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27 nationale Nebenwahlen

Das Paradox ist bekannt: Seit Mitte der 1980er Jahre hat das Europäische Parlament mit jeder Reform der Verträge an Bedeutung gewonnen. Von einem weitgehend machtlosen Konsultativorgan hat es sich zu einer Institution entwickelt, die innerhalb des sogenannten „Ersten Pfeilers“ der Europäischen Union die Vorlagen von Kommission und Ministerrat modifizieren und blockieren kann, über die Verwendung eines substantiellen Teil des EU-Budgets entscheidet und bei der Wahl des Kommissionspräsidenten über ein Vetorecht verfügt. De facto bedürfen auch jede Aspirantin und jeder Aspirant für die übrigen Posten in der Kommission der Zustimmung des Parlamentes, wie einige Kandidaten leidvoll feststellen mussten.

Dennoch wird auch die siebte Direktwahl zum mächtigsten supranationalen Parlament der Erde weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Seit der ersten Direktwahl des Europaparlamentes ist die Wahlbeteiligung kontinuierlich von knapp 63 auf knapp 46 Prozent gefallen. Schätzungen auf Basis der Eurobarometer-Umfragen gehen davon aus, dass in diesem Jahr die Wahlbeteiligung erstmals unter 40 Prozent sinken könnte. Trotz der objektiven Machtzuwächse des Parlamentes und der stetig steigenden Bedeutung der europäischen Ebene für die Politik gelten Europawahlen mehr denn je als „Nebenwahlen“, bei denen die Wähler mit ihrer Stimme experimentieren und ihrer Unzufriedenheit mit der nationalen Regierung durch Nicht- oder Protestwahl Ausdruck verleihen.

Die Politik leistet dieser Wahrnehmung Vorschub: In Ermangelung europäischer Medien, einer europäischen Öffentlichkeit oder auch nur genuin europäischer Parteien finden bis zur ersten Juniwoche – nicht einmal der Wahltermin liegt einheitlich fest – 27 nationale Wahlkämpfe statt, die häufig nur sehr wenig mit Europa zu tun haben. Besonders schön ließ sich dies bei den Plakaten zur Europawahl 2004 beobachten. Die CDU, immerhin die Partei Konrad Adenauers, drängte damals darauf, die Bundesregierung abzulösen, und führte ihren Europawahlkampf unter dem Slogan „Deutschland kann mehr – bei Rot-Grün läuft was falsch“, während die Grünen flächendeckend den damaligen Bundesaußenminister Fischer plakatierten, der überhaupt nicht zur Wahl stand.

Auch im Jubiläumsjahr 2009 lohnt sich der Blick auf die Gestaltung der Plakate zum Europawahlkampf. Die mittlerweile zur Regierungspartei avancierte CDU stellt ihre diesjährige Kampagne unter das Motto „Wir in Europa“ und tritt bereits in der Gestaltung deutlich europäischer auf als bei der letzten Wahl. Anders als 2004 sind die Plakate durchgängig in europäischem Blau gehalten, das häufig mit den goldenen Sternen der Europaflagge kombiniert wird. Die Texte beschränken sich auf ein Minimum und beziehen sich auf die Kernthemen der Union (Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum, Sicherheit), die in einen vagen Zusammenhang mit EU und CDU gebracht werden. Auch in dieser Kampagne ist aber der nationale Fokus deutlich zu erkennen, wenn etwa ein formatfüllendes Bild von Angela Merkel mit dem Slogan „Wir haben eine starke Stimme in Europa“ kombiniert wird. Für diejenigen, die die Botschaft immer noch nicht verstanden haben, ist das „wir“ mit einer schwarz-rot goldenen Fahne unterlegt.

Ganz ähnlich, aber noch viel stärker personalisiert ist die Kampagne der FDP angelegt: Die Liberalen konzentrieren sich wie bereits 2004 ganz auf ihre Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin, die mit dem Slogan „Für Deutschland in Europa“ präsentiert wird. Die Farbgebung der Plakate kombiniert ähnlich wie bei der CDU das Schwarz-Rot-Gold der Bundesfahne mit europäischem Blau, goldenen Sternen und den Parteifarben Blau-Gelb.

Die SPD hingegen hat sich 2009 für eine klare Negativkampagne unter nationalen Vorzeichen entschieden. „Finanzhaie“ würden die FDP, „Dumpinglöhne“ die CDU, „heiße Luft“ schließlich die Linkspartei wählen. Unabhängig von der Frage, wie Fische, Löhne oder gar heiße Luft denn wählen können sollen, stellt sich hier wiederum die Frage, was dies alles mit Europa zu tun hat. Gegen den ehemaligen Koalitionspartner plakatiert die SPD bislang (noch) nicht. Ein Schelm, wer dabei an die Bundestagswahl im September denkt.

