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Kabale: Mein Wort-Schatz

Kabale – dieses Wortschätzchen widme ich meiner Tochter, die kurzerhand Schillers Werk in »Kannibale und Liebe« umdichtete. Das veranschaulicht ganz richtig und sehr martialisch das Aufge- und Verzehrtwerden durch die Liebe. Und auch vor Intrigen bleibt man manchmal nicht verschont.

Andrea Kühberger, Neckargemünd

 

Was mein Leben reicher macht

Ich sitze in der S-Bahn, Stuttgart stadtauswärts. Es ist ruhig, die Fahrgäste lesen, schauen aus dem Fenster, aufs Handy – das Übliche. Plötzlich ertönt die Stimme des Zugführers: »Guten Tag an Bord der S4 auf dem Weg von Stuttgart nach Marbach!« Es folgt eine ausführliche Ansage über eine Fahrplanänderung, die mit den Worten schließt: »Ich wünsche Ihnen eine angenehme Weiterfahrt. Unser nächster Halt ist, falls die Bahnsteige nicht geklaut worden sind: Stuttgart-Nord.« Gemeinsames Lachen im S-Bahn-Wagen über diesen gut gelaunten Zugführer.

Renate Koch, Kornwestheim

 

Nachtgedanken

(sehr frei nach Heinrich Heine, »Nachtgedanken«)

Denk ich an Freital in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

Wo man Rassismus »Sorge« nennt,
Gezielten Hass als Angst verkennt,
Wo Dummheit »Mut zur Wahrheit« wird,
Ein Pass die Würde definiert,
Wo Hetze schon als Meinung zählt,
Das Argument zum Weltbild fehlt,
Wo Mitgefühl der Missgunst weicht,
Wo Fremdheit schon zum Feindsein reicht
(Und Deutschsein fremdenfeindlich gleicht).

Wo man sich Selbstjustiz erlaubt,
Asyl der Sicherheit beraubt,
Wo Stein auf Heim zufrieden macht
– dort, liebes Deutschland, gute Nacht!

Was wie die Sonne dort versank,
Ist Menschlichkeit – im »Abendland«.

Michaela Ferber, Dresden

 

Pruddeln: Mein Wort-Schatz

Vor einiger Zeit erklärte Corinna Fritz an dieser Stelle das Wort »krosen«. Es bedeutet, dass man zu Hause ist, kein wirkliches Ziel verfolgt, sondern ohne Zeitdruck hier und da aufräumt, umräumt oder etwas neu sortiert. Als ich den Beitrag las, fiel mir auf, dass auch wir in unserer Familie dafür einen Begriff haben. Wenn man nach einer anstrengenden Phase mal wieder Zeit für sich hat, Zeit, seinen Kleiderschrank aufzuräumen, ein Buch zu lesen oder dafür, mit Mama Erdbeeren pflücken zu gehen, dann Pruddelt man den ganzen Tag rum. Jetzt nach meinem Abitur ist die Anzahl der Pruddel-Tage deutlich höher als sonst, und ich finde Zeit für die Dinge, die sonst oft zu kurz gekommen sind.

Imke Albers, Osnabrück

 

Was mein Leben reicher macht

In Bogotá Frau Lilly Ungar begegnet zu sein, der Inhaberin der Librería Central. Sie ist die Seele ihrer Buchhandlung und fast täglich dort anzutreffen, obwohl sie an die 94 Jahre alt ist. 1938, kurz vor ihrem 18. Geburtstag, hat sie aus ihrer österreichischen Heimat nach Kolumbien fliehen müssen. Aber noch heute klingt ihr Wienerisch so unverfälscht, als ob sie die Stadt nie verlassen hätte.

Barbara Edelman, Oakdale, USA

 

Was mein Leben reicher macht

Meine sechsjährige Tochter Sophia, die mich immer ganz erstaunt und neugierig anschaut, wenn mir beim Lesen der Was mein Leben reicher macht-Rubrik ein lautes Lachen oder eine Träne der Rührung rausrutscht. Und die dann fragt: »Mami, was ist denn los?«

Nicole Armbruster, Freiburg im Breisgau

 

Was mein Leben reicher macht

Paddeln im schwedischen Schärengebiet. Vor 50 Jahren sind Lars und ich die Strecke Kalmar–Västervik in einem Faltboot gefahren. Seit 25 Jahren hat mein Kamerad die fürchterliche Krankheit ALS. Er kann kaum noch laufen, und man kann ihn nur schwer verstehen. Aber er kann immer noch paddeln! Im August setzen wir uns wieder in den Doppelkajak, um Teile der alten Strecke zurückzulegen.

Göran Henrikson, Vintrosa, Schweden

 

Zeitsprung: Am Walchsee

Das linke Foto zeigt meinen älteren Bruder Friedhelm und mich im Sommer 1964 bei unserem ersten (und leider letzten) gemeinsamen Familienurlaub. Mit unserem Vater Helmut, der im darauffolgenden Jahr viel zu früh mit nur 41 Jahren verstorben ist, posieren wir am Ufer des Walchsees in Tirol. Dieser Urlaub hat uns Brüder emotional sehr geprägt: Seitdem fahren wir beide – zuerst allein mit der Mutter, danach immer wieder mit Partnerinnen, Kindern, Enkeln und Freunden – in den Ferien in unsere zweite Heimat. Das rechte Foto wurde bei unserem „Jubiläumsbesuch“ im vergangenen Sommer geschossen. Während die Büsche und Bäume größer, die Hosen länger, bei mir die Haare weniger und wir beide reifer geworden sind, hat sich doch in der herrlichen Landschaft am Zahmen Kaiser nicht viel geändert, und auch die Kirche (im Hintergrund) ist „im Dorf geblieben“. Wer fehlt auf dem Erinnerungsfoto, ist unser Vater. In unseren Herzen aber, da reist er seit 50 Jahren mit uns an den Walchsee – auch in diesem Sommer.

Jürgen Müller, Berlin

 

Kraftakt

s72-baum

Was für Kräfte müssen da gewirkt haben? Ein zunächst kleines Baumpflänzchen hat sich beharrlich seinen Lebensraum geschaffen und dabei im Wachstumsverlauf einen riesigen eiszeitlichen Granitbrocken gespalten. Gefunden habe ich dieses Naturwunder abseits der großen Wege auf einer Korsikareise.

Dieter R. Heiss, Remseck