Lesezeichen
 

Ein klares Ja für strikteren Nichtraucherschutz in Bayern – eine erste Analyse

Am Sonntag waren Bayerns Bürger aufgerufen, in einem Volksentscheid über den Nichtraucherschutz abzustimmen. Das Ergebnis fiel deutlich aus. Über 60 Prozent der Stimmen wurden für die Ja-Seite abgegeben, knapp 40 Prozent für die Nein-Seite. Solch klare Kräfteverhältnisse zeichneten sich bereits seit Ende Mai, als die Befragung der Universität Bamberg zum Volksentscheid begann. Die Kampagnen der Ja- und der Nein-Seite konnten an dieser Kräfteverteilung in der Zwischenzeit wenig ändern.

Das Thema Nichtraucherschutz, obgleich als emotional geltend, scheint bei vielen Bürgern nicht gezündet zu haben. Ablesen lässt sich das etwa daran, dass bis in die vergangene Woche hinein weniger als zehn Prozent der Befragten wussten, dass Sebastian Frankenberger, der führende Kopf der Ja-Seite, für den Gesetzesentwurf „Für echten Nichtraucherschutz!“ eintritt. Kaum besser war es um das Wissen der Bayern über die Position des „Aktionsbündnis Freiheit und Toleranz“ bestellt. Ein Wahlkampf, der viele Stimmberechtigte nicht erreicht, geschweige denn fesselt, kann kaum große Verschiebungen auslösen.
Insbesondere konnte die „Bayern sagt nein“-Kampagne nicht das Ziel erreichen, im Laufe des Wahlkampfes immer mehr Nichtraucher auf ihre Seite zu ziehen. Sie machen etwa 70 Prozent der bayerischen Bevölkerung aus, während rund 30 Prozent der Bürger zu den Rauchern zählen. Der Nein-Kampagne gelang es, im Laufe der Zeit die Bereitschaft der Raucher zu steigern, am 4. Juli mit Nein zu votieren. Das konnte allerdings nur ein Teil einer erfolgreichen Strategie sein. Darüber hinaus hätte die Nein-Seite auch immer mehr Nichtraucher für sich gewinnen müssen. Aber das gelang ihr nicht. Eher stieg der Anteil der Nichtraucher, die sich für ein Ja entscheiden wollten. Strategisch geschickt hatte sich die Nein-Seite als ein „Aktionsbündnis Freiheit und Toleranz“ organisiert, suchte sich also zum Anwalt nicht nur der Raucher, sondern des bayerischen „Leben und leben lassen“ zu machen. Allerdings vermochte sie diesen Anspruch kaum einzulösen, wie die Analyse des Stimmverhaltens zeigt.

Die Klarheit des Ergebnisses und die Schwierigkeiten, auch einen beträchtlichen Teil der Nichtraucher gegen einen strikten Nichtraucherschutz zu mobilisieren, sprechen dagegen, dass wir in Bayern bald ein Volksbegehren gegen den strikten Nichtraucherschutz erleben werden. Allerdings könnte das bayerische Vorbild andernorts Schule machen. Auch in anderen Bundesländern könnten Bürger versuchen, auf dem Wege der Volksgesetzgebung striktere Regeln für den Nichtraucherschutz durchzusetzen. Der bayerische Volksentscheid könnte somit ein Kapitel in einer längeren Geschichte zu direktdemokratischen Verfahren und dem Nichtraucherschutz in Deutschland bilden.

 

Bayerns Volksentscheid über den Nichtraucherschutz: erreicht und informiert die Kampagne die Bürger?

