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Romneys großer Fehlgriff

Vielleicht hat Mitt Romney den Rat von Michael Gerson zu ernst genommen. Der frühere Redenschreiber von George W. Bush schrieb am Dienstag in der Washington Post über den republikanischen Präsidentschaftskandidaten: „If he plays not to lose, he seems likely to lose.“ Also in etwa: Er kann gegen Obama nur gewinnen, wenn er endlich in die Offensive geht. Gerson fürchtete, nach den großen Reden auf den Parteitagen habe Romney kaum noch Gelegenheiten, die Dynamik des Wahlkampfs entscheidend zu beeinflussen – vielleicht nur noch in den Fernsehdebatten, in die Obama mit einem gewachsenen Vorsprung in den Umfragen geht.

Zu vage, zu wenige Ideen, immer nur auf Nummer sicher – auch aus dem eigenen Lager war in den vergangenen Tagen mehr als einmal Kritik an dem zurückhaltenden Kandidaten laut geworden. Von Medienmogul Rupert Murdoch (per Twitter, nicht zum ersten Mal: „Romney muss einen genauen Plan vorlegen, um den amerikanischen Traum wiederherzustellen.“) über den früheren republikanischen Mehrheitsführer im Senat Trent Lott („Er muss klar sagen: ‚Das bekommt ihr, wenn ihr mich wählt.'“) bis zur konservativen Radiomoderatorin Laura Ingraham („Macht die Partei zu! Fangt neu an, mit neuen Leuten!“) gab es ätzende Bemerkungen, die vor allem zeigen: Romney gelingt es noch immer nicht, seine Unterstützer zu überzeugen. Im Gegenteil: Die Angst wächst, er könne die Wahl bereits verloren haben.

Doch diesmal hätte Romney vielleicht mit Schweigen mehr Punkte sammeln können als mit solchem aggressiven Getöse: Nach den Angriffen auf US-Botschaften in Libyen und Ägypten hatte er, ohne die Entwicklungen abzuwarten, Obama hart angegangen. „Es ist schändlich, dass die erste Reaktion der Obama-Regierung nicht war, die Attacken auf unsere diplomatischen Vertretungen zu verurteilen, sondern mit denen zu sympathisieren, die diese Attacken geführt haben“, hatte er mitgeteilt. Dies aber war wohl kaum der geeignete Anlass, mit Polemik gegen die Außenpolitik des Präsidenten Stimmung im Wahlkampf zu machen. Stattdessen lehnte sich Romney auf einem Gebiet, das ohne Zweifel nicht zu seinen stärksten gehört, derart weit aus dem Fenster, dass nur wenige mit einstimmten, mancher Republikaner aber nur noch mit dem Kopf schütteln kann.

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Obama erklärt Wahl zur Richtungsentscheidung

Genau zwei Monate vor der Wahl blickten die USA am Donnerstag auf die große Rede von Präsident Barack Obama: Auf dem Parteitag der Demokraten in Charlotte, North Carolina, nahm er offiziell die Nominierung als Präsidentschaftskandidat an. Vor vier Jahren trugen ihn die Euphorie und die Hoffnungen seiner Anhänger ins Amt. Doch Hope und Change waren Versprechen, hinter denen er in den Augen vieler Amerikaner zurückgeblieben ist – selbst jener, die ihn damals wählten.

Mit diesem wichtigen Auftritt müssen Obama deshalb gleich mehrere Dinge gelingen. Nicht nur gilt es, die demokratische Basis für die letzten Wochen des Wahlkampfs zu motivieren. Vor allem die unentschlossenen Wähler muss der Präsident auf seine Seite ziehen. Kann er sie überzeugen, dass seine Politik besser als die seines republikanischen Herausforderers Mitt Romney ist? Kann er eine Vision für die Zukunft der USA entwickeln und erklären, wie er die drängenden Probleme des Landes lösen will? Und kann er die Erfolge seiner ersten Amtszeit gegen die Kritik des Gegners verteidigen, den Amerikanern gehe es heute schlechter als vor vier Jahren?

