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Opa ist da!

Wie an jedem Donnerstag: Besuch bei den Enkelkindern. Rebecca, zweieinhalb, öffnet die Tür und strahlt übers ganze Gesicht, großes Hallo. Bei der Begrüßung nimmt sie mir bereits die Mütze vom Kopf und beginnt, meinen Mantel zu öffnen. „Opa, ausziehen“, sagt sie dann und bringt alles schnell zur Garderobe. Nur so ist sie offenbar sicher, dass ich bleibe.

Berthold Stötzel, Siegen

 

Vierter!

4. Liga Fußball, 92. Minute, 1:0 – wir warten bei frostigen Temperaturen auf das Ende. Ich blicke mich um. Mir fällt ein Junge auf, neben ihm ein alter Mann. Beide schauen wie gebannt auf das Spielfeld. Sie eint der Wunsch nach einem Pfiff. Als er endlich kommt, strahlen sich beide kurz an und gehen dann wieder ihrer Wege. Wir sind Vierter! So gut waren die Lilien lange nicht mehr.

Alexander Ludwig, Weiterstadt

 

Wer verweigert hier die Integration?

Der Anteil der Integrationsverweigerer unter den Einwanderern wird auf zehn bis fünfzehn Prozent geschätzt. Nach meiner Beobachtung aber ist der Anteil der Integrationsverweigerer in der alteingesessenen Bevölkerung etwa dreimal höher. Aber darüber spricht niemand! Mein Sohn ist deutscher Staatsbürger, spricht fließend Deutsch, hat durch die Adoption sogar einen deutsch klingenden Familiennamen – aber seine Haut ist schwarz. Wird er gefragt, woher er komme, antwortet er: „Aus Frankfurt.“ Aber vier von zehn Deutschen fragen dann nach: „Und woher kommst du eigentlich?“ Das ist Integrationsverweigerung! Er arbeitete mehrere Jahre als Check-in-Agent am Flughafen, und immer wieder sprachen ihn Menschen mit deutscher Muttersprache auf Englisch an – und sprachen sogar dann weiter Englisch mit ihm, wenn er ihnen in fließendem Deutsch antwortete. Das ist Integrationsverweigerung! Weit verbreitet ist die Haltung, man müsse auf immer und ewig dem Ort seiner Geburt verbunden bleiben. Gerade Vertriebene, die auch mehr als sechzig Jahre nach Kriegsende darauf bestehen, weiter Ostpreußen, Donauschwaben oder welcher Herkunft auch immer zu sein, zwingen Einwanderern oft ihre eigene integrationsverweigernde Einstellung auf. Es gibt ein Menschenrecht auf Heimat. Heimat aber ist nicht immer der Ort, aus dem man stammt. Heimat ist der Ort, in dem man lebt und wo man begraben sein will – und damit auch im Laufe eines Lebens veränderbar. Wenn wir das nicht begreifen, werden wir niemals integrationsfähig! Die Hand, die wir den Einwanderern in unserem Land entgegenstrecken, ist viel zu oft zur Faust geballt.

Holger App, Frankfurt am Main

 

Weihnachten

Neues Jahr, neue Gedicht­form: Nach den Haikus starten wir jetzt mit Parodien auf klassische Lyrik. Einzige Bedingung: selbst geschrieben und nicht länger als sechzehn Zeilen! Diesmal lesen Sie eine zeitgemäße Neufassung des Eichendorff-Gedichtes „Weihnachten“.

Markt und Straßen, volle Gassen,
Hell erleuchtet jedes Haus,
Hektisch strömen Menschenmassen,
Nirgends sieht es festlich aus.

All die Fenster haben Frauen
Oder Männer reich bestückt,
Nicht, damit die Kinder schauen,
Nein, damit der Umsatz glückt!

Und ich wandre aus den Mauern
Bis hinaus ins freie Feld,
Denke traurig mit Bedauern,
Wie so arm doch ist die Welt!

Taub, wenn Weihnachtsglocken klingen,
Blind für gnadenreiche Zeit,
Stumm für wunderbares Singen –
Nur wirklich reich an Einsamkeit!

Sigrid Heuer, Vallendar bei Koblenz

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn meine Frau neue Wörter erfindet, zum Beispiel „lugolugo“. Das bedeuted „in den Arm nehmen, kuscheln“. Danke, liebe Nelly, für deinen unermeßlichen Wortschatz.

Theo Haider, Erding

 

Ohne Rute

1978. Ich biete meinem 3-jährigen Sohn zum Auswendiglernen das Gedicht „Lieber, guter Weihnachtsmann…“ an. Er will wissen, was eine Rute ist. Nach meiner Erklärung sagt er: „Nee, Mama, das lern ich nicht!“ Wir haben dann eine freundliche Umdichtung vorgenommen – ohne Rute.

2010. Ich biete meiner 3-jährigen Enkelin das gleiche Gedicht an. Auch sie will wissen, was eine Rute ist. Danach sagt sie entschieden: „Nein Oma. Das geht nicht! Das darf auch kein Weihnachtsmann!“

Etta Wilken, Hildesheim

 

25 Jahre nach der Mondscheinsonate

Als er drei Jahre alt war, lag er am Boden neben dem Klavier und hörte mir zu, wie ich die Mondscheinsonate übte. Heute stehe ich in der Küche und koche ein Kürbissüppchen und höre ihn oben, in seinem Zimmer, wie er, jetzt 28, Impromptu Nr. 4 in cis-Moll von Chopin einstudiert. Da sag ich zu meinem Kürbis: „Siehst du? So was macht das Leben reicher!“ Und beinahe fällt mir eine Träne der Dankbarkeit in den Kochtopf.

Herbert Stummvoll, Langenau

 

Wiedergefunden: Das Schokobrezelrezept

Rechtzeitig vor Weihnachten habe ich es gefunden: das Rezept aus dem Kochbuch meiner Urgroßmutter, das sie wiederum von ihrer Großmutter hatte, also von meiner Urururgroßmutter. Also muss es ungefähr aus dem Jahr 1870 stammen. Aus Neugier habe ich (20, Studentin) das 140 Jahre alte Rezept einmal ausprobiert. „200 Gramm Butter, ¼ Pfund Zucker, ¾ Pfund Mehl“ – das war ja einfach. Doch an der Angabe „für 10 Pfennig Schokolade“ wäre ich beinahe gescheitert, wenn mir nicht meine Großmutter nach einigem Überlegen geraten hätte, 100 Gramm Raspelschokolade zu verwenden. Also alles mit 1 Ei und etwas Zimt auf einem Nudelbrett abkneten, Brezeln formen, diese mit Eigelb bestreichen und bei mäßiger Hitze backen – es ist tatsächlich gelungen!

Julia Zaccaria, München

 

Was mein Leben reicher macht

In der Dunkelheit bei 10 Zentimetern Neuschnee in Mondlicht und Kälte federleichte Pulverschnnee-Wolken von der Einfahrt schaufeln. Und mit den Kindern dieses Erlebnis teilen!

Susanne Conzen, Baierbrunn

 

Nie mehr Ärger

5.30 Uhr. Kein Wecker klingelt. Aufwachen aus Gewohnheit, meine Katze kommt kuscheln, auch sie darf weiterschlafen. Welch Glücksgefühl, fast wie Schmetterlinge im Bauch. Heute beginnt meine Altersteilzeit. Nie mehr Ärger, nie mehr hetzen. Ein schönes Gefühl.

Karin Küfer-Müller, Stuttgart