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Mit halber Kraft ins Europaparlament

Stelle dir vor, es ist Wahl – und kaum einer bekommt es mit. Dies ist aus demokratietheoretischer wie politikpraktischer Sicht ein Horrorszenario. Schließlich sollten Wahlkämpfe nicht nur möglichst viele Wähler mobilisieren, sondern vor allem zur kollektiven Selbst-Verständigung und zum Austausch zwischen den politischen Eliten und dem Volk beitragen.

In diesem Licht betrachtet muss den deutschen Parteien für den vergangenen Europawahlkampf ein schlechtes Zeugnis ausgestellt werden. Schließlich nahm nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten an der Wahl teil (siehe hierzu auch die früheren Beiträge zu diesem Thema), vor allem fühlte sich aber die Mehrheit der Bürger (und vor allem der Nichtwähler) nicht ausreichend über die Wahl informiert und verfolgte auch in deutlich geringerem Maße die Berichterstattung über den Wahlkampf als bei der Bundestagswahl 2002 (vgl. Abbildung 1): 69 Prozent der Deutschen haben anlässlich der Bundestagswahl 2005 Berichte dazu im Fernsehen gesehen, anlässlich der Europawahl 2004 waren es nur 33 Prozent.

Abbildung 1: Wahlkampfinvolvierung im Vergleich

Zurückzuführen ist diese geringe Wahlkampfinvolvierung der Bürger zunächst auf eine bestenfalls als „flüchtig“ zu bezeichnende Wahlkampfberichterstattung: So bezogen sich, nach Auswertungen des Medien Tenors, im Wahljahr 2004 nur zwei Prozent der Nachrichtenbeiträge der sieben großen Fernsehanstalten und der überregionalen Printmedien auf die EU-Wahl – also nur jeder 50ste Beitrag. Damit rangierte Deutschland nicht nur EU-weit an letzter Stelle, sondern das Ausmaß der Berichterstattung lag deutlich unter der Wahrnehmungs- und Erinnerungsschwelle von durchschnittlich an EU-Politik interessierten Bürgern.

Die Berichterstattung selbst und der Gesprächsstoff, der den meisten Bürgern 2004 fehlte, reflektierten jedoch nicht zuletzt in hohem Maße die kommunikativen Stimuli, die die Parteien damals (wie auch bei vorangegangenen Europawahlkämpfen) kaum boten. So verdeutlichte eine vergleichende Analyse der Parteienkampagnen zur Europawahl 2004 und zur Bundestagswahl 2005 das Ausmaß der „Nebensächlichkeit“, mit denen die politischen Kontrahenten die EU-Wahl bestritten.* Diese hatte ihren Ursprung in einer finanziellen Unterausstattung: So füllten die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien 2004 ihre Wahlkampfkassen gerade einmal halb so voll wie zur darauf folgenden Bundestagswahl (29 Mio. vs. 62 Mio. Euro). Nur der FDP gelang es damals, mit einer auf ihre Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin zugespitzten Kampagne überdurchschnittliche Medienresonanz zu erzielen. Ansonsten galt für die Parteien 2004 anscheinend das Motto „Mit halber Kraft voraus!“.

Abbildung 2: Wahlkampfbudgets im Vergleich

Allein, der Europawahlkampf 2009 lässt diesbezüglich auf keine Trendwende hoffen. Eingebettet zwischen Bundespräsidenten- und (ressourcenschluckender) Bundestagswahl, in einer Zeit, in der die nationalen Folgen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise die Agenda bestimmen, konnten die Parteienkampagnen und die Medienberichterstattung über die anstehende EU-Wahl bislang nicht mehr als ein Hintergrundrauschen auslösen. So scheint sich rund zwei Wochen vor dem Wahltag das bekannte Szenario zu wiederholen: Stell dir vor, es ist (EU-)Wahl, und keiner bekommt es mit.

* Tenscher, Jens (2007): Professionalisierung nach Wahl. Ein Vergleich der Parteienkampagnen im Rahmen der jüngsten Bundestags- und Europawahlkämpfe in Deutschland. In: Brettschneider, Frank/Niedermayer, Oskar/Weßels, Bernhard (Hg.): Die Bundestagswahl 2005. Analysen des Wahlkampfes und der Wahlergebnisse. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 65-95.

