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Zeitprung

Sommer

Advent

Als im vergangenen Jahr Weihnachten vorbei war, konnten mein Mann und ich uns gar nicht von dem Adventskranz trennen. Beim Frühstück die vier Kerzen zu entzünden, das gab so ein gemütliches Licht! Deshalb haben wir uns entschieden, den Kranz nicht wegzupacken, sondern immer nach Jahreszeit und Anlass neu zu gestalten. Die vier Bärchen begleiten uns dabei. So sehen Sie hier den Zeitsprung von Advent (mit Tanne und Weihnachtsschmuck) bis Sommer (mit Sand und Muscheln). Zu Ostern kommen selbstverständlich Eier und im Herbst Früchte,  Eicheln und Nüsse auf den Kranz. Zum Geburtstag wird er mit Herzen und Blumen dekoriert. Vielleicht ist das ja eine Anregung für andere Leser, eine solche Deko-Initiative zu ergreifen.

Gisela Höhns, Schieder-Schwalenberg

 

Zeitsprung

um 1960

2011

Ich bin heuer 90 (neunzig!) Jahre alt geworden, und anlässlich der Geburtstagsfeier wurde ich mit meinen beiden Söhnen abgelichtet. Dann habe ich in meinen Fotoalben geblättert, und tatsächlich fand ich ein ganz ähnliches Schwarz-Weiß-Foto, das uns vor circa 50 Jahren zeigt – genauer kann ich es leider nicht mehr feststellen. Man sieht deutlich, dass der Zahn der Zeit an uns genagt hat. Aber nur äußerlich, denn innerlich sind meine Buben noch fast genauso kindisch wie vor Jahrzehnten. Und ich? Nun: Für mich erlaube ich mir kein Urteil abzugeben.

Christof Albert, Vogau, Österreich

 

Zeitsprung


In einer alten Fotokiste fand ich die Schwarz-Weiß-Aufnahme, die meine 2003 verstorbene Oma als junge Frau am Frankfurter Mainufer zeigt. Meine Großmutter hatte ihre ganze Jugendzeit in Frankfurt verbracht und schwärmte später noch oft vom Radfahren auf der Bockenheimer Landstraße und dem in der Luft liegenden Kaffeeduft, von der Schirn, vom grünen Innenhof des Wohnhauses in der Marburgerstraße 23 und vom Taunus. Besonders gern ging meine Oma ins Kino am Römer: War sie drin, blieb sie einfach sitzen und sah sich den Film noch mal an. Und ständig war sie verliebt, meine Oma. Nach der Zerstörung Frankfurts zog sie über Umwege nach Sachsen und kehrte nie wieder nach Frankfurt zurück – auch wenn sie oft davon träumte. Sie wollte die Stadt so in Erinnerung behalten, wie sie einmal war. Und so war ich denn auf den Spuren meiner Oma in Frankfurt am Main unterwegs und habe gejubelt, als ich den Ort der historischen Aufnahme fand. Ich fühlte mich ihr plötzlich viel näher als an ihrem Grab in Dresden. Ein wenig habe ich mich in Frankfurt verliebt – so wie einst meine Oma.  Auch mein Schwager hat inzwischen dort Fuß gefasst, spielt Kontrabass in der Oper und fängt langsam an zu »babbeln«. Wie schön!

Stephan Bodinus, Dresden

 

Zeitsprung


Von 1897 bis 1914 gehörte zum kaiserlichen Deutschland die chinesische Kolonie Kiautschou. Damals arbeitete mein Großvater beim dortigen Gericht in Tsingtau. Die Dienstwohnung befand sich im ersten Stock eines Gebäudes, in dem auch das (deutsche) Gefängnis untergebracht war. Wie so viele der hübschen Kolonialbauten in dieser als Musterkolonie geplanten Region steht auch dieses Haus noch im heutigen Qingdao. Das linke Bild zeigt meine Großeltern im Sonntagsstaat vor ihrer Eingangstür. Ein rechter Augenschmaus und gefälliger in Harmonie und Ausstrahlung als das meiste, was heutige Mode zu bieten hat. An gleicher Stelle hat sich kürzlich mein Sohn ablichten lassen. Da das Gebäude heute ein öffentliches Museum ist, German Prison Site Museum, konnte er sogar die Wohnräume seiner Urgroßeltern besuchen.

Sybille Kaffanke, Höchstadt

 

Zeitsprung

1981

2011

Von Zeit zu Zeit treffen wir uns, die ehemaligen Assistenzärzte der Inneren Abteilung des Nordstadtkrankenhauses von Hannover, und jedes Mal machen wir ein Foto an der Büste des Geheimen Medizinischen Rats Professor Doktor Heinrich Reinhold, des ersten Chefarztes des Krankenhauses nach seiner Errichtung im Jahr 1895. Unsere Treffen sind immer eine gute Gelegenheit, über alte Zeiten zu klönen, in denen Mediziner noch Ärzte waren – und nicht Anbieter im Gesundheitswesen.

Wilfried Buck, Hannover

 

Zeitsprung



Als wir Kinder waren, verbrachten wir unsere Ferien meistens auf Usedom an der Ostseeküste. Das Schwarz-Weiß-Foto entstand nach einem dieser Sommerurlaube im Jahr 1978 auf der Rückreise nach Dresden. Ich selbst (rechts im Bild) war damals knapp drei Jahre alt, meine Schwester Sabine war sechs. Wir standen vor dem Schlagbaum am Brandenburger Tor. Berlin war geteilt, an die Wende mehr als zehn Jahre später war noch nicht zu denken. Schon gar nicht für uns Kinder. Kürzlich, kurz vor dem 21. Jahrestag der deutschen Einheit, traf ich mich mit meiner Schwester, die jetzt in Rottenburg lebt, in Berlin, und wir wiederholten das Foto. Jetzt steht meine Schwester rechts im Bild. Auf unserem Weg zum Pariser Platz durchquerten wir das Brandenburger Tor, was 33 Jahre zuvor einfach unvorstellbar gewesen wäre.

