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Quo vadis, Saarland? Quo vadis, Grüne?

Der Tag der Entscheidung ist da – für das Saarland, aber auch für die Grünen. Fährt heute doch ein Dampfer gen Jamaika? Oder kommt es zu einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit in Saarbrücken? Beides scheint derzeit möglich, die Grünen – vor allem die grünen Saarländer – scheinen gespalten. Doch wie stehen eigentlich die Wählerinnen und Wähler zu dieser Frage? In einer groß angelegten Umfrage im Vorfeld der Bundestagswahl wurden rund 6.000 Deutsche befragt – unter anderem auch nach ihren Präferenzen, was Koalitionen betrifft. Zwischen -5 und +5 sollten diese Befragten verschiedene mögliche Koalitionsmodelle einstufen. Die mittleren Einstufungen bezogen auf die saarländischen Optionen – also Jamaika und Rot-rot-grün – zeigt die folgende Abbildung.

Bewertung einer Jamaika- und einer rot-rot-grünen Koalition insgesamt und bei Parteianhängern
koal

An verschiedenen Stellen sind die Ergebnisse dabei mehr als eindeutig: Anhänger von Union und FDP bevorzugen klar Jamaika vor Rot-rot-grün, umgekehrt sind es bei Anhängern der Linkspartei aus. Schon bei Anhängern der SPD allerdings sieht das Bild weniger eindeutig aus – und dies gilt erst recht bei Anhängern der Grünen: Sie sind – quasi ein Spiegelbild der saarländischen Grünen – unentschieden zwischen den beiden zur Wahl stehenden Alternativen.

Dies gilt allerdings nur im Durchschnitt – im Durchschnitt sind die Anhänger der Grünen unentschieden zwischen den beiden Optionen. Dies gilt nicht zwangsläufig auch für jeden einzelnen Anhänger der Grünen, wie die folgende Abbildung zeigt – und genau hier liegt der Sprengstoff für die Grünen:

Vergleichende Bewertung einer Jamaika- und einer rot-rot-grünen Koalition bei Anhängern der Grünen
verteilung

Auf der Ebene einzelner Anhänger der Grünen gibt es zwar auch rund 40 Prozent der Anhänger, die unentschieden zwischen den beiden Optionen sind. Über 30 Prozent aber haben eine Präferenz für Rot-rot-grün gegenüber Jamaika, immerhin auch über 25 Prozent haben eine Präferenz für Jamaika gegenüber Rot-rot-grün. Und nur eine dieser Gruppen wird ihre Präferenzen heute im Saarland erfüllt sehen, während die andere Gruppe in die Röhre schaut. Sprengstoff also für die Grünen, man darf gespannt sein, wie die Partei (und insbesondere die unterlegenen Anhänger innerhalb der Partei) damit umgehen werden.

 

Schwarz-gelb in Berlin und Kiel, aber was kommt in Erfurt, Potsdam und Saarbrücken?

Während die Koalitionsbildung auf Bundesebene und in Schleswig-Holstein sich aufgrund des in Berlin klaren, in Kiel jedoch knappen Wahlerfolgs von Union und FDP wohl relativ einfach gestalten wird (wenn auch einige inhaltliche Konfliktfelder die Verhandlungen erschweren werden), so ist nach wie vor die Regierungsbildung in Thüringen, dem Saarland und in Brandenburg, wo am vergangenen Sonntag ein neuer Landtag gewählt wurde, eine offene Frage. Die Parteien in Thüringen und dem Saarland haben explizit den Wahlausgang vom 27. September abgewartet, um zum einen durch ihre Entscheidungen nicht die Wahlkampfstrategie der Bundesparteien zu durchkreuzen. Zum anderen aber auch, um die künftigen Machtkonstellationen auf Bundesebene abzuwarten. Diese haben sich mit dem Sieg von schwarz-gelb bei den Bundestagswahlen und bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein deutlich verschoben: So wird sich nicht nur die Zusammensetzung der Bundesregierung von schwarz-rot zu einer christlich-liberalen Koalition ändern, sondern Union und FDP werden durch den Sieg in Kiel auch im Bundesrat über eine – wenn auch knappe – Mehrheit verfügen.

Welche Effekte haben diese neuen Rahmenbedingungen für die Regierungsbildung in Thüringen und dem Saarland, wo bislang nur Sondierungsgespräche zwischen den Parteien stattgefunden haben, und in Brandenburg, wo die SPD zwischen Union und der Linken als dem künftigem Koalitionspartner wählen kann? Man kann erwarten, dass auf Seiten der Sozialdemokraten ein Anreiz besteht, sich zum einen neue Koalitionsoptionen mit der Linken langfristig zu eröffnen und daher Bündnisse mit dieser Partei in den Ländern verstärkt einzugehen. Zum andern würde die Bildung von Koalitionen mit der CDU die Chancen zur Etablierung einer SPD-Blockademacht im Bundesrat mittelfristig senken: die Bildung von so genannten „C-Koalitionen“ und damit solchen Landesregierungen, die sich aus Parteien zusammensetzt, die auf Bundesebene dem Regierungs- als auch dem Oppositionslager angehören, sollte von Seiten der SPD weniger wünschenswert sein als „B-Koalitionen“, die sich ausschließlich aus den bundespolitischen Oppositionsparteien formieren.

Auf der Grundlage aller Regierungsbildungen in Bund und Ländern lassen sich mit Hilfe multivariater statistischer Analysen die Determinanten der Koalitionsbildung in Deutschland ermitteln und auf dieser Basis auch die Wahrscheinlichkeiten für alle potentiell möglichen Koalitionen berechnen. Für Brandenburg, das Saarland und Thüringen ergibt sich – gegeben eine Regierungsübernahme durch Union und FDP in Berlin und Kiel – in Tabelle 1 angetragenes Bild.

Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionen bei CDU/CSU-FDP-Bundestagsmehrheit

  Brandenburg Saarland Thüringen
CDU und SPD 49,4% 32,1% 50,0%
SPD und Linke 47,4% 0,1% 38,6%
SPD-Minderheits-
regierung
0,7% 0,1% 0,2%
CDU-Minderheits-
regierung
0,1% 4,4% 6,4%
SPD, Grüne und Linke 0,2% 13,7% 0,2%
CDU, FDP und Grüne 0,1% 36,7% 0,6%
CDU/FDP-Minderheits-
regierung
0,0% 11,1% 0,8%

 

Es zeigt sich, dass die Regierungsbildung in den drei Bundesländern alles andere als ausgemacht ist. In Brandenburg ist die Wahrscheinlichkeit, dass die amtierende Koalition aus SPD und CDU im Amt bleibt, nur geringfügig größer als die Bildung eines Bündnisses zwischen SPD und der Linken. Dies überrascht insofern nicht, als dass unter einem schwarz-roten Bündnis Brandenburg ein „C-Land“ würde, während es im Bundesrat zu den „B-Ländern“ zählen würde, wenn sich dort eine rot-rote Koalition bilden würde. In Thüringen ist hingegen die Bildung einer CDU/SPD-Koalition deutlich wahrscheinlicher als alle anderen Varianten. Die angestrebte rot-rot-grüne Koalition ist aus Sicht der Koalitionstheorien auch deswegen so extrem unwahrscheinlich, weil es sich um eine übergroße Koalition handeln würde: die Grünen werden zur Erringung einer Mehrheit im Landtag nicht benötigt. Ein Bündnis zwischen Linken und SPD rangiert mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 39% recht deutlich hinter der Koalitionsoption aus CDU und Sozialdemokraten.

Das Saarland stellt den unübersichtlichsten Fall dar. Aufgrund der Schätzungen ergibt sich eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen als wahrscheinlichste Variante (36,7%). Die Chancen zur Bildung einer – bislang nicht in Saarbrücken diskutierten – großen Koalition aus Union und SPD sind jedoch nur leicht niedriger (32,1%). Deutlich geringer fällt hingegen die ermittelte Wahrscheinlichkeit für die Bildung der ersten rot-rot-grünen Koalition in einem westdeutschen Bundesland aus: sie liegt bei knapp 14%. Man darf also nach wie vor gespannt sein, für welche farblichen Konstellationen sich die Parteien in den drei Ländern entscheiden.

 

Schwarz-gelb, schwarz-rot, Jamaika oder die Ampel?

Das Scheitern des Regierungsbildungsprozesses nach den Landtagswahlen in Hessen vom Februar 2008 hing maßgeblich mit den von den Parteien a priori getätigten Koalitionsaussagen ab. So schloss die hessische SPD eine Koalition mit der CDU unter der Führung Roland Kochs aus, während die FDP die Bildung einer „Ampelkoalition“ aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen vorab verwarf. Eine Zusammenarbeit mit CDU und FDP wurde durch Bündnis 90/Die Grünen ausgeschlossen. Nachdem durch den Einzug der Linken in den Wiesbadener Landtag kein „traditioneller“ Koalitionsblock (schwarz-gelb oder rot-grün) eine Mehrheit erreichte und die Bildung einer Minderheitsregierung aus SPD und Grünen unter der Tolerierung der Linken am Widerstand innerhalb der Sozialdemokraten scheiterte, waren Neuwahlen der einzige Ausweg aus der festgefahrenen Situation.

Auf Bundesebene sah es zunächst so aus, als ob die Parteien aus der Gefahr zu starker Statements im Hinblick auf definitive Ausschlüsse diverser Koalitionsoptionen gelernt hätten und nur noch positiv formulierte Koalitionsaussagen und damit keine Koalitionsabsagen tätigen würden. Jedoch folgte dem Ausschluss einer Zusammenarbeit mit der Linken durch die SPD die Ablehnung der Grünen, sich an einem Bündnis mit CDU/CSU und FDP zu beteiligen. Auch die Liberalen haben schließlich mehrfach bekräftigt, keine Koalition mit Sozialdemokraten und Grünen eingehen zu wollen.

Nun sind Koalitionsaussagen – egal ob positiv oder negativ formuliert – bei weitem nicht der einzige Faktor, der einen Einfluss auf die parteipolitische Zusammensetzung einer Regierung ausübt. Auf der Grundlage gängiger Koalitionstheorien ist bekannt, dass Parteien auch an der Besetzung politischer Ämter sowie an der Durchsetzung ihrer in Wahlprogrammen festgehaltenen inhaltlichen Positionen interessiert sind. Daraus lässt sich kurz gefasst ableiten, dass Koalitionen umso wahrscheinlicher sind, wenn sie (1) über eine sie stützende Mehrheit im Parlament verfügen, diese Mehrheit jedoch nicht übergroß ist und von so wenigen Parteien wie möglich getragen wird, und (2) aus solchen Parteien zusammengesetzt ist, die möglichst ähnliche programmatische Positionen vertreten. Zusätzlich gibt es theoretische Ansätze, die der stärksten Parlamentspartei einen besonderen Vorteil zusprechen und der amtierenden Koalition einen Startvorteil im Regierungsbildungsprozess zugestehen.

In Deutschland ist ein weiterer Faktor von Bedeutung, der sich aus der Rolle des Bundesrates in der Gesetzgebung ergibt: die Parteien auf Bundesebene sind daran interessiert, in den Ländern solche Koalitionen zu „installieren“, die mit der parteipolitischen Zusammensetzung von Regierung und Opposition auf Bundesebene übereinstimmen. Wenn solche Landesregierungen die Mehrheit der Sitze im Bundesrat stellen, die aus den selben Parteien wie die Bundesregierung gebildet sind, dann sollte es für die Bundesregierung einfacher sein, ihre Gesetzesinitiativen durch die Länderkammer zu bringen als in Situationen, wo die Bundestagsopposition eine Mehrheit im Bundesrat kontrolliert. Umgekehrt sollten die Bundesparteien bei der Koalitionsbildung die aktuelle Mehrheit in der Länderkammer in Betracht ziehen: wenn sich eine Koalition von Beginn an auf eine Mehrheit in der Länderkammer stützen kann, dann sollte dies deren Bildung begünstigen.