 

Orientierung im Nebel

Europapolitik ist uninteressant? Die Parteien unterscheiden sich nicht? Abgesehen von einigen undurchsichtigen Regulierungen steht nichts auf dem Spiel? Diesen Vorurteilen möchte die Bundeszentrale für politische Bildung begegnen und ein sehr erfolgreiches Online-Instrument ist der „Wahl-O-Mat“: Anhand von kurzen und prägnanten Thesen können die Nutzer ihre politischen Positionen mit denen der Parteien vergleichen. Eine lautet beispielsweise: „In der EU sollen keine gentechnisch veränderten Lebensmittel produziert werden“, die Antwortmöglichkeiten sind stets „stimme zu“, „neutral“ und „stimme nicht zu“.

Der Thesenkatalog wird zunächst jeder Partei, die zur Wahl steht, zugeschickt. Anschließend können die Nutzer des Wahl-O-Mat zu ausgewählten Fragen Stellung nehmen und prüfen, welchen Parteien sie besonders nahe stehen. Allerdings möchte der Wahl-O-Mat nicht als Hilfe für die Wahlentscheidung verstanden werden. Vielmehr geht es darum, potenzielle Wähler zum Nachdenken und somit zur selbständigen Meinungsbildung anzuregen.

Der erste Wahl-O-Mat wurde zur Bundestagswahl 2002 gestartet, zur Europawahl 2009 ist nun seit gut einer Woche die elfte Auflage online. Die bisher erfolgreichste Version (zur Bundestagswahl 2005) wurde insgesamt 5,1 Millionen Mal genutzt – der Wahl-O-Mat ist also durchaus ein ernst zu nehmender Faktor im politischen Geschehen. Und angesichts der seither stetig steigenden Internetnutzung und renommierter Medienpartner darf für 2009 wohl mit neuen Rekordergebnissen gerechnet werden.

Zunächst sind Anfang Juni Europawahlen – und die haben in Deutschland ein Imageproblem. Dies zeigt nicht zuletzt die niedrige Wahlbeteiligung, über deren Ursachen auch in diesem Blog bereits diskutiert wurde. Für manche Kommentatoren ist das Fernbleiben von den Urnen schlichtweg rational, da sich die Parteien in den Augen der Wähler nicht deutlich unterscheiden. Ist dem aber wirklich so?

Zu dieser Frage kann die Entstehungsgeschichte des aktuellen Wahl-O-Mat Erkenntnisse beitragen: Die Redaktion hat in Zusammenarbeit mit Experten einen Katalog von ursprünglich 86 Thesen entwickelt. Davon konnten aber 48 nicht in die Auswertung aufgenommen werden, da sie nicht trennscharf waren und/oder von den befragten Parteien nicht unterschiedlich beantwortet wurden. Die sieben Parteien, die sich Hoffnungen auf den Einzug in Europäische Parlament machen dürfen (CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke und die Freien Wähler) stimmen in drei der verbleibenden 38 Fragen überein. In weiteren sechs Fällen gibt es keinen echten Konflikt, da manche Parteien eine neutrale Position haben, während die übrigen einer Meinung sind. Wirkliche Kontroversen gibt es somit also nur in 29 von ursprünglich 86 Fragen. Betrachtet man nur die beiden großen Parteien, CDU und SPD, so zeigt sich noch einmal deutlich mehr Übereinstimmung: In 19 der 38 Thesen stimmen sie überein, in acht weiteren hat eine der beiden Parteien eine neutrale Position. So bleiben am Ende nur elf wirkliche Kontroversen – von anfangs über 80 möglichen.