Die Grünen wiederum setzen ähnlich wie die CDU auf ihre Standardthemen Umwelt, Frieden und Bürgerrechte, die in einer Art Fußnote um den Zusatz „für ein besseres Europa“ ergänzt werden. In vielen Fällen sind die Plakate allerdings erst auf den zweiten oder dritten Blick als Wahlwerbung zu erkennen, da sie grafisch von der Parole „WUMS!“ dominiert werden, die für „Wirtschaft & Umwelt, menschlich & sozial!“ stehen soll, aber häufig zu Irritationen führen dürfte.

Dagegen bringt das Plakat „Wir wählen Bayern nach Europa“ (blau auf weißem Grund und ohne Sterne oder andere störende Designelemente) die europapolitische Botschaft der CSU in fünf Worten auf den Punkt.

Die Linkspartei schließlich plakatiert ebenfalls ihre Standardthemen („Millionäre zur Kasse bitten“, „Freiheit, Gleichheit“, „Raus aus Afghanistan“ oder „Mindestlohn europaweit“). Der europäische Bezug ist auch hier bestenfalls vage und scheint vor allem im blauen Grundton der Plakate zu bestehen, der sich deutlich vom sonst verwendeten klassenkämpferischen Rot abhebt.

Natürlich tut man den deutschen Parteien in gewisser Weise Unrecht, wenn man ihren Europawahlkampf nur an den Plakaten misst. Schließlich haben alle relevanten Parteien auch in diesem Jahr umfangreiche Wahlprogramme entwickelt, die sich mit genuin europäischen Fragen beschäftigen. Entscheidend für die Wahrnehmung der Parteien durch die Mehrzahl der Bürger sind aber die kurzen Statements auf Plakaten und Großflächen, die noch für einige Tage das Straßenbild prägen werden. Legt man diese zugrunde, so muss man den Eindruck gewinnen, dass auch die deutschen Parteien die Europawahl als nationale Nebenwahl betrachten.

Aus Sicht der Politiker ist dieser Zugang durchaus rational. Solange – zumindest in der Wahrnehmung der Bürger – die wichtigen europapolitischen Entscheidungen von den Regierungen der Mitgliedsstaaten und nicht vom Europaparlament getroffen werden, solange es nur lose Zusammenschlüsse von nationalen politischen Gruppierungen, aber keine kohärenten europäischen Parteien gibt, werden Politiker die Europawahlen im wesentlichen als einen Testlauf für nationale Wahlen betrachten, auf den man wenige Monate vor der Bundestagswahl nicht zuviele materielle und immaterielle Ressourcen verwenden sollte. Selbst wenn der europäische Gedanke darunter leiden sollte: Vor dem Hintergrund knapper Kassen und beschränkter Aufmerksamkeitsspannen wäre es politisch höchst unklug, den Europawahlkampf nicht unter nationalen Vorzeichen zu führen.

 

Votematch Europe – Spiel ohne Grenzen

Stell‘ Dir vor, es ist Europawahl, und auf dem Wahlzettel stehen statt CDU oder SPD die Namen europäischer Parteien.

Wie sich das anfühlen könnte, dies vermag ein Tool näher zu bringen, das ähnlich dem in diesem Blog bereits angesprochenen Wahl-O-Mat funktioniert (siehe die Beiträge von Henrik Schober und mir): der Votematch Europe (www.votematch.net). Das Amsterdamer Instituut voor Publiek en Politiek (IPP), die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und das Web-Portal EUdebate2009 haben dieses Angebot zusammen mit einem europäischen Netzwerk von politischen Bildungseinrichtungen entwickelt.

Zunächst einmal funktioniert Votematch ähnlich wie der Wahl-O-Mat. Dem User werden 25 Thesen aus dem Europawahlkampf gezeigt, zum Beispiel „Die EU sollte eine gemeinsame Armee haben“ oder „Die EU sollte eine gemeinsame Datenschutz-Richtlinie entwerfen“. Der Nutzer kann pro These eine von drei Antwortmöglichkeiten anklicken: „einverstanden“, „nicht einverstanden“ oder „weder noch“. Der Votematch kalkuliert, welche Partei dem jeweiligen User mit Blick auf die 25 Thesen am nächsten steht.

Aber gerade hier liegt die Pointe: Der Votematch zeigt nicht nationale Parteien an, die die Wähler auf ihren Wahlzetteln finden werden. Sondern dem User wird die jeweilige Nähe zu den Parteiformationen des Europäischen Parlaments angezeigt. So sind die 25 Thesen im Vorfeld nicht von der CDU, der SPD oder einer sonstigen nationalen Partei beantwortet worden, sondern von den paneuropäischen Parlamentsgruppen wie der EVP- oder der SPE-Fraktion.

Auf den ersten Blick ist es bemerkenswert, dass es gelungen ist, wirkliche „europäische“ Thesen zu finden, zu denen die Fraktionen des Europäischen Parlaments in den meisten Fällen klare Positionen bezogen haben – aber nur in den „meisten“. So hat sich die „Independence/Democracy Group“ bei zehn Fragen enthalten, was nur bedingt überraschen kann. Diese Fraktion setzt sich aus sehr unterschiedlichen nationalen Parteien zusammen, die sich eigentlich nur in ihrer Skepsis gegenüber der europäischen Integration einig sind.