Auf der Grundlage eines Datensatzes, der alle 79 Regierungsbildungsprozesse in Bund und Ländern seit Januar 1990 beinhaltet und davon in 66 Fällen (83,5%) die Regierungsbildung korrekt voraussagt, können wir mit Hilfe multivariater statistischer Analysetechniken die Wahrscheinlichkeiten ermitteln, die jede theoretisch denkbare Koalition (hierzu zählen etwa auch Einparteien-Minderheitsregierungen) nach der Bundestagswahl aufweist. Wir unterscheiden zwei Szenarien: in Szenario 1 wird Union und FDP eine Mehrheit der Bundestagsmandate zugewiesen, während in Szenario 2 ein christlich-liberales Bündnis keine Mandatsmehrheit erreicht. Um die Auswirkungen verschiedener Koalitionsaussagen und der Regierungsbildung in Thüringen und im Saarland auf die Koalitionsbildung auf Bundesebene abzuschätzen, ändern wir die Daten so ab, dass

(1) der amtierenden großen Koalition Merkel/Steinmeier kein Amtsinhaberbonus zugewiesen wird,

(2) der Ausschluss einer Zusammenarbeit mit der Linken durch die SPD nicht berücksichtigt wird und

(3) das noch offene Ergebnis der Koalitionsverhandlungen in Thüringen und dem Saarland vorweggenommen werden. In Thüringen gehen wir von der Bildung einer Koalition aus CDU und SPD aus, während wir im Saarland die Bildung einer Jamaika-Koalition erwarten.

Die folgende Tabelle 1 zeigt die Wahrscheinlichkeitsverteilung ausgewählter Koalitionen unter der Annahme, dass CDU/CSU und FDP eine Mehrheit im zu wählenden 17. Deutschen Bundestag erreichen. Sowohl im Ausgangsmodell als auch nach Durchführung der drei oben genannten Änderungen dominiert ein Bündnis aus Union und Liberalen klar die Wahrscheinlichkeitsverteilung mit Werten zwischen 83 und 95%. Die Chancen zur Wiederauflage einer großen Koalition Merkel/Steinmeier sind bei einer solchen Mehrheitsverteilung im Parlament äußerst gering.

Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionen bei CDU/CSU-FDP-Bundestagsmehrheit

  Ausgangs-
modell
Kein Amtsinhaber-
vorteil für die große Koalition
SPD schließt Zusammen-
arbeit mit der Linken nicht aus
Thüringen: CDU/SPD; Saarland: Jamaika
CDU und SPD 16,9% 5,0% 5,0% 4,1%
CDU/CSU und FDP 83,0% 94,8% 94,3% 95,4%
CDU/CSU und Grüne 0,0% 0,0% 0,0% 0,0%
CDU/CSU, FDP und Grüne 0,0% 0,0% 0,0% 0,0%
SPD und Grüne 0,1% 0,1% 0,1% 0,0%
SPD, FDP und Grüne 0,0% 0,0% 0,0% 0,0%
SPD, Grüne und Linke 0,0% 0,0% 0,0% 0,0%

Deutlich anders sieht das Bild aus, wenn Christ- und Freidemokraten eine Mehrheit im Bundestag verfehlen würden. Tabelle 2 macht deutlich, dass unter diesen Umständen die wahrscheinlichste Koalition eine schwarz-rote Neuauflage ist. Dies gilt sogar dann, wenn man der großen Koalition keinen Amtsinhabervorteil zuweist und der SPD nicht abnimmt, keine Zusammenarbeit mit der Linken in Erwägung zu ziehen. Die Wahrscheinlichkeit für die Fortsetzung der großen Koalition liegt bei über 75%, während ein Linksbündnis auf Chancen von etwas mehr als 9% kommt.

Tabelle 2: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionen bei Verfehlen einer CDU/CSU-FDP-Bundestagsmehrheit

  Ausgangs-
modell
Kein Amtsinhaber-
vorteil für die große Koalition
SPD schließt Zusammen-
arbeit mit der Linken nicht aus
Thüringen: CDU/SPD; Saarland: Jamaika
CDU und SPD 97,8% 92,1% 76,5% 78,2%
CDU/CSU und FDP 1,4% 4,9% 4,1% 3,9%
CDU/CSU und Grüne 0,1% 0,4% 0,4% 0,2%
CDU/CSU, FDP und Grüne 0,0% 0,0% 0,0% 0,0%
SPD und Grüne 0,3% 1,1% 0,9% 0,6%
SPD, FDP und Grüne 0,0% 0,0% 0,0% 0,0%
SPD, Grüne und Linke 0,0% 0,0% 9,5% 9,1%

