Im Mai dieses Jahres machte ich mich auf den Weg zu einer Wanderreise ins Riesengebirge. Im Rucksack hatte ich das Foto meiner Großmutter (oben). Ich trage ihren Vornamen, weiß allerdings wenig über sie. Sie starb nur wenige Jahre nach der Flucht aus Breslau in Norddeutschland. Ich habe sie nie kennengelernt. Auf meiner Reise hoffte ich, den Ort zu finden, an dem mein Vater etwa im Jahr 1935 das Foto seiner Mutter machte, das bis zu seinem Tode in seinem Schlafzimmer hing. Bei meiner Tour zeigte ich das Foto der polnischen Wanderführerin, und sie identifizierte die Stelle sofort: bei der Burg Kynast, von der wir eben herabgestiegen waren! Spontan entschloss ich mich, mit meinem Mann den Aufstieg gleich noch einmal zu machen! So kam es zu dem Bild unten: die Enkelin gleichen Namens, jetzt ungefähr im gleichen Alter wie die Großmutter damals, glücklich, endlich eine Spur der »Rose« gefunden zu haben.
Als Bildjournalist hatte ich den Auftrag, Fotos für eine Beilage zum 50. Jubiläum der Nordbayerischen Nachrichten zu machen. Als Vorlage erhielt ich die obere Aufnahme, die Anfang 1962 im oberfränkischen Dorf Hundshaupten bei Forchheim entstand. Auf der Suche nach dem abgebildeten Motiv wandte ich mich an den Schlossherrn des Dorfes, Baron Heinrich von Pölnitz. »Wir gehen zur Betty Frauenknecht, die kennt im Dorf jeden«, meinte der Adlige. Die Genannte war zusammen mit ihrer Tochter Renate auch gleich zur Stelle. »Mutter, das bist doch du auf dem Foto«, sagte diese spontan, nachdem sie das Bild in Augenschein genommen hatte. Betty Frauenknecht holte ihre Brille hervor und bestätigte die Vermutung der Tochter, mit der sie zur Zeit der Aufnahme übrigens schwanger war. In den knapp fünf Jahrzehnten zwischen den beiden Aufnahmen hat der Fortschritt nicht haltgemacht vor dem Dorf und seinen 130 Einwohnern. Der Lebensmittelladen – zu dem die Fotografierte auf dem ersten Bild gerade unterwegs war – ist inzwischen geschlossen. Dafür wurde im Jahr nach der Aufnahme die Dorfstraße geteert.
Da es in dicht bebauten Innenstädten wenig freies Schussfeld für Flugabwehrkanonen gab, ließ das Reichsluftfahrtministerium im Zweiten Weltkrieg riesige Bunker mit Abschussrampen für diese Geschütze errichten. In Wien entstand so etwa der Flakturm im Esterhazypark. Vier Jahre nach Kriegsende wurde mein Bruder Dominik am 5. September 1949, an seinem ersten Schultag, vor diesem Turm fotografiert. Nun, 63 Jahre später, ist mein Bruder nach einem langen, erfolgreichen Berufsleben als Vermessungsingenieur bereits in Pension. Der Turm wird heute vom Haus des Meeres genützt, von einem Aqua-Terra-Zoo mit Tropenhaus auf einer der Längsseiten der Fassade. An einer der Schmalseiten hat der Österreichische Alpenverein eine Kletterwand eingerichtet. Und seit einiger Zeit darf auch die Aussichtsplattform wieder betreten werden, die einen großartigen Blick über Wien ermöglicht.
Das Bild oben entstand 1997 auf einer Fähre nach Schweden. Unsere Tochter Tinna war ein Jahr alt und schien sich nichts Schöneres vorstellen zu können, als mit uns Eltern in den Urlaub zu fahren, bei ihrer Mama auf dem Arm zu sein und mit ihr zu knuddeln. 15 Jahre später dagegen kann sich unsere Tochter fast nichts Schöneres vorstellen, als ohne uns Eltern durch die Welt zu reisen. Zum Knutschen sind wir auch nicht mehr die erste Wahl. Den engsten Kontakt haben wir über Facebook. Es hat sich viel verändert, nicht alles verstehen wir. Manchmal jedoch blitzen kleine Funken der Erinnerung auf. Wie nach Tinnas Rückkehr von einem mehrmonatigen Aufenthalt in Australien, als sich Mutter und Tochter voller Freude um den Hals fielen.
Genau vierzig Jahre liegen zwischen diesen beiden Aufnahmen. Auf der einen von 1971 bin ich auf der Promenade in Travemünde zu sehen. Ich hatte mich so vor dem Strandfotografen postiert, dass er einfach ein Bild machen musste! Mein Großvater war selbst ein begeisterter Hobbyfotograf und hat mich zuerst gescholten. Aber als er am Abend auf dem Rückweg vom Strandkorb die fertigen Abzüge sah, hat er das Foto doch gekauft, weil es ihm so gut gefiel! Die zweite Aufnahme zeigt meine jüngste Tochter Ida – inzwischen auch sechs Jahre alt. Und nichts hat sich verändert am Strand von Travemünde, oder? Höchstens das Wetter … Und diesmal war kein Fotograf da.