Es bleibt dann noch die Frage, was der User mit dem angezeigten Ergebnis anfangen soll. Eine Wahlhilfe kann (und soll es) es nicht sein, denn der Wähler wird wie gesagt vergeblich die angezeigte Parteigruppe auf dem Zettel suchen. Und ob wirklich jeder weiß, welche deutsche Partei Mitglied der „EVP“ oder der „ELDR“ ist? Schließlich: Wird die Fraktion „Independence/Democracy“ angezeigt, stehen die deutschen User vor dem Problem, dass in dieser Gruppe bislang überhaupt keine Partei aus Deutschland vertreten ist.
Der Votematch wirft also Fragen auf, er informiert und kann auf das neugierig machen, was es an Parteienzusammenarbeit auf europäischer Ebene schon gibt. Er ist ein wirklich „europäisches“ Tool. Zugleich aber macht dieses Online-Angebot klar, was noch an politischer Bildungsarbeit geleistet werden muss, bis auf dem Wahlzettel die Namen europäischer Parteien stehen werden.

 

Orientierung im Nebel

Europapolitik ist uninteressant? Die Parteien unterscheiden sich nicht? Abgesehen von einigen undurchsichtigen Regulierungen steht nichts auf dem Spiel? Diesen Vorurteilen möchte die Bundeszentrale für politische Bildung begegnen und ein sehr erfolgreiches Online-Instrument ist der „Wahl-O-Mat“: Anhand von kurzen und prägnanten Thesen können die Nutzer ihre politischen Positionen mit denen der Parteien vergleichen. Eine lautet beispielsweise: „In der EU sollen keine gentechnisch veränderten Lebensmittel produziert werden“, die Antwortmöglichkeiten sind stets „stimme zu“, „neutral“ und „stimme nicht zu“.

Der Thesenkatalog wird zunächst jeder Partei, die zur Wahl steht, zugeschickt. Anschließend können die Nutzer des Wahl-O-Mat zu ausgewählten Fragen Stellung nehmen und prüfen, welchen Parteien sie besonders nahe stehen. Allerdings möchte der Wahl-O-Mat nicht als Hilfe für die Wahlentscheidung verstanden werden. Vielmehr geht es darum, potenzielle Wähler zum Nachdenken und somit zur selbständigen Meinungsbildung anzuregen.

Der erste Wahl-O-Mat wurde zur Bundestagswahl 2002 gestartet, zur Europawahl 2009 ist nun seit gut einer Woche die elfte Auflage online. Die bisher erfolgreichste Version (zur Bundestagswahl 2005) wurde insgesamt 5,1 Millionen Mal genutzt – der Wahl-O-Mat ist also durchaus ein ernst zu nehmender Faktor im politischen Geschehen. Und angesichts der seither stetig steigenden Internetnutzung und renommierter Medienpartner darf für 2009 wohl mit neuen Rekordergebnissen gerechnet werden.

Zunächst sind Anfang Juni Europawahlen – und die haben in Deutschland ein Imageproblem. Dies zeigt nicht zuletzt die niedrige Wahlbeteiligung, über deren Ursachen auch in diesem Blog bereits diskutiert wurde. Für manche Kommentatoren ist das Fernbleiben von den Urnen schlichtweg rational, da sich die Parteien in den Augen der Wähler nicht deutlich unterscheiden. Ist dem aber wirklich so?

Zu dieser Frage kann die Entstehungsgeschichte des aktuellen Wahl-O-Mat Erkenntnisse beitragen: Die Redaktion hat in Zusammenarbeit mit Experten einen Katalog von ursprünglich 86 Thesen entwickelt. Davon konnten aber 48 nicht in die Auswertung aufgenommen werden, da sie nicht trennscharf waren und/oder von den befragten Parteien nicht unterschiedlich beantwortet wurden. Die sieben Parteien, die sich Hoffnungen auf den Einzug in Europäische Parlament machen dürfen (CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke und die Freien Wähler) stimmen in drei der verbleibenden 38 Fragen überein. In weiteren sechs Fällen gibt es keinen echten Konflikt, da manche Parteien eine neutrale Position haben, während die übrigen einer Meinung sind. Wirkliche Kontroversen gibt es somit also nur in 29 von ursprünglich 86 Fragen. Betrachtet man nur die beiden großen Parteien, CDU und SPD, so zeigt sich noch einmal deutlich mehr Übereinstimmung: In 19 der 38 Thesen stimmen sie überein, in acht weiteren hat eine der beiden Parteien eine neutrale Position. So bleiben am Ende nur elf wirkliche Kontroversen – von anfangs über 80 möglichen.

