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Die Millionen-Rechnung

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Meine Eltern hatten am 19. Mai 1923 geheiratet, also vor ziemlich genau 90 Jahren. Das Küchenbüfett auf dieser Rechnung war wohl eine ihrer ersten Anschaffungen. Aber zu welchem Preis! Mein Vater hat oft davon erzählt, wie er mit dem Geld, das er an diesen beiden Tagen Anfang Oktober in den Horch-Werken in Zwickau verdient hatte, ganz schnell nach Hause geeilt ist, um den Tischler zu bezahlen. Angesichts des Mediengetöses über Krise und Verunsicherung habe ich mich an diese alte Rechnung erinnert.

Inge Brandt, Dresden

 

Was mein Leben reicher macht

Zwei Tage sind wir bei Kälte und Nässe mit dem Rad auf dem Rothaarsteig unterwegs. Am dritten Tag ein strahlender, heller Morgen. Wir rollen durch einen lichten Buchenwald. Die Blätter entfalten sich. Aus dem blauen Himmel schweben goldene Hüllblättchen. Jetzt hüllen sie uns ein. Ein magischer Moment, genau jetzt und hier.

Harald und Heike Richter, Roßdorf bei Darmstadt

 

Die Pollen sind frei

(nach dem Volkslied »Die Gedanken sind frei«)

Die Pollen sind jetzt frei,
Wer kann sie einfangen?
Sie fliegen vorbei
Und lassen mich bangen.
Das Schnupfen und Niesen
Kann keiner begrüßen.
Und dennoch bleibt’s dabei:
Die Pollen sind jetzt frei!

Ich schnäuze viel zu viel,
Was mich sehr bedrücket.
Und das nicht in der Still’,
So wie es sich schicket.
Es rinnen die Tränen
Wie aus Wasserhähnen.
Es bleibt wohl dabei:
Die Pollen sind jetzt frei!

Und sperrt’ ich mich ein
Im finsteren Kerker,
Das alles wären rein
Vergebliche Werke.
Denn ach, diese Pollen,
Die nicht da sein sollen,
Sind immer dabei,
Denn die Pollen sind jetzt frei!

So muss ich wohl leider
Die Plage ertragen,
und werd mich auch weiter
Mit Tempos rumschlagen.
Ich kann ja im Herzen
Stets lachen und scherzen:
Die Pollen sind jetzt frei,
Doch auch das geht mal vorbei!

Inge Knechtel, Aichwald

 

Cellophanpapier: Mein Wort-Schatz

Kürzlich hat Ansgar Book hier über das Stanniolpapier geschrieben. Seither geht mir das Cellophanpapier meiner Kindertage nicht mehr aus dem Sinn. Wir Fünfziger-Jahre-Kinder sind mit wenig aufgewachsen und haben die seltenen Bonbonpapierchen leidenschaftlich gesammelt, sorgfältigst geglättet, gefaltet und in Streichholzschächtelchen aufbewahrt. Diese Bonbonumhüllungen waren aus Cellophanpapier. Mit ihrer Hilfe wurde unsere kleine Welt ganz bunt.

Hanne Langen, Much, Bergisches Land

 

Was mein Leben reicher macht

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Homo-Ehen steuerlich gleichgestellt werden – und meine Kolleginnen bei der Arbeit (evangelische Kirche!) freuen sich offen und ehrlich mit mir. Abends dann gehe ich mit meiner Frau spazieren, zwischen uns unsere achtjährige Tochter. Wir sind Familie!

Karin Siebert, Bielefeld

 

Was mein Leben reicher macht

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Homo-Ehen steuerlich gleichgestellt werden – und meine Kolleginnen bei der Arbeit (evangelische Kirche!) freuen sich offen und ehrlich mit mir. Abends dann gehe ich mit meiner Frau spazieren, zwischen uns unsere achtjährige Tochter. Wir sind Familie!

Karin Siebert, Bielefeld

 

Was mein Leben reicher macht

Der morgendliche Blick aus dem Schlafzimmerfenster in Richtung Fahrradschuppen: Aus dem Nest, in dem vorgestern noch drei verlassene Eier lagen, ragt steil der Schwanz einer Amsel. Sie brütet doch!

Anne Schumann, Mainz

 

Was mein Leben reicher macht

Bügeleisen ausschalten. Wäsche stehen lassen. Ins Dachgeschoss verschwinden. Amateurfunkanlage einschalten und der »Musik« der Morsezeichen aus aller Welt lauschen. Weit entfernte Station hören. Morsetaste anschließen und senden. Verbindung zustande bekommen. Ein neuer Kontakt – vielleicht ein neuer Freund. Die Welt im Dachgeschoss haben: ein Gefühl von Weite und Freiheit.

Harald Harders (DJ2II), Bremen

 

Nu: Mein Wort-Schatz

Ein in der Dresdner Gegend geläufiges und beinahe universell einsetzbares Wort ist die Partikel »Nu!« (mit breitem, kurzem u). Dazu ein Beispiel, erlebt neulich in der S-Bahn: Die Schaffnerin kontrolliert die Fahrkarten. Ein Jugendlicher mit iPod- Stöpseln im Ohr beginnt, während sie vor ihm steht, in aller Ruhe alle seine Taschen nach der Fahrkarte abzusuchen, bis er sie schließlich findet und ihr hinhält. Sie wirft einen langen Blick darauf und entgegnet in einem Tonfall, worin Gutmütigkeit, leichtes Genervtsein und doch viel Gleichmut mitschwingen, nichts als: »nu!« Mit diesem einen Wort war alles gesagt: »Danke, die Fahrkarte ist in Ordnung. Das hätte schneller gehen können. Beim nächsten Mal nicht so weit wegpacken!« Aber wo könnte man es ökonomischer ausdrücken als in Dresden, womöglich kombiniert mit den nicht minder originären »ni« (Verneinung) und »nor« (Rückversicherung)? Dann hätte die volle Antwort der Schaffnerin geheißen: »Nu, awwor nähschdes-Mah ni so lahm, nor?«

Christian Quinque, Leipzig