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Was mein Leben reicher macht

Voller Vorfreude auf den Urlaub, aber auch mit leichtem Unbehagen stieg ich in diesem Sommer in den Nachtzug von München nach Venedig.  War ich vielleicht etwas zu mutig, allein mit dem Zug meinem Mann vorauszufahren? Wer würde mit mir im Abteil reisen? Wie würde ich die Nacht im Sitzen überstehen? Als erstes stieg ein junges Ehepaar aus den USA ein. Wenig später kam noch ein  junger Mann aus Australien dazu. Wir kamen sofort ins Gespräch, und es entwickelte sich ein lebhafter Austausch über das Leben in Arizona, das Studentenleben in Sydney und meine eigenen Kindheitserfahrungen im ehemals geteilten Berlin. An Schlafen war nicht mehr zu denken und scheinbar im Nu fuhren wir im Bahnhof S. Lucia/ Venedig ein. Wir hatten, auch zum großen Erstaunen der Schaffner, die ganze Nacht geredet und gelacht! Danke Rick, Keira und Matt, dass ihr mich als Fünfzigjährige mühelos in alte Interrail-Zeiten versetzt habt und mir den Eindruck vermittelt habt, dass ich mich noch auf Englisch verständigen kann! Die Erinnerung daran macht mein Leben in diesen  Herbsttagen unbedingt reicher.

Martina Blumenstock, Weisendorf

 

Biesekater: Mein Wort-Schatz

7.00 Uhr in der Frühe. Ich schaue aus dem Fenster und sehe in der Ferne aufziehende Morgenröte. Auf der gegenüberliegenden Wiese liegt eine dicke Nebelschicht: Biesekater. Vor meinem Haus zwei joggende ältere Damen; und ich erinnere mich an eine längst vergangene Zeit, in der Altwerden noch als normaler Lebensprozess angesehen wurde, begleitet von Ruhe und Gelassenheit. Es war später Nachmittag und auf dem gegenüberliegenden Feld zog Nebel auf. Oma und Großtante saßen auf einer Bank vor dem Haus und ich zwischen ihnen. Sie sprachen plattdeutsch und ich verstand kein Wort, fühlte aber: hier bin ich genau richtig; schnappte das Wort „Biesekater“ auf und machte mir meine eigenen Gedanken. Tempi passati – oder doch nicht ganz. Erinnerung bleibt!

Beate Kipp, Gütersloh

 

Zeitsprung

1930

2006

Das linke Foto stammt aus dem Jahr 1930. In diesem Haus in Dresden wurde ich geboren. Die Adresse damals: Bendemannstraße 11. Die Nazis änderten den Straßennamen 1933 sofort in Rugestraße, denn Eduard Bendemann war Jude gewesen, ein angesehener Maler der Romantik und des Biedermeier. Leider hat es die Dresdener Stadtverwaltung weder zu Zeiten der DDR noch nach der Wende für nötig gehalten, die Umbenennung rückgängig zu machen. Meine Eltern zogen, als ich noch sehr klein war, ins angestammte Rheinland zurück. Ich kam erst 1995 wieder nach Dresden. Da sah das Haus noch fast so aus wie auf dem alten Foto. Die Bombenangriffe hatte es verhältnismäßig unbeschädigt überstanden und stand nun unter Denkmalschutz. 2006 reiste ich anlässlich der Wiedereröffnung der Frauenkirche wieder nach Dresden und besuchte auch die Rugestraße 11. Was für eine Überraschung! Da glänzte die neue Fassade wie auf dem rechten Foto – und auf einer großen Bautafel bot eine Bauträgergesellschaft »luxuriöse Eigentumswohnungen an.

Carl Maria Bloser, Estoril, Portugal

 

Was mein Leben reicher macht

Fünf Tage lang haben wir ihn verzweifelt gesucht. Dann konnten wir unseren Kater Nemo endlich orten: Ein leises Miauen hinter der Badewannenverkleidung gab den Hinweis. Bei Handwerksarbeiten war er unbemerkt hinter die Verkleidung gelangt und eingemauert worden. Niemand hatte an so was gedacht! Unsere Freude und Erleichterung war riesengroß und nicht ohne Erschütterung. Nemo nahm es eher gelassen.

Rita Herber, Bad Camber

 

Überzwerch: Mein Wort-Schatz

Im Duden ist vermerkt, dass das Wort überzwerch in Süddeutschland beheimatet sei und unter anderem »quer« oder »verschroben« bedeute. Ich habe es in meiner Kindheit von beiden Eltern ab und zu gehört. Von der Mutter eher bei praktischen Problemen: »Das passt so nicht, wir müssen es überzwerch nehmen.« Der Vater verwendete das Wort gern zur Charakterisierung von Meinungen und Zeitgenossen, die, wie das Zwerchfell im Körper, quer lagen. Ich möchte nicht, dass der Ausdruck ganz aus dem Sprachgebrauch verschwindet, zumal er sich oft auch zur Kritik an Leserbriefen und manchen Zeitungsbeiträgen so gut eignet.

Klara Klotter, Kehl

 

Was mein Leben reicher macht

Als ich alter Mann neulich nicht so recht auf mein Fahrrad kam, meinte ein kleines Mädchen: »Onkel, besser, du gehst zu Fuß!« Zum Niederknien: So viel Weisheit und Fürsorge im Zuspruch eines Kindes! Sei bedankt, du kleine Ahnungsvolle!

Lothar Rehfeldt, Lübeck

 

Was mein Leben reicher macht

Am Abend müde und abgekämpft nach Hause kommen und ein Päckchen aus Wien vorfinden. Inhalt: eine original Sachertorte, ein Fläschchen Sekt und ein Gruß von meiner lieben Freundin Maria.

Heidrun Becker, Zürich

 

Almdudler

(Nach Johann Wolfgang von Goethe, »Mailied«)

Wie spärlich deucht uns
Die Bergnatur!
Wege beschwerlich!
Steinig die Flur!

So arm die Dörfer,
Der Ortskern trist.
Bei Bauern und Kühen
Bleibt kein Tourist!

O kommt, Milliarden!
Komm, Investition!
Kommt, all Ihr Ölscheichs!
Komm, Wüstensohn!

Du segnest herrlich
Die Bergregion
Mit Discos und Wellness
Und manch Attraktion.

O Golf am Gipfel!
O Skywalk-Fun!
O Mega-Skizirkus
Und Almflitz-Bahn!

High seid Ihr Älpler
Im Highlight-Trend.
Bleibt ewig glücklich
Im Super-Event!

Heide Jahnke, Buchenbach

 

Was mein Leben reicher macht

Beim Besuch meiner 90-jährigen Mutter gemeinsam mit meiner Frau Rommé zu spielen. Meine Frau stammt aus Indien, und Kartenspielen galt ihr bisher als Teufelswerk. Doch zu meiner Überraschung bat sie mich im vergangenen Jahr, ihr das Spiel zu erklären. So sitzen wir jetzt beisammen, und je nach Spielsituation ärgern wir uns, jauchzen wir oder bluffen – fast wie zur Kinderzeit.

Klaus Haller, Ostfildern-Kemnat