Als ich vor einiger Zeit mit der Stuttgarter Zahnradbahn fuhr, sah ich diese Bank und ärgerte mich darüber, dass sie so wenig einladend aussah: Die Farbe war alt und aufgeplatzt, die Sitzfläche war rau und ungemütlich. Also fuhr ich kurzerhand mit meinem Fahrrad zum Baumarkt und kaufte bunte Folie. In der Nacht darauf, möglichst still und leise, nagelte ich die Folie auf die Bank. Aber ich war wohl nicht still und leise genug, denn plötzlich kamen Leute aus der Nachbarschaft, es war 2.30 Uhr nachts. Aber sie vertrieben mich nicht, sondern sagten nur: „Hey, das sieht gut aus!“ Wenige Wochen später allerdings war die Folie wieder weg. Die Stadt hatte die Bank von Grund auf saniert…
Das obere Bild zeigt mich im Jahr 1936 als Dreijährigen: sonntäglich gekleidet, an der Hand meines Großpapas, des Pfarrers Richard Lauxmann. Wir hatten ihn in Stuttgart besucht. Und genau 65 Jahre später, 2001, war ich, jetzt selber Opa, zu Besuch bei meiner Tochter, die mit ihren Kindern im Haus ihres Urgroßvaters wohnt.
Da hatten wir die Idee, das Bild von damals nachzustellen, diesmal mit meinem Enkel Balduin an meiner Hand. In der anderen Hand halte ich das Foto von damals. Und: Ich bin vom Herumtoben mit den Kindern ein wenig zerzaust, wie ich erst feststellte, als ich das neue Foto selbstkritisch betrachtete.
Die Geschichte des Ruhrgebietes, sie wird immer wieder gern erzählt. Die Kohle, die wachsende Industrie, der stetige Wandel und die Kumpel mit ihrem, nun ja, geringen Hang zur bürgerlichen Kultur. Heute wissen wir: Das war so gewollt. Schließlich waren Arbeiter – zum Arbeiten da und nicht für die Oper. Dann machten die Zechen dicht, und manche Wurstbude, wie die in Recklinghausen auf dem oberen Bild, musste mangels Kundschaft schließen.
Das, was man einen „gelungenen Strukturwandel“ nannte, brachte nun dieses Jahr der Stadt Essen und dem ganzen Revier den Titel der „Kulturhauptstadt 2010“, und plötzlich ist auch im Ruhrgebiet die Kultur in aller Munde. Wir wissen jetzt: Kultur ist überall, Kultur ist machbar, und aus dem Hunger auf einen fetten Imbiss wird ebenfalls Kultur – Wurstkultur. Das Bild aus 2010 habe ich in Dortmund aufgenommen.
Zwischen den beiden Fotos, die den Ludwigsbahnhof in Fürth zeigen, liegen mehr als 100 Jahre. Das Archivfoto bildet das tatsächlich von 1866 bis 1938 auf einem der zentralen Plätze der Stadt befindliche Gebäude ab, auf dem aktuellen Foto sieht man eine detailgetreue Rekonstruktion des Ludwigsbahnhofs im August 2010 – allerdings nicht aus Sandstein und Holz, sondern aus Gerüststangen und 1600 Quadratmetern Plane.
Die Fürther feiern derzeit rund um dieses imposante Bauwerk das Jubiläum „175 Jahre deutsche Eisenbahn“. Der legendäre „Adler“ dampfte nämlich am 7. Dezember 1835 erstmals von Nürnberg in die Nachbarstadt Fürth – unter großer Beteiligung der Bevölkerung. Der Ludwigsbahnhof war das zweite Bahnhofsgebäude in der Geschichte der Stadt. Er wurde 1938 von den Nationalsozialisten abgerissen. Schön, dass es mit der heutigen Technik möglich ist, Geschichte auf diese Art – zumindest zeitweise – greifbar zu machen.
Südwestlich von Freiburg durchschneidet die A 5 einen Ausläufer des Tunibergs. Rechts und links stehen meterhohe Lösswände, die immer wieder zuwachsen, aber durch die Autobahnmeisterei regelmäßig vom Bewuchs befreit werden. Kaum einer der vielen Menschen, die hier vorbeifahren, bemerkt das große Kopfrelief, das bei Kilometer 761 auf der Westseite der Autobahn in die Lösswand eingeritzt ist.
Es stellt meinen Vater dar. Meine Mutter hat es zwischen 1961 und 1965 geschaffen. Sie hatte Kunst studiert, war Lehrerin gewesen, und als wir 1961 einmal – ich war damals elf Jahre alt – mit dem Fahrrad auf der frisch betonierten Autobahn von Freiburg nach Müllheim fuhren, brachte die glatte Lösswand meine Mutter auf die Idee, hier das Bild meines Vaters einzustechen – so wie auch ein leerer Zeichenblock oder eine frisch aufgespannte Leinwand einen Künstler reizen.
Mein Vater stand Modell, und 1965, als das Relief durch ein großes Q und die Jahreszahl vollendet wurde, wollte meine Mutter noch das Bild eines Freundes hinzufügen. Aber die Autobahn war inzwischen eröffnet worden und die Arbeit zu gefährlich.
Alle Welt liebt den Sommer, je höher die Temperaturen, desto größer die Begeisterung. Die Massen strömen in die Parks und an die Seen, und im Winter fliegen sie dann einfach dahin, wo gerade Sommer ist. So einfach ist das heute. Denn den Winter mag kaum jemand und Schnee und Eis schon mal gar nicht. Die beiden Fotografien sind am selben Ort entstanden, am Pescher See in Köln. Im Winter 2009 konnte man auf dem See tatsächlich Schlittschuh laufen.