Am kommenden Sonntag, dem 4. Juli, ist es soweit: Bayerns Bürger werden in einem Volksentscheid über den Nichtraucherschutz abstimmen. Damit werden sie dem langwierigen und für einige politische Akteure schmerzhaften Ringen um den Nichtraucherschutz im weiß-blauen Freistaat ein (vorläufiges) Ende setzen. Gerade in Zeiten verbreiteter Kritik an Parteien und Politikern mögen Volksentscheide als Patentrezept erscheinen, um solche Fragen verbindlich zu entscheiden. Gleichwohl wenden Skeptiker ein, viele Bürger seien zu wenig interessiert und zu schlecht informiert, als dass sie verantwortungsvolle Entscheidungen treffen könnten. Befürworter direktdemokratischer Verfahren führen dagegen ins Feld, auch Politiker träfen nicht immer wohlinformierte Entscheidungen – und die Kampagne vor Volksentscheiden böte so viele Informationen, dass Bürger in die Lage versetzt würden, wohlinformiert zu entscheiden.
Lässt sich eine solche Entwicklung beim Volksentscheid über den Nichtraucherschutz in Bayern erkennen? Daten aus einer telefonischen Befragung, die seit dem 25. Mai läuft, deuten darauf hin, dass die Kampagne bis etwa zwei Wochen vor dem Abstimmungstag die Bürger selektiv erreicht hat. Gaben Ende Mai rund zehn Prozent der Befragten an, in verschiedenen Medien Werbung zum Volksentscheid gesehen zu haben, so waren es zwei Wochen vor der Abstimmung rund doppelt so viele. Der Anteil derjenigen, die Flugblätter oder ähnliches Material gelesen haben, stieg von rund fünf auf etwa zehn Prozent. Plakate der Pro- und Contra-Seite hatte zwei Wochen vor der Abstimmung gut ein Drittel der Befragten gesehen. Die Kampagne entwickelt sich also durchaus dynamisch, hat aber beileibe noch nicht alle Bürger erreicht.
Dieses Ergebnis findet seine Entsprechung in der Informiertheit der Bürger. Ende Mai hielt sich jeder fünfte Befragte für (sehr) gut informiert über den Volksentscheid, rund zwei Wochen vor der Abstimmung war es jeder dritte. Gleichzeitig hat das Wissen über den Volksentscheid selektiv zugenommen. Hatte anfangs nur jeder zehnte Befragte gewusst, wann der Volksentscheid stattfinden wird, kannte zwei Wochen vor der Abstimmung jeder zweite den Termin. Der Anteil derjenigen, die wissen, dass Stimmenthaltung nicht als Neinstimme wirkt, stieg von knapp einem Viertel auf rund ein Drittel. In Bezug auf Inhalte des Gesetzentwurfes lassen die Umfrageergebnisse hingegen keine Hinweise auf Lernen der Stimmberechtigten erkennen.
Damit ergibt sich eine ambivalente Bilanz. Die Aktivitäten der Befürworter und Gegner des Gesetzentwurfes „Für echten Nichtraucherschutz!“ haben bisher durchaus Aufmerksamkeit erregt, aber gewiss keinen durchschlagenden Erfolg erzielt. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Kampagne und ihre Resonanz auf der Zielgeraden entwickeln werden. Einfach wird es für den Volksentscheid nicht werden, da die Fußballweltmeisterschaft und die Wahl des Bundespräsidenten mit ihm um die öffentliche Aufmerksamkeit konkurrieren und sich die CSU aus dem Volksentscheid weitgehend heraushält. Umso interessanter wird es sein zu beobachten, was sich die Wahlkämpfer mit ihren begrenzten Ressourcen bis zum 4. Juli einfallen lassen werden, um Stimmberechtigte zu mobilisieren und auf ihre Seite zu ziehen.

 

Ampel alternativlos? Zum Machtpoker in NRW

Die Ampel-Koalitionäre sondieren. Am Donnerstag geht es in die nächste Runde. Überraschend ist nach den Koalitionssignalen im NRW-Wahlkampf ja bereits, dass sich die FDP überhaupt mit Rot-Grün an einen Tisch setzt. Wurde doch eine Zusammenarbeit mit den Grünen im Wahlkampf ausgeschlossen.

Strategisch etwas unklug feuerte nun der Fraktionsvorsitzende der Linken im Düsseldorfer Landtag, Wolfgang Zimmermann, am Montag die Diskussion über den nächsten möglichen Schritt im NRW-Machtpoker an – die Tolerierung einer möglichen rot-grünen Minderheitsregierung unter einer möglichen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Für die Linken ist das unklug, weil es den Beteiligten an den Ampel-Sondiergesprächen eine weitere Machtoption für Rot-Grün vorführt und so gerade für die FDP-Unterhändler zusätzliche Argumente liefert, im Zweifel dicke Kröten zu schlucken.

