Lesezeichen
 

Held des Kurzurlaubs

Kurzurlaub in Paris. Mit fiebriger Erkältung gehe ich früh zu Bett. Mitten in der Nacht höre ich meinen Freund meinen Namen sagen, geschwächt reagiere ich nicht. Morgens nach dem Aufwachen: Mein Freund liegt frierend neben mir, ich, vollständig eingehüllt in die breite Bettdecke, frage ihn: „Warum hast du denn nichts gesagt?“ – „Ich wollte dich schlafen lassen.“ Henning, ich liebe dich.

Annika Wedemeier, Limburgerhof, Rheinland-Pfalz

 

16 Jahre Träume

Fast jede Nacht träume ich Verrücktes, Spannendes, Trauriges, Angenehmes oder Absurdes. Morgens beim Frühstück erzähle ich diese Geschichten meiner interessierten Familie. Ohne mein Wissen sammelte mein Mann sie sechzehn Jahre lang, stellte sie kommentarlos zusammen und überreichte sie mir als Buch: das allerschönste Geschenk meines Lebens.

Birgid Raddatz, Berlin

 

Wiedergefunden: Mein Mobiltelefon

Ich hatte mein Handy im Zug liegen gelassen. Zu dumm! Vier Tage lang wählte ich immer wieder meine eigene Nummer, aber niemand antwortete. Als meine Hoffnung schon schwand, klingelte das Telefon. Ein Mitarbeiter der Bahn sprach von einem „Fundgegenstand“ und fragte mich nach meiner Anschrift. Zwei Tage später hatte ich das Handy wieder. Sogar der Akku hatte noch Strom. „Ich hab mich so erschrocken, bis ich bemerkt habe, dass das Päckchen klingelt“, sagte die Frau vom Blumenladen, die für die ganze Straße die Warensendungen entgegennimmt. Ich umarmte meine Blumenfrau und in Gedanken alle ehrlichen Menschen dieser Welt.

Jürgen Stolz, Regensburg

 

Frankfurterin, 58, arbeitssuchend

Es begann mit diesem unguten Bauchgefühl. Die Firma, in der ich seit 6 Jahren arbeitete, lief nicht mehr rund. Ein Wechsel in der Geschäftsführung verlief nicht zum Besten, und da ich als Sekretärin der Geschäftsführung nahe an der Schaltzentrale saß, spürte ich manche Veränderungen hautnah.

Das 1. Jahr, Alter: 56

Ich begann mich zu bewerben – nur hin und wieder auf Stellen, die mich besonders ansprachen, wenn ich am Wochenende die Stellenanzeigen überflog. Aber ich bekam nur Absagen. Da ich nicht besonders intensiv suchte, war das nicht so schlimm für mich, besonders nicht, wenn die Absagen freundlich formuliert waren, meine Qualifikationen gelobt wurden und mir alles Gute für die Zukunft gewünscht wurde. Letzteren Zusatz formulierte immerhin ungefähr jede fünfte Firma. Ich hatte einen Termin bei einer großen, renommierten Personal- und Zeitarbeitsvermittlungsfirma. Die Mitarbeiterin war sehr freundlich, lobte mich über den grünen Klee, fragte mich eine Stunde lang über meinen derzeitige Tätigkeit aus. Als ich schießlich ging, erklärte sie mir, sie habe in zwei Tagen ihren letzten Tag in der Firma, aber die Unterlagen würden an eine Kollegin gehen. Als ich drei Wochen später nachfragte, waren meine Unterlagen nicht mehr zu finden und in der zentralen Datei war ich nicht erfasst.

Das 2. Jahr, Alter: 57

Die Lage begann sich zuzuspitzen. Mir wurde immer mulmiger in der Firma, mein nächster Geburtstag, der 57. war in Sicht und ich verdoppelte den Einsatz: So alle 6 Wochen schrieb ich eine Bewerbung und stellte mich auch bei einem Headhunter vor. Die zuständige Beraterin meinte, sie könne mir bestimmt eine Stelle vermitteln, es käme nur darauf an, die Ausschreibung geschickt zu formulieren und meine Qualifikationen ins rechte Licht zu rücken. Ich verließ das Gebäude nach diesem Gespräch beschwingt und voller Hoffnung. Erst einmal hörte ich wochenlang nichts von der Headhunterin, dann wurde mir, obwohl ich noch in ungekündigter Position war, eine befristete Stelle angeboten und mit einem Drittel weniger an Gehalt. Als ich ablehnte, hörte ich wieder wochenlang nichts, dann wurde ich gefragt, ob ich an einer Position im weiteren Umkreis von Frankfurt interessiert sei. Als ich bejahte, hörte ich lange nichts, bis ich schließlich nachfragte und erfuhr, dass sich der Kunde der Headhunter für eine Mitbewerberin entschieden habe.