Die beiden Bilder zeigen den Binnenhafen von Husum. Die Fotografie von 1938 hat mein Vater gemacht. Damals befand sich dort die Kröger-Werft mit ihren Werksgebäuden und Schiffen. Sie wurde zunächst in den Außenhafen verlegt und später wegen der schlechten Auftragslage ganz aufgegeben. Das zweite Bild habe ich im Jahr 1992 aus der gleichen Perspektive geschossen. Das kurz vorher auf dem Gelände erbaute Rathaus ist einem Schiff in Bau oder Reparatur nachempfunden. So prägt das Thema Werft die Silhouette der Stadt also bis heute.
Rolf Wischnowski, Henstedt-Ulzburg, Schleswig-Holstein
Im Frühjahr 2011 entstand das erste Bild, und fortan fotografierte ich diesen wunderschönen Birnbaum auf jedem meiner Rundgänge um unser kleines Dorf am Rande der Fränkischen Schweiz. Er hat mich sofort beeindruckt: Umgeben von vielen schönen Obstbäumen, war dieser Baum doch ohne Zweifel etwas Besonderes – älter mit Sicherheit, aber auch majestätischer… ein wahrer König. Indem ich ihn durch alle Jahreszeiten hindurch fotografierte, wuchs er mir regelrecht ans Herz. Umso furchtbarer dann der Anblick, der sich mir Ende Januar 2012 bot: grausam von Menschenhand entwurzelt, lag er plötzlich im frischen Schnee. Bald war er abtransportiert, und nun erinnert nur noch ein Loch in der Wiese an seine Existenz – in Kürze wird wohl auch darüber Gras gewachsen sein. Ich denke jedoch täglich an meinen Baum und bin dankbar dafür, dass ich ihn in seinem letzten Lebensjahr begleiten durfte.
Auf den Bildern sehen Sie meinen Mann, Otto Kirchner, vor dem Neuen Schloss in Stuttgart. Die erste Aufnahme stammt aus dem Jahr 1950, das Schloss ist ausgebrannt, und die Fenster sehen aus wie die Augenhöhlen eines Toten.
Das zweite Foto habe ich erst vor wenigen Wochen gemacht. Mein Mann und ich sind seit 1948 durch dick und dünn miteinander gegangen. Die Ruine des Neuen Schlosses wollte man abreißen, die Bürger haben sich dagegen gewehrt. Heute ist der Stuttgarter Schlossplatz einer der schönsten Plätze, die ich kenne. Nicht auszudenken, wie er mit der Fassade eines modernen Gebäudes aussehen würde!
Bei der ersten Aufnahme handelt es sich um ein Wandbild aus der Reihe Westermann, wie man es noch aus der Schule kennt. Es kam durch Zufall in meine Hände: Ein Freund, der sich mit Weinbau beschäftigt, hatte es als Flohmarkt-Souvenir geschenkt bekommen und versehentlich bei mir liegen gelassen. Ich stellte fest, dass die Aufnahme nur etwa 200 Meter von meinem Elternhaus entfernt entstanden sein muss, in Maikammer an der Weinstraße. Auch mein Vater erkannte den Birnbaum wieder, dessen Früchte er als Kind gepflückt hatte. Das Bild blieb bei mir, der Kontakt zu seinem rechtmäßigen Besitzer ist leider eingeschlafen. Durch die ZEIT kam ich jedoch auf die Idee, zur gleichen Jahreszeit am gleichen Standort ein aktuelles Foto zu machen. Einige Details haben sich im Laufe der Zeit durch die Flurbereinigung verändert, aber im Großen und Ganzen hat die Landschaft ihre Schönheit bewahrt. Das alte Bild hängt mittlerweile an einem Ehrenplatz in meinem Weinkeller. Wenn sich der Freund, der es liegen ließ, meldet, bin ich aber gerne bereit, es ihm zurückzugeben …
Die beiden Fotos zeigen meine Mutter Ursula Güntzel in Hamburg-Eimsbüttel. Auf dem Bild von 1952 sind im Hintergrund, an der Ecke Kaiser-Friedrich-Ufer/Heymannstraße, die sogenannten Nissenhütten zu erkennen, Notunterkünfte für Flüchtlinge und Hamburger, die durch Bombenschäden obdachlos geworden waren. Heute ist meine Mutter 75 Jahre alt, die Hütten sind verschwunden und die Bäumchen von damals zu stattlicher Größe herangewachsen. Weit in die Welt hinausgekommen sind wir nicht: Die gesamte Familie wohnt noch heute dicht beieinander in Eimsbüttel.