In den letzten Tagen war mit Hinblick auf die Koalitionsaussagen der Parteien besonders auffällig, dass sich die Grünen offenbar einen kleinen Türspalt zur Bildung einer Jamaika-Koalition offen halten, indem ihr Spitzenkandidat Jürgen Trittin explizit betonte, dass mit allen demokratischen Parteien nach der Wahl Gespräche geführt werden. Berücksichtigt man in den Regressionsmodellen nicht den Parteitagsbeschluss der Grünen, der eine Jamaika-Koalition von vornherein ausschliesst, dann ergibt sich eine deutlich andere Wahrscheinlichkeitsverteilung auf die verschiedenen Koalitionsoptionen, wie Tabelle 3 deutlich macht. Wenn man von keinem Amtsinhabervorteil für die große Koalition ausgeht, dann ist eine schwarz-rote Koalition noch immer mit knapp 58% das wahrscheinlichste Ergebnis, aber ein Jamaika-Bündnis würde mit einer Chance von rund 37% nicht allzu viel unwahrscheinlicher sein. Geht man noch einen Schritt weiter und nimmt an, dass sich im Saarland eine schwarz-gelb-grüne Koalition bilden wurde, dann stünden die Chancen für „Jamaika“ auf Bundesebene sogar besser als für eine große Koalition. Der Hauptgrund dafür liegt in den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat, in dem momentan weder eine schwarz-gelbe noch eine schwarz-rote Koalition, jedoch aber ein potentielles Bündnis aus Union, FDP und Grünen über eine Mehrheit verfügen. Die Grünen haben sich diesen Ergebnissen zufolge aufgrund ihrer Koalitionsaussage eine große Chance auf eine Regierungsbeteiligung verbaut, da die von ihnen wie auch der SPD präferierte Ampel aufgrund der Weigerung der Liberalen, ein solches Bündnis einzugehen, als ausgeschlossen gelten kann.

Tabelle 3: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionen bei Verfehlen einer CDU/CSU- FDP-Bundestagsmehrheit / Grüne schließen „Jamaika“ nicht aus

  Ausgangs-
modell
Kein Amtsinhaber-
vorteil für die große Koalition
SPD schließt Zusammen-
arbeit mit der Linken nicht aus
Thüringen: CDU/SPD; Saarland: Jamaika
CDU und SPD 97,8% 57,8% 51,2% 36,4%
CDU/CSU und FDP 1,4% 3,1% 2,7% 1,8%
CDU/CSU und Grüne 0,1% 0,3% 0,2% 0,1%
CDU/CSU, FDP und Grüne 0,0% 37,2% 33,0% 53,5%
SPD und Grüne 0,3% 0,7% 0,6% 0,3%
SPD, FDP und Grüne 0,0% 4,1% 0,0% 0,0%
SPD, Grüne und Linke 0,0% 0,0% 6,4% 4,2%
 

Koalitionskarrussell – eine bisher noch kaum beachtete Option

Andrea RömmeleAuf einer politikwissenschaftlichen Tagung letzte Woche in Potsdam wurde eine in der Öffentlichkeit bisher kaum beachtete Koalitionsoption hinterfragt: die Minderheitsregierung. Der Blick auf unsere europäischen Nachbarn und andere OECD-Staaten zeigt, dass eine solche Konstellation nicht so exotisch ist, wie man vermuten könnte: In Spanien beispielsweise kommen die Sozialdemokraten von José Zapatero auf 164 von 350 Sitzen und sind auf die Stimmen kleinerer Parteien angewiesen; die kanadischen Konservativen um Premier Stephen Harper regieren, obwohl sie mit 124 von 308 Mandaten ebenfalls keine Mehrheit im Parlament stellen; und in Dänemark verfügen Lars Rasmussens „Venstre“ und die Konservativen aktuell zusammen über 64 von 179 Sitzen. Auch in Schweden, den Niederlanden, der Tschechischen Republik, Österreich und einigen anderen Ländern hat man bereits – teilweise langjährige – Erfahrungen mit Minderheitsregierungen gesammelt.

Somit stellt sich angesichts einer möglicherweise sehr schwierigen Koalitionsbildung nach der Bundestagswahl die Frage, ob eine Minderheitsregierung nicht auch ein probates Mittel sein könnte, mit dem man der drohenden Politikblockade nach der Wahl entgehen könnte. Die Erfahrungen der Bundesrepublik Deutschland mit diesem Regierungstyp sind gering. Nachdem Minderheitsregierungen zu Zeiten der Weimarer Republik in engem Zusammenhang mit der Instabilität des gesamten Regierungssystems standen, waren sie nach dem zweiten Weltkrieg nur in Übergangsphasen gegeben – etwa nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition 1982.

Es scheint also, als ob das Potenzial dieses Regierungstyps in Deutschland noch nicht ausgereizt wäre. Allerdings gibt es sehr gute Gegenargumente, die sich nicht nur aus der Geschichte der Weimarer Republik, sondern auch aus strategischen Überlegungen der heutigen Zeit speisen: Es ist auffällig, dass Minderheitsregierungen in Ländern beliebt sind, in denen es keine starke zweite Parlamentskammer gibt. In Deutschland jedoch ist der Bundesrat ein wichtiger politischer Akteur, gegen den man kaum regieren kann. Ohne seine Zustimmung könnte nahezu jedes Gesetz gekippt werden und die Regierung wäre somit handlungsunfähig.

Nach aktuellem Stand und unter Berücksichtigung der anstehenden Regierungsbildungen in Thüringen, Schleswig-Holstein, Brandenburg und dem Saarland scheint einzig eine Bundesratsmehrheit für Schwarz-Gelb realistisch zu sein. Sie könnte auf 37 von 69 Stimmen kommen, falls Schleswig-Holstein nach der Landtagswahl von CDU und FDP regiert werden sollte. Die Große Koalition hingegen hat schon nach der Hessenwahl ihre Mehrheit verloren, da die CDU dort nun nicht mehr alleine, sondern mit der FDP regiert. Durch den anzunehmenden Wegfall zweier weiterer CDU-Alleinregierungen in Thüringen und dem Saarland könnte eine Mehrheitsperspektive im Bundesrat für Länder, die Unions-, SPD- oder von einer Großen Koalition geführt sind, noch ferner rücken. Und Rot-Grün, das in dieser Konstellation nur noch in Bremen regiert, kann gerade mal auf 7 Stimmen (Bremen plus das von der SPD alleine regierte Rheinland-Pfalz) zählen.

