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Die Forelle

(nach Christian Friedrich Daniel Schubart)

Im Bächlein, das einst helle,
Da trieb in zäher Eil
Altölig die Forelle
und schnappt’ nach Luft und Heil.
Ich stand am dürren Ufer
und war ganz ohne Ruh
und sah dem Hilferufer
Im trüben Bache zu.

Und als die Frau Minister
Mit mir am Ufer stand,
Leiert’ sie ihr Register
und trübt’ mir den Verstand.
Solang dem Wasser Helle,
so sagt’ ich, nicht gebricht,
so lang stirbt die Forelle
In ihrem Bächlein nicht.

Da schalt sie mich rückständig,
Der Fortschritt sei gefragt,
Der Tierschutz zu aufwendig,
Hat sie mir laut gesagt.
Das Fischlein war hinüber,
Im zähen Sumpf erstickt,
Ich war entsetzt darüber,
Als ich das Tier erblickt’.
Die Werbung aber dröhnte
Und schrieb »fangfrisch« dazu.
Alles, was sie verschönte,
Das kaufe ich im Nu.

Josef Rossa, Weerberg, Österreich

 

Mein Feind der Giersch

(nach Alexandra, »Mein Freund der Baum«)

Ich wollt dich nie mehr wiedersehn,
mein alter Feind seit Kindertagen!
Ich hatte manches dir zu sagen
und wusste, du wirst nichts verstehn.
Als kleiner Junge kam ich schon
zu dir, mit täglich neuer Sorge.
Ich fühlte mich von dir betrogen,
und mancher Kummer kam davon.
Doch hab ich nie um dich geweint.
Riss dich heraus mit deinen grünen Blättern.
Weit übern Zaun, mein alter Feind!

Mein Feind der Giersch, er lebt,
seht nur, wie er zum Himmel strebt!

Du wächst zu schnell, ich kam zu spät.
Ich werde dich wohl nie besiegen.
Und bleibst du auch am Wege liegen,
und jeder, der vorübergeht,
der achtet nicht den Rest von Leben
und tritt auf deine grünen Blätter.
Die tiefen Wurzeln aber bleiben.
Du wirst mir niemals Ruhe geben,
und müde wird mir meine Hand.
Mein ärgster Feind, ich hab verloren,
dich aus dem Garten nie verbannt.

Mein Feind der Giersch, er lebt …

Wächst auch ein Haus aus Glas und Stein,
dort, wo man ihn hat ausgegraben.
und werden auch die Mauern ragen,
dort wächst er doch im Sonnenschein.
Niemals wird es ein Wunder geben,
ich werde auch nicht darauf warten,
er wächst ja doch in meinem Garten,
denn er erwacht zu neuem Leben.
Erst ist er dann noch schwach und klein,
und wenn auch viele Jahre gehen,
es wird doch stets dasselbe sein.

Mein Feind der Giersch …

Hans G. Schneider, Mönkeberg

 

Wie wär ich in Bayreuth so gern

(nach Richard Wagner, »O du, mein holder Abendstern«)

Der Kartenwunsch verlief erneut im Sande,
der Rheingold-Preis zu hoch. uns schwante:
Der Vorverkauf – noch immer krankt
er am System, das er dem Hügel dankt.

So kommt auch der Gewerkschaftsboss aus Herne,
der kleine Schlagerstar hört die Walküre gerne,
der große Beckenbauer gönnt sich mal
statt seiner Champions League den Parsifal.

Oh Tristan, wie säh’n wir dich gern,
wenn doch auch wir mal in Bayreuth wär’n,
und hörten Elsas Liebeslied,
bevor ihr Lohengrin weiterzieht.
Doch selbst aus Siegfried wird nichts werden –
in Wagners Welt, der so verkehrten.

Kurt Wagner, Bonn

 

Der lyrische Otter

(nach Christian Morgenstern »Das ästhetische Wiesel«)

Ein Otter
fraß an einem Dotter
mitten im Flussbettschotter
Warum
denn nur?
Der Sonnen-Ur
erklärts mir stumm
im Regen:
Das hochgescheite
Tier aß Ei
der Verse wegen.

Andreas Gers, Nottuln, Nordrhein-Westfalen

 

Der Jaguar

(nach Rainer Maria Rilke »Der Panther«)

Er kann jetzt raus;
statt Stäben sieht er Gitter;
kann, wann er will, ins Haus,
– vor allem bei Gewitter.

Doch ist es wie bei Rilke:
gefangen sein ist schwer;
nur wenn die kleine Silke
ihm winkt, schaut er mal her;

und fällt dann sogleich wieder
in seinen stumpfen Trott;
– doch wär’n die edlen Glieder
nur frei – dann b’hüt’ di’ Gott!