Das Stück unseres Washington-Korrespondenten Martin Klingst zu Obamas Rede finden Sie hier.

Die jüngsten Einträge im Liveblog stehen oben. Die Uhrzeiten sind für Deutschland angegeben, North Carolina liegt sechs Stunden zurück.

05.15 Uhr: Der Gedanke, der Barack Obamas Rede durchzog wie zuvor schon den gesamten Parteitag der Demokraten, war der Zusammenhalt der amerikanischen Gesellschaft, die Solidarität. Die Republikaner stünden dagegen für das Credo „You are on your own„. Das hat er seinen Anhängern in einer mitreißenden Rede nahegebracht. Wir beenden den Liveblog an dieser Stelle, vielen Dank für das Interesse.

 

 

05.08 Uhr: Der Höhepunkt am Ende der Rede, der alles vorher Gesagte noch einmal aufgreift:

„And if you share that faith with me, if you share that hope with me, I ask you tonight for your vote.

If you reject the notion that this nation’s promise is reserved for the few, your voice must be heard in this election.

If you reject the notion that our government is forever beholden to the highest bidder, you need to stand up in this election.

If you believe that new plants and factories can dot our landscape; that new energy can power our future; that new schools can provide ladders of opportunity to this nation of dreamers; if you believe in a country where everyone gets a fair shot, and everyone does their fair share, and everyone plays by the same rules, then I need you to vote this November.

America, I never said this journey would be easy, and I won’t promise that now. Yes, our path is harder, but it leads to a better place. Yes our road is longer, but we travel it together. We don’t turn back. We leave no one behind. We pull each other up. We draw strength from our victories, and we learn from our mistakes, but we keep our eyes fixed on that distant horizon, knowing that Providence is with us, and that we are surely blessed to be citizens of the greatest nation on Earth.

Thank you, God bless you, and may God bless these United States.“

05.04 Uhr: Die Zeiten hätten sich verändert, deshalb habe auch Obama sich verändert. Er sei nicht länger der Kandidat, er sei der Präsident – Jubel in der Halle. Er bekennt sich auch zu seinen Fehlern.

 

05.00 Uhr: Die Mittelklasse ist das Thema, das Obama voll durchspielt, von den Chancen auf Jobs bis hin zur Gesundheitsversorgung.

04.57 Uhr: Nun geht es um die Schulden: Untersuchungen hätten gezeigt, dass Obamas Pläne das Defizit um 4 Billionen reduzieren würden. Mit den Republikanern habe er gearbeitet, um die Ausgaben um 1 Milliarde zu reduzieren.

04.55 Uhr: Für die Herausforderer sei die Außenpolitik ein neues Feld, von dem sie nichts verstünden.

04.50 Uhr: In der Welt habe Amerika die Rechte und die Würde aller Menschen vorangebracht – Männer und Frauen, Christen, Muslime und Juden. Aber trotz allen Fortschritts blieben Herausforderungen:

Terroristen müssten bekämpft werden. Die Euro-Krise müsse eingedämmt werden. Israels Sicherheit sei weiterhin eine Priorität. Der Iran müsse einer Welt gegenüberstehen, die sich gegen seine nuklearen Ambition wendet. Den Arabischen Frühling gelte es weiter zu gestalten.

04.47 Uhr: Obama zollt denen Respekt, die in Amerikas Kriegen kämpfen. Die USA würden das stärkste Militär der Welt behalten. Und sich außerdem um ihre Soldaten auch dann kümmern, wenn sie nach Hause zurückkehren.

04.45 Uhr: Jetzt also Außenpolitik. In einer Welt voller neuer Herausforderungen und Bedrohungen könne Amerika sich auf Obamas Führungsstärke verlassen, die er bewiesen habe: Er habe versprochen, den Irakkrieg zu beenden und es getan. Der Krieg in Afghanistan sei 2014 zu Ende, al-Kaida auf dem Rückzug. Und da ist es wieder: Osama bin Laden ist tot.

