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Living in the Material World Dokumentation

(c) Harrison Family

(c) Harrison Family

Als 1968 „While my Guitar gently weeps“ auf dem weißen Album der Beatles erschien, war die größte Band der Welt bereits zerrissen, und vielleicht spiegelte George Harrisons einziges Lied auf dem Album die Situation am besten wider: George blickte von außen, mit spiritueller Gelassenheit – „Man muss sich ändern, alles andere wäre Zeitverschwendung“ – auf alles, was geschah.
Harrison war „der stille Beatle“, aus Fanaugen gesehen. Er war der jüngste der Vier, aber gleichzeitig der, der nach dem Wahnsinn der Beatlemania einen tieferen Sinn suchte. George brachte die Beatles nach Indien – eine Reise, die die Welt der Musik für immer verändern sollte – und wurde damit zum Vorbild einer alternativen Denkweise der Abkehr vom Materiellen; „Als wir das Geld hatten, fanden wir heraus, dass Geld nicht die Antwort sein kann“, sagte Harrison. Mit Stilikone Patti Boyd an seiner Seite war George im London der 1960er Jahre der Rockstar unter den Beatles, war Mittelpunkt eines Netzwerkes aus Musikern und Künstlern. Das Gespann Lennon / McCartney verfestigte sich und der Druck wuchs – kurzum, wie George selbst sagte: „Es erdrückte uns“.
George Harrison war Künstler und Universaldenker. Nach der Trennung zog er sich auf sein Anwesen Friar Park zurück und widmete sich ganz seiner Spiritualität, der Suche nach dem inneren Ich. „All Things must pass“, sein erstes Post-Beatles Album, war ein Befreiungsschlag. Georges Songs sprachen bis zu seinem Tod immer aus seinem Leben, jeder Song eine Beziehung zu jemandem, ob Gott („My Sweet Lord“) oder ein enger Freund („I’d have you anytime“). Die Tiefe mit der Harrison über Dinge reflektierte, gab ihm geistige Unabhängigkeit, seine Faszinationsfähigkeit brachte ihm einen großen Freundeskreis, der auf seiner viel zu frühen Beerdigung absurd gewirkt haben muss. Die Produktion des Monty Pyton Films „Das Leben des Brian“ und die Gründung der Supergroup Traveling Wilburys sind nur einige der anderen Geschichten aus George Harrisons Leben.

Die Dokumentation „Living in the Material World“ erzählt George Harrisons Geschichte, persönlich und fragend, intim aber nicht aufklärend. Martin Scorsese lässt die zu Wort kommen, die die Wahrheit über ihn kannten: Paul und Ringo, aber auch Begleiter wie Ravi Shankar oder den Rennfahrer Jackie Stewart, seine letzte Frau Olivia Harisson. Chronologisch erzählt spricht Harrison erstaunlich oft über sich selbst, blickt zurück oder versucht seine Idee von Spiritualität zu erklären. Scorsese zeichnet das Bild eines sinnlichen Mannes, der den Menschen seiner Zeit zwar näher war als kaum ein anderer Rockstar, aber nie ganz in dieser Welt war. Die Doppel-DVD (209 Minuten, Arthaus) ist ab dem 8. Dezember im Handel erhältlich.

Hella Schneider

 

Sarah Moon in Hamburg

Kassia Pysiak, 1998 (c) Sarah Moon

La Menace, 2008 (c) Sarah Moon

Turkish Delight (c) Sarah Moon

Thierry Mugler (c) Sarah Moon

Sie ist eine der bekanntesten Modefotografinnen der Welt und kennt selbst das Modebusiness, modelte sie doch, bis ihr das Geschehen vor der Kamera zu langweilig wurde. Ab dem 16. November kann man in der Galerie Persiehl & Heine begutachten, warum wir froh sind, dass sie die Seiten gewechselt  hat. Unverwechselbare , traumartig schöne Bilder

 