Man könnte also schlussfolgern: Schwarz-Gelb sollte die Bundesregierung stellen – egal, ob als Mehrheits- oder als Minderheitsregierung. Aber wäre eine solche Koalition, wenn sie im Bundestag über keine Mehrheit verfügt, politisch tragfähig? Würde der Bundestag unter diesen Umständen eine CDU-Kanzlerin wählen? Einiges scheint dagegen zu sprechen, insbesondere das gemeinsame Credo von SPD, Grünen und Linken, dass Schwarz-Gelb verhindert werden müsse. Der Blick ins Ausland zeigt aber auch, dass Vieles möglich ist: Minderheitsregierungen können sowohl aus einer Partei als auch aus Koalitionen bestehen und sowohl von der politischen Mitte als auch von einem klar definierten Lager aus organisiert werden. Vielleicht ist es angesichts der aktuellen Experimentierfreudigkeit der deutschen Politik (schwarz-grün, Jamaika, rot-rot-grün) für alle Parteien an der Zeit, auch die Option einer Minderheitsregierung neu zu diskutieren.

 

Der Wahl-O-Mat als Hilfe – für die Parteien!

Der Wahl-O-Mat ist seit heute wieder online. Dabei handelt es sich um ein “Informationsangebot über Wahlen und Politik” – für die Wähler, mag man zunächst denken. Doch in Zeiten der neuen Unübersichtlichkeit, die – der jüngste Wahlabend hat es gezeigt – den Satz “wir gehen nur nach Inhalten, nicht Koalitionen” (sowie beliebige Abwandlungen davon) auf Platz 1 der Wahlabend-Charts gebracht haben, kann der Wahl-O-Mat auch für Parteien als Richtschnur dienen, gerade wenn es nur noch um Inhalte geht.

Wie funktioniert der Wahl-O-Mat? 38 Thesen wurden den Parteien für die neueste Version des Informationsangebots zur Bewertung vorgelegt. Als Antwortoptionen standen zur Verfügung: “dafür”, “dagegen” oder “neutral”. Mit Hilfe der Antworten lässt sich nun leicht feststellen, wer mit wem in welchem Maße übereinstimmt. Die folgende Grafik zeigt dies anhand eines einfachen “Übereinstimmungsindex” für Parteipaare (*):

wahlomat

Die höchste Übereinstimmung mit einem Wert von über 84 Prozent resultiert für Grüne und Linke; der niedrigste zwischen Union und Linke: 21 Prozent.

Was können wir über aktuell diskutierte Koalitionsmodelle lernen? Für Jamaika wird es schwer, die Übereinstimmung zwischen Union und Grünen liegt nur bei 32 Prozent – während sie zwischen Grünen und der FDP bei immerhin 53 Prozent liegt. Das ist ein größeres Maß an Übereinstimmung, als für SPD und Union in der Großen Koalition zu beobachten ist (47 Prozent). Schwarz-Gelb kommt auf einen Übereinstimmungsgrad von 63 Prozent, SPD und Grüne von 76 Prozent (und SPD und Linke von 71 Prozent).

Würde es alleine nach inhaltlichen Aussagen gehen (und noch dazu nur denen, die als These in den Wahl-O-Mat eingeflossen sind), wäre das also die politische Landschaft in Deutschland. Seit den Landtagswahlen – vor allem in Thüringen und dem Saarland – wissen wir allerdings auch, dass Personen eine wichtige Rolle spielen: Bodo Ramelow möchte die SPD-Fraktion nicht wählen, im Saarland hakt es zwischen Mitgliedern der Grünen- und der Linken-Fraktion. Diesbezüglich hilft der Wahl-O-Mat allerdings nicht weiter – weder den Parteien noch den Wählern. Der Politiker-O-Mat muss erst noch erfunden werden.

(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 38 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.

 

Merkels Werk und Steinbrücks Beitrag

Henrik SchoberAngela Merkel möchte, so ist derzeit zu lesen, Peer Steinbrück aus Dankbarkeit für die gute Zusammenarbeit beim Management der Finanzkrise für einen prestigeträchtigen Job vorschlagen, falls die SPD nach der Bundestagswahl nicht mehr an der Regierung beteiligt sein sollte. Und wie bei fast allen politischen Meldungen dieser Tage stellt sich die Frage: Hat das Auswirkungen auf den Wahlkampf?

Jedenfalls passt die Nachricht ins Bild des bisherigen Wahlkampfes der Bundeskanzlerin, der zuletzt als zu wenig aggressiv und konfrontativ kritisiert wurde. Vor diesem Hintergrund sehen vermutlich einige Wahlkämpfer diesen neuen Beweis für das trotz jüngster Attacken bis zuletzt gute Klima in der Großen Koalition kritisch. Auch mancher (Nicht-)Wähler könnte sich in seiner Meinung bestätigt sehen, dass es zwischen den Parteien und ihren Kandidaten keine klaren Unterschiede gibt. Aus dieser Perspektive könnte man vermuten, dass hier eine interne Absprache zwischen Merkel und Steinbrück ungewollt nach außen gedrungen ist.

Möglicherweise steckt aber auch ein gewisses Kalkül dahinter, dass diese Information schon heute (also vor und nicht erst nach der Wahl, wenn Personalfragen üblicherweise verhandelt werden) aus dem CDU-Umfeld an die Öffentlichkeit gelangt ist. Immerhin stellt eine solche Nachricht die Kanzlerin einmal mehr als Staatsfrau dar, die jenseits der Parteigrenzen agiert und – ganz im Sinne des Volkes, das Steinbrücks Krisenmanagement schätzt – gute Arbeit ungeachtet des Parteibuches belohnt. Dieses Bild passt zur Wahlkampfstrategie der Union, die bisher vor allem auf die überparteiliche Beliebtheit der Person Angela Merkel und ihre damit verbundene Strahlkraft auf die anderen politische Lager ausgelegt war.

