Weit länger als eine Stunde redet sich Mitt Romney den Mund fusselig und sich selbst dabei um Kopf und Kragen – und doch dreht sich die beharrlichste Kritik von konservativer Seite an dem heimlich mitgeschnittenen Fundraiser-Video darum, dass zwei Minuten fehlen? Das Magazin Mother Jones hat das so erklärt: Die Aufnahme brach ab, der Urheber bemerkte das aber relativ schnell, weiter ging es. Selbst wenn man das nicht glaubt – was soll in dieser Zeitspanne passiert sein, das alles Weitere in einem anderen Licht erscheinen ließe? Nicht ganz ernst gemeinte Theorien via Twitter; der Hashtag #missing2min sollte übrigens ursprünglich die Vorwürfe bündeln, das Video sei aus politischer Absicht editiert worden:
„Waiter…yes, you with the camera…could you get me a rum and coke? #missing2min
Es hätte schlimmer kommen können. Denn es ging um Politik, als Mitt Romney am 17. Mai in der Villa des illustren Finanzinvestors Marc Leder in Boca Raton den zahlungskräftigen Gästen das Geld aus der Tasche reden wollte und ihnen erklärte, wie er die Wahl gegen Barack Obama im November gewinnen könne. Das ist nicht immer so, wenn Leder einlädt: Im Pool vergnügt man sich gelegentlich auch ohne Badetextilien, kaum verhüllte russische Tänzerinnen zucken zu stampfenden Technobeats, die moralischen Hemmungen fallen. Aber der republikanische Präsidentschaftskandidat und seine reichen Spender behielten Jackett und Krawatte an – zumindest auf dem Video, das nach der Veröffentlichung durch das Magazin Mother Jones die US-Schlagzeilen im Wahlkampf bestimmt.
Andererseits: Die Wirkung des heimlichen Mitschnitts dieses Fundraising-Dinners ist auch ohne lüsternes Partytreiben verheerend genug. Entkleidet von den Sprachhülsen der öffentlichen Auftritte steht der Kandidat gleichsam nackt da – ein politischer Striptease, der den Höhepunkt einer Reihe schwerer Rückschläge für die Romney-Kampagne markiert. Man ist versucht, sich amerikanischen Kollegen anzuschließen in ihrem Urteil „Heute hat Romney die Wahl verloren„. Das wäre voreilig. Ja, Romney hat seine Chancen verspielt – aber nicht an diesem Tag.
Man traute seinen Ohren kaum. Mit Blick auf die Unruhen im Mittleren Osten schimpfte die gescheiterte republikanische Präsidentschaftskandidatin Michelle Bachmann auf dem konservativen Wertegipfel, dem Value Voters Summit zu Washington: „Barack Obama ist der gefährlichste Präsident, den wir je hatten.“
Der Kongressabgeordnete Eric Cantor forderte ein Ende von Obamas Entschuldigungstouren und ein klares Bekenntnis zu Jerusalem als „ewiger ungeteilter Hauptstadt Israels“. Und selbst der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan nahm sich den Außenpolitiker Obama vor und bezichtigte ihn, inmitten der Unruhen im Mittleren Osten nicht zu führen und Amerikas Interessen zu verraten.
Dabei hatten die Republikaner das Thema Außenpolitik bislang tunlichst gemieden. Präsidentschaftskandidat Mitt Romney und sein Vize Paul Ryan sind auf diesem Gebiet wenig beschlagen. Romneys Welttour im Sommer glich eher einem Fettnäpfchenlauf. Und überdies schien Präsident Barack Obama, der schließlich Osama bin Ladens zur Strecke brachte, in Sachen Außenpolitik und Nationaler Sicherheit wenig angreifbar.