Lorenz L. Göser, Kressbronn

 

Deutung

(nach Robert Gernhardt »Deutung eines allegorischen Gemäldes«)

Fünf Männer rund ums
Mittelmeer –
wer sind die fünf?
Wofür steht wer?

Des Spaniers Auge
blutigrot –
das ist die Not
das ist die Not

Italien hält an Silvio
fest –
das ist die Pest
das ist die Pest

Der Grieche sitzt in grauem
Kleid –
das ist das Leid
das ist das Leid

Der Zyprer geifert
giftignass –
das ist der Hass
das ist der Hass

Der Deutsche bringt stumm Geld
herein –
das wird der
Geldreinbringer sein.

Heinz-Jürgen Schmidt, Hasbergen, Niedersachsen

 

Die Pollen sind frei

(nach dem Volkslied »Die Gedanken sind frei«)

Die Pollen sind jetzt frei,
Wer kann sie einfangen?
Sie fliegen vorbei
Und lassen mich bangen.
Das Schnupfen und Niesen
Kann keiner begrüßen.
Und dennoch bleibt’s dabei:
Die Pollen sind jetzt frei!

Ich schnäuze viel zu viel,
Was mich sehr bedrücket.
Und das nicht in der Still’,
So wie es sich schicket.
Es rinnen die Tränen
Wie aus Wasserhähnen.
Es bleibt wohl dabei:
Die Pollen sind jetzt frei!

Und sperrt’ ich mich ein
Im finsteren Kerker,
Das alles wären rein
Vergebliche Werke.
Denn ach, diese Pollen,
Die nicht da sein sollen,
Sind immer dabei,
Denn die Pollen sind jetzt frei!

So muss ich wohl leider
Die Plage ertragen,
und werd mich auch weiter
Mit Tempos rumschlagen.
Ich kann ja im Herzen
Stets lachen und scherzen:
Die Pollen sind jetzt frei,
Doch auch das geht mal vorbei!

Inge Knechtel, Aichwald

 

Urlaub in Bayonne

(nach Heinrich Heine »Mein Herz, mein Herz ist traurig«)

Mein Herz, mein Herz ist traurig,
Doch lustig leuchtet der Mai.
Ich lieg mit gebrochenem Bein
im Krankenhauseinerlei.

Da drunten blühen die Blumen,
Die Palmen winken mir zu.
Statt im Atlantik zu schwimmen,
Weile ich in erzwungener Ruh.

Das Personal ist freundlich
in weißer und blauer Gestalt,
Versorgt mich mit allem, was nötig.
Ich vermisse Wiesen und Wald.

Die Ärztin versorget die Brüche,
ist freundlich und geschickt.
Die Schwester hat neu verbunden,
Was operativ geflickt.

Auf dem Dache gegenüber
Ein Helikopter steht.
Er wartet auf seinen Einsatz,
Wenn’s jemand wie mir ergeht.

Viel Schlimmes kann passieren
Zwischen Morgen- und Abendrot,
Viel kann man reparieren.
Ich freu mich: ich bin noch nicht tot.

Andrea Dresely, Pöttmes-Wiesenbach, Bayern

 

Flutlied

Nach Matthias Claudius – KRIEGSLIED (1779)

S‘ ist Flut! s‘ ist Flut! O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
s‘ ist leider Flut — und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt‘ ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Durchnässt und bleich und blass,
Die Geister der Ertrunk‘nen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wack‘re Leute, die sich Heimat suchten,
Verzweifelt und halb tot
Im Schlamm sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer großen Not?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor der Flut,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Verwünschten mich voll Wut?

Wenn Hunger, böse Seuch‘ und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich‘ herab?

Was hülf‘ mir i-pod, Land und Geld und Ehre?
Die könnten mich nicht freu‘n!
’s ist leider Flut — und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Franz Richter, Hannover, Niedersachsen

 

Descartes

(nach Robert Gernhardt »Kant«)

Eines nachts ward es Descartes
gewahr, dass sein Geburtstag naht.

Her und hin dreht er’s im Sinn:
Wie kann’s nur sein, dass ich – Ich bin?

Und: wohin geh’ ich, komm’ – woher?
Schlaf fiel ihm, wie auch das Denken schwer.

Er wälzte sich im Bettgestell,
die Nacht wurd’ lang, sein Geist nicht hell,

war schließlich ganz gedankenfrei,
nicht gar mehr denkend, dass er sei.

Erst als bereits der Morgen graute,
blies Frischwind in die Denkerflaute,

und führte ihn zu neuer Denke:
»Gibt’s da nicht bald für mich Geschenke?«

Dies bracht ihn wieder zu sich:
»Ich hab’ gedacht!!! – Also bin ich !!!!«

Gregor Murmann, Xanten