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Mundtot

Republikaner mögen keinen Widerspruch und keine Unordnung. Schon gar nicht, wenn dadurch die bis ins letzte Detail geplante Inszenierung einer Krönungsmesse durcheinander zu wirbeln droht. Der Parteitag in Tampa und seine Strategen haben ein einziges Ziel: Mitt Romney soll nach einem langen und zermürbenden Vorwahlkampf als der unumstrittene, von der gesamten Partei respektierte und sogar ein wenig geliebte Führer der Republikaner dastehen. Als einer, der die Partei vereint und jetzt ihren uneingeschränkten Rückhalt genießt. Als einer der deshalb die Kraft und das Zeug hat, Barack Obama am 6. November zu schlagen und aus dem Weißen Haus zu vertreiben.

Ron Paul auf dem Parteitag der Republikaner (Chip Somodevilla/Getty Images)

Wäre da nicht der Freigeist und ewige Quertreiber Ron Paul. Und wären da nicht seine munteren, aufsässigen Anhänger, alles würde nach Plan verlaufen. Aber Paul wäre nicht Paul und seine Jünger wären nicht seine Jünger, würden sie die strenge Parteitagsregie widerspruchslos akzeptieren. Es ist eine Regie, die dem Kongressabgeordneten aus Texas anders als den anderen beiden Konkurrenten Romneys keinen Platz eingeräumt hat. Obwohl Paul im Vorwahlkampf eine stattliche Zahl von Delegierten eingesammelt hat und zumindest am Anfang mehr begeisterte als Mitt Romney. Als der Gewinner noch vor halbleeren Sälen sprach, standen die Menschen Schlange, wann immer der 78-jährige Ron Paul auftrat.

Viele waren begeistert von seiner frischen Art, die auf nichts und niemand Rücksicht nahm. Paul kannte in der eigenen Partei weder Freund noch Feind. Er sagte, was er dachte. Er kritisierte Amerikas Kriege und forderte einen totalen Rückzug von ausländischen Stützpunkten.

Keine Kompromisse

Der in der Wolle gefärbte Libertäre kannte keine Gnade mit seinen Konkurrenten um die republikanische Präsidentschaftskandidatur, die in ihrem politischen Leben manchen Kompromiss eingegangen waren. Sei es, um auf der Karriereleiter aufzusteigen. Sei es, weil Kompromisse zwangsläufig zu einem demokratischen Gemeinwesen gehörten. Von Anfang an war klar, dass Ron Paul niemals den Vorwahlkampf gewinnen konnte. Aber er war und ist ein ständiger Stachel im Fleisch seiner Partei. Und den wendehalsigen Mitt Romney nahm er sich in den Debatten besonders gerne vor.

Deshalb schaltete die Parteiregie jetzt in Tampa wohl auf absolute Abwehr. Aber wie so oft, erweist sich die Ausgrenzung und Kritikern als Bumerang. Zumal wenn dieser Kritiker auf eine stattliche Gefolgschaft zählen kann, die sich nicht unterkriegen lässt und sich durchaus laut und mit allen Mitteln einer graswurzelartigen Protestbewegung zur Wehr setzt.

Einen Moment lang außer Kontrolle

Natürlich tauchte Ron Paul am Rande des Parteitags auf. Natürlich forderten seine Anhänger sofort Rederecht für ihn. Natürlich zelebrierten sie bei der Auszählung der Delegiertenzahlen jede Stimme für Paul. Als die Parteiführung dann auf bockig schaltete und beschloss, offiziell und vorne auf der Bühne nur noch die Delegiertenstimmen für Romney zu nennen, geriet die Veranstaltung für einen Moment außer Kontrolle und hallten Ron-Paul-Rufe durch die Halle.

Jetzt haben die Republikaner den Salat: Voller Neugier wartet man auf den Auftritt von Ron Pauls Sohn Rand Paul, der als US-Senator am Mittwochabend irgendwann nach 19 Uhr (in Deutschland nach 1 Uhr nachts) für einen kurzen Augenblick ans Mikrophon treten sollte. Und plötzlich interessieren sich immer mehr Leute für ein Ron-Paul-Video, das in Tampa gezeigt wird.

Eine Partei, die große Stücke auf ihren monatelangen basisdemokratischen Vorwahlkampf hält, sollte sich hüten, ihre unbequemen Geister auszugrenzen. Ron Paul lässt sich sowieso nicht mundtot machen.

 

Romneys weiße, heile Welt

Der Schlussakt des ersten Tages war die große Bewährungsprobe für Ann Romney. Sie hat sie bestanden, zumindest beim Parteivolk. Mitt Romney, der oft unterkühlt und steif wirkende Präsidentschaftskandidat, erschien nach der Rede seiner Ehefrau in neuem, wärmerem Licht.

Aber die ganz große Euphorie der Delegierten des Nominierungsparteitages der Republikaner in Tampa blieb aus. Tausende applaudierten laut, aber es riss die Delegierten, die auf solchen Veranstaltungen bis zur Ekstase begeistert werden wollen, nur selten aus den Stühlen.

Den Krebs hat sie überwunden

Und die große politische Frage bleibt: Wen hat Ann Romney außerhalb ihrer Partei mit ihren ebenso einfühlsamen wie ironischen Rede erreicht? Wirkt Mitt Romney draußen im Land nun nahbarer? Sprang der erwünschte Funke über?

