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Gefunden

(Nach Johann Wolfgang von Goethe, »Gefunden«)

Ich ging zum Buchmarkt
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Wie unerwartet
Sah ich sie stehn,
Ein Buch beschauend,
Sie war sehr schön.

Ich stand noch bebend,
Sie sah ins Buch
Und frug mich jählings,
Ob ich was such’.

Öhm, nichts Bestimmtes
Hätt’ ich im Sinn,
Ich ging’ hier einfach
So für mich hin.

Doch da sie frage,
Just fiel mir ein,
Ich hätt’ ’nen Garten,
Den nennt’ ich mein.

Dort könnt’ man pflanzen,
Was sag’ ich: blühn!
Und Wurzeln schlagen,
Ein Kind großziehn …

Ich drängte zum Aufbruch,
Da sprach sie fein:
Sollt’ ich zum Welken
Gebrochen sein?

Sie zog von dannen,
Ließ mir den Band,
Darin ich Reime
Von Goethe fand.

Benjamin Dober, Freiburg

 

Herr von Olpe

(Nach Theodor Fontane, »Herr von Ribbeck«)

Herr von Olpe aus Olpe im Sauerland,
Ein Schwenkgrill in seinem Garten stand,
Und kam die schöne Grillwurstzeit,
Die Holzkohle qualmte weit und breit,
Da packte, wenn’s sechse vom Kirchturm scholl,
Herr von Olpe die Plastikteller voll.
Und kam der Nachbar, so rief er: »Heinz!
Willste zwei Würstchen oder nur eins?«
Und kam der andre von Hausnummer vier,
Dann rief er: »Erich, ich geb dir ein Bier.«

So ging’s viele Jahre, bis irgendwann
Herr von Olpe sich zu verändern begann.
Es kam die goldene Grillsaison,
Sanft quoll der Rauch vom Schwenkgrill schon,
Da klagte von Olpe: »Ich kann nicht mehr.«
Er gab Schürze, Zange und Bierglas her,
Schob unter Tränen den Teller weg,
Das Bauchfleisch auch und das Besteck.
Die Gattin, Ratlosigkeit im Gesicht:
»Schatz, schmeckt etwa heut das Bauchfleisch nicht?«
Von Olpe sagte: »Mit Grillen ist’s aus.
Ich mag nicht mehr essen, ich gehe ins Haus.«

Die Familie war sprachlos und ungewiss.
Des Rätsels Lösung: Am Kaugebiss
Hatte Löcher genagt der Zahn der Zeit,
Ruinen leuchteten weit und breit,
Und biss Herr von Olpe in knusprige Krusten,
Dann schmerzten die Zähne, was die Leute nicht wussten.
Und sagte der Heinz: »Junge, trinkste eins mit?«,
dann verbarg er mit Mühe die Pein, die er litt.
Die Zeit verstrich. Der Zahnschmerz zwang
Herrn von Olpe zum elenden Büßergang.

Er besuchte den Zahnarzt. Der sagte nur:
»Nichts als Ruinen auf weiter Flur!«
Von der Geschichte die Moral:
Der Zahnschmerz führt zur Höllenqual.
Wer Liebe hegt zu Steak und Würsten,
Muss täglich seine Zähne bürsten!

Jutta Strzalka, Oberhausen

 

Ist er’s?

Liebe ZEIT-Leserinnen und -Leser, haben Sie Lust auf ein wenig Original-Lyrik? Und auf ein wenig Frühling? Also:

»Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’s!
Dich hab ich vernommen!«

So klingt das bei Eduard Mörike, dem schwäbischen Dichter-Pfarrer. Sein Gedicht »Er ist’s!« scheint bei den Parodisten unter Ihnen besonders beliebt zu sein – nur manches Rilke-Gedicht ist noch öfter Vorlage für Ihre Einsendungen. Was also spricht dagegen, jetzt, wo auch die Eisheiligen schon bald überstanden sind, gleich vier Umdichtungen dieses wunderbaren Frühlingsgedichts zu bringen? Eine Variation mit vier ganz verschiedenen Themen sozusagen …

Wolfgang Lechner

 

(Nach Eduard Mörike, »Er ist’s!«)

Frühling lässt das Meterband
wieder flattern um die Hüfte;
Fette, prall geformte Wülste
Greift die ahnungsvolle Hand.
Hosen spannen schon,
Aßest wieder Tonnen.
So, das hast du Dickmops nun davon!
Fettsack, ja du frisst!
Du hast zugenommen!

