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Die Braue

(nach Joachim Ringelnatz)

Nachts sprießt ein Härchen in der Braue.
Ich werde wach. Es stört mich sehr.
Es kommt dann vor, dass ich sie haue.
Doch hilft es nichts. Es sprießt noch mehr.

Ein dummer Mensch spreizt sich beim Reden.
Das stört mich auch. Ich nehm‘ es hin.
Denn wollt‘ ich allen Dummen geben
von meinem Geist, wo käm‘ ich hin?

So ist es denn, dass ich bescheiden
in meiner Klugheit bleib bei mir.
Mir sprießt der Geist, das zeig ich hier.
Frag stets mich nur, warum ich Haue
so oft bekomm‘ wie jene Braue.

Bernd Kaufmann, Zweibrücken
(Gegeben des Nachts vom 03.01. auf den 04.01.2013 im Erkältungsfieberwahn!)

 

Was mein Leben reicher macht

Unser Sohn Hartmut und seine Frau kamen aus Ecuador zurück, wo sie in Quito eine Kunstausstellung installierten. Eines der Exponate bestand aus etwa 300 bunten Bürsten, die sie einem indianischen Bürstenmacher abgekauft hatten. Bei der Zollabfertigung in Quito erschraken sie ziemlich, als es hieß: »Diesen Koffer öffnen!« Doch beim Anblick der Bürsten lachte der Zöllner nur und sagte: »Ich war bei der ausstellung. Sie können weitergehen!«

Frauke Landauer, Kirchheim unter Teck

 

Filigrane Formen

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Spaziergang an einem grauen Wintertag. Kein Schnee, der die Landschaft verschönern könnte. Plötzlich bricht die Sonne durch die Wolken, fällt auf einen Busch mit kleinen, weißen Wattebäuschen. Ich trete dichter heran und tauche ein in eine filigrane Formenwelt.

Hans Günter Mischkowski, Göttingen

 

Recht und billig: Mein Wort-Schatz

Im Gespräch mit einer Schulfreundin – wir sind beide über 80 Jahre alt – finden sich immer wieder Wörter, die heute kaum noch jemand benutzt. Das heißt aber nicht, dass wir unmoderne Großmütter sind, die der Entwicklung einer lebendigen Sprache ablehnend gegenüberstehen. Wir nehmen durchaus am Leben unserer Enkelkinder teil, auch wenn sie sich anders ausdrücken. In einem Gespräch mit meiner Enkelin sagte ich neulich: »Das finde ich nur recht und billig.« Ihre erstaunte Frage »Wieso billig?« brachte mich dann allerdings doch in Erklärungsnotstand.

Heide Rudolph, Kerpen

 

Was mein Leben reicher macht

Der Bootssteg ist rutschig und von kleinen Eiskristallen überzogen, als wir den Ruderachter vorsichtig aufs Wasser legen. Um diese Zeit (5.30 uhr) liegt der Fluss noch in völliger Dunkelheit. Nur vereinzelt dringt Licht aus den College-Bootshäusern, in denen sich auch andere Ruderer aufs Training vorbereiten. Kleine Wellen schlagen gegen den Bug, als wir uns vom Steg abstoßen und auf den Fluss gleiten. Ich schließe die Augen und gebe mich dem Rhythmus der Ruderblätter hin.

Shirin Hermanns, Oxford

 

Das Kindermädchen

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Mein Leben ist seit Kurzem um eine wunderbare Begegnung reicher: Durch einen Zufall habe ich nach über 65 Jahren mein einstiges Kindermädchen wiedergefunden. Und das kam so: Ich lebe in Bonn, verbringe die Wochenenden aber meist in Andernach, wo mein Großvater nennenswertes Land besaß. Weil Reiten bei uns eine Familienkrankheit ist, hatte ich mich im Herbst bei der dortigen Reitlehrerin angekündigt, um Stunden für meine Enkel zu planen. Auf dem Weg zum Stall überquerte ich eine fremde Wiese, entschuldigte mich bei der alten Dame auf der angrenzenden Terrasse für die Grenzverletzung und nannte dabei auch den Grund meines Kommens. Die Dame ermunterte mich näherzutreten. Wir stellten uns vor, wobei ich den Namen der großväterlichen Familie nannte, der dort bekannter ist als der meine, die Dame, »Frau Saal«, lachte erstaunt: »Bei Norrenbergs habe ich gearbeitet!« Ich bat sie um ihren Mädchennamen: »Bermel« Ich fragte nach, ob sie vielleicht mit unserem heiß geliebten Kindermädchen Friedel Bermel verwandt sei. »Ich bin doch die Friedel, ich hab dort die Kinder gehütet, der Helle und die Gitty waren die liebsten Kinder. Und wer sind Sie?« – »Ich bin die Gitty.« – »Nein!« – »Doch!« Und so habe ich als Zeugnis der uralten Beziehung ein Foto aus dem Jahr 1946 ausgegraben – sie links, 19-jährig, und ich rechts, mit drei Jahren, bei der Jause in unserem Garten. Der Landwirt ist übrigens ein Verwandter von Friedel, weshalb sie – inzwischen alleinstehend und gehbehindert – in die dortige Einliegerwohnung gezogen ist. Und obwohl ich oft auf dem Hof war, um mit den Kindern Pferde zu gucken, haben wir uns erst jetzt getroffen!

Brigitte Luithlen-Neumann, Bonn

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn unser Sohn Linus (neun Jahre) mit großer Verspätung und noch größerer Begeisterung von der Schule heimkommt und schon an der Haustür ruft: »Mama, ich hab dir was mitgebracht!« Im Sommer eine Handvoll Himbeeren, im Herbst Blätter und Kastanien – und im Winter auch gerne mal eine Riesen-Eisscholle vom nahen Bach…

Anja Dolder, Hünibach, Schweiz

 

Gewogen: Mein Wort-Schatz

Wenn mir meine Freundin am Ende ihres Briefes schreibt: »Bleibe mir gewogen«, dann fühle ich mich wichtig genommen, dann ist gewogen, gewichtig, wichtig, nicht nur ein Wortspiel.

Luise Beyerlein
, Neustadt an der Aisch, Mittelfranken

 

Was mein Leben reicher macht

Er kommt reichlich spät von einem Streifzug mit »seinen Jungs« zurück, küsst mich und steckt mir dabei eine dieser Werbekarten zu, die manchmal in Kneipen ausliegen. Ich dreh sie um, »Heisses Fahrgestell« steht drauf. und das nach fast 16 Jahren!

Katharina Schad, München

 

Was mein Leben reicher macht

Im September lernte ich auf dem Frankfurter Flughafen Inga aus Litauen kennen. Ich hatte ihr den Weg zur S-Bahn gezeigt, nur um dort festzustellen, dass wir eigentlich die gleiche Linie nehmen können. Während der kurzen Fahrt empfanden wir beide das gleiche: Glück. Seitdem schreiben wir uns. Im März werden wir uns in Litauen treffen, im Juni in Schottland.

2013 wird ein gutes Jahr!

Dietmar Finger, Rödermark, Hessen