Was sagen diese Zahlen? Zunächst zeigt sich, dass die Parteien tatsächlich keine grundverschiedenen europäischen Kurse verfolgen – das war aber auch nicht zu erwarten. Jenseits der Übereinstimmungen bleibt aber eine Anzahl kontroverser Themen: Gentechnik, Agrarsubventionen, Atomkraft und Mindestlohn gehören dazu. Es gibt also eine recht übersichtliche Menge von Themen, in denen sich die Parteien deutlich unterscheiden, und jedes einzelne hat es in sich. Emotionalisierende Themen gepaart mit einer grundsätzlichen Übersichtlichkeit – eigentlich wären das ideale Voraussetzungen für einen spannenden Wahlkampf und eine hohe Wahlbeteiligung…

 

Chance zum wirklichen Dialog verpasst: Angela Merkels Bürgersprechstunde auf RTL

Gestern Abend fand es also statt, das erste „Townhall-Meeting“ mit Angela Merkel – und sie hat das Kind auch gleich beim Namen genannt: Bürgersprechstunde. Die Bundeskanzlerin steht mit Rat und Tat zur Seite. Das ist sicherlich gut und schön, zumal Angela Merkel Bodenständigkeit und Humor bewiesen hat. Allerdings ist sehr fraglich, ob die Veranstaltung wirklich ihr Ziel erreicht hat. Als Bundeskanzlerin muss es Frau Merkel ein Anliegen sein, das Interesse und die Teilnahme der Bürger an der Politik zu fördern. In Ihrer Rolle als Vorsitzende und Spitzenkandidatin der CDU muss sie zudem die Inhalte ihrer Partei transportieren und Stimmen für sich gewinnen. Für beide Zwecke ist ein Townhall-Meeting eine ideale Umgebung: Es erlaubt die direkte Ansprache aller Zuschauer, die durch die Fragesteller repräsentiert werden. Viele dieser Wähler sind bislang unentschlossen, das Potenzial einer solchen Sendung ist groß: Noch weiß ca. ein Drittel der Deutschen nicht, welche Partei sie wählen würden; knapp 30 Prozent sind gemäß einer aktuellen Befragung nicht sicher, ob sie überhaupt an der Bundestagswahl teilnehmen werden.

Diese Gruppe der Unentschlossenen anzusprechen, ist ein Hauptanliegen von Formaten wie dem Townhall-Meeting. Überzeugend war die Veranstaltung allerdings nicht. Das Spontane, das Lebendige und das Flexible fehlten völlig. Die Antworten wirkten vorformuliert – und das waren sie sicherlich auch. Frau Merkel hatte wohl genügend Zeit, sich auf die Fragen in den Videobotschaften einzustellen. Die Bürger aber möchten mehr Authentizität und mehr Spontaneität, sie sind diese hochpolierten, bis an die Grenze durchprofessionalisierten und damit austauschbaren Polit-Köpfe leid. Mehr Emotionalität, mehr Empathie, bitte schön!

Verantwortlich für den Ablauf und den Zuschnitt der Sendung ist natürlich auch der Sender. Er wäre zu fragen, wie viele Botschaften überhaupt eingesandt wurden und nach welchen Kriterien sie ausgewählt wurden? Alles in allem haben beide, Angela Merkel und RTL, die Chancen, die eine solche Veranstaltung bietet, nicht genutzt.

 

Vorhang auf für starke Inhalte

Dass Personen in Wahlkämpfen immer wichtiger geworden sind, wurde hier bereits mehrfach diskutiert und dargelegt (siehe etwa die früheren Blog-Beiträge zu Angela Merkel und Franz Müntefering). Es wurde dabei auch darauf hingedeutet, dass die Person bzw. der Kandidat nicht alleine den Ausschlag geben kann, sondern in Verbindung zu einem Thema gebracht werden muss. Ursula von der Leyen und die CDU-Familienpolitik sind momentan das beste Beispiel dafür. Am Sonntag steht nun wieder eine Person im medialen Vordergrund: Die Bundeskanzlerin bestreitet ihr erstes „Townhall Meeting“ und stellt sich den Fragen der Bürger.

