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Die Begegnung

Alle Warnemünder kennen die Straßenmusiker, die jedes Jahr bei jedem Wetter auf der Promenade stehen, sobald der Winter vorbei ist: der zauselige Allrounder, der mit einer Hand die Trompete, mit der anderen das Akkordeon und mit den Füßen Schlagzeug spielt und leise, mittlerweile auch auf Deutsch, dazu singt. Der Didgeridoo­Spieler, der stoisch sein Instrument bläst. Die Akkordeonspielerin, die mit mü­dem Gesicht ihre Lieder spielt und Vorübergehenden traurig zulächelt.
Und dann die Blockflötenspielerin, die ohne Pause Volkslie­der bläst. Alle meine Entchen. Hänschen klein. Kommt ein Vogel geflogen. Die Hände blau gefroren, das Gesicht halb von der Kapuze der Jacke verdeckt, mit der sie sich vor dem Seewind schützt.
Die Menschen gehen vorbei, schauen weg oder an ihr vor­ bei, mit sich selbst beschäftigt, die Blockflötenspielerin lässt sich nicht beirren, sie spielt, und wenn ein Geldbetrag in ihren Topf fällt, bedankt sie sich. »Danke, vielen Dank, Sie sind so gut!«
Jetzt aber saß sie zurückgezogen auf einer Bank im Park hinter der Promenade. Sie weinte und wischte sich die Tränen mit der einen Hand ab, mit der anderen hielt sie eine selbst gedrehte Zigarette im Schoß. Still und abseits war sie in sich zusammengesunken. Die Flöte lag in einem Ein­kaufsbeutel auf dem Boden.
»Warum sind Sie so traurig? Ich höre Ihnen gern zu.« »Danke. Vielen Dank. Ich habe schon gespielt, den ganzen Vormittag, ich möchte immer nur spielen, aber dann musste ich weinen.«
Sie streckte die Hand aus, so als ob sie meine drücken woll­te. Unwillkürlich zog ich meine Hand zurück, gleichzeitig erschrocken über meine Reaktion. Ein einsamer Mensch, der für ein bisschen Aufmerksamkeit Kinderlieder spielt, der dann die Hand ausstreckt und doch allein gelassen wird.

Sigrun Seidel-Petry, Warnemünde
Die Serie »Eine kleine Weltreise« von Sabine Kröner setzen wir in der nächsten Woche fort

 

Was mein Leben reicher macht

Die Mitarbeit in der Biografiewerk­statt. Unser Ziel ist es, das Leben alter Menschen zu würdigen, in­ dem wir deren Biografien auf­schreiben und als Buch veröffent­lichen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, wie interessant und bereichernd die Gespräche mit diesen Menschen über ihr Leben und ihr Schicksal sein können.

Renate Donath, Hamburg

 

65 Jahre DIE ZEIT

In Hamburg ermöglichte der 65. Geburtstag der ZEIT Beate Schwarz und Ute Thumm, die seit vielen Jahren als Coaches, Wegbegleiter und Berater für Unternehmen tätig sind, ein Gespräch über Unternehmenskultur und Zukunftsorientierung mit der Verlagsleiterin Stefanie Hauer: „Wir erkunden die verschiedenen, persönlichen Blickwinkel zur Zukunftsorientierung, wollen dem inneren Leitsystem fürs eigene Handeln auf die Spur kommen und sind neugierig, wie diese Menschen das in ihren beruflichen Alltag integrieren.“ Diskutiert wurden Fragen wie: Was ist Wahrheit? Was bedeutet es, Respekt vor der Leistung anderer Menschen zu haben, auch wenn sie ganz anders sind als wir selbst oder was macht gute Medien aus?

Ute Thumm, Stefanie Hauer, Beate Schwarz

„Frau Hauer gab uns einen lebendigen und interessanten Einblick in den Alltag der ZEIT. Die Leidenschaft für den Verlag, der Anspruch an einen pluralistischen Journalismus, an einen hohen Wertekodex und eine ausgeprägte Debattierkultur wurde in unserem Gespräch sehr deutlich spürbar“, berichten die beiden Besucherinnen im Anschluss.