Was sagen diese Zahlen? Zunächst zeigt sich, dass die Parteien tatsächlich keine grundverschiedenen europäischen Kurse verfolgen – das war aber auch nicht zu erwarten. Jenseits der Übereinstimmungen bleibt aber eine Anzahl kontroverser Themen: Gentechnik, Agrarsubventionen, Atomkraft und Mindestlohn gehören dazu. Es gibt also eine recht übersichtliche Menge von Themen, in denen sich die Parteien deutlich unterscheiden, und jedes einzelne hat es in sich. Emotionalisierende Themen gepaart mit einer grundsätzlichen Übersichtlichkeit – eigentlich wären das ideale Voraussetzungen für einen spannenden Wahlkampf und eine hohe Wahlbeteiligung…

 

Die Ampelkoalition und die FDP: nicht geliebt und nicht gewollt, aber inhaltlich gar nicht so abwegig?

Der Parteitag der FDP vom vergangenen Wochenende in Hannover bot – mit einer Ausnahme – wenig Neues. So verabschiedeten die Liberalen ohne große Diskussionen ihren Wahlprogrammentwurf „Die Mitte stärken“ und bestätigten ihren Vorsitzenden Guido Westerwelle mit einem deutlichen Ergebnis von mehr als 95% der Delegiertenstimmen. Die (implizite) Überraschung des Parteitages bildete hingegen die Aussage, dass eine Koalition mit SPD und Bündnis’90/Die Grünen nicht von vorneherein ausgeschlossen wird (Analysen der Programme dieser Parteien finden sich hier für die Grünen und hier für die SPD). Dies ist gegenüber der bisherigen Strategie der Liberalen, wie sie etwa ihr hessischer Landesverband bei den Wahlen 2008 und 2009, aber auch die Gesamtpartei bei den letzten Bundestagswahlen 2005 vertreten hat, eine deutliche Kehrtwende. Zwar bleibt die Erstpräferenz der Freidemokraten ein bürgerliches Bündnis mit der Union, aber der deutliche Aufruf zur Abwahl der großen Koalition sowie der nicht erfolgte Ausschluss der „Ampel“ implizieren, dass sich die Liberalen hier ein Hintertürchen offen halten.

Das grundlegende Statement der FDP vom Wochenende im Hinblick auf die nächste Regierungsbildung ist, dass eine Koalition ausschließlich auf der Grundlage inhaltlicher Übereinstimmung geschlossen werden soll. Um zu überprüfen, ob solche Schnittmengen bestehen, müssen die Positionen der Wahlprogramme der Parteien auf den für Deutschland zentralen Politikfeldern bestimmt werden. Dies sind laut gängigem Forschungsstand die Wirtschafts- und Sozialpolitik einerseits sowie die Innen-, Rechts- und Gesellschaftspolitik andererseits. Unterschiedliche ideologische Ausrichtungen in diesen beiden Politikbereichen prägen maßgeblich Wahlverhalten und Parteienwettbewerb in Deutschland. „Linke“ Positionen bedeuten in der Wirtschafts- und Sozialpolitik ein Eintreten für einen starken Wohlfahrtsstaat mit hohem Steuer- und Abgabenniveau zugunsten einer starken sozialen Sicherung, während eine „rechte“ Position mit der Forderung nach einem schwachen Sozialstaat mit niedrigen Steuersätzen übersetzt werden kann. Gesellschaftspolitisch „progressive“ Positionen meinen liberale Haltungen zu Fragen der Abtreibungsregelung oder der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit traditionellen Formen familiären Zusammenlebens. Im Gegensatz dazu impliziert eine „konservative“ Haltung auf diesem Politikfeld etwa eine striktere Abtreibungsregelungen und weniger Rechte für gleichgeschlechtliche Paare.

Wo liegen nun die die Übereinstimmungen zwischen den Bundestagsparteien, wenn man sich deren Positionen auf diesen beiden Politikfeldern anschaut? Haben sich die Positionen im Vergleich zur letzten Bundestagswahl 2005 deutlich gewandelt? Um diese Fragen zu beantworten, wird eine Inhaltsanalyse der bislang vorliegenden Bundestagswahlprogramme zur Wahl 2009 sowie der Programme von 2005 vorgenommen (basierend auf der Wordscore-Methode von Laver, Benoit und Garry).