Natürlich werden die Zuschauer genau darauf achten, wie Angela Merkel zu Fragen Position bezieht, die nicht von Fernsehmoderatoren erdacht wurden, sondern aus der Mitte der Bevölkerung kommen. Und abgesehen davon hat dieses Ereignis noch eine weitere spannende Komponente: Die empirische Forschung hat klar gezeigt, dass mehr und mehr auch die „unpolitischen“ Eigenschaften eines Kandidaten bei der Wahlentscheidung eine Rolle spielen.

Die Geschichte hierzu ist schnell erzählt: Wähler orientieren sich bei der Entscheidungsfindung immer weniger an Parteien, das Grundvertrauen in eine Partei (die so genannte Parteiidentifikation) ist konstant rückläufig und weicht einem Grundvertrauen in politische Köpfe. Vor allem auch aufgrund der Komplexität und des permanenten Wandels der politischen Agenda rücken verstärkt die unpolitischen Eigenschaften der Kandidaten in den Mittelpunkt. Der Wähler beurteilt den Politiker anhand seiner Managementfähigkeiten und seiner Möglichkeit, Dinge kurz und prägnant darzustellen. Auch die angemessene Gestik und Mimik tragen dazu bei, dass ein Politiker jenseits konkreter Themen glaubwürdig, seriös und zuverlässig wirkt und somit das Vertrauen der Wähler genießt. Einige empirische Untersuchungen zeigen sogar, dass phyische Attraktivität förderlich für den Wahlerfolg ist – so etwa ein überzeugendes Papier von Ulrich Rosar und Markus Klein zu „Pretty Politicians“.

Allerdings gibt es trotz dieser interessanten Impulse keine systematischen Hinweise darauf, dass diese unpolitischen Eigenschaften die Bedeutung von politischen Eigenschaften verdrängen. Die „A-Note“, überzeugende Programme und Inhalte, ist nach wie vor das zentrale Kriterium für die Wahlentscheidung; die „B-Note“, die Darstellung und der Ausdruck, gewinnt jedoch an Bedeutung. Zu dieser Kategorie gehört nicht zuletzt auch der politische Instinkt dafür, die richtigen Themen in den richtigen Formaten zum richtigen Zeitpunkt zu präsentieren.

Wenn Frau Merkel nun im Rahmen des „Townhall Meeting“ auf die Bürger zugeht und sich ihren Fragen stellt, dann zeigt sie damit sowohl in der A- als auch in der B-Note ihre Kompetenz…

 

Zuversicht in der Krise

Nach einer aktuellen Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) glauben derzeit rund 71 Prozent der Deutschen nicht, dass sich ihr sozialer Status durch die Finanz- und Wirtschaftskrise verändern wird. Aber Zuversicht scheint keine Nachricht wert. Im Bericht der „Welt am Sonntag“, in deren Auftrag die GfK-Befragung durchgeführt wurde, wird stattdessen hervorgehoben, dass zurzeit 28 Prozent der Deutschen ihre Schichtzugehörigkeit durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gefährdet sehen. Der Titel der Presseinformation der GfK lautet noch: „Mehrheit der Deutschen fürchtet keinen sozialen Abstieg“. Bei „Welt online“ wurden daraus Schlagzeilen wie „In Deutschland wächst die Angst vor dem sozialen Abstieg“ und „Deutsche Mittelschicht fürchtet sozialen Abstieg“. Der Nachrichten-Aufmacher bei T-Online am Montagvormittag dröhnte: „Die Angst vor sozialen Abstieg geht um“. Und da musste dieselbe Befragung auch gleich als Beleg dafür herhalten, dass die Angst vor einem sozialen Abstieg durch die Wirtschaftskrise bei immer mehr Deutschen um sich greife.

Nun gehört es zu den wenig aufregenden Erkenntnissen der Medienforschung, dass schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind, weil sie mehr Aufmerksamkeit wecken und sich damit auch besser verkaufen lassen. Wenn aber aus guten Nachrichten schlechte Nachrichten gemacht werden, dann untergräbt das die Glaubwürdigkeit des Überbringers der Botschaft und der Grad zwischen Information und Desinformation wird beunruhigend schmal.

