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Zeitsprung

Das obere Bild entstand im Mai 1996. Es zeigt unsere Tochter Rabea vor der Westerkerk in Amsterdam neben der Anne-Frank-Statue. Das Museum konnten wir damals wegen der langen Warteschlange nicht besuchen. Nun hat Rabea dies im Juli 2012 nachgeholt. Sie hat nicht nur auf dem Bild »die Seiten gewechselt«. Während sie 1996 noch als Schülerin nach Amsterdam reiste, war sie 2012 als Lehrerin dort – anlässlich eines Anne-Frank-Projekts mit ihrer Klasse.

Cornelia Heinkel-Kastner, Sigmaringen, Schwaben

 

Zeitsprung

Das erste Foto entstand im Juli vor 25 Jahren und zeigt die Hochzeit meiner Eltern. Sie reisten damals mit ihren vier Kindern auf die Nordseeinsel Langeoog, um dort zu heiraten. Seitdem verbrachten wir nahezu jeden Sommer auf der Insel, und auch meine Geschwister und ich führen diese Tradition fort.

Diesen Sommer reisten wir anlässlich der Silberhochzeit zum ersten Mal seit langer Zeit wieder alle gemeinsam: meine Eltern, inzwischen fünf Kinder und drei Schwiegerkinder. Wir haben das Hochzeitsfoto vor dem Rathaus nachgestellt. Um es so originalgetreu wie möglich zu machen, kramte meine Mutter ihren Hosenanzug von damals wieder hervor, meine Schwestern gingen barfuß, und ich fehle auf dem Bild, denn vor 25 Jahren war ich noch nicht auf der Welt. Dafür habe ich das Foto gemacht. Und weil wir das alte nur in dieser Form hatten, haben wir das neue angepasst.

Bettine Theissen, Butzbach, Hessen

 

Zeitsprung

Nach dem Krieg waren meine Eltern nach Lörrach an die Schweizer Grenze gezogen. Die ersten Jahre waren schwer, aber im Jahre 1954 konnten wir zum ersten Mal einen Sommerurlaub planen. Freunde meiner Eltern hatten einen VW Käfer , einen sogenannten Brezelkäfer. Mit diesem Gefährt fuhren wir im August 1954 zu sechst (vier Erwachsene, mein 15-jähriger Bruder und ich mit meinen acht Jahren) samt Gepäck ins zirka 160 Kilometer entfernte Adelboden im Berner Oberland. In einem gemieteten Chalet verbrachten wir zwei Wochen. Auf dem Foto von 1954 ist dieses Chalet zu sehen mit meiner Mutter links davor auf der Wiese. 54 Jahre später war ich erneut in Adelboden, und meine Frau machte ein Foto mit mir an der Stelle, an der damals meine Mutter saß. Wie wunderschön ist es, dass es noch Plätze in unseren Breiten gibt, die sich in einem halben Jahrhundert so gut wie nicht verändert haben!

Winfried Burgert, Ingolstadt

 

Zeitsprung

Als Künstler waren Bildertransporte für mich unvermeidlich, ebenso Zeitsprünge. Ein Erkenntnissprung ergab sich daraus offenbar nicht, wie die Bildbeispiele belegen. 1979 brachte ich ein drei Meter langes und fast zwei Meter breites Keilrahmenleisten-Bild seitlich an meinem VW Käfer an, um es zu einer Ausstellung zu transportieren. Das schien mir die sicherste aller möglichen Befestigungen zu sein, mit Verzurrungen rund ums Auto herum. Allerdings bemerkte ich, dass ich aus der Distanz von der Besatzung eines Streifenwagens sehr geduldig beobachtet wurde. Als ich anfuhr, folgten mir die Beamten argwöhnisch – eine für mich kaum erträgliche Spannung. Doch die Polizisten ließen mich unbehelligt ziehen. Narrenfreiheit?