Der FDP könnten harte Konzessionen in den Verhandlungen abgerungen werden, weil SPD und Grüne jederzeit nun auch glaubhaft drohen könnten, erforderliche Mehrheiten im Parlament für Initiativen einer möglichen rot-grünen Minderheitenregierung mithilfe einzelner Abgeordneter der Fraktion der Linken zu sichern. Es wird ja immer nur eine weitere Stimme für das rot-grüne Lager gebraucht, um eine Mehrheit im Parlament zu sichern. Nach Angaben der linken Fraktionschefin Bärbel Beuermann könnten in der kommenden Legislaturperiode zahlreiche Anträge gemeinsam mit der SPD und den Grünen eingebracht werden.

Was wissen wir eigentlich über Minderheitsregierungen? In Deutschland gehen die Meinungen über Minderheitsregierungen weit auseinander. In den Medien werden Minderheitsregierungen recht negativ beschrieben – ja oft sogar als instabil und ineffizient verteufelt. Die politikwissenschaftliche Sicht, basierend auf Zahlen statt auf Meinungen, ist eine andere. Von Verteufelung keine Spur. Minderheitsregierungen, bei der die Regierung sich von Fall zu Fall neue Mehrheiten schaffen muss, sind insbesondere in skandinavischen Ländern bekannt – aber ganz und gar nicht berüchtigt, wie Kare Strom (1990) in seiner wegweisenden Arbeit zeigt. Eine neuere und umfangreiche Studie (Cheibub et al. 2004) über nationale Regierungen praktisch aller Demokratien weltweit zwischen 1946 und 1999 zeigt zwei Dinge ganz eindeutig. Erstens, der Typ „Minderheitsregierung“ stellt im internationalen Vergleich keine wirkliche Minderheit als Regierungstyp dar. Zweitens regieren Minderheitsregierungen mindestens so erfolgreich und effizient (gemessen an der Anzahl von Gesetzesinitiativen der Regierung, die im Parlament verabschiedet werden) wie „normale“ Koalitionsregierungen, die eine Mehrheit in Parlament besitzen.

Wie denken aber die Bürger in Nordrhein-Westfalen darüber? Aktuelle Zahlen haben wir nicht. Im Sommer 2009 jedoch hat die akademische Wahlstudie zur Bundestagswahl, die German Longitudinal Election Study, ein spezielles Fragemodul zu Koalitionen in ihren umfangreichen Fragekatalog integriert. Dort wurde unter anderem nach einer möglichen Regierung gefragt, wenn es für keines der traditionellen Lager – Schwarz-Gelb bzw. Rot-Grün – zu einer Mehrheit im Parlament reicht. Eine Situation, die wir nun auch in Nordrhein-Westfalen vorfinden:

„Stellen Sie sich nun bitte vor, dass nach der Bundestagswahl die Situation entsteht, dass die einzige Zwei-Parteien-Koalition, die eine Mehrheit hat, die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD ist. Welche Regierung würden Sie dann bevorzugen? Die Union – CDU und CSU – zählt als eine Partei.“

Die Antwortvorgaben waren die folgenden:

– Große Koalition mit Mehrheit im Bundestag
– Drei-Parteien-Koalition mit Mehrheit im Bundestag
– Minderheitsregierung ohne Mehrheit im Bundestag

Betrachtet man nur einmal die Befragten aus Nordrhein-Westfalen, so ergibt sich folgendes Bild hinsichtlich der Einstellung zu einer Minderheitsregierung.

Erstaunlich ist nicht, dass sich unter solchen Umständen 57% sich für die Große Koalition aussprechen. Das ist zu erwarten. Nein, erstaunlich finde ich, dass allen Unkenrufen in den Medien zum Trotz immerhin 14% eine Minderheitsregierung in dieser Situation bevorzugen würden. Zudem hat diese Antwortoption als einzige das eindeutig negativ konnotierte Attribut „ohne Mehrheit“ in der Formulierung. Mit etwas Werbung, so vermute ich, würde die Option einer Minderheitsregierung noch populärer in der Bevölkerung werden, so dass sie tatsächlich als Drohpotential genutzt werden kann, um die Ampel letztlich zu ermöglichen. „Schaun mer mal“, wie Kaiser Franz zu sagen pflegt.