Jetzt im Sommer kann man am Ufer gut grillen, grölen, saufen und seinen Müll liegen lassen. Das sieht zwar nicht so schön aus und hört sich auch nicht schön an, aber das ist vielen Kölnern offenbar egal. Mir gefällt der Winter besser, nicht nur auf meiner Fotografie. Er ist still und melancholisch, er besitzt tatsächlich so etwas wie Würde. Der Sommer dagegen ist schwül und laut, aber zum Glück meist nur so kurz wie eine SMS aus Mallorca.
Mehr als 70 Jahre liegen zwischen den beiden Fotos. Das obere entstand bei einer Wanderung im Riesengebirge im vergangenen Jahr, das Schwarz-Weiß-Foto fand ich im Familienalbum meiner Eltern. Es zeigt im Vordergrund links meinen Vater, damals Lehrer in einem Dorf bei Löwenstein, und neben ihm seinen Bruder. Im Hintergrund ist die Kleine Teichbaude zu sehen, damals wie heute ein beliebter Einkehrort unweit der Schneekoppe, in einem herrlichen Naturschutz- und Wandergebiet.
1934 wanderte man noch in Knickerbockern, mit weißem Hemd und Krawatte, mit Hut und Stock. Heutzutage macht man sich wesentlich lockerer auf den Weg. Aber die Natur ist die gleiche geblieben: schroffe Felsen, dunkle Bergseen, holprige Wege. Und auch das Gebäudeensemble der Teichbaude mit dem kleinen Glockenturm ist erhalten geblieben. Und das ist das eigentlich Bemerkenswerte und Wunderbare.
Der Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin galt mir immer als ein Ensemble des strengen Klassizismus. Deshalb war das geschwungene „Wellen-Portal“ vor dem Neubau der 2008 eröffneten US-Botschaft in meinen Augen ein stilistisches Ärgernis. Doch dann entdeckte ich in der Berlinischen Galerie ein Foto, das F. Albert Schwartz im Jahr 1865 aufgenommen hatte.
Es zeigt ein Gebäude, das damals an derselben Stelle stand – und in der Form der Dachgauben eine ebensolche Welle zeigt. Und irgendwie bin ich jetzt versöhnt mit dem festungsartigen Bau der Botschaft. Gern unterstelle ich, dass die Architekten des Büros Moore Ruble Yudell, die ihn entwarfen, gut recherchiert haben und nur das alte Stilelement zitieren wollten – auch wenn es eigentlich überhaupt nicht passt.
1960 hat uns Schwester Cornelia in Englisch und Deutsch unterrichtet, 2010 – im Alter von 82 Jahren – ist sie ein Energiebündel wie eh und je und hilft unter anderem einem „Biaberl“ (wie sie den 1,84 Meter großen Achtklässer liebevoll nennt), die Schwierigkeiten der Legasthenie zu überwinden.
Bei einem spontanen Besuch in unserem ehemaligen Internat im Dominikanerinnen-Kloster St. Maria in Niederviehbach (Niederbayern) waren wir beeindruckt, einige unserer damaligen Lehrerinnen noch immer im Einsatz zu finden. Sie sind heute zwischen 77 und 84 Jahre alt und wollen arbeiten, solange sie können. „Mit Gottes Hilfe“, wie sie sagen.
Angeregt durch den Bildband Architektur Nürnberg 1900–1980 von Klaus-Jürgen Sembach mit wunderbar schlichten Schwarz-Weiß-Aufnahmen, entschloss ich mich, einige der noch vorhandenen Bauten mit ähnlicher Perspektive zu fotografieren. Ich wollte den momentanen Zustand von wichtigen Nürnberger Bauwerken und Ensembles des letzten Jahrhunderts festhalten. Mein Werkzeug war eine kleine Digitalkamera, mit der man ohne Aufsehen und schnell arbeiten kann. Was der historische Fotograf am Aufnahmestandpunkt an seiner Kamera einstellen musste, erledigte ich mit entsprechender Software zu Hause am Computer. Zunächst war ich erstaunt, in welch fast unverändertem Zustand sich die alten Bauwerke präsentierten. Ich war überrascht, mit welcher Genauigkeit und sozialer Weitsicht etwa die Gartenstadt oder die Wohnsiedlung am Rangierbahnhof geplant und realisiert worden waren.
Erst auf den zweiten Blick bemerkte ich – wie etwa in dieser Wohnanlage an der Carl-von-Linde-Straße –, dass zwar die Bausubstanz weitgehend erhalten geblieben war, doch eine Vielzahl von Details entweder verloren gegangen oder neu hinzugekommen war. Da war eine Mauerumfassung verschwunden, dort ein Lichtschacht zugemauert worden, Anbauten verstellten den Blick, Fenstersprossen fehlten, es gab neue Werbeflächen, Läden, Grünstreifen mit hässlichen Bodendeckern, Mülltonnen, Altglascontainer, Handymasten, Satellitenschüsseln und eine Unzahl von aufdringlich designten Blechkisten, die überall herumstehen und so tun, als würden sie schon immer zum Stadtbild gehören. Kurz: Die einstige Monumentalität und Größe der meisten Bauwerke wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. Als hätte sich der Denkmalschutz aus den Randzonen der Stadt verabschiedet. Nürnberg präsentiert sich gern als mittelalterliche Stadt und vergisst oft seine wichtige neuere Architektur.