Iris Braig, Karlsruhe

 

Frühling lässt die lauten Bands
Wieder lärmen durch die Lüfte;
Grillwursts wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Fans, die träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein harter Schlagzeugton!
Open-Air, du bist’s!
Dich hab ich vernommen!

Wolfgang Tzschaschel, Gernsbach, Baden-Württemberg

 

Aus der Nordsee tiefsten Tiefe
Steigen Gase in die Lüfte;
Gift’ge, unheilvolle Düfte
Wabern dräuend bis ans Land.
Total und Shell, die wussten’s schon:
Löcher kann man schwerlich stopfen.
– Horch, ein stetes höllisch’ Brodeln!
Mammon, ja, du bist’s!
Dich hab ich vernommen!

Elke Loubier, Marne, Schleswig-Holstein

 

Der Frühling,
dieser Blaubandflatterluftikus
und Duftikuslandstreifer,
wurde vernommen.
Gestanden
hat er
nichts.

Manfred Jobst, Marburg

 

Das Kreuz mit dem Schiff

(Nach Johann Wolfgang von Goethe, »Mignon«)

Kennst du das Schiff, die Meere pflügt es kühn,
Wo Geister, zahllos, sich um dich bemühn,
Wo selbst des Schiffes Schraube sich um dich dreht,
Ein Herr im Dinnerjacket auf der Brücke steht.
Man will dein Wohl.
Damit! Damit
Den Alltag du vergisst vor Hua Hin.

Kennst du sein Reich? Eng, schwankend – mach
Dir nichts vor: Kabinen hundertfach.
Dein Leid fängt oft mit sanftem Rollen an,
Wenn die Zyklone sich von Weitem nah’n
Dem abgelegensten Atoll.
Dahin! Dahin
Die Zeit, da lockend noch die Sonne schien.

Kennst du den Gast? Im Deckchair liegt er träg,
Von backbord tönt die Hauskapelle schräg,
Sein Cocktailglas ist leer – er voll Entdecker-Mut:
Vom Abenteuer-Feuer noch ein Rest an Glut.
Cheers, prost und skål!
Dafür! Dafür
Kann man doch mal sein Konto überziehn!

Kurt Wagner, Bonn

 

Wecklied

(Nach Johann Wolfgang von Goethes »Türmerlied«)

Zum Denken verpflichtet,
Zum Hinsehn bestellt,
Aufs Recht ausgerichtet
Verstört mich die Welt.

Ich sehe Millionen
Verhungern in Qual.
Den prassenden Reichen
Ist dieses egal.

Da ruf ich: Empört euch,
Kämpft gegen die Not!
Vereint, engagiert euch!
Ein jeder braucht Brot.

Es lohnt sich der Einsatz.
Was je auch geschehn:
Das Leben ist kostbar,
Die Erde ist schön.

Edzard Müller, Hamburg

 

Der Meistertraum

(Nach Wilhelm Müller, »Der Lindenbaum«)

In Bayern vor dem Tore,
Da steht ein Neuer jetzt,
Und der soll es verhindern,
Dass Bälle eingenetzt.

Und trifft mal ein Borusse,
Gladbach und BVB,
Mit einem Sonntagsschusse,
Tut Bayerns Fans das weh.

Bayern mit Uli Höneß
Will ewig Meister sein.
Für ihn wär das was Schönes,
Doch andere sagen: »Nein!«

In Schalke oder Dortmund
Sind auch die Trainer heiß,
Der Ball ist überall rund,
wie jeder Profi weiß.

Es gibt auch Amateure
In unserer Fußball-Welt,
Da geht’s nur um die Ehre
Und nicht um sehr viel Geld.

Ein Fußballer will siegen,
Verlieren fällt stets schwer,
In Kreis- und Championsligen.
Hauptsache, es bleibt fair!