04.42 Uhr: Bildung ist das nächste Thema: 100.000 neue Lehrer in den kommenden zehn Jahren sind für Obama der Weg, um zwei Millionen Menschen auszubilden, die dann bessere Chancen auf Arbeit haben. Kein Unternehmen dürfe dazu gezwungen sein, nach China zu schauen, weil die Mitarbeiter zu Hause nicht qualifiziert genug seien.

04.40 Uhr: Der Klimawandel ist real, sagt Obama. Und wir haben die Möglichkeit, etwas dagegen zu tun. Daran hängen für ihn auch viele neue Jobs: Die Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren, auf andere Energieformen zu setzen, könne mehr als 600.000 neue Arbeitsplätze schaffen.

04.37 Uhr: Obama sagt, eine Millionen neue Industriejobs in den kommenden vier Jahren sei möglich.

04.30 Uhr: Und welchen Plan haben die anderen?

„Have a surplus? Try a tax cut.“

„Deficit too high? Try another.“

„Feel a cold coming on? Take two tax cuts, roll back some regulations, and call us in the morning!“

04.28 Uhr: Obama beschreibt die Wahl als Richtungsentscheidung, die Auswirkungen für die kommenden Gernationen haben wird. Es seien zwei fundamental verschiedene Visionen, die die Kandidaten unterscheiden. „Ours is a fight to restore the values that built the largest middle class and the strongest economy the world has ever known.“

04.27 Uhr: Obama akzeptiert seine Nominierung – Jubel in der Halle.

04.26 Uhr: Erst mal wird Obama persönlich, sagt dass er seine Frau liebt, und ja Kinder, ihr müsst in die Schule morgen. Biden nennt er einen Freund.

04.25 Uhr: Die Menge in der Halle ruft „Vier weitere Jahre. Vier weitere Jahre“.

04.23 Uhr: Michelle Obama ist zurück auf dem Podium. Sie kündigt den Präsidenten an, der nun die Bühne betritt und sie umarmt.

04.16 Uhr: Es läuft ein Videoporträt von Barack Obama. Unter anderem Michelle Obama, Bill Clinton und Joe Biden sprechen über den Präsidenten.

04.10 Uhr: Senator Dick Durbin aus Illinois – er spricht vor Obama – ist auf dem Podium.

04.08 Uhr: Biden hat seine Rede beendet. Die Menge in der Time Warner Cable Arena hat an jedem seiner Worte gehangen – die Kurzversion seiner Rede: „Osama bin Laden ist tot, General Motors lebt“

04.04 Uhr: Noch spricht Vizepräsident Joe Biden.

 

Die Clinton-Stunde

Das könnte der Moment gewesen sein, der Barack Obama die Präsidentschaft rettete. Der den Wechsel von der Verteidigung zum Angriff bedeutete. Der die Demokraten aufrüttelte, ihnen Mut verschaffte und eine politische Vision vermittelte. Mit Witz, Scharfsinn und großem Temperament legte Bill Clinton auf dem Parteitag in Charlotte, North Carolina, dar, warum es wichtig sei, dass Barack Obama wiedergewählt werde.

Ironie der Geschichte: Vor vier Jahren noch setzte Clinton alles daran, dass seine Frau Hillary und bloß nicht Obama Präsident werde. Und er machte keinen Hehl daraus, dass er von dem jungen, schwarzen Senator aus Illinois wenig hielt: zu unerfahren, zu weich, zu abgehoben.

Doch diesmal lagen sich die Präsidenten 42 und 44 auf der Bühne in den Armen. Wie schon vor vier Jahren, als Ehefrau Michelle sprach, trat Obama auch dieses Mal aus der Kulisse heraus. Das war wieder einmal ganz großes Kino.

Gleichwohl: Eine enge Freundschaft ist an diesem Abend wahrscheinlich nicht entstanden. Dafür sind sie zu unterschiedlich, dafür haben beide ein zu großes Ego und haben sie sich gegenseitig wohl zu oft verletzt.

