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Zeitsprung: Pescher See, Köln

Winter

Alle Welt liebt den Sommer, je höher die Temperaturen, desto größer die Begeisterung. Die Massen strömen in die Parks und an die Seen, und im Winter fliegen sie dann einfach dahin, wo gerade Sommer ist. So einfach ist das heute. Denn den Winter mag kaum jemand und Schnee und Eis schon mal gar nicht. Die beiden Fotografien sind am selben Ort entstanden, am Pescher See in Köln. Im Winter 2009 konnte man auf dem See tatsächlich Schlittschuh laufen.

Sommer

Jetzt im Sommer kann man am Ufer gut grillen, grölen, saufen und seinen Müll liegen lassen. Das sieht zwar nicht so schön aus und hört sich auch nicht schön an, aber das ist vielen Kölnern offenbar egal. Mir gefällt der Winter besser, nicht nur auf meiner Fotografie. Er ist still und melancholisch, er besitzt tatsächlich so etwas wie Würde. Der Sommer dagegen ist schwül und laut, aber zum Glück meist nur so kurz wie eine SMS aus Mallorca.

Evelyn Meessen, Köln

 

Durch die Kamera in die Augen

Im Fernsehen sehe ich eine Dokumentation über ein 14-jähriges Mädchen, das an Leukämie erkrankt ist. Am Anfang sagt sie einmal: „Ja, ich werde kämpfen!“ Am Ende des Films wird sie sterben. Zwei Tage bevor sie stirbt, schaut sie einmal direkt in die Kamera – und damit auch mir direkt in die Augen. Ich kämpfe mit den Tränen. Danach ist vieles anders, reicher!

Hartmut Neumann, Aachen

 

Lernen von den Urenkeln

86 Jahre lang war ich in meiner Heimatstadt Düsseldorf verwurzelt. Zuletzt wohnte ich dort allein. Da riefen mich meine Tochter und ihre Familie zu sich ins Schwabenland. Kurz entschlossen zog ich um. Beim Abschied sagte mein Nachbar: „Wenn das man gut geht! Einen uralten Baum kann man nicht verpflanzen.“ Doch ich war fest davon überzeugt, dass es gut gehen würde, und nun „wurzele“ ich schon fast zwei Jahre mit herrlichem Blick auf die Schwäbische Alb. Der Kern der Sache: Nicht nur, dass ich von der Fürsorge und Liebe meiner Familie durch mein neues Dasein getragen werde, nein, ich erlebe täglich im Umgang mit meinen beiden Urenkelkindern eine neue, lebendige Welt. Ich lerne zum Beispiel neue Methoden der Kindererziehung kennen. Kein „Sei still!“, „Hör auf!“, „Benimm dich!“. Der Umgang mit den Kindern ist verständnisvoller, ja partnerschaftlich, mit großem Vertrauen in ihre Stärke. Das macht mich glücklich und reicher.

Anna Schäfer, Schwäbisch Gmünd

 

Kritzelei: Caesars Lücken

Diese Kritzelei ist schon etwa fünfzig Jahre alt. Damals nahmen wir im Lateinunterricht Caesars De Bello Gallico durch, und ich habe noch gut in Erinnerung, wie ich mir die Zeit damit vertrieb, die Lücken im Text mit möglichst durchgängigen Linien zu verzieren.

Ernst von Ledebur, Darmstadt

 

Viele, viele Glücksmomente

Jede Woche erfreue ich mich an den kleinen Schätzen, die hier geteilt werden, bis ich irgendwann dachte: Ich möchte auch einen schicken! Es fällt mir sofort einer ein und dann noch einer und noch einer – ich kann mich nicht entscheiden unter den vielen kleinen Glücksmomenten, die mir das Leben grad beschert. Die Erkenntnis bringt mich zum Lachen: Wie bin ich reich!

Sigrid Thomas, Lübeck

 

„Danke!“

Wieder einmal besuchte ich das Lahntal, um auf einem der steilen Wanderpfade durch den Wald zu kraxeln. Da kam mir eine junge Familie entgegen. Der Junge, etwa acht, hüpfte mehr, als dass er ging, weit den Eltern und der kleinen Schwester voraus. Ich war an einer engen Stelle ein Stück zur Seite getreten, als er vor mir stehen blieb. Dann sagte er nur: „Danke!“ – und sprang weiter. Was für ein segensreiches Wort, dachte ich, besonders, wenn es aus Kindermund so unbekümmert daherkommt!

Ulrich Brötz, Hahnstätten im Taunus

 

Was ist schon eine Stunde Verspätung?

An einem ganz normalen Morgen im Zug von München Richtung Frankfurt: laut telefonierende Menschen um mich herum und andere, die wild auf Laptop- und Blackberry-Tastaturen einhacken. In der Sitzreihe vor mir erzählt ein Herr am Telefon von besoffenen Geschäftsleuten und anderen Nebensächlichkeiten. Der Zugchef begrüßt uns freundlich auf Deutsch und Englisch, aber der Schein der nahezu vollkommenen Normalität währt nur eine gute halbe Stunde. Da informiert uns der Zugchef nämlich über eine Strecken-Vollsperrung zwischen Ingolstadt und Nürnberg. Der Herr vor mir telefoniert schon wieder. „Das kann ja nur heißen, dass sich einer vor den Zug geschmissen hat“, kommentiert er und informiert seinen Gesprächspartner sogleich über die Umleitung des Zugs und dass er zu spät ankommen werde. In Nürnberg eine neuerliche Durchsage: Jetzt wird ein Arzt im Zug gesucht. Und gleich darauf die Information, ein Fahrgast müsse versorgt werden, man warte auf einen Notarzt. Genervtes Raunen, Stöhnen und Augenrollen um mich herum. Auch ich kam mit einer knappen Stunde Verspätung ins Büro in Würzburg. Aber ganz ehrlich: Wenn ich im Zug zusammenklappen würde, fände ich es auch ganz nett, wenn man mich nicht auf dem Bahnsteig parken würde, bis der Notarzt kommt. Und was ist schon eine Stunde Verspätung gegen den Gedanken, dass irgendwo zwischen Ingolstadt und Nürnberg ein Mensch so verzweifelt war, dass er sich umbringen wollte? Und gegen den Schock, den der betroffene Lokführer wahrscheinlich erlitten hat?

Daniela Kern, Würzburg

 

Wiedergefunden: Die Spuren der Kindheit

War es wirklich Zufall, dass David Blum aus Ann Arbor, Michigan, auf seiner Spurensuche in Bamberg an den Apotheker Erich-Michael Luft geriet, dem er sein Anliegen in Englisch vortragen konnte? Er wollte den Ort wiederfinden, an dem in der Nachkriegszeit seine Eltern mit Tausenden anderer osteuropäischer Juden vor der Auswanderung nach Palästina Zuflucht gefunden hatten. Der Apotheker knüpfte den Kontakt zu mir, weil er weiß, dass ich mich als Heimatpfleger auch mit dieser Epoche beschäftige. Mit Mister Blum, einem Hautarzt, wanderte ich von seiner damaligen elterlichen Wohnung in der Ulanenkaserne (Bild) zur Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde und zur ehemaligen Frauenklinik, wo David Blum im November 1946 das Licht der Welt erblickt hatte. Bewegt berichtete er, dass er viele Jahre mit sich gerungen hat, ob er seinen Geburtsort jemals wiedersehen wollte, den er nur von alten Fotos und aus Erzählungen seiner Eltern kannte. Nach dieser Zeitreise aber ist er sicher, dass er wiederkehren wird in unsere schöne Weltkulturerbestadt.

Hanns Steinhorst, Bamberg