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Was mein Leben reicher macht

Für zwei Jahre ist meine Lieblingsfreundin als Entwicklungshelferin in Amazonien. Ich vermisse sie oft. Vor einigen Tagen erreicht mich eine EMail von ihr aus dem Regenwald: »So langsam ist es an der Zeit, wieder nach Jobs in Deutschland Ausschau zu halten. Das Erste, was wir dann tun sollten, ist, im Straßencafé zu sitzen und Cappuccino zu trinken.«

Inken Köhler, Berlin

 

Zeitsprung

1970

2011

Wir besuchten das Dorf Molekuleta in Liberia zum letzten Male im Jahr 1971, bevor wir das Land verließen. Ich war damals angestellter Lehrer an der Deutschen Auslandsschule der Bong Mining Co. (BMC), eines Eisenerz-Bergbaubetriebs mit deutscher Beteiligung. Das Foto stammt von 1970, es zeigt Old Man Abraham, den Town Chief von Molekuleta, mit unserer kleinen Tochter Katharina auf dem Arm. 1990 stellte der Betrieb seine Produktion ein. Es folgten 14 Jahre schrecklicher Bürgerkrieg. Im Jahre 2011 besuchte ich mit unserer Tochter das Krankenhaus der damaligen Siedlung, in dem sie geboren worden war. »Made in Bong Town 1968« steht auf ihrem T-Shirt – das machte dort großen Eindruck! Und wir besuchten die ehemalige Schule der Bong-Mining-Arbeiter. Viel mehr war von unserer Siedlung und dem Industriebetrieb nicht übrig geblieben. Aber wir trafen dort eine gute Freundin von damals wieder, Margaret Stewart, nun die Schulleiterin! Wir gründeten den Verein Bong AID e.V. (www.bongaid.de) und helfen jetzt dem Krankenhaus und der Schule.

Hartmut Welzel, Ratekau-Kreuzkamp

Anm. d. Red.: Uns erreichte der Hinweis, dass die Bong Mining Co. den Betrieb bereits 1990 und ncht 1992 einstellte. Wir haben den Fehler korrigiert.

 

Sanftmut: Mein Wort-Schatz

Mein Wortschatz ist die Sanftmut – für mich ein Synonym für Geduld und Besonnenheit, Zuwendung und Wärme. Woran mag es wohl liegen, dass ich nur noch selten auf dieses Wort treffe? Bei einem Vokabeltest mit meinen Schülern täuschten sich fast alle im Genus des Substantivs: Sie glaubten, es heiße »der« Sanftmut. Sie dachten an »Mut« und an die Regel, dass das Genus des letzten Wort-Bestandteils über das Genus eines zusammengesetzten Wortes entscheidet. Etwa: die Tür/das Schloss -> das Türschloss. Warum die Regel nun bei »Sanftmut« nicht funktioniert, konnte ich leider noch nicht herausfinden.

Evelyne Ohngemach, Bad Ditzenbach

 

Was mein Leben reicher macht

Den Glauben ans Theater hatte ich verloren. Nichts gefiel mir mehr. Nur meiner hier studierenden Enkelin zuliebe ging ich nach zehn Jahren wieder ins Staatsschauspiel in Dresden; sie forderte kess den alten Mann heraus: »Du musst doch wach bleiben, Opa!« Der Chefdramaturg hält vor dem Beginn eine Einführung zu Kleists Käthchen von Heilbronn. Und reißt mich mit seinem Vortrag unerwartet hinfort. Noch bevor das Theater losgeht, weiß ich es wieder: warum ich diese Kunstform liebe! Welche Verve, welche Liebe zur Literatur strahlt der junge Mann aus! Warum nur war ich so verstockt und habe mich so lang dem Theater verweigert? Unbegreiflich. Die Vorstellung ist modern und wunderbar, und beim guten Rotwein nach dem Theater schaue ich stumm meine Enkelin an: Sie ist erst 20 und weiß mehr vom Leben als ihr sturer Opa. Wie kann ich ihr nur danken? Ob sie diese Zeilen liest?

Thomas Voigt, Dresden

 

Wiedergefunden: Feldpost an Papa


Während die Erwachsenen unter den Schrecken des Vernichtungskrieges litten, hatte ich als achtjähriger Junge vom Dorf andere Sorgen, wie diese Feldpost zeigt. Was mich so beeindruckt: dass meine Mutter den Brief wirklich abschickte und mein Vater ihn in allen Kriegswirren auch erhielt. Dass er ihn aufbewahrte und mitnahm, als er verwundet aus Stalingrad herausgeflogen wurde, und ihn während der Kriegsgefangenschaft immer bei sich trug. Heute berührt es mich, dass meine Eltern mich und meine Seelenpein so ernst nahmen. Übrigens strotzten meine Briefe vor Rechtschreibfehlern, obwohl ich regelmäßig stolz berichtete, ich hätte wieder null Fehler im Diktat geschafft … und trotzdem bin ich später Lehrer und Lehrer-Ausbilder geworden.

