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Expertise integrieren statt outsourcen – das Modell der „Kampa“ war gestern

Jeder erinnert sich an die historische Bundestagswahl von 1998. Dem charismatischen SPD-Kandidaten Gerhard Schröder gelang damals der Regierungswechsel, der zudem nicht auf einer Entscheidung politischer Eliten beruhte (wie etwa der Wechsel von Schmidt zu Kohl im Jahr 1982), sondern einem überzeugenden Wahlsieg zu verdanken war (vgl. den Beitrag von Andreas Wüst zu Wählerbindungen). So zog Schröder nach 16 Jahren schwarz-gelber Regierung mit einer rot-grünen Allianz ins Kanzleramt ein.

Natürlich waren es nicht nur seine Telegenität und seine Persönlichkeit, die der SPD zu einem überzeugenden Sieg verhalfen. Auch die innovative und hochprofessionalisierte Kampagne der SPD trug einen nicht unerheblichen Teil dazu bei. Die Wahlkampfzentrale „Kampa“ der SPD setzte damals einen Meilenstein in der Wahlkampfkommunikation und so wird der Wahlkampf 1998 von Experten nicht umsonst als der erste vollständig professionalisierte bezeichnet. Eine der Zauberformeln war dabei die Loslösung der Wahlkampfzentrale von der Parteizentrale, das sogenannte „outsourcing“ der Wahlkampfexpertise. Die Parteiführung entwickelte ihre Wahlkampfstrategien und Botschaften räumlich getrennt von der Parteizentrale und setzte vor allem auf die Zusammenarbeit mit Beratern und Agenturen. Dieser erlauchte Kreis an Personen war der Dreh- und Angelpunkt der Kampagne, die Parteizentrale wie auch die Mitglieder spielten die zweite Geige. Schnelle, zentralisierte Entscheidungen ohne Diskussionen mit Parteimitarbeitern und Mitgliedern, so lautete das Credo. Dieses Rezept wurde zum Erfolg, als Dauerbrenner taugt es jedoch nicht.

Mit der rasanten Entwicklung des Internets und neuer Informations-und Kommunikationstechnologien können es sich die Parteien heute einfach nicht mehr leisten, ihre Parteizentralen und die Mitglieder außen vor zu lassen. Ohne grassroots campaigning, online communities und Multiplikatoreneffekte lässt sich 2009 kein Wahlkampf gewinnen. Ein professionalisierter Wahlkampf setzt auf Mobilisierung und Koordinierung der Parteibasis durch Internet und direct marketing Elemente: Für diese kommunikative Leistung brauchen die Parteien die Mitarbeiter ihrer Parteizentralen, eine ausgelagerte Wahlkampfzentrale wie bei der Kampa erschwert einen reibungslosen Zugriff auf Personalressourcen und in-house Expertise. Auch ist es die Parteizentrale, die den Kommunikationsfluss zwischen Parteielite und Mitgliedern sicherstellt. Betrachteten die Parteien die Mitglieder in den letzten Jahren eher als unangenehmen Ballast, der Entscheidungen blockiert, so haben sie ihr Potential für den Wahlkampf 2009 wiederentdeckt. Als kommunikativer Knotenpunkt innerhalb der Parteiorganisation, der die interne Kommunikation mit Fraktion und Mitgliedern steuert, hat die Parteizentrale alle notwendigen Ressourcen, die Mitglieder anzusprechen und für den Wahlkampf zu mobilisieren.

So ist es kaum verwunderlich, dass selbst die SPD als Vorreiterin der externen Wahlkampfzentrale dieses Mal auf die Integration von Expertise und die Einbeziehung der Parteizentrale und der Mitglieder setzt. Die Wahlkampfzentrale der SPD, die „Nordkurve“, ist räumlich in das Willy-Brandt-Haus integriert und vereint erfahrene und neue Wahlkämpfer der Partei mit Agenturen und Beratern. Dreh-und Angelpunkt ist jetzt die Parteizentrale, die mit Hilfe ihrer integrativen Position innerhalb der Parteiorganisation das Wahlkampfkonglomerat aus Parteimitarbeitern, Politikern, Parteimitgliedern, Freiwilligen sowie Agenturen und Beratern zusammenführt und steuert. Organisationstheoretisch betrachtet ist das ein guter Schachzug: Die pivotale Funktion und die Personalressourcen der Parteizentrale werden genutzt und das Potential der Mitglieder ausgeschöpft. Am Beispiel der SPD zeigt sich deutlich: Parteien sind durchaus lernende Organisationen, die Trends erkennen und in ihre Strategie aufnehmen. Mit anderen Worten: Ihrem in der Fachliteratur viel diskutierten Niedergang bieten die Parteien mit Organisationswandel die Stirn.