Dabei bedürfen die krisenbedingten Ängste der Deutschen wohl kaum einer künstlichen Übertreibung. Denn laut jüngstem ARD-Deutschland-Trend von Infratest dimap machen sich 57 Prozent der Deutschen Sorgen um ihre persönliche wirtschaftliche Zukunft, 56 Prozent fürchten um ihre Ersparnisse und 76 Prozent glauben, dass uns der schlimmste Teil der Krise noch bevorsteht. Unter den Erwerbstätigen haben 38 Prozent der Befragten Angst um ihren Arbeitsplatz, mit einer Zunahme von 6 Prozentpunkten im Vergleich zum Vormonat.

Diese Zahlen sind alarmierend genug, zumal in einem Superwahljahr, in dem die Wählerinnen und Wähler aufgefordert sind, den Politikern ihrer Wahl das Vertrauen auszusprechen. Nun stellt sich die Frage, wem man in der Krise mehr vertrauen mag: den Wünschelrutengängern, die in der Bevölkerung „Empörung über die Folgen der Krise“ (Gesine Schwan) und „soziale Unruhe“ (Oskar Lafontaine) „spüren“; oder denjenigen, die zwar unsere Sorgen nicht unter den Teppich kehren, aber auch Mut machen, dass wir die Krise gemeinsam überstehen und daraus gestärkt hervorgehen werden.

Die Amerikaner entschieden sich bei der zurückliegenden Präsidentschaftswahl in großer Mehrheit für Zuversicht und Optimismus: Yes, we can – Ja, wir packen das! Wofür werden sich die Deutschen entscheiden – für eine Wahl der Angst oder für eine der Zuversicht? Und welche Partei wird den Deutschen überhaupt die Wahl lassen, den Optimismus zu wählen?

 

Erstwähler-Feldzug im Internet: Wahlkampf auf studiVZ

Der Wahlkampf läuft im Internet bereits auf Hochtouren – ob auf den einzelnen Kandidaten- oder Parteiseiten, überall wird auf die kommenden Wahlen hingewiesen: bunt, frech, chic, kommunikativ. Ein neuer Schwerpunkt liegt dieses Mal sicherlich auf der Nutzung der sozialen Netzwerke wie Facebook oder MySpace. Seit heute finden wir die im Bundestag vertretenen Parteien nun auch auf studiVZ, der Internetplattform für Studenten und Schulabgänger – Erstwähler eben. Laut Angaben der Betreiber tummeln sich in den Netzwerken studiVZ, schülerVZ und meinVZ über 10 Millionen Wahlberechtigte, davon 70 Prozent aller Erst- und Jungwähler.

Und hier gilt es genau hinzuschauen: Das Internet wird nicht als „bloßes“ Kommunikationsmedium betrieben, über das billig und schnell Informationen übermittelt werden können. Das Internet ist Organisationsmedium. Parteien speisen ihre Themen und Botschaften in die sozialen Netzwerke ein. Hierdurch entsteht eine persönliche und direkte Wähleransprache. Und schon die klassischen amerikanischen Wahlstudien aus den 40er Jahren zeigen uns: Unentschlossene Wähler sind im persönlichen Gespräch am ehesten zu überzeugen. Neuere Erkenntnisse bestätigen dies. Wem es also gelingt, mit positivem Touch in den Alltag der Menschen vorzudringen, der ist schon fast am Ziel. Nun ersetzen das Internet bzw. soziale Netzwerke wie Facebook und MySpace nicht die politische Diskussion abends bei Bier oder Wein, aber sie ermöglichen die flächendeckende Organisation der direkten Wähleransprache. Dass diese Art der Kontaktpflege funktioniert, zeigen Untersuchungen zur Verweildauer im Internet und in sozialen Netzwerken. Weltweit steigt die Dauer des Aufenthalts in solchen Netzwerken weit überdurchschnittlich stark an:

Anstieg der Verweildauer im Internet und auf Facebook

Quelle: Fotostrecke zur Nielsen-Studie „Global Faces and Networked Places“ auf SPIEGEL ONLINE

Die Nutzer sehen im sozialen Netzwerk die Kommentare und Antworten von Mitgliedern ihrer Gruppen, aus ihrer community, zu bestimmten Politikern. Und das animiert bzw. überzeugt. In der politischen Soziologie wird in diesem Zusammenhang der Begriff Sozialkapital verwandt, das bestenfalls auch in langfristiges soziales Vertrauen mündet. Wenn ich einen Facebook-Eintrag von Kajo Wasserhövel oder Angela Merkel mit „Daumen hoch – gefällt mir“ kommentiere, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Freunde aus meinem Netzwerk, die vorher keine klare Meinung über diese Politiker hatten, sich meiner Meinung anschließen.