Ulrike Kubisch, Dresden

 

Zeitsprung

1930

2006

Das linke Foto stammt aus dem Jahr 1930. In diesem Haus in Dresden wurde ich geboren. Die Adresse damals: Bendemannstraße 11. Die Nazis änderten den Straßennamen 1933 sofort in Rugestraße, denn Eduard Bendemann war Jude gewesen, ein angesehener Maler der Romantik und des Biedermeier. Leider hat es die Dresdener Stadtverwaltung weder zu Zeiten der DDR noch nach der Wende für nötig gehalten, die Umbenennung rückgängig zu machen. Meine Eltern zogen, als ich noch sehr klein war, ins angestammte Rheinland zurück. Ich kam erst 1995 wieder nach Dresden. Da sah das Haus noch fast so aus wie auf dem alten Foto. Die Bombenangriffe hatte es verhältnismäßig unbeschädigt überstanden und stand nun unter Denkmalschutz. 2006 reiste ich anlässlich der Wiedereröffnung der Frauenkirche wieder nach Dresden und besuchte auch die Rugestraße 11. Was für eine Überraschung! Da glänzte die neue Fassade wie auf dem rechten Foto – und auf einer großen Bautafel bot eine Bauträgergesellschaft »luxuriöse Eigentumswohnungen an.

Carl Maria Bloser, Estoril, Portugal

 

Zeitsprung

1949

2009

Die Rubrik Zeitsprung auf Ihrer Seite ZEIT der Leser rührt uns jedes Mal an. In der Fotoschublade meines Mannes schlummert seit Jahren eines seiner schönsten Familienbilder: die vier Geschwister Wolfgang, Christa, Klaus und Mechthild, wie aufgefädelt auf der Treppe des elterlichen Pfarrhauses. Das Foto stammt aus dem Jahr 1949. Die Geschwister sind seit Jahren in Schweden, Norwegen, Bremen verstreut. Aber jedes Jahr treffen sie sich mindestens einmal, dazwischen wird oft telefoniert, gemailt und geskypt. Familiengeschichten werden erzählt und ausgetauscht, die Erinnerung an alte Zeiten aufgefrischt. Und jedes Mal, wenn sich die Geschwister treffen, stellen sie als kleines Ritual das alte Foto nach. Ein Riesenspaß, auf den sich alle vier immer enorm freuen. Eines der schönsten Bilder mit den inzwischen ergrauten Mädchen und Jungs stammt aus dem vorletzten Herbst.

Bärbel Hartlieb, Baden-Baden

 

Zeitsprung

Als wir 2001 in Sizilien Urlaub gemacht hatten, kamen wir mit Wäscheklammern zurück, von denen man in Berlin auch heute nur träumen kann. Wir gehören noch zu der Minderheit, die der Wäsche frische statt heiße Luft zum Trocknen gönnt, und waren glücklich, nun Produkte zu besitzen, die perfekt klammerten. 2008, im verflixten siebten Jahr danach, hatte sich der Bestand so reduziert, dass Neuanschaffung angesagt war. Es folgte eine Enttäuschung nach der anderen: Die erste Kunststoffklammer ging gerade noch so, die zweite aber, von 2009, rutschte nur auf der Leine. Auch Chinaware aus Holz, klein und schwach, ließ bis 2011 die Wäsche sogar von der Leine fallen. Der Urlaub 2011 auf Sardinien brachte die Wende. Da gab es doch tatsächlich Klammern, die den sizilianischen ähnelten, und wir kauften sie. Wir erinnerten uns unserer Freunde von dort, die dann die Rettung bescherten. Diese Klammern sind genauso lang wie die von 2001, ein wenig schlanker, obwohl sie den Namen »elefanti« tragen. Und sie sind sehr gut. Ein Zeitsprung, der Negatives bewirkt, kann durch Reisen ins Positive korrigiert werden.
Wolfgang K. Albrecht-Schoeck, Berlin

 

Zeitsprung

2001

2011

Vor 20 Jahren wurde unser Sohn Jonas geboren, vier Jahre später unsere Tochter Marie. Der Wesenskern der Kinder, das Originelle und Individuelle, war vom ersten Tag an zu spüren und zu sehen. Seitdem wachsen sie in diese mitgebrachte Form und füllen sie mit ihrer eigenen Art. Als Eltern können wir diese Entwicklung meistens nur beobachten. Das Empfangen wird zum Betreuen, bald zum Begleiten, dann zur Unterstützung. Was folgt, ist das loslassen, der Abschied, das Freigeben neuer Räume. Jonas und Marie hatten immer ihren eigenen Platz in der Familie und sind einander als Geschwister sehr verbunden. Die beiden Bilder zeigen einen Zeitsprung von 2001 nach 2011, und eigentlich war beim ersten Bild schon abzusehen, wie es zehn Jahre später sein würde. Vor wenigen Tagen haben wir unseren Sohn in sein »Freies Soziales Jahr« verabschiedet, das er in einem Favelaprojekt in São Paulo absolvieren wird. Kurz vor Schluss wurde es noch einmal turbulent in der Familie, vieles war noch zu organisieren, zu regeln und zu übergeben. Alle waren gut vorbereitet, die Zeit war reif, und es war eine Freude, Jonas gehen zu sehen.

Kurt Friedrich, Darmstadt