten sich amerikanische Künstler wie Devandra Benhart, The Espers oder Josephine Foster längst ausgiebig im Fundus britischer Folkmusik bedient.

Psychedelic Folk nennt man diese speziell britische Spielart des Wiedergangs, hier musiziert ein unüberschaubarer Haufen gescheiterter Tolkien-Exegeten, postmoderner Burgfräulein und klampfender Rübezahle. Englische Folkgruppen der Sechziger wie die Incredible String Band, Fairport Convention oder Pentangle erfreuen sich plötzlich ebenso großer Beliebtheit wie altertümliche Instrumente und kauzige Naturmystik. Dass dabei manchmal auch eine Spur von reaktionärer Erbauungsphilosophie zum Vorschein kommt, ist eine der unangenehmen Begleiterscheinungen des Genres. So sehr die salbungsvolle Neuinterpretation des Volksliedguts auch manchen irritieren mag, die musikalische Weltvergessenheit ist faszinierend.

So auch A Garland Of Song von The Owl Service. Das Album ist eine Sammlung traditioneller Folklieder, denen Steven Collins eine Handvoll Eigenkompositionen zur Seite stellt. Auf eine Modernisierung des Liedguts verzichtet die Band. A Garland Of Song ist eine konservative Angelegenheit, vom gelegentlichen Einsatz elektrischer Gitarren mal abgesehen. Zwölfseitige Akustikgitarren, Schellenkranz, Viola da Gamba, Glockenspiel und schwebender Frauengesang – mehr braucht dieser Ausflug in die Welt bemooster Burgen und vernebelter Zinnen nicht. Unironisch und authentisch leben Collins und seine Musiker ihre Liebe zur spätmittelalterlichen Mystik aus. Das kann man belächeln oder herrlich versponnen finden.

Die Stücke sind atmosphärisch, da können die meisten deutschen Mittelalter-Rockbands nicht mithalten. The Owl Service kennen die Tricks und Kniffe, A Garland Of Song nicht zu einem verkitschten Romanik-Pastiche verkommen zu lassen. Immer wieder ergeben sich musikalische Brüche und Spannungsmomente, die den oftmals allzu lieblichen Gesang kontrastieren. Die sechziger Jahre als historische Sehnsuchtsepoche schwingt in der psychedelischen Instrumentierung mit: Hier schleicht sich eine Sitar ein, dort erinnern schwirrende Drone-Klänge an den Acid Rock.

Steven Collins ist ein Fan britischer Horrorfilme – man schaue Psychomania und The Wicker Man – die in den siebziger Jahren okkulten Grusel und Fantasy vermischten. Eine ähnlich unheimliche Stimmung entfalten Lieder wie The Dorset Hanging Oak, in dem sich ritueller Chorgesang und eine hypnotisierende Sitarmelodie umkreisen. Die Platte endet mit der traurig-schönen Ballade Flanders Shore und dem Geräusch umschlagender Wellen.

Und die Eule glotzt noch immer. Sie wird schon wissen, warum.

»A Garland Of Song« von The Owl Service ist auf CD und LP bei Southern Records/Soulfood Music erschienen.

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