Günter Heizmann, Braunschweig

 

Tintos Zeitsprung

2011

2012

Unsere Katze Tinto scheint ein gewisses Interesse an Politik zu haben; vielleicht ist es aber auch nur das unwiderstehliche Rascheln der grossformatigen ZEIT. Jede Woche macht Tinto ihren eigenen „Zeit-Sprung“ und landet auf einer der ersten Seiten sobald ich mit der Lektüre beginne. Mittlerweile ist sie ausgewachsen, posierte aber bereits im Januar 2011 im Alter von zwölf Wochen mit Joachim Gauck – damals wie heute Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten.

Regina von Fürstenberg Ruffieux, Rechthalten, Schweiz

 

Was mein Leben reicher macht

Freitag, kurz nach 17 Uhr. Ich fahre meinen Rechner im Büro herunter, zum letzten Mal für zehn Monate: Meine Elternzeit beginnt. Ich freue mich riesig auf die Zeit mit unserer Tochter. Allerdings habe ich auch großen Respekt vor dieser Aufgabe. Wie werden die Nächte? Wie schnell kann ich ein Fläschchen zubereiten, wenn’s drauf ankommt (übermüdet, im Dunkeln, unter Dauergeschrei)? Egal, kleine Magdalena, wir werden das schon hinbekommen!

Robert Minge, Wendelstein

 

Im Rubikon

(Nach Friedrich Schiller, »Der Ring des Polykrates«)

Er stand auf seines Amtssitz Zinnen,
Er schaute mit betrübten Sinnen
Auf das verlorene Berlin:
Dies alles war mir untertänig,
Ach Gott, ich war doch ziemlich dämlich,
Kaum glaublich, dass ich draußen bin.

Ich hab der Gönner Gunst erfahren,
Die niemals meinesgleichen waren,
Sie wollten nur an meine Macht.
So machte ich das Beste draus:
Kredit und Urlaub? »Geht aufs Haus.«
Ich hab mir nichts dabei gedacht.

Die Phase war zudem geendet,
Von Merkels Gnaden hergesendet,
Stand ich auf einmal anders da:
Das Schloss Bellevue, so schick und edel,
Ganz anders als in Großburgwedel,
Was soll ich da auf Mallorca?

Es schien mir alles wohlgeraten
Bei meinen präsidialen Taten,
Ich war auch immer aufrichtig
Erfreut an all dem Glanz und Glamour.
Am Ende gabs nur ein Dilemma:
Die Presse war zu neugierig.

So endet es nun hier mit Grausen,
Ich kann im Schloss nicht ferner hausen,
Mein Freund will keiner weiter sein.
Diekmann & Co sind mein Verderben,
Schier alles sinkt herab in Scherben,
Und nicht mal abbezahlt mein Heim!

Albrecht Prestel, Frankfurt a.M.

 

Durmseln: Mein Wort-Schatz

Oft liege ich im Bett und klage darüber, nicht einschlafen zu können. Wann immer meine Mutter das mitbekommt, sagt sie: „Wieso, ist doch auch schön einfach so vor sich hin zu durmseln.“ Ich weiß nicht woher das Wort kommt, und kann es leider auch in keinem Wörterbuch finden. Zu schade, es ist doch so schön. Durmseln, dass klingt wie Amseln. Und erweckt die Vorstellung von Vögeln, die nebeneinander im aufgeplusterten Federkleid auf einem Ast sitzen, geborgen und voller Gemütlichkeit. Durmseln ist manchmal noch besser als schlafen, denn man nimmt die wohlige Wärme bewusst wahr.

Johanna Köpp

 

Was mein Leben reicher macht

Geburtstag feiern mit meinen Eltern, meinem Bruder und meinem Freund. Anlässlich meines 25. Geburtstags besuchte mich meine Familie in meiner Studentenbude in Innsbruck. Die Heizung funktionierte seit Tagen nicht mehr, der geschenkte Mantel in XL war vier Nummern zu groß – aber ich war das glücklichste Geburtstagskind der Welt, einfach nur weil ihr da wart!

Odile Schmidt, Innsbruck