 

Seit‘ an Seit‘ oder nicht Seit‘ an Seit‘? Egal.

1. Mai – Tag der Arbeit, der Arbeiter, der Arbeiterbewegung und der Arbeiterpartei. Doch das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften (als gesellschaftlicher Organisation der Bewegung) und der SPD (als ihrem Arm im Parteiensystem) gestaltet sich zunehmend schwierig. Die wechselseitige Entfremdung fand ihren Höhenpunkt in der Politik der „Äquidistanz“ der Gewerkschaften im Vorfeld der Bundestagswahl 2005. Die Gewerkschaften sahen sich in gleicher Distanz zu allen Parteien. Erst allmählich haben SPD und Gewerkschaften seit dem wieder zueinander gefunden.
Das mediale Echo auf dieses schwierige Verhältnis (und seine neuesten Entwicklungen) ist zumeist beachtlich – doch was davon kommt eigentlich bei den Wählerinnen und Wählern an? In einer Studie im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 sollte eine repräsentative Stichprobe der Deutschen die Frage beantworten: „Wie ist das eigentlich in diesem Wahlkampf – unterstützen Ihres Wissens nach die Gewerkschaften eine bestimmte Partei oder nicht?“, wobei die richtige Antwort im Sinne der seinerzeit gültigen DGB-Poliitk der Äquidistanz „keine Partei“ gewesen ist. Die folgende Grafik zeigt die Antworten der Befragten:

37 Prozent der Befragten gaben damals unumwunden zu, die Antwort nicht zu kennen, 25 Prozent sahen die SPD und Gewerkschaften – entgegen der DGB-Politik – weiterhin Seit‘ an Seit‘, ein Drittel der Befragten gab die richtige Antwort. Bemerkenswert ist dabei, wie weitere Analysen von Rüdiger Schmitt-Beck und Jens Tenscher gezeigt haben, dass gerade interessierte Bürger häufiger daneben lagen. Schließlich zeigen ihre Ergebnisse, dass von diesen Wahrnehmungen praktisch kein direkter Einfluss auf Wahlentscheidungen der Bürger ausgeht.
Ob Seit‘ an Seit‘ oder nicht ist demnach nicht sonderlich wichtig.

Weitere Informationen:
Rüdiger Schmitt-Beck, Jens Tenscher: Divided We March, Divided We Fight: Trade Unions, Social Democrats, and Voters in the 2005 German General Election. In: Farrell, David/Schmitt-Beck, Rüdiger (Hrsg.), Non-Party Actors in Electoral Politics. The Role of Interest Groups and Independent Citizens in Contemporary Election Campaigns. Baden-Baden, 2008 (S. 151-182).

 

Plakativ und konfrontativ

Das Stilmittel ist in Deutschland noch immer außergewöhnlich: Die SPD eröffnet den Europawahlkampf 2009 mit einer Plakatkampagne, die dem vor allem aus den USA bekannten „negative campaigning“, dem Attackieren des politischen Gegners, sehr nahe kommt. Auf einem Wahlplakat steht beispielsweise der Slogan „Finanzhaie würden FDP wählen“, daneben prangt ein offensichtlich gefräßiger Hai. Erst bei genauerem Hinsehen entdeckt der Betrachter in der rechten unteren Ecke das Logo der SPD samt der programmatischen Forderung: „Für ein Europa, in dem klare Regeln gelten“. Außer dem Finanzhaie-Poster wurden auf der Internet-Plattform „Wahlkampf 09″ auch noch zwei weitere Plakate der Kampagne vorgestellt, welche die CDU als Befürworterin von Dumpinglöhnen und die Politik der Linkspartei als „heiße Luft“ bezeichnen.