Unvergessen, wie Clinton Anfang 2008 im Vorwahlkampf gegen Obama stichelte und zwischen den Zeilen zum Ausdruck brachte, ein Schwarzer habe derzeit noch keine Chance, Präsident zu werden. Ebenso unvergessen der Hieb unter die Gürtellinie, als Obama behauptete, der republikanische Präsident Ronald Reagan habe Amerika weit stärker verändert als Clinton.

Republikaner haben einen Saustall hinterlassen

Auf jeden Fall aber haben die beiden einen Beistandspakt geschlossen, eine Art Nato-Vertrag, der den einen verpflichtet, dem anderen mit schwerem Geschütz zur Seite zu stehen, sobald einer von beiden angegriffen wird und in Bedrängnis gerät. Obama braucht jetzt diese Hilfe – und sie kam kraftvoll und uneingeschränkt.

Es war die große Stunde von Bill Clinton. Wie ein Starverteidiger zerlegte er genüsslich und unbarmherzig Punkt für Punkt die Angriffe auf Obama und drehte den Spieß gegen die Ankläger, die Republikaner, um.

Nicht der Präsident sei schwach, sagte er, sondern sein Herausforderer Mitt Romney. Nicht Obama ruiniere das Land, sondern seine Gegner. Die Anschuldigung gegen Obama, so Clintons Schlüsselsatz, gipfele in dem Argument: „Wir haben ihm einen totalen Saustall hinterlassen, er hat es noch nicht geschafft, ihn völlig aufzuräumen, deshalb feuert ihn und lasst uns wieder ran.“

Unter gewaltigem Jubel sagte Clinton, Obama habe große Führungsstärke bewiesen, als er mit Joe Biden und Hillary Clinton zwei seiner ehemaligen Konkurrenten um die Präsidentschaftskandidatur nach der Wahl in seine Regierung holte.

Detailliert legte der Ex-Präsident dar, warum Obama politisch und ökonomisch richtig liege – und Romney daneben. Warum die Rettung der Autoindustrie wichtig gewesen sei und ebenso das rund 700 Milliarden Dollar teure Konjunkturpaket, die Auslösung der klammen Banken und die Gesundheitsreform.

Und dann stellte er die Frage aller Fragen, die viele Demokraten im Angesicht hoher Arbeitslosigkeit und drückender Staatsschulden nicht wirklich zu beantworten wagen: „Geht es euch heute besser als vor vier Jahren beim Amtsantritt Obamas?“ Als hätten sie auf diesen Moment seit ewig gewartet und alle Kraft dafür aufgehoben, brüllten sich die Delegierten mit einem gewaltigen „Ja“ die Seele aus dem Leib.

Plädoyer für Solidarität

Clinton beschrieb die Vorteile einer solidarischen Gesellschaft und wetterte gegen die Romney-Ideologie, wonach angeblich allen geholfen sei, wenn jeder an sich selbst denke. Und er beschuldigte die Republikaner, einen Kahlschlag der Gesundheitssysteme zu planen. Dass sie allerdings dringend der Überholung und Reform bedürfen, sagte er nicht.

Es sei ein Irrglaube, so Clinton weiter, dass die Konservativen mit Geld umgehen könnten. Er sei dafür der beste Zeuge. Denn damals, Anfang der Neunziger, habe ihm der republikanische Präsident George H. Bush einen riesigen Schuldenberg hinterlassen. Nachdem er mühsam abgetragen worden sei, habe ihn der nächste Herr im Weißen Haus, der Republikaner George W. Bush, sofort wieder aufgetürmt.

„Vier weitere Jahre!“

Clinton geißelte die Obstruktionspolitik der Republikaner und plädierte energisch für mehr Kompromissbereitschaft. „Hört gut zu und sagt es überall“, impfte er den Demokraten ein, „kein einziger Präsident, nicht ich und auch keiner meiner Vorgänger, hätte dieses Chaos binnen vier Jahren beseitigen können.“ Obama brauche und verdiene mehr Zeit. „Vier weitere Jahre, vier weitere Jahre!“ skandierten die etwa 22.000 Zuhörer in der Time Warner Basketballhalle minutenlang.