Aber: Irgendwann muss auch mal der Sprung von der online-Plattform ins reale Leben stattfinden. Die Wähler müssen die virtuell vermittelten Botschaften verinnerlichen und sich an sie erinnern, wenn sie in der Wahlkabine stehen. Denn bisher gilt immer noch: Nur dort kann gewählt werden.

 

Von den Großen lernen: Die kleinen Parteien rüsten sich für den „ground war“

Was die beiden großen Parteien im letzten Bundestagswahlkampf 2005 vorgemacht haben, hält in diesem Superwahljahr auch bei den kleinen Parteien in vollem Umfang Einzug: grassroots campaigning. Das heißt zu Deutsch so viel wie „Wahlkampf an der Wurzel“ und bedeutet, die Parteibasis und freiwillige Unterstützer zu aktivieren, die der Partei beim Wahlkampf unter die Arme greifen. Die Wahlkampfaktivitäten sind dabei ganz verschieden und erstrecken sich von der Verteilung von Werbematerial, der Veranstaltung von Hauspartys und der Unterstützung bei Großveranstaltungen bis hin zu Aktionen im Internet oder per Handy. Die Wahlkampfkommunikationsforschung bezeichnet diese Art von Kampagnenaktivität als „ground war“ und meint damit den Kampf um Wählerstimmen am „Boden“ mit Hilfe von dialogorientierter lokaler Wahlkreiskommunikation. Hiervon wird der „air war“ unterschieden, d.h. der Kampf um Wählerstimmen von „oben“ mit Hilfe der klassischen Massenmedien Fernsehen, Radio und Tageszeitungen. Die Koordination der Wahlkampfhelfer findet im „ground war“ primär über das Internet statt, vor allem mittels eigens eingerichteter Plattformen auf den Parteiwebsites. SPD und CDU haben dieses Wahlkampftool nach amerikanischem Vorbild in Form des „teAM Zukunft“ (CDU) und der „roten Wahlmannschaften“ (SPD) für ihre letzten Kampagnen systematisch genutzt und auf ein Kommunikationsmittel gesetzt, das seine Anfänge bereits in den Kinderschuhen der Wahlkampfkommunikation hatte: Die dialogorientierte lokale Wahlkreiskommunikation war schon in der vormodernen Phase der Wahlkampfkommunikation (ca. 1920-1945) das Mittel der Wahl, mit dem kleinen Unterschied, dass hier die direkte Kommunikation mit dem Wähler ausschließlich mittels interpersonaler Kommunikation stattfand. Heute wird diese direkte „Face-to-face“-Kommunikation mit dem Wähler durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien wie das Internet ergänzt, die zusätzlich eine gezielte und effiziente Koordination des Helferpools möglich machen.

