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Was mein Leben reicher macht

In der Straßenbahn auf dem Weg zur Ge­burtstagsfeier unseres Chorleiters spontan For the Longest Time von Billy Joel zu singen und die überraschten Gesichter der Mit­fahrer und den Applaus zu genießen!

Tabea Detzel, Mannheim

 

Zeitsprung: Kahla

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Zwischen den beiden Fotos liegen genau hundert Jahre: Zu sehen ist das Elternhaus meiner Großmutter väterlicherseits in Kahla, Thüringen. Mein Großvater, geboren 1888, stammte aus Arzberg und lernte in Kahla seine spätere Frau, meine Groß­mutter Luise kennen. Er ist auf dem Bild von 1908 der junge Mann mit Strohhut und Stock neben dem Mädchen im weißen Kleid und hat das Foto später sauber beschriftet. Meine Oma hatte noch drei Schwestern. Zusammen wurden sie laut den Erzählungen meines Großvaters die »Pfortenprinzessinnen« genannt. Das Haus steht nämlich direkt gegenüber der Brücke über den Fluss Saale, am östlichen Orts­eingang von Kahla. Im Jahr 2008 war ich auf Urlaub in Thüringen, besuchte Kah­la und fand das Haus tatsächlich wieder. Es war noch sehr gut zu erkennen, so wenig wurde es baulich verändert. Meine Großeltern waren übrigens über 60 Jahre lang glücklich verheiratet, und noch heute gibt es die Porzellanfabrik Kahla, in die mein Großvater damals von Arzberg aus versetzt wurde und so meine Großmutter kennen­ lernen durfte.

Britta Hering, Reichenau im Bodensee

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Glas mit 73 »Momente-­Zetteln«, das mir meine Tochter geschenkt hat, bevor sie zu ihrer großen Reise nach Kolumbien auf­ gebrochen ist. Für jeden Tag ihrer Abwe­senheit hat sie einen schönen Moment aus unserem gemeinsamen Leben aufgeschrie­ben, damit ich jeden Morgen froh an sie denke anstatt voller Sorge. Und es wirkt!

Martina Warnecke, Obersulm, Baden-­Württemberg

 

Ein Gedicht!

Die Kerls
(nach Erich Kästner, »Die Entwicklung der Menschheit«)

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt
bis zur hundertsten Etage.

Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen
und schauen nun bös am Telefon
und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen. Uuhh!

Sie skypen geschminkt vor dem Monitor
und jagen und züchten Mikroben,
sie versehn die Natur mit allem Komfort,
sie starten steil in den Himmel empor
und bleiben auch wochenlang oben.

Sie schleppen die Frauen im Übermut
wegen Fehlern zum Schönheitschirurgen,
und finden: Das Silikon steht ihr gut!
Und züchten dabei eine Drachenbrut
als sexistische Dramaturgen.

Was aufreizend nun in der Freiheit sich glaubt,
ob inner ob außer der Hülle,
auch wenn es den Männern den Atem raubt:
Hinschauen, anfassen – nicht mehr erlaubt!
Die Fortpflanzung regelt die Pille.

Obwohl sie die Umgangssprache erlernt
und Körpernähe geschaffen,
da hamm sie sich von einander entfernt,
nachdem sie den Inhalt der Wörter entkernt,
und kehren zurück zu den Affen

Joseph Rossa, Weerberg, Österreich

 

Re­spensabel: Mein Wort-Schatz

Mein Wort­-Schatz ist ein Wort, das es gar nicht gibt. Vor fast fünfzig Jahren lernte ich von meinem Bruder das Wort respensabel. Tatsächlich passt dieses Wort in fast jeden Satz mit einem Adjektiv. Das Gegenüber im Gespräch glaubt immer zu verstehen, was man meint. Mit Klassenka­meraden zusammen übte ich, dieses Wort im Unterricht zu verwenden und wie selbstverständlich zu benutzen. Wie groß waren unser Erstaunen und unsere stille Freude, als wir eines Tages das Wort »respensabel« auch aus dem Mund eines Lehrers hörten!

Martin Hartmann, Haslach, Schwarzwald

 

Ratzeputz: Mein Wort-Schatz

Kürzlich las ich an dieser Stelle das Wort Ratzeputz. Dazu folgende kleine Geschichte: In den frühen achtziger Jahren lebte mein Freund David aus Plymouth, England, bei uns in Karlsruhe. Eines Tages kommentierte er seine Enttäuschung darüber, dass unser gemeinsamer Lieblingstee im Laden ausverkauft war, mit den Worten: »That chinese black tea was ratzeputzly gone!« Damit war für uns ein geflügeltes Wort geboren.

Fritz Engelmann, Graben-Neudorf

 

Die Kritzelei der Woche

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Entstanden ist diese Kritzelei bei einem internationalen Workshop in Berlin zum Thema EU-Recht, -Wirtschaft und -Politikwissenschaften. Nicht dass ich mich gelangweilt hätte, aber diese Themen sind so gradlinig, dass ich Angst hatte, meine Gehirnzellen würden sich in parallelen Reihen anordnen. Und um dies zu vermeiden, habe ich dann kreuz und quer gekritzelt, allerlei kleine Bildchen und Symbole, die mir eingefallen sind. Während einer Pause hat eine Mitstudentin aus dem Kosovo – ich selbst bin ein luxemburgischer Däne – das Blatt geklaut und einige ihrer eigenen Kritzeleien zugefügt. Deshalb sind einige Details am Rande des Werks viel künstlerischer als der Rest.

Bjørn Clasen, Rollengergronn, Luxemburg

 

Was mein Leben reicher macht

Am Donnerstag bekommt mein Mann, 52, Hörgeräte. Am Freitag früh steht er neben seinem Wagen in unserer Einfahrt und sagt: »Ich höre die Vögel zwitschern!« Zum ersten Mal wieder seit 20 Jahren.

Hanna Wimmer-Goeritz, Leonding, Österreich

 

Was mein Leben reicher macht

Der erste richtige Frühlingstag! Euphorisch bugsiere ich meine Gartenmöbel vom Speicher auf den Balkon. Zurücklehnen mit einem Kaffee und Vivaldis Frühling lauschen. Das leben ist schön!

Dorothea Krause, Mainhardt, Baden-Württemberg