Unbestritten war es eine nahezu perfekte, geradezu hollywoodreife Inszenierung. Kein lautes Wort, keine Übertreibung, kein schriller Ton, keine Überheblichkeit. Stattdessen präsentierte sich eine sympathische, manchmal geradezu liebenswürdig schüchterne Frau, die in einfachen Worten die Liebesgeschichte mit ihrem Mann beschreibt.

Die aber ebenso sagt, ihre Ehe sei anders als in manchen Darstellungen der Medien keine Bilderbuchgeschichte. Denn Bilderbuchgeschichten kennen keine Kapitel über Brustkrebs und Multiple Sklerose, zwei furchtbare Krankheiten, die Ann Romney heimsuchten.

Nichts mit Ottonormalverbrauchern zu tun

Den Krebs hat sie zum Glück überwunden, die MS bekämpft sie weiterhin tapfer.

Ann Romney erzählte von sich, vom Großvater, der als Bergarbeiter von Wales nach England kam. Sie zollte den Frauen Tribut, den Müttern, die immer ein wenig mehr leisten mussten als ihre Männer. Sie sagte, ihr Mann möge es nicht, seine guten Taten herauszukehren, er helfe lieber im Verborgenen. Und sie erwähnte, mit die besten Tage hätten sie beide in ihrer ersten gemeinsamen Wohnung in einem bescheidenen Kellergeschoss verbracht.

Was man davon auch im Einzelnen halten und glauben will – auf jeden Fall versuchte Ann Romney so auf eine leichte und elegante Art, einige charakterliche Vorbehalte zu mildern, die ihrem Mann derzeit entgegengehalten werden und die er mit eigenen unbedachten Äußerungen selber geschürt hat: Mitt Romney, der gefühllose Pragmatiker, der nur Geschäftszahlen und nicht die dahinter verborgenen menschlichen Schicksale kennt. Der dem gewöhnlichen Leben entrückte Multimillionär, der mit Ottonormalverbrauchern nichts gemein hat und deren Mühsal nicht begreift. Und der kein Verständnis und keine Empfindung für die besonderen Sorgen von Frauen hegt.

Eine zu perfekte Welt

Während Ann Romney einen Mann beschrieb, der nach Innen, gegenüber seiner Familie und zu seinen Freunden durchaus liebevoll ist, stellte Chris Christie, der bullige Gouverneur von New Jersey, kurz danach ein anderes Bild daneben: Mitt Romney, der nach Außen, gegenüber Geschäftspartnern und in der Politik nicht um Liebe buhlt, sondern lediglich Respekt erbittet.

Aber auch bei dieser mit Spannung erwarteten, sehr politischen Rede gerieten die Delegierten nicht außer Rand und Band. Und geradezu verhalten war ihr Applaus, als nach Ann Romneys Auftritt aus der Kulisse plötzlich (natürlich sorgsam geplant) Ehemann Mitt erschien und seine Frau in den Arm nahm. Trotz aller Bemühungen, Lockerheit und Gefühl zu verbreiten, scheint die Steifheit des Präsidentschaftskandidaten auch ein wenig seine Anhänger zu erfassen.

Wie in einer Fernsehserie

Am Ende konnte man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Romneys eine zu perfekte, zu weiße Welt präsentieren. Eine Welt, in der nur Menschen mit weißer Hautfarbe auftreten, die in gepflegten Häusern leben, ihren Rasen mit der Nagelschere stutzen und sich bei jeder Gelegenheit lieblich lächelnd als glückliche Großfamilie ablichten lassen.

Diese weiße Welt in Kleinstadt-Amerika ist immer noch da, aber sie ist vergänglich. Ann Romneys rotes Petticoat-Kleid, ihr offenes, onduliertes blondes Haar, der dicke Lippenstift, das erinnerte doch sehr an die sechziger Jahre und die US-Fernsehserie Mad Men.

In diesem Romney-Amerika werden sich viele Hispanics und Schwarze, Asiaten, junge Großstädter und alleinerziehende Frauen nur schwerlich wiederfinden. Im republikanischen Parteivolk von Tampa muss man diese Vertreter sowieso mit der Lupe suchen.

 

USA, USA

Die Republikaner feiern einen neuen Star. Sie ist noch ein kleiner Star, aber immerhin. Schließlich sind Parteitage auch dazu da, politische Talente für die Zukunft zu entdecken.

Mia Love ist jung, erst 36 Jahre alt. Sie klug und Bürgermeisterin einer kleinen Stadt in Utah. Sie ist attraktiv und schwarz. Sie ist Mormonin und stramm rechts, ein Liebling der ultrakonservativen Tea Party Bewegung.

Mia Love ist gegen Abtreibung, gegen die Umweltschutzbehörde und das Bildungsministerium. Sie ist für weniger Staat, weniger Gesetz und weniger Steuern. Sie passt damit genau ins Bild der Republikanischen Partei von 2012.

Mia Love kandidiert für einen Sitz im Repräsentantenhaus zu Washington. Aber noch liegt sie in den Umfragen weit hinter ihrem populären demokratischen Konkurrenten zurück.

Das wollen die Republikaner ändern und stellen sie deshalb in Tampa ins Rampenlicht. Ihre Hoffnung: Größere Bekanntheit führt zu mehr Spenden.

Auf dem Parteitag wurde Love die seltene Ehre zuteil, vor ihrem Auftritt bereits mit einem kurzen Video vorgestellt zu werden. Mia Love, Tochter haitianischer Einwanderer, begeisterte die Repbulikaner mit ihrem patriotischen Bekenntnis zum amerikanischen Traum und zum Exzeptionalismus, zur Einzigartigkeit Amerikas.

Die Delegierten im Saal waren begeistert und riefen stürmisch: „USA, USA!“