Schon Gerhard Schröder hat sich eines ähnlichen Kunstgriffes bedient, als er in seiner Regierungszeit zwei Kommissionen unter der Führung prominenter Unionspolitiker, Rita Süßmuth und Richard von Weizsäcker, einsetzen ließ. Auch dies war nicht zuletzt ein Versuch, sich gerade im Unionslager als „Kanzler aller Deutschen“ zu profilieren. Und tatsächlich stand Schröder zumindest phasenweise auf einer Stufe mit Kanzlern wie Konrad Adenauer oder Helmut Schmidt, deren persönliche Beliebtheit sehr tief in das gegnerische politische Lager hineinreichte.

Für Angela Merkel bietet sich nun die Möglichkeit, kurzfristig noch auf ähnliche Weise im Lager der SPD zu punkten. Laut aktuellem Politbarometer stehen nur 60% der SPD-Anhänger hinter Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier, im Vergleich dazu unterstützen 92% der CDU/CSU-Anhänger die Kanzlerin. Hier ist aus Sicht der Union großes Potenzial für eine Kampagne vorhanden, die sich gerade an jene SPD-Anhänger richtet, die aufgrund des Kandidatenfaktors noch nicht sicher sind, wo sie ihr Kreuz setzen werden. Wenn gerade diesen Wählern demonstriert werden könnte, dass sozialdemokratische Spitzenpolitiker wie Peer Steinbrück auch unter einer schwarz-gelben Regierung zur Geltung kommen würden, könnte dies Angela Merkel und der CDU wertvolle Stimmen einbringen.

 

Die neue Unübersichtlichkeit: Oh Gegner, wo bist Du?

Jamaika, Rot-rot, Rot-rot-grün, Schwarz-gelb, Große Koalition – die Wahlen vom Wochenende hatten und haben fast alles im Programm, für jeden ist etwas dabei. Auch die Bundestagswahl steht unter einem ähnlichen Vorzeichen – vieles ist möglich, wenig wird ausgeschlossen. Die neue Situation ist unübersichtlich – für Parteien, aber vor allem auch die Wähler.

Im Angesicht der neuen Unübersichtlichkeit wird von ihnen (mindestens) ein Dreisprung verlangt – zumindest sofern man annimmt, dass sie sich nicht über die Wahl einer Partei, sondern auch die Zusammensetzung der nächsten Regierung Gedanken machen. Sie müssen sich im ersten Schritt (Hop) überlegen, wie gut (oder schlecht) sie verschiedene Regierungskoalitionen finden (siehe hierzu auch den Beitrag von Rüdiger Schmitt-Beck in diesem Blog); sie müssen im zweiten Schritt (Step) abschätzen, wie es wohl um die Bereitschaft der Parteien bestellt ist, bestimmte Koalitionen einzugehen (siehe z.B. Rot-rot-grün). Schließlich müssen sie (Jump) abschätzen, welches Ergebnis wohl am Ende des Wahlabends am 27. September steht, welche Koalitionsmöglichkeiten der Souverän also den Parteien faktisch eröffnet. Und im Lichte all dessen, muss jeder einzelne Wähler seine kleine Wahlentscheidung treffen. Als einzelner bei solchen Rahmenbedingungen Koalitionsbildungsprozesse zu beeinflussen – ein nahezu aussichtsloses Unterfangen.

Wie reagieren die Wähler also? Sie bleiben weitgehend in altem Lagerdenken verhaftet. Schon die Analyse von Rüdiger Schmitt-Beck hat gezeigt, dass die „beliebtesten“ Koalitionen weiterhin Schwarz-gelb und Rot-grün sind. Weiter untermauert wird dies durch Ergebnisse von Umfragen, die aufzeigen, zwischen welchen Parteien Wähler aktuell noch schwanken: FDP-Wähler können sich demnach vor allem vorstellen, Union zu wählen – und umgekehrt. SPD-Wähler ziehen ggf. auch die Wahl der Grünen in Betracht, wenn überhaupt, und umgekehrt. Und auch Personen, die beabsichtigen, „Die Linke“ zu wählen, ziehen vor allem Rot und Grün als Alternativen in Betracht. Alles also schön sortiert, zumindest auf dieser Ebene.

Trotzdem kann es sein, ist es nach dem Wochenende vielleicht sogar ein Stück wahrscheinlicher, dass es weder für Schwarz-gelb und schon gar nicht für Rot-grün alleine reicht. Was sollten die Parteien im Angesicht dessen in den kommenden gut drei Wochen tun? Gerade im bürgerlichen Lager rumort es spätestens seit dem Wochenende bezüglich dieser Frage: Wer ist und wo steht der politische Gegner? Angela Merkel wird von einigen Seiten bedrängt, sich klar zum bürgerlichen Lager zu bekennen. Aber warum eigentlich?

Im Lichte der oben präsentierten Zahlen ist ein Wechsel von Wählern über politische Lager hinweg eher unwahrscheinlich. Eine polarisierende Kampagne würde zwar potenziell eigene Anhänger mobilisieren, aber erst recht würde dies für die Anhänger des politischen Gegners gelten. Hinzu kommt, dass eine Polarisierung dem bürgerlichen Lager insgesamt nutzen könnte – also auch und vielleicht sogar vor allem der FDP (zum Beispiel aus Angst vor einer Neuauflage der Großen Koalition). Kann das im Interesse der Union sein? Nein. Die Situation ähnelt exakt jener von vor vier Jahren. Aus Sorge vor einer Großen Koalition, so zeigen unsere Umfragen, haben sich viele Bürger auf der Zielgeraden (d.h. in der Woche vor der Wahl) anstelle der Union für die FDP entschieden. Mit welcher Konsequenz? Für das bürgerliche Lager hat es trotzdem nicht gereicht und die Union ging deutlich gezeichnet in die Verhandlungen zur Bildung einer Großen Koalition.