Das 3. Jahr, Alter: 58

Ich erfuhr von beunruhigenden Entwicklungen in meiner derzeitigen Firma und wusste, jetzt wird es ernst. Ich ging zur Beratung bei der Rentenversicherung, erfuhr, dass meine zu erwartende Rente um etwa ein Drittel gekürzt würde, wenn ich keine neue Arbeitsstelle finde, machte Kassensturz, stellte alle Sonderausgaben ein, und listete mich in zwei Jobbörsen im Internet, gab ein kostenloses Stellengesuch in einem Online-Portal auf, las jedes Wochenende sorgfältig die ausgeschriebenen Stellenangebote in zwei Tageszeitungen, ließ neue Passfotos nach einem Friseurbesuch machen und schrieb Bewerbung auf Bewerbung. Gelegentlich erhielt ich eine Empfangsbestätigung, hin und wieder ein Schreiben mit dem Hinweis, dass die Bearbeitung der zahlreichen Zuschriften einige Zeit beanspruchen würde, aber dann passierte nichts mehr, und meist kam dann die Bewerbung zurück bzw. auf die Online-Bewerbungen kamen Absagen – meistens, aber manchmal nicht einmal das.
Kurz nach meinem 58. Geburtstag warf mich die Firma der Headhunter aus der Kartei. Es gäbe zur Zeit nichts Passendes für mich. Ich fragte nach, ob ich nicht in der Kartei bleiben könnte, aber die Antwort war lakonisch: „Wir haben zur Zeit nichts für Sie“. Was soll eine im Personalwesen versierte Fachkraft auch sonst sagen in den Zeiten der Antidiskriminierungsgesetze… In der Zeitung lese ich gleichzeitig viele Artikel und Kommentare über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und den Kampf gegen die Frühverrentnerung, worauf angeblich so viele Menschen aus sind. Was gäbe ich darum, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

Es geschieht: Die Firma, in der ich arbeite, meldet Insolvenz an. Erst die vorläufige, dann die endgültige. Ich gehe wieder zum Friseur, lasse neue Bewerbungsfotos machen, für die ich zuversichtlich in die Linse blicke und bewerbe mich, bewerbe mich, bewerbe mich. Das Jobportal der Arbeitsagentur tut sich auf: So viele Stellen, die ab sofort zu besetzen sind! Zwischen den vielen, vielen Vermittlern von Zeitarbeitsstellen oder im besten Fall festen Stellen, findet sich ab und zu eine direkte Ausschreibung einer „normalen“ Firma. Wen stört es da, wenn von einer Wochenarbeitszeit von 46 Stunden geredet wird oder eine Arbeitszeit vom Nachmittag bis 22 Uhr ausgeschrieben wird. Ich möchte nur arbeiten und bewerbe mich. Die Post erlebt einen Konjunkturaufschwung: Ich schreibe Bewerbungen, schicke sie ab, die Firma schickt die Bewerbungsmappe wieder zurück.

Glücklicherweise habe ich online eine Flatrate und kann manche Bewerbung gleich am Bildschirm losschicken.
Noch drei Monate, dann ist Weihnachten – und ich habe keine Arbeit mehr. Eine hochqualifizierte Sekretärin mit sehr guten Englischkenntnissen, viel Erfahrung im Personalwesen und versierte Facility Managerin in einer mittelständischen Firma wird anscheinend nicht alle Tage gebraucht. Auch nicht, wenn sie zu Abstrichen gehaltlicher Art und was den Weg zur Arbeitsstelle angeht, bereit ist.

Mein derzeitiger Lieblingsschlager: „Wunder gibt es immer wieder“ – wie heißt es so treffend im Volksmund: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Eva H., Frankfurt

 

Was mein Leben reicher macht

Kiss of life! Die unglaubliche Vorfreude und Aufregung, nach vielen Jahren die charismatische Sängerin Sade mit Band wieder auf der Bühne sehen zu dürfen.