Literaturhinweise:

• Jose Antonio Cheibub, Adam Przeworski, und Sebastian Saiegh. 2004. „Government Coalitions and Legislative Success Under Presidentialism and Parliamentarism“ British Journal of Political Science 34, 565–587.

• Kaare Strom. 1990. Minority Governments and Majority Rule. Cambridge: Cambridge University Press.

 

SPD legt zu, Merkel gewinnt!

AndreaAuf den ersten Blick schwächt eine Niederlage von CDU und FDP in NRW die Bundesregierung unter Führung von Frau Merkel. Neben dem prestigeträchtigen Verlust der gemeinsamen Regierung im bevölkerungsreichsten Bundesland und dem Aufwind für die Opposition wäre der Verlust der Mehrheit im Bundesrat eine unangenehme Folge: Die Opposition könnte „mitregieren“ und der Bundesregierung Kompromisse abringen.

Auf den zweiten Blick könnte sich das Bild jedoch anders darstellen. Die Bundesregierung unter Frau Merkel zeichnet sich bislang durch inhaltliche Differenzen und Führungsschwäche der Kanzlerin aus. Selbst die „doppelte“ Mehrheit in Bundestag und Bundesrat reicht nicht aus, um die Spannungen zwischen Union und FDP zu überwinden. Im Gegenteil: Gerade weil man im Prinzip ungebremst regieren kann, werden innerhalb der Koalition Erwartungen geweckt, die Angela Merkel nicht erfüllen möchte – die Steuerpolitik ist das prominenteste, aber nicht das einzige Beispiel. Politische Macht, das weiß sie genau, führt immer zu Konflikten.

Mittlerweile hat es den Anschein, als wünschten sich weite Teile der Union die Zeiten der Großen Koalition zurück. Diese Sehnsucht könnte durch eine Niederlage bei der NRW-Wahl in Erfüllung gehen, denn die Union könnte beim ungeliebten Koalitionspartner auf die Notwendigkeit verweisen, mit der Opposition Kompromisse zu schließen, die für eine Zustimmung des Bundesrats erforderlich sind.

Und auch persönlich würde die Kanzlerin von dieser Niederlage profitieren. Sie könnte, ja müsste, durch die neue Situation im Bundesrat wieder in ihre altvertraute Vermittler- und Mediatorenrolle schlüpfen, die ihr in Zeiten der Großen Koalition zu sehr viel Ansehen und Beliebtheit verholfen hat. Ein innerparteilicher Vorteil für Frau Merkel wäre sicherlich, dass sich im Falle einer Wahlniederlage mit Jürgen Rüttgers einer der beiden Kronprinzen (neben dem ewig netten Schwiegersohn Christian Wulff) aus dem Rennen ums Kanzleramt 2013 verabschieden würde. Bei so vielen Vorteilen erklärt sich vielleicht auch, warum der strauchelnde Amtsinhaber Rüttgers in NRW von Seiten der Kanzlerin kaum sichtbare Rückendeckung erfährt. Wenn die SPD zulegt, gewinnt Angela Merkel.

von Andrea Römmele und Thomas König

 

Bestenfalls egal: Skandale eignen sich einfach nicht für Wahlkämpfe

AndreaFast möchte man es mit einem Stoßseufzer untermalen: Es ist wieder Wahlkampf, diesmal in Nordrhein-Westfalen. Und eigentlich kommt er für alle Parteien zu früh. Union und FDP befinden sich noch immer in der Findungsphase und können keine Erfolge vorweisen. Die SPD musste vor kurzem den empfindlichsten Rückschlag ihrer Geschichte wegstecken und ist von ihrem alten Kampfgewicht meilenweit entfernt. Die Linke muss möglicherweise sogar um den Einzug ins Parlament bangen. Und die Grünen sollten ausdiskutieren, wo sie wirklich stehen, bevor sie mit wackeligen Koalitions(nicht)aussagen in alle Richtungen werben. Sprich: Eigentlich wollen die Beteiligten diesen Wahlkampf gar nicht führen, aber genau deswegen müssen sie es umso mehr. Denn auch wenn es wenig zu gewinnen gibt, steht viel auf dem Spiel: die Mehrheit der schwarz-gelben Koalition im Bundesrat und damit um Wohl und Wehe der zentralen Reformprojekte der Regierung Merkel II.