Im Angesicht dieser neuen Unübersichtlichkeit scheint also vor allem zu gelten: Jeder ist seines Glückes Schmied, d.h. jede Partei muss zunächst für sich selbst sorgen. Was dann, wenn der Souverän am 27. September millionenfach gesprochen hat, daraus wird, was möglich sein wird und was nicht, worauf man sich wird verständigen können, all das wird man dann erst sehen können. An solche Situationen werden wir uns gewöhnen müssen. Viele unserer Nachbarländer – in langen Jahren an wirkliche Viel-Parteien-Systeme gewöhnt – haben das längst getan, dort ist die Unübersichtlichkeit eher alt. Für uns ist sie noch neu.

 

Thüringen: Warum nicht eine grüne Ministerpräsidentin?

Nach der Landtagswahl gibt es in Thüringen zwei realistische Koalitionsoptionen: Schwarz-Rot oder Rot-Rot-Grün. Der Spitzenkandidat der SPD, Christoph Matschie, hat am Wahlabend und am Tag darauf betont, dass es mit der Thüringer SPD keinen Ministerpräsidenten der Linken geben wird. Auch die Grünen haben große Vorbehalte gegen Bodo Ramelow. Wie die SPD stößt man sich an zwei Kandidaten (jetzt: Abgeordnete) auf der Landesliste der Linken, die keine ganz reine „DDR-Weste“ haben. Ramelow und die Linke beanspruchen dagegen das Amt des Ministerpräsidenten. Matschie lässt verlauten, dass er eher eine Koalition mit Dieter Althaus und der CDU eingehen wird als unter der Führung eines linken Ministerpräsidenten Rot-Rot-Grün zu versuchen. Andererseits weisen die drei Parteien der Linken auf programmatische Übereinstimmungen hin, die ein Rot-Rot-Grünes Bündnis lohnenswert machten.

Was tun? Nun, die Linke wird nie und nimmer Herrn Matschie zum Ministerpräsidenten wählen, SPD und Grüne dagegen nicht Herrn Ramelow. Da bleibt eigentlich nur noch die Große Koalition, die vielleicht gar nicht das Schlechteste für Thüringen wäre. Andererseits könnte man gleich ein weiteres Mal etwas Neues wagen: Warum nicht eine grüne Ministerpräsidentin in Thüringen? Diese hiesse dann Astrid Rothe-Beinlich. Für die Grünen könnte sich mit diesem Personalvorschlag eine Regierungsoption eröffnen. In Thüringen haben sie – verglichen mit dem Saarland oder Sachsen – nur eine Option: Rot-Rot-Grün. Eine grüne Ministerpräsidentin hätte zwischen zwei roten Blöcken zu moderieren und liefe natürlich Gefahr, zwischen SPD und Linken aufgerieben zu werden. Andererseits: Wer es nicht versucht, hat in jedem Fall verloren. Aber vielleicht gehen die Grünen ja gern in die Opposition. Hierzu meinte ein gewisser Franz Müntefering einmal: Opposition ist Mist.

 

Wer mit wem? Die Parteien und ihre Koalitionsaussagen vor der Bundestagswahl

Nach den Landtags- und Kommunalwahlen vom Wochenende versuchen die Parteien in gewohnter Weise, aus den Ergebnissen mit mehr oder minder gewagten Interpretationen Kapital für die verbleibenden vier Wochen bis zur Bundestagswahl zu schlagen. Aus einigen Medien erschallt hingegen der Ruf, nun sei es Zeit, über neue Koalitionsformationen nachzudenken. Stichworte sind: Rot-Rot-Grün und Jamaika-Koalition. Die Führungen der Bundestagsparteien scheinen sich auf diese Ideen nicht einlassen zu wollen. So wenden sich beispielsweise die Grünen gegen Koalitionen mit den Unionsparteien. Oskar Lafontaine schließt ein Bündnis mit der SPD auf Bundesebene aus. Und die SPD-Führung bleibt bei ihrem Mantra, was auch immer auf Landesebene geschehe, werde es im Bund keine Koalition mit der Linken geben. Da sie sich mit ihrer ablehnenden Haltung gegen neue Konstellationen zusätzlicher Machtoptionen nach dem 27. September begeben, dürften die Parteiführungen ihre Entscheidungen wohlbedacht getroffen haben. Vermutlich nehmen sie an, mit einem Richtungswechsel in der Koalitionsfrage kurz vor der Bundestagswahl mehr zu verlieren, als sie damit nach dem Wahltag gewinnen könnten.

Wie sich eine koalitionspolitische Kehrtwende auf die Wahlchancen der Parteien bei der anstehenden Bundestagswahl tatsächlich auswirken würde, werden wir nicht endgültig erfahren. Einige Indizien deuten jedoch darauf hin, dass veränderte Koalitionsaussagen die Wahlentscheidung der Bürger nicht unberührt ließen. So gab in einer Onlineumfrage rund ein Viertel der voraussichtlichen Grünen-Wähler auf die Frage, wie sie sich entscheiden würden, wenn sich die Grünen für eine Koalition unter Führung der Union aussprächen, an, in diesem Fall würden sie ihre Stimme der SPD geben. Im Falle einer Koalitionsaussage zugunsten eines Bündnisses aus SPD, Grünen und der Linken würden sich ebenfalls einige Grünen-Wähler anders entscheiden. Rund 15 Prozent gaben die Unionsparteien an, zwischen fünf und zehn Prozent wollten der Wahl fernbleiben. Von den befragten SPD-Wählern würden sich demnach gut zehn Prozent für die Unionsparteien entscheiden, knapp 15 Prozent würden von ihrem Wahlrecht nicht Gebrauch machen. Diese Werte dürfen nicht überinterpretiert, entstammen sie doch einer nicht bevölkerungsrepräsentativen Onlinebefragung und beruhen auf Antworten auf höchst hypothetische Fragen. Allerdings deuten sie doch darauf hin, dass Bürger bei der Wahlentscheidung auf Koalitionsaussagen reagieren.