Over Your Cities Grass Will Grow

(c) Mindjazz Pictures

(c) Mindjazz Pictures

Als Anselm Kiefer im März 1945 geboren wurde, begannen die letzten, schrecklichsten Kriegstage, und obwohl er sich wohl kaum erinnern konnte, wurde er zum wichtigsten deutschen Künstler, wenn es um die Aufarbeitung des Holocaust geht. Als sich Deutschlands Gewissen schon längst erholt hatte, durchlebte er künstlerisch seine „deutsche Phase“, vermengte germanische Mythologie mit jüdischer Mysthik und versuchte in dunklem Pessimismus, die Unfassbarkeit des Holocausts echt zu machen. In der Dokumentation „Over Your Cities Grass Will Grow“ kann jeder sehen, wie Wahn und Idee, Farbe und Materie, zusammenkommen; gedreht wurde hauptsächlich in „La Ribaute“, Kiefers Arbeitsgelände, das aus Tunneln und Türmen genauso mystisch-verklärt aufgebaut ist wie seine Bilder

 

 

 

Veruschka – Inszenierung (m)eines Körpers

(c) Pierre Luigi / Missing Films

(c) Missing Films

(c) Missing Films

Veruschka von Lehndorff war das größte deutsche Model der 1960er Jahre – sie spielte im Filmklassiker „Blow Up“, präsentierte Yves Saint Laurents Safarilook, ließ sich als wilde Amazone fotografieren. Dass es mehr als bloßes Posen ist, sich einer Kamera entgegenzustellen, beweist sie in der Dokumentation „Veruschka – Inszenierung (m)eines Körpers“. Ein eindringlicher Blick in das Leben der Frau, die als ostpreußische Adlige geboren und zur Ikone des 20. Jahrhunderts wurde. Wer noch mehr erfahren will, liest Veruschka Interview „Das war meine Rettung“ in der aktuellen Ausgabe des ZEITmagazins. „Veruschka – Inszenierung (m)eines Körpers“ kommt am 27. Oktober in die deutschen Kinos

 

 

Ostkreuz Onlinegalerie

(c) Sybille Bergemann / Ostkreuz

Schön, dass die Fotografen-Agentur Ostkreuz jetzt eine ONLINEGALERIE hat – etwa für Reproduktionen der Polaroids von Sibylle Bergemann

 

The Rum Diary

Hunter S. Thompson ist der Rockstar unter den Schreibern. Sein Romanheld in The Rum Diary heißt Paul Kemp, ist ein ausschweifend lebender Journalist mit ausgeprägtem Hang zum Rum – und ein Alter Ego des Autors selbst. Das fertige Werk kommt Ende des Jahres in die Kinos, den Trailer gibt’s schon jetzt

 

500 People in 100 Seconds

Wenn 500 Menschen in nur 100 Sekunden 1500 Bilder in der Hand halten, dann befinden wir uns nicht in der Dekoabteilung von Ikea beim Sommer-schlussverkauf, sonder gemütlich zu Hause vor dem Computer und gucken Eran Amirs Video mit dem Titel “500 People in 100 Seconds!“ Angucken- gut finden!

 

Das heitere Zitat

„Herr Ober, können wir Ihnen vielleicht irgendwas bringen?“

Ein Satz von Loriot, der am 22. August starb, aus „Pappa ante Portas“, der wie so viele Sätze von dem Mann eines ist: unsterblich

 