Hanno Manhenke, Minden

 

Osterspaziergang 2012

(Nach Johann Wolfgang von Goethe, »Faust I«)

Vom Eise befreit sind Chrom und Bleche
Durch Waschmittel und des Frühlings wärmenden Blick,
Im Tale dröhnt Motorenglück;
Die Winterreifen, in ihrer Schwäche,
Rollt’ man in dunkle Garagen zurück.
Von dorther brechen nun brummend hervor
Mächtige Wagen zu tollem Gerase,
Vereinen sich zu einem tosenden Chor,
Den Himmel verdunkeln die Auspuffgase.
Überall regt sich der Werbung Streben,
Überall will man den Umsatz noch heben,
Doch an Blumen fehlt’s im Revier,
Wir seh’n geputzte Autos dafür.
Kehre dich um, von diesen Brücken
Auf die Autobahn zu blicken!
Aus dem schmalen Raststättentor
Drängt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder drückt auf das Gas heut so gern.
Wen kümmert die Auferstehung des Herrn?
Sieh nur, sieh! wie schnell sich die Menge
Auf den Straßen und Wegen verkeilt,
Wie ein Stau in Breit und Länge
Vor dem nächsten Engpass verweilt.
Und bis zum Achsbruch überladen
Entfernt sich hier ein Caravan.
Schon von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns grelle Scheinwerfer an.
Gar mancher fährt zu früh gen Himmel
Aus diesem Straßen-Schlacht-Getümmel,
Zerschlagen fragt sich Groß und Klein:
Bin ich hier Mensch? Muss das so sein?

Klaus Peter Poppe, Quakenbrück

 

Der Glotzer

(Nach Rainer Maria Rilke, »Der Panther«)

Sein Blick ist längst vom Hin und Her der Schaltung
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Was man versprach: gediegne Unterhaltung.
Was man ihm zeigt: schlecht imitierte Welt.

Der Gang der Handlung (stets die gleichen Schritte),
der nur im allerengsten Kreise treibt,
enthält geschmacklich so viel Defizite,
dass er betäubt und ratlos sitzen bleibt.

Doch bald schon schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos zu –. Kein Bild geht mehr hinein.
So lernt er doch noch, durch Distanz und Stille,
wenn auch im Schlafe, wieder Mensch zu sein.

Bernhard Blanck, Duisburg

 

Frühling

(Nach dem Volkslied »Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt«)

Im Märzen der Bauer den Traktor einspannt.
Er sprühet die Gülle auf Wiesen und Land.
Er mästet die Schweine und stopft’s Federvieh,
Er melkt mit Maschinen die Turbomilchküh’.

Die Schweine und Rinder, sie wollen nicht ruh’n,
Sie darben in Kästen, aber dürfen nichts tun.
Sie fressen und fressen und träumen ihr Lied:
Wie schön wär’s da draußen, wo’s grünet und blüht!

So vergeht ohne Himmel ihr Leben allhier,
Bis greift sich der Metzger das g’schund’ne Getier.
Wir machen uns Schnitzel und Braten daraus,
So steiget am Abend manch fröhlicher Schmaus.

Wir genießen das Leben von morgens bis spät,
Die Menschen nur ernten was selbst sie gesät.
Was schert uns das Morgen, wir leben ja heut,
In the long run, my darling, we are nothing but dead.

Hartmut Stieger, Flums, Schweiz

 

Komm in das Land und schau

(Nach Stefan George, »Komm in den totgesagten Park und schau«)

Komm in das schöne Land und schau:
Hier lächelt Wohlstand, blühn die Reichen, grade
Besiegen wir schon wieder eine Krise, treiben schlau
Die Armut auf die gut genutzten, alten Pfade.

Dort nimm ein bisschen Henkel, Kopper, Ackermann.
Die späten Fritzen, die uns tückisch zeigen:
Wer herrscht, lebt vom Profit, und Banker neigen
Sich willig, melden Wetten auf Überlebensmittel an.

Vergiss auch jenen Bosbach nicht und die paar Griechen.
Ach, Peanuts, das, was übrig blieb vom fetten Siechen
Im späten Reichtum – im Gesicht der Welt
Ist da kein Schmerz, der all das viele Leid noch hält.

Ingrid Schormann, Rheinbach