Mit neuen Koalitionen eröffnen sich Parteien also nicht nur neue Möglichkeiten zum Machterwerb, sondern sie scheinen dafür auch einen Preis in Form von Stimmen bezahlen zu müssen. So betrachtet, ist es nicht unverständlich, dass sich Parteiführungen bis zum Wahltag zögerlich zeigen, neue Bündnisse begeistert zu begrüßen. Eine andere Frage ist es allerdings, welche Schlüsse Wahlberechtigte aus dem Koalitionsgeschehen auf Landesebene ziehen werden. Erst recht lässt sich aus den Bündnisaussagen vor der Wahl am 27. September nicht folgern, dass auch in der neuen Legislaturperiode koalitionspolitisch alles beim Alten bleiben wird.

 

Schwarz-Gelb wird gewinnen.

Die gewünschte Regierungskoalition der amtierenden Bundeskanzlerin, eine Koalition aus CDU/CSU und FDP, wird bei der kommenden Bundestagswahl mit einem Stimmenanteil von 52,9 Prozent eine Mehrheit erhalten.

Diese Einsicht verdanken mein Kollege Helmut Norpoth und ich einem von uns entwickelten Prognosemodell, das sich bei den letzten beiden Bundestagswahlen bewährte. Abgeleitet von theoretischen Ansätzen zur Erklärung von Wahlverhalten haben wir ein statistisches Modell entwickelt, das bereits im Sommer vor den letzten beiden Bundestagswahlen 2002 und 2005 exakte Vorhersagen liefern konnte und auf den richtigen Sieger tippte, während die Ergebnisse der Meinungsforschungsinstitute, basierend auf den Umfragewerten der Parteien, daneben lagen. Unser Verfahren lieferte einen Monat vor der Wahl sogar genauere Werte für die Regierungskoalitionen als alle etablierten Meinungsforschungsinstitute, einschließlich deren 18-Uhr-Prognosen am Wahlabend selbst.

Für die Entwicklung unseres Vorhersagemodells fragten wir uns, was wir aus den zurückliegenden Bundestagswahlen in der Geschichte der Bundesrepublik lernen können. Uns interessierte dabei besonders der gemeinsame Stimmenanteil der jeweiligen Regierungskoalition. Dies verwandelt die Wahlentscheidung zwischen beliebig vielen Parteien in zwei handliche Hälften: die Wahl für oder gegen die Regierung. Weil die amtierende Regierung sich selbst als Notlösung sieht, nachdem keines der politischen Lager 2005 eine Regierungsmehrheit auf sich vereinen konnte, sagen wir für die kommende Bundestagswahl den Stimmenanteil der von der Kanzlerinnenpartei präferierten Regierungskoalition voraus.

Ob auf einen Sieg einer solchen Koalition gehofft werden darf, erklären wir mit dem Zusammenwirken von lang-, mittel- und kurzfristigen Einflussfaktoren. Da ist zunächst erstens der langfristige Wählerrückhalt der Regierungsparteien – gemessen als durchschnittlicher Wahlerfolg bei den vorangegangenen drei Bundestagswahlen. Hinzu kommt zweitens der mittelfristig wirksame Prozess der Abnutzung im Amt – gemessen durch die Zahl der Amtsperioden der Regierung. Drittens geht die durchschnittliche Popularität der jeweils amtierenden Kanzler ein, gemessen durch Werte in Umfragen im Zeitraum von ein und zwei Monaten vor einer Bundestagswahl.

Mit Hilfe statistischer Analyseverfahren können wir das Zusammenwirken dieser drei Faktoren und deren Gewichtung für die Stimmabgabe zu Gunsten der von der Kanzlerin präferierten Regierungskoalition wie folgt bestimmen.

Prognose für Schwarz-Gelb = -5,6 + 0,75*(PAR) + 0,38*(KAN) – 1,53*(AMT)

PAR: Langfristiger Wählerrückhalt der Regierungsparteien (Mittel der Stimmenanteile in den letzten drei Bundestagswahlen)
KAN: Kanzlerunterstützung (unter Ausschluss von Unentschlossenen)
AMT: Abnützungseffekt (Anzahl der Amtsperioden der Regierung)

Für die Berechnung der Prognose für 2009 brauchen wir noch drei Werte. Für den längerfristigen Wählerrückhalt, den Schwarz-Gelb bei den Wählern genießt, ergibt sich ein Wert von 44,1%. Dies entspricht dem Durchschnitt der Stimmenanteile, die Schwarz-Gelb in den letzten drei Bundestagswahlen gewinnen konnte. Hinzu kommt eine Kanzlerunterstützung von 71% für Angela Merkel auf Basis der Erhebungen im Juli und August der Forschungsgruppe Wahlen. Dieser Wert ergibt sich als gemittelter Anteil der Befragten in den Politbarometern im Juli und August, die lieber Merkel statt Steinmeier als Bundeskanzler hätten, unter Ausschluss der Unentschlossenen. Schließlich hat die amtierende Regierung bei dieser Bundestagswahl erst eine Amtsperiode hinter sich. Somit hat sie nur mit einem geringen Abnützungseffekt zu kämpfen.

Werden diese drei Werte in die obige Formel eingesetzt, ergibt das eine Prognose von 52,9 Prozent an Zweitstimmen für Schwarz-Gelb am 27. September 2009. Diese Prognose bestätigt damit eine vorläufige Vorhersage, die wir bereits im Juli auf diesem Blog sowie in der der Financial Times Deutschland veröffentlicht hatten.