Als ich kürzlich wieder einmal eine Malerei (zwei mal zwei Meter) in eine Galerie bringen musste, kompensierte ich die Überbreite durch einen provisorischen Unterbau (frei nach Pythagoras). Die Fahrt verlief ohne Polizeiaufsicht. Nur der Fahrtwind trieb sein höchst aufregendes Spiel.

Dirk Schäfer, Wuppertal

 

Zeitsprung

1978 unternahmen mein Sohn Markus (11) und ich (29) eine vierwöchige Rucksacktour durch Italien: mit dem Zug über Venedig, Florenz, Rom und Neapel bis hinunter nach Sizilien. Das Frühstück auf dem Markusplatz, festgehalten mit der damals üblichen Pocketkamera, stand also ganz am Anfang dieser abenteuerlichen Unternehmung, von der mein Sohn heute noch schwärmt. Venedig ist seitdem unser beider große Liebe, und wir waren, zusammen oder getrennt, immer wieder dort. 1997 wünschte Markus sich noch einmal 14 Tage Venedig mit Muttern, inzwischen Rollstuhlfahrerin. Venedig im Rollstuhl? Nicht recht vorstellbar, aber ich war neugierig auf dieses Abenteuer. Markus besorgte uns als Quartier ein Holzhäuschen auf einem behindertengerechten Campingplatz am
Lido di Jesolo, und das Vaporetto brachte uns täglich nach Venedig, wo Markus mich dann samt Rolli klaglos treppauf, treppab über die vielen Brücken astete. Zwischendurch war auch öfter mal Ausruhen auf dem Markusplatz angesagt, verewigt diesmal mit einem vernünftigen Fotoapparat.

Sigrid Zandorf, Hannover

 

Zeitsprung

 

60 Jahre liegen zwischen den beiden Bildern von meinem Bruder und mir, 60 Jahre eines Lebens mit Trisomie 21. Eine Schulausbildung gab es deshalb für Hermann nicht. Aber mein Bruder hat eine Begabung für die Musik, und alles, was er musikalisch erreicht hat, hat er sich selbst beigebracht. Schon als Dreijähriger spielte er auf der Mundharmonika. Später suchte er sich Melodien auf dem Klavier zusammen und erarbeitete sich auf dem Akkordeon ein großes Repertoire. Immer wieder bereicherte er kirchliche Veranstaltungen mit seiner Musik und seiner Fröhlichkeit. Inzwischen spielt er auch Schlagzeug in einer integrativen Band. Er hatte großes Glück. Er wurde in die Zeitspanne hineingeboren zwischen Hitlers Euthanasie und der heutigen Pränataldiagnostik – der häufig ein Abbruch der Schwangerschaft folgt.

Dorothea Vierhuff, Burgdorf, Niedersachsen

 

Zeitsprung

100 Jahre liegen zwischen den beiden Fotos. Das obere zeigt die »Restauration« meines Urgroßvaters, der links neben der Treppe zu sehen ist. Nach seiner Müllerlehre und den Wanderjahren hatte er 1912 beschlossen, als Gastwirt tätig zu sein, und zog, frisch verheiratet, nach Oberhammer in Lothringen, um das Bahnhofslokal zu betreiben. Doch der Ausbruch des Ersten Weltkrieges durchkreuzte seine Pläne. 1914 konnte er Frau und Kind noch ins Badische schicken, er selbst wurde interniert. Das alte Bild hängt bei meinen Eltern im Wohnzimmer, und wir haben uns immer wieder gefragt, ob es diesen Ort noch gibt und ob das Haus die Kriege überdauert hat.

Vor Kurzem haben wir herausgefunden, dass Oberhammer heute La Forge heißt und in der Nähe von Sarrebourg liegt. Dort stießen wir auf einen Mann, der uns die Existenz des Weilers bestätigte mit dem Hinweis, es gebe dort allerdings nur ein einziges Haus. Als wir in La Forge ankamen, erblickten wir tatsächlich das Haus meines Urgroßvaters. Enkelin (76) und Urenkelin (43) ließen sich fotografieren.