Corinna Löns, Göttingen

 

Kritzelei: König David

Entstanden ist diese Kritzelei während der Haupt- und Generalprobe für König David von Arthur Honegger. Während die Orchester- und Solostücke geprobt wurden, habe ich den Stift von der ausdrucksstarken Musik leiten lassen.

Manuela Hilgenkamp, Münster

 

Die Emscher plätschert wieder sauber

Die renaturierte Emscher. Wir wohnen fünf Kilometer entfernt von der Quelle, und schon hier war die Emscher jahrzehntelang in Beton gefasst, schlammig, schmierig, stinkend, der Abwasserkanal der Region eben. Aber wenn ich jetzt – fast täglich – über die Brücke radele oder gehe, sehe ich eine grüne Aue, einen sich hinschlängelnden, sauberen Bach. Und ich freue mich auf das Frühjahr und auf alles, was sich am Wasser ansiedeln wird. Der Radweg entlang der Emscher ist ein Genuss.

Annette Sprenger, Dortmund

 

Hier ist Afrika (10)

Wie süß sie sind, diese Mäuse, ganz klein und niedlich! Treuherzig gucken sie mich mit ihren braunen Knopfaugen an, scharren und knistern in der Speisekammer. Zu zweit stecken sie in den zum Trocknen aufgehängten Maiskolben und machen sich noch nicht einmal die Mühe davonzulaufen. In der Küche begrüßt mich Mäusekot, wie an jedem Morgen. Was ist so lecker am papierenen Etikett der Ölflasche? Frech, dreist, gierig und gefräßig haben sich die Viecher durch die Folie in die Butter gefressen und eine teelöffelgroße Menge davon vertilgt. Pfui! Eines Abends rennen sie wieder, die Biester, und da muss ich leider feststellen, dass sie nicht nur Butter, Mais und Reis mögen: Sie nagen auch an Kerzen; an Kaffeepackungen und Korken sowieso. Vor ein paar Tagen haben sie mir einen stabilen Plastikkanister durchgebissen!

Das Wochenende verbringe ich auswärts mit dem Ziel, mal eine Nacht durchzuschlafen. Was geschieht? Knabbergeräusche alarmieren mich. Und ich muss nicht lange darüber staunen, dass meine Sachen so durcheinandergeraten sind: Keine Frage, auch hier gibt es Mäuse! Und die knabbern an allem, was sie finden. So quillt der Inhalt fröhlich aus Zahnpasta- und Cremetuben, Shampoo und Flüssigseife. Überall Plastikraspel und frischer Mäusekot. Eines Tages öffne ich einen Ordner im Büro und muss sehen, dass glatt die Hälfte der Papiere säuberlich abgeknabbert ist! Mitunter bin ich nicht sicher, welche Maus ich am Computertisch benutzen soll. Zumindest die Längen der Schwänze sind sehr ähnlich.

Seit fast zwei Jahren lebt Tabea Müller, 37, im Nordwesten Kameruns. Als Sozialmanagerin berät sie Frauen, unterstützt ein Alphabetisierungsprogramm und andere Projekte. Hier erzählt sie jede Woche über den Alltag im Inneren Afrikas

 

Die Berge machen mein Leben reicher

Stuttgart. Sonntag. Sonne, Wärme mitten im November. Sehnsucht nach Leben und Sehnsucht nach den Bergen. Weitblick brauchen… Spontan, unvernünftig, Pflichten zurücklassend, fahre ich vier Stunden Richtung Süden. Von Augsburg aus sehe ich schon die Berge. Dann, endlich, sitze ich am Ufer des Starnberger Sees. Auch als die Schatten länger werden, sitze ich noch eine Stunde lang dort, die Sonne wärmt fast wie im Sommer, vor mir die schneebedeckten Berge, die sich am Horizont als Kette klar abzeichnen. Sonnenuntergang in Rot-Blau-Lila. Danach vier Stunden zurück nach Stuttgart. Montag, kalt, grau, verregnet. In meinem Kopf viele Bilder, auf meinem Handy als Hintergrund jetzt eins davon mit den Bergen.

Jutta Nolte, Stuttgart