Dies ist ein Dilemma, für das es in politischen Kreisen einen beliebten (Schein-)Ausweg gibt: Man attackiert den Gegner umso schärfer, auch auf einer persönlichen Ebene, und skandalisiert sein Tun, um so seine generelle Wählbarkeit in Frage zu stellen. Dankbare Ziele für diese Strategie gaben jüngst etwa FDP-Chef Guido Westerwelle und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ab. So könnte man meinen, dass solche vermeintlichen Skandale der Opposition sehr gelegen kommen. Natürlich: Sie kann die Wähler auf einer emotionalen Ebene ansprechen und öffentlichkeitswirksam den Rücktrittsforderungen aussprechen. Ist dies aber ein echter Vorteil, möglicherweise gar ein veritables Gegengewicht zum Amtsbonus der Regierung? Sehr wahrscheinlich nicht!

Erstens können Wahlkämpfe nicht nur auf den Gegner ausgerichtet werden. Moderne Kampagnen sind minutiös durchorganisierte Projekte, an denen Werbeagenturen, politische Berater und Medienexperten engmaschig rund um die Uhr arbeiten. Spontane Verschiebungen, etwa in Reaktion auf Fehler des politischen Gegners, sind da zwar möglich. Sie können aber nicht das Wesen der gesamten Kampagne verändern, da Partei und Kandidat ansonsten unglaubwürdig werden. Zweitens produzieren Skandale nur Verlierer, keine Sieger. Sie tragen zum allgemeinen Phänomen der Politikverdrossenheit bei, weil sich in der Bevölkerung (oft zurecht!) die Meinung durchsetzt, dass es wohl nicht um einen Einzelfall, sondern eher um die Spitze eines Eisbergs handelt. Es ist nicht wichtig, wer einen Skandal verursacht hat, und keine Partei profitiert davon – Leidtragende ist die Politik als solche, der die Bürger nicht mehr vertrauen. Drittens lassen sich die Wählerinnen und Wähler nicht blenden. Natürlich orientieren sie sich an den handelnden Personen und dabei spielt sicherlich auch deren moralisches Verhalten eine große Rolle. Die Wahlentscheidung ist aber immer von den Themen abhängig, die den Wahlkampf bestimmen.

Natürlich treffen Skandale einen empfindlichen Nerv und können die Einstellungen der Menschen über einen gewissen Zeitraum hinweg prägen. Ein wirklich wahlentscheidender, „perfekter“ Skandal müsste eine Vielzahl von Kriterien erfüllen: kurz vor der Wahl aufgedeckt werden, eindeutig nur dem politischen Gegner zuzuschreiben sein, in die eigene Wahlkampfstrategie passen und nicht durch andere Großereignisse überdeckt werden. Die Barschel-Affäre 1987 in Schleswig-Holstein mag dieser Idealsituation nahe gekommen sein, der damalige Ministerpräsident hatte ganz eindeutig rechtliche und moralische Grenzen überschritten. Die aktuelle Diskussion in NRW um gekaufte Gesprächstermine mit dem Ministerpräsidenten hat jedoch nicht annähernd diese Dimension und wird am Wahltag verpufft sein.

Das soll nicht bedeuten, dass diese Vorgänge nicht wichtig wären. Es besteht eindeutiger und umfassender Klärungsbedarf. Die Opposition sollte aber dringend davon Abstand nehmen, die Skandalisierung zu betreiben. Das wird ihr nicht helfen. Wenn überhaupt, wird es das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Politik weiter schwächen. Und das kann kein legitimes Ziel von Wahlkämpfen sein.