Die gewonnenen Positionen der Parteien zu den Wahlen 2005 und 2009 zeigen – mehr oder weniger – das Bestehen zweier Blöcke: Union und FDP nehmen recht ähnliche Positionen auf dem Politikfeld „Wirtschaft“ ein, die in der Grafik auf der x-Achse abgetragen sind. Hier hat die FDP ihre Positionen nur sehr marginal gegenüber 2005 verändert (da das 2009er Programm der Union noch nicht vorliegt, können die Distanzen zur Union nur auf dem Wahlmanifest interpretiert werden). Anders sieht es jedoch im gesellschaftspolitischen Bereich aus, wo SPD, FDP, Grüne und die Linke einen ideologischen „Block“ bilden: Hier haben sich die Liberalen im Vergleich zu 2005 deutlich in die progressive Richtung verändert. Dies gilt auch für SPD und Grüne. Generell hatten bereits 2005 (und auch zu früheren Wahlen, wie zahlreiche Studien zeigen) Sozialdemokraten, FDP und Grüne sehr ähnliche Standpunkte zu gesellschaftspolitischen Fragen. Das Konfliktpotential einer potentiellen „Ampelkoalition“ liegt also vor allem im wirtschaftspolitischen Bereich, das eines christlich-liberalen Bündnisses in der Innen-, Rechts- und Gesellschaftspolitik (sofern sich die gesellschaftspolitische Position des CDU/CSU-Wahlprogramms 2009 nicht klar in die progressive Richtung verändert). Ob dieser Grad an Übereinstimmung im Falle eines Verfehlens einer bürgerlichen Mehrheit jedoch zur Bildung einer (stabilen) Dreierkoalition aus Rot, Gelb und Grün reicht, werden erst Sondierungsverhandlungen zwischen den Parteien zeigen können. Würden einzig und allein Fragen der Bürgerrechte und – generell – gesellschaftspolitische Aspekte entscheidend für die Regierungsbildung im kommenden Herbst sein, dann wäre eine Ampelkoalition jedoch die ideale, programmatisch kohärenteste Lösung.

 

Die Steuerversprechen von Union und FDP: ein Mittel zum Stimmenfang?

Der Wahlkampf ist mittlerweile in vollem Gange. Die Parteien werben mit Inbrunst um die Gunst des Wählers und vor allem Union und FDP lassen sich dabei nicht lumpen: Von Steuerentlastungen ist bei beiden Seiten die Rede, die Bürger sollen schließlich davon profitieren, wenn sie der Partei am Wahltag ihre Stimme schenken. Betrachtet man sich die Umfragedaten des ZDF Politbarometers vom 8. Mai 2009, wird deutlich, dass dies ein schlauer Schachzug sein könnte. Die Mehrheit der Bundesbürger (63 %) ist Steuersenkungen für Arbeitnehmer trotz der Wirtschaftskrise positiv gegenüber eingestellt. Es sieht so aus, als ob man mit diesem Wahlversprechen erfolgreich auf Stimmenfang gehen kann.

Inwieweit kann man dieses Versprechen als Wähler jedoch auch wirklich ernst nehmen? Was sagen Experten dazu? Laut Werner Sinn, dem Chef des Münchner Ifo-Instituts, werden die Deutschen den Gürtel auf jeden Fall enger schnallen müssen. In erster Linie müssten die Staatschulden abgebaut werden, und das ginge einher mit Steuererhöhungen oder einer Kürzung der Ausgaben im Sozialbereich (Interview vom 18.5. 2009, Berliner Morgenpost).

Mit dieser Aussage macht Herr Sinn Union und FDP einen Strich durch ihre Rechnung und es könnte der Eindruck entstehen, die angekündigten Steuersenkungen sind nichts als leere Wahlversprechen. Die zentrale Frage ist jedoch: Wie sehen die Wähler das? Sind die Steuerversprechen denn nun wirklich ein schlauer Schachzug? Die Wähler haben hierzu eine eindeutige Meinung, denn 88 % glauben laut Politbarometer vom 24. April 2009 nicht an Steuersenkungen nach der Bundestagswahl, lediglich 10 % glauben daran.

Mit Speck kann man vielleicht Mäuse fangen, mit unrealistischen Wahlversprechen anscheinend nicht…

 

Grüne: Unsichtbares Spitzenpersonal in Hülle und Fülle

Zwei Parteivorsitzende, zwei Spitzenkandidaten – ein Mangel an Führungskräften herrscht bei den Grünen wahrlich nicht, die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen vom vergangenen Wochenende hat dies dem interessierten Bürger eindrucksvoll vor Augen geführt. Und doch kann man in diesen grünen Wein auch Wasser gießen. Am vergangenen Freitag hat die Forschungsgruppe Wahlen die Ergebnisse ihres neuesten Politbarometers veröffentlicht; fester Bestandteil davon ist die Liste der zehn wichtigsten Politiker – fast schon eine Währung deutscher Politik. Grüne dort? Fehlanzeige!

Ein Blick auf die Liste unter parteipolitischen Gesichtspunkten liefert interessante Befunde: Die CDU ist mit Merkel und von der Leyen (was werden die Mitglieder des Andenpakts davon halten?) doppelt vertreten; die CSU mit zu Guttenberg und Seehofer ebenfalls. Die SPD schafft mit den Stones und Müntefering drei Platzierungen, die FDP ist mit Westerwelle in den Top Ten vertreten, die Linke mit ihrem Führungsduo Gysi/Lafontaine sogar doppelt. Grüne – 0.

Neu ist das nicht. Die folgende Grafik zeigt, welche Parteien mit ihrem Spitzenpersonal in der Liste der Top Ten seit 2004 vertreten waren:


 

Seit dem Ausscheiden von Joschka Fischer aus der aktiven Politik (und damit auch der Liste der wichtigsten Politiker) Ende 2005 hat es kein grüner Spitzenpolitiker mehr in die Liste geschafft. Wäre weniger hier mal wieder mehr?