TV-Dreiteiler „Dreileben“

(c) Etwas besseres als der Tod: BR / Hans Fromm

(c) Komm mir nicht nach:   ARD / Julia von Vietinghoff

(c) Eine Minute Dunkel: WDR / Reinhold Vorschneider

Es war eine gute Idee, dass die ARD drei namhafte Regisseure in das gleiche ostdeutsche Dorf geschickt hat, um sie dort ihre neuen Spielfilme drehen zu lassen. Heraus gekommen ist eines der spannendsten Experimente, die in diesem Jahr im Fernsehen zu bestaunen sind, zu sehen am Montagabend, 29. August, im Ersten ab 20.15 Uhr. Christoph Hochhäusler, Dominik Graf und Christian Petzold heißen die Regisseure, die sich darauf eingelassen haben – Repräsentanten eines neuen deutschen Films, der bildstarke Poesie mit strengem Realismus verbindet. Für das öffentlich-rechtliche Fernsehprojekt „Dreileben“ haben sie sich einer Aufgabe gestellt, die ein wenig an Deutsch-Klassenarbeiten erinnert. Zu einem vorgegebenen Thema sollten sie eigene erzählerische Lösungen entwickeln. Vorgegeben waren zunächst einmal der Ort (das Kaff „Dreileben“ in Thüringen), aber auch ein Teil der Handlung (ein Frauenmörder, gespielt von Stefan Kurt, ist aus einer Klinik entlaufen und irrt durch die umliegenden Wälder).
Was die Regisseure aus diesen Grundkoordinaten gemacht haben, könnte kontrastreicher kaum sein. Einzig Hochhäusler macht aus dem Stoff das Naheliegende, einen Krimi nämlich. Mit den Mitteln eines Kammerspiels, karg und minimalistisch, inszeniert er ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Ermittlern, die mit Spürhunden den Landstrich durchstreifen, und dem flüchtigen Sexualstraftäter. „Eine Minute Dunkel“ hat Hochhäusler seinen Film genannt, und im Titel klingt die Stimmungslage schon an: Finsternis weit und breit. Die Jäger und der Gejagte verlieren sich im Tannendickicht des Thüringischen Walds, der zur Topografie seelischer Abgründe wird.
Dominik Graf degradiert in seinem Film „Komm mir nicht nach“ den Handlungsstrang um den gefährlichen Haftflüchtling zum Beiwerk. Im Mittelpunkt seines Films steht ein Streit zwischen zwei Freundinnen, der sich zum stillen Drama auswächst. Die Polizeipsychologin Jo (Jeannette Hain) ist eigentlich nach Dreileben gereist, um die Beamten bei der Suche nach dem Gewaltverbrecher zu unterstützen – ihrer erfolgreiche Ermittlungsarbeit wird jedoch nur nebenher Beachtung geschenkt. Mehr Interesse bringt Graf den Umständen ihrer Unterkunft entgegen: Jo übernachtet bei ihrer alten Freundin Vera (Susanne Wolff), die sich im gleichen Ort mit ihrem Mann Bruno (Mišel Matičević) zufällig eine alte Villa gekauft hat. Vor deren Kulisse entfaltet Graf das intime Porträt zweier Frauen, die voneinander erfahren, dass sie früher einmal in den gleichen Kerl verliebt waren – und jetzt in emotionale Turbulenzen geraten, aus denen sie nur verwundet und verletzt entkommen können.
Noch mehr vom Grundthema entfernt hat sich Christian Petzold mit seinem Liebesfilm „Etwas besseres als den Tod“. Petzold hat eine behutsame Boy-meets-Girl-Geschichte gedreht. Der entlaufene Sexualstraftäter greift erst zum Finale in die Handlung ein, dann wird er jedoch zum Vollstrecker einer äußerst bitteren Pointe. Zuvor konzentriert sich Petzold auf die Amour fou zwischen dem Zivildienstleistenden Johannes (Jacob Matschenz) und dem Hotelmädchen Ana (Luna Mijovic). Ein Verhältnis, das zum Scheitern verurteilt ist, weil sie einander zu fremd sind – er ist ein bodenständiger deutscher Mittelschichtjunge, sie ein Mädchen aus Bosnien mit gebrochenem Selbstbewusstsein.
Weil jeder Film neunzig Minuten dauert, wird aus der Gesamtschau ein viereinhalbstündiger Fernseh-Marathon. Es lohnt sich dennoch, wach zu bleiben. Zum einen funktioniert jeder Film als Einzelwerk. Zum anderen sind da aber noch die Schnittmengen zwischen den Filmen, Schauplätze die wiederkehren, ein Waldweg etwa, ein Hotel oder ein Werbeplakat – diese aufzuspüren, ist ähnlich beglückend wie die Dechiffrierung eines Vexierbilds. Wozu öffentlich-rechtliches Fernsehen im Stande ist, wenn die Programmmacher den nötigen Mut aufbringen!
Wiederholungstermine auf EinsFestival: „Etwas besseres als den Tod“, Mittwoch, 31. August, 20.15 Uhr; „Komm mir nicht nach“, Donnerstag, 1. September, 20.15 Uhr; „Eine Minute Dunkel“, Freitag, 2. September, 20.15 Uhr
Philipp Wurm