 

Transparenz als Kontrolle reicht nicht! Anmerkungen zur FDP in Sachen Lobbying und Spenden

Andrea RömmeleGleich zweimal in der vergangenen Woche hat die FDP unter Beweis gestellt, dass ihr (noch?) das Fingerspitzengefühl fürs Regieren zu fehlen scheint. Mit der Berufung eines ranghohen Mitarbeiters der Privaten Krankenversicherung ins Gesundheitsministerium schließt ein FDP-Minister einen Pakt mit den traditionell mächtigen Interessenvertretern im Gesundheitsbereich. Und mit der Annahme einer millionenhohen Spende eines Hotelunternehmers kurz vor der Entscheidung, den Mehrwertsteuersatz für eben jene Branche zu senken, kommt der Verdacht der Einflussspende auf. Beiden Fällen gemeinsam ist der Verdacht des unsauberen Zugangs zu Entscheidungssträgern. In beiden Fällen soll „nur“ die Veröffentlichung der Tatbestände die Fälle regeln. Ist das genug?
Betrachten wir die beiden Fälle genauer, beginnend mit der Neuberufung im Gesundheitsministerium: Ohne Zweifel kann die Politik ohne externe Expertise nicht auskommen. Sowohl Verbände als auch Lobbyisten besitzen in ihren thematischen Schwerpunkten erheblichen, zum Teil auch wissenschaftlichen Sachverstand, der in die Politik eingespeist werden muss. Dieser Trend wird sich aufgrund der zunehmenden Europäisierung der deutschen Politik noch verstärken: die Themen werden komplexer, mehr Schnittstellen müssen jongliert werden. Hierzu gibt es unzählige Beratungsformate (wissenschaftliche Gutachten, Expertenkommissionen, Gespräche etc.), wichtig ist jedoch die klar sichtbare Trennung zwischen Rat und Entscheidung. Die Berufung eines Beraters auf eine Entscheidungsposition führt zu einer zunehmenden Verflechtung und solche Konstruktionen wurden beispielsweise hinsichtlich des Austauschprogramms zwischen Wirtschaftsministerium und Unternehmen verschiedentlich kritisiert (in diesem Fall werden Unternehmensvertreter für eine gewisse Zeit im BMWi eingesetzt). Eine kleine Anfrage zu einem kritischen Bericht des Magazins „Monitor“ über eine neue Art von Lobbyismus in Bundesministerien wurde noch im Jahr 2006 von der damaligen Oppositionspartei FDP gestellt…
Wenden wir uns nun der Spende aus der Hotelbranche zu: Politische Akteure sollen ihre repräsentativen Pflichten in Freiheit ausüben können. Unter diesem Gesichtspunkt sind Einnahmen aus Kleinspenden und Mitgliedsbeiträgen unproblematisch. Unternehmensspenden hingegen stellen demokratietheoretisch ein Problem dar, da die Spendengeber selbst keine Stimme im politischen Willensbildungsprozess besitzen, sich jedoch durch Spenden Zugang zur Macht verschaffen können. In nahezu allen Diskussionen um die Reform der Parteienfinanzierung wurde dies diskutiert, jedoch folgten keine konkreten Beschlüsse. Zwar werden Unternehmensspenden nicht mehr steuerlich begünstigt (und sind somit nicht mehr ganz so attraktiv für den Spender), jedoch verkennt der Gesetzgeber (und auch das Bundesverfassungsgericht) die der Spendenpolitik inhärenten Gefahren: Nicht erst die steuerliche Begünstigung, sondern schon allein die Möglichkeit, dass juristische Personen an Parteien spenden können, verletzt das Prinzip der gleichen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am politischen Willensbildungsprozess. Daran vermag auch die Pflicht, Spenden ab einer bestimmten Höhe dem Bundestag zu melden, nicht viel zu ändern.
Wie eingangs formuliert soll in beiden Fällen Transparenz als Kontrolle genügen. Dies reicht meiner Ansicht nach nicht aus – es ist mal wieder an der Zeit, diese Debatte lautstark zu führen!