 

Das grüne Wahlprogramm von 2009 – Vorbereitung für eine neue Regierungsbeteiligung?

Politische Parteien müssen zwangsläufig Wandlungsprozesse durchlaufen, um sich an veränderte Präferenzen in der Wählerschaft anzupassen. Nur so können sie ihre Erfolgschancen wahren und erhöhen. Auf keine Partei trifft dies mehr zu als die Grünen, die in ihrer noch relativ jungen Geschichte wohl die stärksten Veränderungen erfahren haben. Dies gilt zunächst für die Parteiorganisation und die Wahlkampfführung. Es gilt aber auch, wenn man sich die Veränderungen in der Haltung der Bündnisgrünen zum bundesdeutschen Staat im Allgemeinen und den Wandel der ideologisch-programmatischen Ausrichtung der Grünen im Besonderen anschaut. So wandelte sich die grüne „Anti-System-Partei“, die sogar noch von Teilen der SPD bis Mitte der 1990er Jahre als nicht koalitionsfähig angesehen wurde, zu einer staatstragenden politischen Kraft, deren Regierungsvertreter die ersten Kampfeinsätze der Bundeswehr in internationalen Friedensmissionen mitgetragen und befürwortet haben.

Dieser Wandel in der Grundausrichtung der Partei ist auch in deren Wahlprogrammen erkennbar. Insbesondere während der 1980er Jahre nahmen die Grünen eine explizit linke Position auf dem ideologischen Spektrum ein, die auch in den 1990er Jahren noch beibehalten wurde. Dies änderte sich nach der Regierungsübernahme der rot-grünen Koalition. Zu den Wahlen 2002, in die die Bündnisgrünen als Regierungspartei zogen, zeigt sich ein deutlicher Wandel hin zu einer moderaten Position, die der des Koalitionspartners SPD sehr nahe kam. Zu den vorgezogenen Neuwahlen 2005 setzte wiederum eine Bewegung in Richtung des linken ideologischen Spektrums ein, der sich – zumindest auf Grundlage des vorläufigen Wahlprogramms – im Jahr 2009 offenbar fortsetzt.

Links-Rechts-Positionierung der Wahlprogramme 1980-2009

Eine ähnliche Bewegungsrichtung ist auch im Fall des FDP– und insbesondere des SPD-Wahlprogramms sichtbar, was dazu führt, dass Sozialdemokraten und Grüne eine ähnlich geringe ideologische Distanz trennt wie zur Wahl 2002. Lediglich die Linkspartei nimmt – gemessen auf der Grundlage ihres Wahlprogrammentwurfs – nach ihrem deutlich links ausgerichtetem Programm zur Wahl 2005 wieder eine leicht moderatere Position auf der allgemeinen Links-Rechts-Achse ein, was zu einer recht geringen ideologischen Distanz eines potentiellen Linksbündnisses aus SPD, Grünen und der früheren PDS führt. Dies stellt – koalitionstheoretisch betrachtet und unter der Bedingung einer Mandatsmehrheit – eine optimale Voraussetzung für die Bildung einer stabilen Koalitionsregierung dar – wenn nicht die Sozialdemokraten unter Führung von Müntefering und Steinmeier eine Koalition mit der „Linken“ explizit ausgeschlossen hätten. Inwiefern diese „negative Koalitionsaussage“ der SPD gegenüber den Sozialisten auch nach der Bundestagswahl im September gilt, werden das Wahlergebnis und die Resultate der Sondierungsgespräche zwischen den Parteien zeigen. Die Bündnisgrünen haben zumindest auf ihrem Parteitag vom vergangenen Wochenende ein solches Linksbündnis nicht a priori ausgeschlossen.

 

Die Steuersenkungsdebatte – Wegweisung oder Wahlkampftrick?

Die Union diskutiert ihre steuerpolitische Ausrichtung. Während die Kanzlerin Steuersenkungen vorschlägt, um so die kriselnde Konjunktur zu beleben, warnen Parteifreunde vor solchen Schritten. So haben sich Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich zu Wort gemeldet und gemahnt, keine Wahlversprechen zu geben, die nach der Bundestagswahl nicht eingehalten werden können. Damit treffen sie den Nerv vieler Wähler, denn die Skepsis gegenüber Vorschlägen, die zu Wahlkampfzeiten geäußert wurden, ist traditionell groß.

Ist dieses Misstrauen berechtigt? Der sozialwissenschaftliche „Klassiker“ zur Frage der Übereinstimmung von Wahlprogramm und Regierungspolitik ist eine Studie von Hans-Dieter Klingemann, Richard Hoffebert und Ian Budge aus den 90er-Jahren, deren Erkenntnisse bis heute als wegweisend gelten. Die Forscher ermittelten (u.a. anhand der Ausgabenpolitik von Regierungen), dass die Politik besser ist, als ihr Ruf. Deutschland zählt demnach im internationalen Vergleich zu den Staaten, in denen politische Entscheidungen nach einer Wahl in hohem Maße auf den Wählerauftrag zurückzuführen sind: Die Wähler haben den siegreichen Parteien ein Mandat erteilt und diese setzen ihre Programme um (die so genannte „Mandats-These“). In anderen Ländern (etwa Frankreich oder Großbritannien) gilt hingegen tendenziell eher die „Agenda-These“: Es ist weniger wichtig, welche Partei einen bestimmten Vorschlag formuliert hat – nach einer Wahl setzt der Sieger die prominentesten Vorschläge um.