„Negative campaigning“ ist umstritten, auch in der Wissenschaft. Zum einen widersprechen sich die durchgeführten Studien erheblich in der Frage, ob ein solcher Wahlkampf wirklich der eigenen Partei nützt. Schließlich werden primär nicht die eigenen Stärken, sondern die mutmaßlichen Schwächen des Gegners betont. Diese Form der politischen Auseinandersetzung könnten einige Wählerinnen und Wähler für unangebracht halten. Viele Wahlkampfmanager nehmen demnach offenbar in Kauf, dass unter einer solchen Negativkampagne das Ansehen der eigenen Partei leiden könnte. Man baut jedoch darauf, dass dieser Ansehensverlust sehr viel geringer ist als der, den die attackierte Partei zu erleiden hat.

Allerdings basieren die meisten Untersuchungen zu diesem Thema auf Wahlen in den USA, wo sich Wahlkämpfe gewöhnlich auf ein Duell zweier Parteien oder Kandidaten zuspitzen. Vermutlich wirkt die Logik („Der Verlust meines Gegners ist mein Gewinn“) hier besser, als in einem System mit fünf Parteien. Man könnte ja vermuten, dass von einem Plakat, auf dem die SPD die CDU angreift, insbesondere FDP, Grüne und Linkspartei profitieren. Dies mag ein Grund dafür sein, dass „negative campaigning“ bisher in deutschen Wahlkämpfen noch keine große Rolle spielt und auch die SPD hier eine vergleichsweise milde Variante gewählt hat.

Zum anderen kommen auch aktuelle Studien noch zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich der Effekte von Negativkampagnen auf die Wahlbeteiligung. Während einige Forscherinnen und Forscher keinen Einfluss sehen, weisen andere darauf hin, dass die Wahlbeteiligung unter diesen Kampagnen leiden könnte. Das Statement von SPD-Wahlkampfleiter Kajo Wasserhövel, diese „ungewöhnliche Kampagne“ werde Aufmerksamkeit erregen und die Wahlbeteiligung stärken, scheint jedenfalls bisher empirisch nicht belegbar zu sein.

Wir werden sehen, ob die Kampagnen im Superwahljahr 2009 an diesen Befunden etwas ändern werden…

 

Ein auferstandenes Zünglein an der Waage? Die FDP und ihr Wahlprogrammentwurf

Nicht nur die SPD, sondern auch die FDP hat mit ihrem „Deutschlandprogramm“ bereits einen Entwurf ihres Wahlprogramms veröffentlicht und damit zur Diskussion gestellt. Die Reaktionen der freidemokratischen Parteiführung auf die inhaltlichen Zielvorstellungen der SPD waren sehr kritisch: So war nicht nur von einem Linksruck der Sozialdemokraten die Rede, sondern auch von einem Dokument, mit dem die SPD ein Bündnis mit Grünen und Linken vorbereiten würde.

In der Tat können Wahlprogramme nicht nur als inhaltliche Botschaften an die Wähler gesehen werden, um diese von Position und Kompetenz in verschiedenen Politikbereichen zu überzeugen, sondern auch als Dokumente, die die inhaltliche Grundlage für künftige Koalitionsverhandlungen bilden. Denn diese werden sehr sicher stattfinden: keine Umfrage sieht CDU/CSU und SPD auch nur annähernd in einem Prozentbereich, der eine absolute Mandatsmehrheit im Bundestag für eine der beiden Parteien ermöglichen würde.

Die FDP stellt in diesem Bundestagswahlkampf – ähnlich wie in ihren Glanzzeiten bis zur Etablierung der Grünen auf Bundesebene in den 1980er Jahren – den heiß umgarnten Partner von Union und SPD dar. Während die Christdemokraten auf eine bürgerliche Mehrheit hoffen, so möchte Frank-Walter Steinmeier am liebsten Kanzler einer Ampelkoalition aus SPD, FDP und Bündnisgrünen werden. Nimmt man den seitens der SPD formulierten Ausschluss einer Allianz aus SPD, Grünen und Linken ernst (und ignoriert dabei die Handlungsweise der hessischen SPD nach den Landtagswahlen 2008), dann bleiben neben der – unbeliebten – großen Koalition nur solche Bündnisse als Alternativen übrig, die die FDP mit einschließen: neben den beiden genannten Varianten – bürgerliche Koalition und Ampel – sind dies die bei allen drei beteiligten Akteuren eher unbeliebte „Jamaika“-Variante aus Union, FDP und Grünen sowie ein im Moment jedoch fern einer Mehrheit in den Umfragen liegendes sozialliberales Zweierbündnis.