Schaut man sich die Websites der kleinen Parteien in diesem Wahlkampf an, so scheint es, dass sie von den Großen gelernt haben. Die FDP hat mit ihrem Kampagnenportal „mit mach arena“ in Sachen Professionalität dabei die Nase vorn: Interessierte können sich auf einem ansprechend designten multimedial gestalteten Portal anmelden und haben die wichtigsten Unterstützerbereiche sofort im Blick: Online-Foren und communities wie facebook und youtube, Handy-Newsletter und Aktionen sowie weblogs – die FDP steht den beiden großen Parteien in diesem Jahr in nichts nach. Dabei präsentiert sich die FDP so, wie es auch empirische Studien zur Professionalisierung der Wahlkampfkommunikation in Deutschland belegen: Als fast gleichauf mit den großen Volksparteien, trotz geringeren Budgets und geringerer Mitgliederzahl (auf dem CAMPROF Professionalisierungsindex von Rachel Gibson und Andrea Römmele erzielten die FDP 21, die SPD 27 und die CDU 24 von insgesamt 30 Punkten im Rahmen des Bundestagswahlkampfes 2005). Die Grünen und die Linke legen dabei einen bei weitem nicht so professionellen Auftritt an den Tag. Das Kampagnenportal der Grünen „meine Kampagne“ ist zwar auch ansprechend gestaltet, deutlich weniger interaktive und multimediale Angebote bestätigen jedoch den empirisch bewiesenen abgeschlagenen vierten Platz der Grünen in Sachen Professionalität (13 von 30 Punkten im Rahmen des Bundestagswahlkampfes 2005 auf dem CAMPROF Professionalisierungsindex). Bedenkt man, dass die Grünen im Bundestagswahlkampf 2005 noch kein eigenes Mitgliedernetzwerk hatten, ist diese Kampagnenwebsite jedoch ein großer Schritt. Die Linke präsentiert sich im Trio der kleinen Parteien in Sachen grassroots campaigning als Schlusslicht, ihr Wahlkampfportal ist kaum elaboriert. Auf der Parteiwebsite erst auf den zweiten Blick zu sehen, finden sich kaum ansprechende und interaktive Elemente auf dem Kampagnenportal. Interessierte haben lediglich die Möglichkeit, sich für bestimmte Wahlkampfaktivitäten registrieren zu lassen, und erhalten dann von der Partei die entsprechenden Informationen. Doch von den Großen lernen lohnt sich, denn grassroots campaigning bietet gerade für kleine Parteien große Chancen. Durch den gezielten Einsatz des Internets ist kein großer Wahlkampfetat nötig, um effizienten Wahlkampf zu betreiben, kurzum: Das Internet bietet den kleinen Parteien die Möglichkeit, mit den beiden großen Parteien bei dieser Wahlkampfstrategie gleichzuziehen!

 

Blogs und Journalisten

Robin Meyer-Lucht bloggt auf www.carta.info unter dem Titel „Das große Unbehagen der Großjournalisten mit dem Internet: heute mit Peter Frey“ zum Verhältnis von Journalisten und Blogs.
Zu seiner anekdotischen Evidenz gibt es auch noch systematische Empirie. In einer via Internet durchgeführten Befragung der Mitglieder der Bundespressekonferenz aus dem Sommer 2007, an der sich 185 Mitglieder der BPK beteiligten, sollten diese einerseits ihre eigenen Blogaktivitäten skizzieren, aber auch ihre Einschätzungen zu Blogs abgeben.
Die folgende Abbildung zeigt zunächst die Blogaktivitäten der Journalisten zum Erhebungszeitpunkt:

Weniger als die Hälfte der befragten Journalisten liest demnach Blogs. Die Abbildung zeigt darüber hinaus, dass die politische Nutzung von Blogs relativ weit verbreitet ist. Wenn die befragten Journalisten also überhaupt Blogs lesen, so sind dies sehr häufig – wenn auch nicht ausnahmslos – politische Blogs. Vor dem Hintergrund der Grundgesamtheit (Bundespressekonferenz) kann dies allerdings wenig verwundern.
Eine der positiven Eigenschaften, die Blogs allgemein zugeschrieben werden, ist die Geschwindigkeit, mit der sie auf Ereignisse und Informationen reagieren. Dass sich dies auch auf die klassischen Medien übertragen kann, setzt voraus, dass auch die Journalisten zeitnah Blogs verfolgen. Dem ist allerdings kaum so: Nur jeder fünfte Journalist liest mehrmals in der Woche Blogeinträge, dies entspricht weniger als der Hälfte der Blog lesenden Journalisten. Die häufigste Antwort auf die von uns gestellte Frage ist ‚mehrmals im Monat‘ – unter diesen Umständen wird man also kaum von einer zeitnahen Informationsaufnahme ausgehen können. Die Distanz zwischen Blogs und Journalisten zeigt sich schließlich am deutlichsten, wenn man nach der aktiven Teilhabe an der Blogosphäre fragt. Elf der 179 befragten Journalisten betreiben selber einen Blog, weitere acht kommentieren ab und an Einträge, was in der Summe einem Wert von rund zehn Prozent aktiver Blognutzung entspricht.
Eine kritische Distanz dominiert auch die Einstellungen der Journalisten zum Thema Blogs, wie die folgende Abbildung zeigt:

Die Aussagen, die den Journalisten zur Bewertung (auf einer fünfstufigen Antwortskala) vorgelegt wurden, weisen bei nur einer Ausnahme negative Mittelwerte auf, stoßen also eher auf Ablehnung als Zustimmung bei den befragten Journalisten. Lediglich das Item ‚Blogs zeigen Trends‘ stößt im Mittel – gerade so – auf etwas mehr Zustimmung als Ablehnung. Weiterhin werden Blogs am ehesten noch als Inspirations- und Informationsquelle gesehen, doch selbst hierfür sind die resultierenden Mittelwerte schon negativ. Noch skeptischer schließlich sind die Journalisten, wenn es um Fragen der Ausgewogenheit einzelner Blogs, aber auch der Blogosphäre insgesamt geht sowie bei der Beurteilung des Verhältnisses zwischen Blogs und Journalismus: Blogs – so die mehr oder minder einhellige Meinung – bilden keine Konkurrenz und Alternative zum klassischen Journalismus und werden dies auch zukünftig nicht tun.

Ein Informationsfluss aus der Blogosphäre in die klassischen Medien ist somit nicht zu erwarten. Vielleicht sollte man besser ‚bisher nicht‘ sagen. Die Abbildung zeigt nämlich neben den Gesamtwerten noch eine weitere Differenzierung nach der eigenen Blognutzung – differenziert nach Befragten ohne Blogerfahrung, Bloglesern und Bloggern. Diese Differenzierung liefert bei einigen Items recht deutliche Unterschiede. Mit wachsender Vertrautheit mit Blogs steigt offenkundig zumindest auf einigen Dimensionen das Ansehen der Blogs. Dies gilt nicht unbedingt für die Frage der aktuellen und zukünftigen Konkurrenz. Hier sind sich die Journalisten doch weitestgehend einig, dass die Medien konkurrenzlos bleiben. Aber mit Blick auf die Ausgewogenheit und auch die Zitationswürdigkeit sind Blogger doch deutlich optimistischer und positiver gestimmt. Dies umfasst auch die Frage, ob Blogs Inspirationsquelle sein könnten. Unterstellt man nun, dass die Blognutzung in Deutschland allgemein, aber auch bei Journalisten zukünftig ansteigen wird (aktuelle Trends wie das ZDF-Wahlblog zeigen dies ja), so könnte man erwarten, dass damit auch der mögliche Einfluss von Blogs auf den hier skizzierten Wegen zunehmen wird. Für den Moment aber bleibt das Verhältnis zwischen klassischen und neuen Medien von gegenseitigem Misstrauen und mangelnder Vertrautheit geprägt. Im Fußball würde man sagen: Beide Mannschaften tasten sich noch ab, aber es kommt noch kein Spielfluss zu Stande. Die wenigen Fälle, in denen Themen der Blogosphäre in die Medien gelangen, beruhen eher auf gelungenen Einzelaktionen einzelner Spieler denn auf einem funktionierenden Spielaufbau. Im Fußball ist dies häufig ein Merkmal der ersten, von gegenseitigem Respekt geprägten Minuten eines Spiels. Man darf gespannt sein, ob dies auch für die Blogosphäre und die Massenmedien gilt.

(Noch mehr Infos dazu gibt es hier: Holler, Sebastian, Sven Vollnhals & Thorsten Faas (2008). „Focal Points und Journalisten – Bedingungen für den Einfluss der Blogosphäre?“. In: Zerfaß, Ansgar, Martin Welker & Jan Schmidt (Hrsg.). Kommunikation, Partizipation und Wirkung im Social Web. Köln. S. 94-111.)