Zum Thema Lobbying siehe die jüngste Ausgabe der Zeitschrift für Politikberatung Heft 3/2009 (auch unter www.zpb-digital.de) sowie Thomas Leif/Rudolf Speth (Hrsg.): Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland

Zum Thema Parteienfinanzierung:
Michael Koß (2008): Staatliche Parteienfinanzierung und politischer Wettbewerb. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Andrea Römmele (1995): Unternehmenspenden in der Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Die USA, Kanada, die Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien im internationalen Vergleich. Baden-Baden: Nomos.

 

Regierung sucht Motto

Frau Merkel ist keine Sprücheklopferin. Was Vorteile hat. Anders als ihr Vorgänger im Kanzleramt musste sie selten großspurige Sätze zurücknehmen oder sich an ihnen messen lassen.

Es hat aber auch Nachteile. Merkel, die Naturwissenschaftlerin, hat Schwierigkeiten damit, prägnant zu formulieren. Dieses Problem begleitet sie seit langem. Schon in Oppositionszeiten beklagten sich Journalisten, Merkel könne keine Soundbites produzieren, also: kurze TV-taugliche Botschaften. Versucht sie doch mal zuzuzspitzen, misslingt das: Noch heute bereut Merkel angeblich, dass sie einmal angekündigte, Deutschland „durchregieren“ zu wollen. Auch als „schwäbische Hausfrau“, die Krisen löst, hat sie sich nie wieder bezeichnet.

Deshalb verwundert es auch nicht, dass Merkel noch kein Motto, keinen griffigen Slogan für ihre neue Regierung gefunden hat. Am Anfange der Woche erlaubte sich die Kanzlerin einen Moment der Offenherzigkeit, als sie einem Journalisten anvertraute, danach noch zu suchen.

Selber Schuld. Nun ist Fraktionschef Volker Kauder gestern Abend vorgeprescht. Er bezeichnete das Bündnis mit der FDP als „Koalition des Wachstums, des Aufbruchs, der Zuversicht“. Auch Guido Westerwelle, ein Phrasendrescher von höchster Güte, wird sicher bald nachlegen. Steuersenkungsregierung. Man-spricht-deutsch-Bund. Gelb-schwarze Allianz, irgendsowas.

Also, Frau Kanzlerin, das Wochenende geben wir Ihnen noch. Zwei Tage Spazierengehen und Plaumenkuchenbacken. Sonst reichen wir ab Montag Vorschläge ein.

Und bitte nicht wieder „Koalition der neuen Möglichkeiten“! So taufte Merkel ihr erstes Regierungsbündnis.

 

Wer wo triumphierte, scheiterte und warum

Eine ganze Menge Polit-Promis haben gestern den direkten Einzug in den Bundestag nicht geschafft. Vor allem, natürlich, bekannte Genossen. Unter anderem Andrea Nahles, Ulla Schmidt oder Wolfgang Thierse. Hier der Link zur Übersicht von Tilman Steffen.  Eine Ergänzung dazu: Der Freiherr zu Guttenberg ist nicht nur Stimmkreiskönig Bayerns, sondern der ganzen Republik.

 

Erststimmen-Übersicht

Anhand von Deutschlands Wahlkreis-Karte (bezogen auf die Erststimmen) erkennt man besonders deutlich, dass sich etwas in der Republik verschoben hat. Früher war das Land dreifarbig: rot im Westen und Norden, blau-weiß im Süden und schwarz im Südwesten. Inzwischen hat das Land vier Farben – und einen kleinen grünen Einsprengsel. Vor allem das Schwarz hat zu- und das Rot abgenommen. Immerhin: einen gelben Wahlkreis gibt es noch nicht.

 

OSZE hat nichts zu beanstanden

Die nach Deutschland entsandten OSZE-Wahlbeobachter haben die Kooperation der Behörden bei der Bundestagswahl gelobt. „Es gab auf allen Ebenen eine sehr gute Zusammenarbeit“, sagte Paul O’Grady, der stellvertretende Chef der Expertengruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), am Montag in Berlin. So hätten die sieben deutschlandweit tätigen Beobachterteams am Wahltag keine Probleme beim Zugang zu Wahllokalen gehabt. Die OSZE hatte erstmals eine Wahl in Deutschland beobachtet. In rund zwei Monaten soll ein Abschlussbericht vorliegen.