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Nichtsdestotrotz: Mein Wort-Schatz

Als mir kürzlich die Handtasche geklaut wurde, schrieb ich einer Freundin, nichtsdestotrotz würde ich meine gute Laune behalten. Nichtsdestotrotz – aus drei Teilen zusammengesetzt: Nichts – war mir geblieben. Desto – da kündigt sich die Wende zum Positiven an. Trotz – ich lasse mich nicht unterkriegen. Das Ganze zischelt und raschelt zudem wie eine wütende Schlange: Das Wortungetüm könnte zum Lebensmotto mutieren.

Gisela Schreiber, Mainz

(Anm.d.Red.: Auf diesen Eintrag gab es eine Reaktion von Leser Hans Heller.)

 

Die Kritzelei der Woche

Anfang des Jahres habe ich bei der Post als Brief- und Paketzustellerin gearbeitet. Damit ich den Überblick in meinem Postbus nicht verlor, half mir jeden Tag ein Routenplan als Gedankenstütze. Darauf markierte ich, bei welchen Adressaten ich Pakete abzuliefern hatte, damit ich dort nicht vorbeirauschte. Eines Abends saß ich ziemlich erschöpft am Esstisch, bekam einen paketfarbenen Filzer in die Hand und ließ alle Verzweiflung aus mir heraus, die eine Paketzustellerin nur haben kann. Hochachtung vor allen Paketboten dieser Welt, die unser neues Kaufverhalten (via Internet) ausbaden müssen!

Hilke Theis, Wyk auf Föhr

 

Was mein Leben reicher macht

Ich fahre morgens gegen sieben von Emden in Richtung Leer. Nebel steigt aus den Wiesen auf, und vor mir schreiten schwarzbunte Kühe auf einer Brücke über die Autobahn. Dieses Bild ist seit Tagen mein »Bildschirmschoner« im Kopf.

Margaretha Burggraf, Emden

 

Ich kann nicht mehr

(nach Bertolt Brecht, »Sonett Nr. 19«)

Nur eines möcht ich nicht: gebunden sein.
Will dich nur hören, wenn du nichts beklagst.
Bin froh, wenn du zu manchem nichts mehr sagst.
Ich wünschte mir, dir ging es gut allein.

Und wärst du einsam, möcht ich dich nicht sehn.
Zum Urlaubmachen bin ich gern bereit.
Auch ohne dich verbring ich gerne Zeit.
Hab Angst, mit so viel Liebe umzugehn.

So gilt kein »Halt mich, gib mir deine Nähe!«
So gilt kein »bleib!« und nur ein »wolln mal sehn«.
Verantwortung, zu der ich nicht mehr stehe.

Du weißt, ich bin mit dir nicht wirklich frei
Das aber brauche ich, wie’s immer sei.
Ich kann nicht mehr, wie soll das weitergehn?

Heike Hagemeister, Heroldsbach, Oberfranken

 

Was mein Leben reicher macht

Der Mann kommt in Begleitung der Polizei zu unserer psychiatrischen Notaufnahme. Leicht ist zu erkennen, dass er zurzeit nicht mehr zurechtkommt. Er wirkt verzweifelt und will sich sofort in Behandlung begeben. Aber er macht sich Sorgen um seine beiden Kaninchen, die sein Ein und Alles sind. Spontan erklären die Streifenbeamten, sie würden sich um die Tiere kümmern, solange der Mann in der Klinik sei. Erleichtert rutscht es ihm da aus dem Mund: »Gute Bullen!« Recht hat er.

Michael Kämper, Hattersheim am Main

 

Das Lebenszeichen

Anfang 1945 lebten meine Großeltern in Stuttgart, meine Mutter wohnte mit mir und meinem kleinen Bruder in Schramberg im Schwarzwald. Mein Vater war Sanitäter in einem Lazarett. Während der vielen Bombenangriffe auf Stuttgart machten wir uns im Schwarzwald immer große Sorgen. In Stuttgart wurdenKarten für eine »Eilnachricht« nach Bombenangriffen ausgegeben, die man portofrei versenden konnte, was mein Großvater anscheinend nicht wusste, die Marken wurden daher nicht gestempelt. Nach dem Angriff vom 29. Januar 1945 schrieb mein Großvater aus Stuttgart an meine Mutter: »Gestern Nacht Bomben auf Neue Weinsteige, Westen, Botnang, Vaihingen, Möhringen usw. Wir hatten keinen Schaden. Wir waren dreimal im Stollen bis 12 1/2 Uhr Nachts. Herzliche Grüße Vater und Mutter. Wer in Deutschland kennt heute noch den Schauder und die Angst, die einen überkamen, wenn man die Sirenen hörte und nachts davon aufwachte? Und dann erst, als man die Einschläge hörte! Immer wieder denken wir an die Menschen in Syrien, die so etwas heute erleiden.

Helga Lauxmann, Karlsruhe

 

Was mein Leben reicher macht

Meine Familie und ich in der Pizzeria: Als meine Pizza Hawaii endlich kam, war sie nicht rund. »Guck mal, ein Herz«, sagte der Kellner. Da wurde ich knallrot.

Johanna Nolden, Dürnau bei Göppingen

 

Wohlweislich: Mein Wort-Schatz

Heute in alten Tagebüchern meiner Mutter gelesen. Sie nahm zu einem Besuch wohlweislich einen Napf Heringssalat mit, in der Annahme, dass die junge Hausfrau zum Mittagessen kaum etwas Gescheites bereithalten würde. Ein unerwartetes Wort; ich stockte beim Lesen. Nicht besserwisserisch überlegen, es fährt keinem über den Mund. Eher bedeutet es: vorausschauen, Realität einkalkulieren, und Notwendiges stillschweigend tun. Ich finde, es ist ein freundliches Wort und sollte nicht aussterben.

Rosemarie Bottländer, Odenthal, Nordrhein-Westfalen

 

Das ist mein Ding

Diese Baby-Weste aus Filz hat meine Mutter in den Jahren 1949 und 1950 für mich genäht und eigenhändig bestickt. Das kleine Teil hat einen Ehrenplatz in meinem Schrank, und mir wird immer ganz warm ums Herz, wenn ich es in die Hand nehme. Meine Mutter lebt nicht mehr, aber die Erinnerung an sie und ihre Liebe bleibt lebendig.

Ulrike Fort, Köln

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Mann sammelt Verschlussclips. Von jeder Toastpackung, jeder Kekstüte hebt er sie auf, weil man die vielleicht noch mal braucht. Auf dem Gewürzregal steht eine ganze Dose voller Gummibänder, Klammern und Verschlussclips, aber die ist schon voll. Deshalb sammelt mein Mann die Clips in einem losen Häufchen zwischen den Gewürzstreuern. Wenn das Häufchen zu groß wird, werfe ich sie alle weg. Mein Mann weiß das. Es ist ein stillschweigendes Übereinkommen: Er darf sammeln, ich darf wegwerfen. Ich mag meinen Mann!

Friederike Schwencke, Braunschweig