Natürlich wird auch in Deutschland nicht jedes Wahlversprechen erfüllt und kaum ein Koalitionsvertrag spiegelt die Wahlprogramme der beteiligten Parteien exakt wider. Der allgemeine Trend ist aber eindeutig: Parteien halten sich an Ihre Versprechen und versuchen, ihre politischen Forderungen nach der Wahl umzusetzen. Dass sich dennoch der Eindruck hält, dass Politiker ihre Wähler täuschen, ist nicht zuletzt der Logik des politischen Prozesses geschuldet: Konsense und reibungslose Kompromisse erfahren nicht die selbe Beachtung wie politische Streitigkeiten. Die Opposition wird sich auf diese Probleme beziehen, wenn sie die Regierung attackiert, und auch innerhalb der Koalition sind die Partner stets um Profilierung bemüht – die nächste Wahl kommt bestimmt…

Nichtsdestotrotz ist den Parteien bezüglich der Einhaltung ihrer Wahlversprechen ein gutes Zeugnis auszustellen. Die Wahlprogramme sind so formuliert, dass die Umsetzung, sprich: Finanzierung, möglich ist. Dies ist auch Resultat der innerparteilichen Demokratie, die einem Programmbeschluss voraus geht und unrealistische bzw. unseriöse Forderungen zumeist frühzeitig stoppt. Insofern können die Einwände aus der Union durchaus als konstruktive Beiträge verstanden werden. Für Ministerpräsident Tillich, dessen Regierung im Sommer selbst zur Wahl steht, ist dies zudem eine gute Möglichkeit, an Profil zu gewinnen und sich von den politischen Wettbewerbern in Sachsen abzuheben. Dass die Kritik am Wahlkampf auf diesem Wege selbst zu einer wirkungsvollen Wahlkampfaussage werden kann, ist eine weitere Besonderheit des politischen Prozesses.

 

Die Rente: Auf ewig im Wahlkampf sicher

Ewigkeitsgarantien kannte man in der Bundesrepublik bislang nur aus Artiktel 79 (3) des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig“, wobei in Artikel 1 die Menschenwürde (als Grundlage aller weiteren Persönlichkeitsrechte) und in Artikel 20 die Prinzipien der Demokratie und der Bundes-, Sozial- und Rechtsstaatlichkeit festgelegt sind. In diesen erlauchten Kreis ist nun auch die Sicherheit der Renten aufgestiegen – auch sie sollen auf ewig nicht mehr sinken, so wollen es Union und SPD.

Dass dies gerade jetzt – knapp fünf Monate vor der Bundestagswahl und im Angesicht eines drohenden Rückgangs der Renten – verkündet wird, ist sicherlich kein Zufall. Wirft man einen Blick zurück auf die Bundestagswahl 2005 (und die zugehörige repräsentative Wahlstatistik), so stellt man fest, dass 32 Prozent der Wahlberechtigten bei dieser Wahl 60 Jahre und älter waren (und nur 9 Prozent 25 Jahre oder jünger). Da zudem die Wahlbeteiligung mit dem Alter tendenziell steigt, liegt der Anteil 60plus bei den Wählern sogar noch etwas höher: Jeder dritte Wähler ist mittlerweile zumindest nahe dem Rentenalter. Die Wählerschaft der Union bestand 2005 sogar zu 41 Prozent aus Personen, die mindestens 60 Jahre alt waren. Bei der SPD waren es 33 Prozent, bei den weiteren Parteien dagegen nur 25 Prozent waren. Dass die Große Koalition diese Wählergruppe nicht er- und verschrecken will, ist vor dem Hintergrund dieser Zahlen nachvollziehbar. Interessant ist einzig noch, dass die Initiative aus dem Kreise der SPD kam, man hätte sie eher noch aus Unionskreisen erwartet.

Literatur
» Doreen Namislo, Karina Schorn, Margitta von Schwartzenberg: Wählerverhalten bei der Bundestagswahl 2005 nach Geschlecht und Alter Ergebnisse der Repräsentativen Wahlstatistik, in: Wirtschaft und Statistik 3/2006 (Download)

 

Das Flügelflattern in der Union und seine Folgen

Wahlprogramme gelten als die Zusammenstellung der programmatischen Vorstellungen einer Partei für die folgende Legislaturperiode. Auf die darin formulierten Politikziele haben sich die Parteiführungsgremien unter Einbeziehung aller relevanten innerparteilichen Gruppen in Form von Kompromissen geeinigt, die dann von einem Parteitag in der Regel problemlos abgesegnet werden.