Susanne Mautz, Mannheim

 

Zeitsprung

 

Im Juni 1992, also vor genau 20 Jahren, fuhr ich mit meinen Kindern Luise, Julia und Moritz in den Urlaub nach Otterndorf an der Elbmündung. Wir wohnten auf dem Bauernhof der Familie Johannsen. Es war ein Paradies, vor allem für die Kinder. Als Heu gemacht wurde und dabei ein Gewitter aufzog, bat mich der Bauer Uli, auch noch einen Traktor mit zwei Hängern zu fahren,um alles rechtzeitig und trocken in die Scheune zu bekommen. Ich sagte natürlich Ja, und wir schafften es vor dem Regen. Die Kinder tobten derweil in der Scheune im Heu. Gleich am ersten Tag hatte ich meine Brieftasche mit 800 Mark Urlaubsgeld und allen Papieren verloren! Schon eine Stunde später wurde alles auf der Polizei abgegeben, nicht ein Pfennig fehlte. Die Otterndorfer sind seither für mich die ehrlichsten Leute der Welt. Kürzlich waren wir wieder dort und haben an der Zufahrt zum Bauernhof das Bild von 1992 wiederholt. Zu den drei Kindern von damals hat sich nun noch Franz gesellt. Und den Leuten auf dem Hof geht es gut.

Rudolf Heym, Ingersleben, Thüringen

 

Zeitsprung

Auf dem oberen Bild hält meine Ururgroßmutter Isidore am 1. September 1940 ihren eine Woche alten Urenkel in den Armen – meinen Vater Evert. Dorothee, die Mutter meines Vaters, hatte ihre geliebte Omi in Hannover noch einmal besucht. Bald darauf ging die junge Familie nach Florenz. Mein Großvater arbeitete dort als Lehrer an der Deutschen Akademie. Mitte 1942 wurde er allerdings eingezogen, im August 1943 schob man dann meine Oma und meinen Vater ab, weil die Amerikaner in Süditalien gelandet waren. In der Zwischenzeit war meine Ururgroßmutter gestorben, ohne dass es ein Wiedersehen gegeben hätte. Auf dem unteren Bild sieht man meine Omami im Mai 1999 mit meinem Sohn Nicolas. Kurz nach seiner Geburt war sie aus Göttingen nach Hamburg gereist, um ihren ersten Urenkel zu begrüßen. Als ich das Foto sah, musste ich an das Bild denken, das ich aus einem alten Familienalbum kannte. Wie gut, dass meine Omami mich heute regelmäßig besuchen kann und erlebt, wie meine Kinder aufwachsen! Sie war sogar dabei, als Nicolas laufen lernte.

 

Wiebke Wilde, Hamburg

 

Zeitsprung

 

Sophie und Lorenz Gack hätten sich gewiss nicht träumen lassen, was einst aus ihrem Milchladen im historischen Bamberger Gärtnerviertel werden würde. Als 1951 das linke Foto aufgenommen wurde, standen die beiden von sechs Uhr morgens bis sieben Uhr abends hinterm Ladentisch. Auch Tochter Christine verbrachte ihre ersten Lebensmonate dort – und zwar in einem Bananenkarton.

Als sie älter wurde, musste sie – wie ihre Geschwister – mithelfen und lernte so Kundenfreundlichkeit von klein auf. Heute wären die Eltern bestimmt stolz auf Christine, die den Laden zusammen mit ihrem Mann Harald Krause zu »Gack’s Frischeladen« ausgebaut hat (Foto rechts). Das umfangreiche Sortiment wird mittlerweile sogar im Internet angeboten und auf Wunsch nach Hause geliefert. Doch die meisten Kunden kommen lieber persönlich, um neben dem üblichen Bedarf an Lebensmitteln auch Christines selbst gebackene Kuchen oder hausgemachte Marmelade einzukaufen und dabei einen netten nachbarschaftlichen Schwatz zu halten.

Renate Steinhorst, Bamberg