 

Behende: Mein Wort-Schatz

Zu meinen schönsten Kindheits­erinnerungen gehören die Samstag­morgen, an denen unser Vater meinem Bruder und mir vorlas. Ich war neun Jahre alt, mein Bruder drei Jahre älter. Deshalb variierte die Literatur von der Unendlichen Geschichte über Momo bis hin zu den Büchern von Enid Blyton. Mein Bruder und ich lagen an un­ seren Papa geschmiegt in seinem Bett und lauschten seinen Worten. Oft war er schon ganz heiser, weil er häufig unserem Bitten nachgab: »Nur noch ein Kapitel, jetzt ist es gerade so spannend!« In der Abenteuerserie von Enid Blyton kommt mein Wort­Schatz vor. Ich weiß nicht mehr, in welchem der acht Bücher beschrieben war, wie ein Kind behende einen Fels hochklettert. Mein Bruder und ich jedenfalls mussten uns von un­ serem Vater erklären lassen, was das bedeutet, denn das Wort wurde auch schon 1986 kaum noch be­nutzt. Zum Amüsement unseres Vaters ließen mein Bruder und ich uns minutenlang über dieses ko­mische Wort aus. Nun lebe ich seit fast neun Jahren in der Schweiz und arbeite als Lo­gopädin mit Kindern. Vor zwei Jahren entdeckte ich meinen Wort­ Schatz in einem Förderbericht, da verwendete eine Therapeutin tat­ sächlich das Wort »behende«! So­ gleich hatte ich wieder das Bild des kletternden Mädchens vor Augen – und den 22 Jahre zurückliegen­ den Samstagmorgen.

Ruth Schulte Meyer, Bern

 

Was mein Leben reicher macht

Das Kinderlachen meiner neuen thailändischen Schülerin, wenn ich deutsche Wörter mit ihr übe und sie mir die thailändische Überset­zung beibringt.

Franca Höltgen, Düsseldorf

 

Was mein Leben reicher macht

Es ist ein schöner Frühlingstag, und ich säe Blumen aus. Kaum habe ich die Fläche geharkt, meine Sieben­sachen gepackt und mich umge­dreht, hüpfen Amseln aufs Beet und wollen sich an den Samen gütlich tun. Ich will sie verscheu­chen, da erinnere ich mich an meinen lange verstorbenen Vater. »Wer einen Garten hat, muss mit den Vögeln des Himmels teilen«, sagte er. Gelassen schaue ich den Amseln zu. Danke, Papa, für diese Weisheit!

Margret Bley-Burggraf, Emden

 

65 Jahre DIE ZEIT

Anfang April besuchte Martin Spiewak, Chefredakteur des ZEIT-Studienführers, die Hiberniaschule in Herne, ein Waldorfprojekt. Zum 65. Geburtstag der ZEIT hatte die Schule den Redakteur eingeladen und sich ein besonderes Programm zur Vorstellung des Schulkonzepts überlegt: nach Unterrichtsbesichtigungen in Unter- und Mittelstufe so wie einem Geburtstagskonzert von rund 300 Schülern im Musiksaal, wurde im Anschluss lebhaft diskutiert und das „Waldorfklischee“ thematisiert. Nach einem Gang durch die Werkstätten, wurde beim gemeinsamem Eintopf in der Schulmensa, und später im Lehrerzimmer über die Entstehung der Schule, ihr Konzept und ihre pädagogischen Gesichtspunkte gesprochen.

Martin Spiewak in den Werkstätten

Martin Spiewak war begeistert: „Vom Geburtstagsständchen über die Unterrichtsbesuche bis zum Schüler- und Elterngespräch war alles perfekt organisiert und äußerst interessant. Es stünde um unsere Schulen um einiges besser, wenn alle Lehrer mit solch einem Engagement und einer solchen Freude mit Schülern arbeiten würden, wie es das Kollegium der Hiberniaschule tut. Besonders beeindruckt hat mich die Verbindung der akademischen und handwerklichen Ausbildung, mit der die Schule eine Art Alleinstellungsmerkmal in der Bildungslandschaft besitzt.“

Eindrucksvolles Geburtstagsständchen für den ZEIT-Redakteur

Als Erinnerung gab es einige selbstgebastelte Geschenke, z.B. einen Holzkoffer, gefüllt mit Gegenständen aus dem Alltag wie eine gefilzte Handytasche mit ZEIT-Emblem, einen hölzernen Brieföffner und ein Tagebuch. Highlight: ein getriebener Aschenbecher für den ZEIT-Mitherausgeber Helmut Schmidt…

 

Wiedergefunden: Die Überseekiste

Im Jahr 1970 wechselte meine Schwiegermut­ter von einer Missionsstation in Namibia, das damals noch Südwestafrika hieß, nach Peru. Einen Teil ihrer Sachen schickte sie in zwei großen Überseekisten an ihre Familie in Deutschland. Als unsere beiden   jüngeren Kinder vor einigen Jahren jeweils einen eige­nen Hausstand gründeten, stöberten sie im Kellergerümpel nach brauchbaren Sachen. Beide erkoren diese Kisten als Wohnzim­mertisch. So steht jetzt eine Kiste in München (Foto) und eine in Lausanne. Die Schwiegermutter lebt schon lange nicht mehr, und Klein­ Krotzenburg ist kein eigen­ ständiger Ort mehr, sondern Teil von Hain­burg in Hessen. Aber der »Duft der großen, weiten Welt« bleibt.
Doris Henninger, Erlangen