Die CDU tut sich in der Formulierung ihres Wahlprogramms zur Bundestagswahl 2009, das sie wohl wieder mit der CSU gemeinsam verfassen wird (es gab bislang nur vier Bundestagswahlen, bei denen CDU und CSU mit getrennten Programmen zur Bundestagswahl angetreten sind), überraschend schwer. Dies mag einerseits an den schwachen Umfragewerten für die Partei liegen, der zurzeit ein ähnlich (schlechtes) Ergebnis wie zur letzten Wahl 2005 von um die 35% vorhergesagt wird. Es kann aber auch andererseits mit den Konflikten innerhalb der Christdemokraten zu tun haben, die sich ja bekanntlich nicht über den wirtschafts- und sozialpolitischen Kurs von Kanzlerin Angela Merkel in Form des Einstiegs des Staates bei Banken und Konzernen sowie Schulden in die Höhe treibenden Konjunkturpakten einig sind. Auch in gesellschaftspolitischen Fragen werden alte Gräben innerhalb der Union durch die – aus Sicht des konservativen Parteiflügels – zu liberale Politik wieder aufgerissen: so wird die Familienpolitik von Ministerin Ursula von der Leyen schon lange innerparteilich kritisch beäugt und die Papst-Kritik der Kanzlerin hat den auf traditionelle Werte setzenden Flügel noch weiter in Beunruhigung versetzt.

Wie weit die Vorstellungen innerhalb der CDU auseinanderklaffen macht eine Analyse der Präferenzen der beiden maßgeblichen wirtschafts- und sozialpolitischen innerparteilichen Organisationen der Union – der Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) und der Mittelstandsvereinigung (MIT) – deutlich. Bezieht man ihre zuletzt formulierten grundlegenden Programme – im Fall der MIT sind dies die „Kölner Leitsätze“ von 2003 und ihre Fortschreibung aus dem Jahr 2004, für die CDA werden die „Hannoveraner Leitsätze“ von 2008 herangezogen – in die Analyse der Bundestagswahlprogramme mit ein, dann ergibt sich ein deutlicher Gegensatz in den programmatischen Vorstellungen dieser beiden innerparteilichen Gruppen. Auf einer explizit die wirtschaftspolitischen Vorstellungen widerspiegelnden Achse, die zwischen „mehr staatliche Leistungen bei höheren Steuern“ und „weniger staatlichen Leistungen bei niedrigen Steuern“ unterscheidet, kommt die CDA auf einen Wert von 11,8 und die MIT auf eine Position von 20,3 (höhere Werte geben eine wirtschaftsliberale Position an, während niedrige Werte für einen starken Wohlfahrtsstaat stehen). Zur Einordnung dieser Werte eignen sich Angaben zu den ermittelten wirtschaftspolitischen Positionen der bislang vorliegenden Wahlprogramme von SPD, FDP und der „Linken“ zur Bundestagswahl 2009: der Programmentwurf der Sozialdemokraten erhält eine Position von 7,1, der der Liberalen von 18,0 und der der Linken einen – überraschend moderaten – Wert von 6,1 auf dieser sozioökonomischen Achse.

Diese hohe Divergenz in den wirtschafts- und sozialpolitischen Zielvorstellungen innerhalb der Union macht nicht nur deutlich, warum es zu schwierigen Verhandlungen über die letztendliche Form des Wahlprogramms kommt, sondern auch, dass es bei einem Weiterregieren von Angela Merkel und CDU/CSU nach den September-Wahlen weiterhin Konflikte um den wirtschaftspolitischen Kurs innerhalb der Christdemokraten wie auch der künftigen Koalitionsregierung geben wird. Sollte die Union mit der FDP koalieren, dann würde dies der Mittelstandsvereinigung und damit den wirtschaftsliberalen Flügel in der Union stärken. Die Chancen, einen klaren marktliberalen Kurs in der Wirtschaftspolitik umzusetzen, würden massiv anwachsen, jedoch nicht gerade auf wohlwollende Unterstützung seitens der CDA stoßen. Das Gegenteil wäre der Fall, wenn die große Koalition mit der SPD fortgesetzt werden würde (oder vielmehr: müsste): die CDU-Sozialausschüsse könnten unter Verweis auf die wirtschaftspolitische Position der SPD ihre moderaten ökonomischen Vorstellungen in der Koalitionsregierung besser durchsetzen. Es bleibt somit nicht nur für die Regierungsbildung und die künftige Politikgestaltung der nächsten Bundesregierung spannend, wie die endgültige Version des CDU/CSU-Wahlprogramms aussieht, sondern auch, wie sich die innerparteilichen Gruppen der Union in der künftigen Koalitionsregierung durchsetzen können. Je nach Couleur der nächsten Regierungskoalition wird auf jeden Fall eine der beiden wirtschaftspolitischen innerparteilichen Gruppen Probleme mit dem Kurs des neuen Regierungsbündnisses haben – sei es die CDA in einer bürgerlichen Koalition oder die MIT in einer Neuauflage der großen Koalition.