Lässt die aktuelle Version des freidemokratischen Wahlprogramms überhaupt eine Spekulation über mögliche Koalitionen mit SPD oder gar Grünen zu? Oder haben die Freidemokraten ihre inhaltlichen Positionen zur Wahl 2009 derart geändert, dass ein Bündnis mit Sozialdemokraten und Grünen wahrscheinlicher macht? Eine Analyse der Position des FDP-Wahlprogramms auf einer Links-Rechts-Achse kann Aufschluss darüber geben. Aufgrund der mit Hilfe der wordscores-Methode bestimmten Positionen der FDP-Bundestagswahlprogramme seit 1990 zeigt sich tatsächlich eine Veränderung in die linke Richtung zwischen 2005 und 2009. Da sich jedoch die SPD aufgrund ihres Wahlprogrammentwurfs ebenfalls nach links entwickelt hat, bleibt die Distanz zwischen Sozialdemokraten und Liberalen auf einer Links-Rechts-Achse nach wie vor deutlich ausgeprägt. Dies sollte eine Einbindung der FDP in eine Koalition mit der SPD oder ein „Ampelbündnis“ nicht unbedingt erleichtern. Ob das Wahlprogramm der Grünen als „verknüpfendes Element“ zwischen den inhaltlichen Vorstellungen von SPD und FDP dienen kann, lässt sich erst sagen, nachdem ein erster Entwurf des grünen Manifests für die Wahl im September vorliegt. Die FDP mag somit in viele zumindest nicht ausgeschlossene Koalitionsoptionen eingebunden sein, aber die Unterschiede zwischen ihrem Wahlprogramm und dem der Sozialdemokraten sind so deutlich, dass sich eine Einigung beider Parteien auf ein gemeinsames Regierungsprogramm sehr schwierig gestalten würde. Das ausschlaggebende Zünglein sind die Freien Demokraten zur Wahl 2009 somit nur rechnerisch, aber nicht inhaltlich.

Überraschend bleibt schließlich, dass sich die FDP nicht noch weiter im rechten, wirtschaftsliberalen Bereich platziert haben. Offenbar sind solche Töne gegenüber den Wählern in Zeiten düsterer Konjunkturprognosen nicht nur bei den Sozialdemokraten, sondern auch bei den Liberalen eher unerwünscht…

 

Kurz, knapp, Merkel…

… so könnte man die Wahlkampfstrategie der CDU zusammenfassen. Bereits im Sommer letzten Jahres verkündete die Partei, einen Blitzwahlkampf ums Kanzleramt führen zu wollen. Als Muster galt die Kampagne von Ole von Beust in Hamburg. Im Gegensatz zur SPD, die vor wenigen Tagen den Wahlkampf eröffnet hat, möchte die Union ihr Programm erst Ende Juni vorstellen.

Der Fokus der Kampagne scheint unterdessen längst klar zu sein: Angela Merkel. Die Beliebtheit der Amtsinhaberin einerseits und die inhaltlichen Streitigkeiten der Unionsparteien andererseits legen eine Betonung der Person Angela Merkel nahe. Diese Strategie passt zum allgemein erkennbaren Trend der Personalisierung der Wahlkämpfe. Die Wähler richten ihre Wahlentscheidung zunehmend nach den Kandidaten aus.

Das Vorbild ist hier einmal mehr Barack Obama. Allerdings hat gerade seine Kampagne eines deutlich gemacht: Ohne Themen geht es nicht! Erst als der Kandidat Obama im Zuge der immer deutlicheren Krise das Thema Wirtschaft besetzen konnte, stiegen seine Umfragewerte. Erst dann lag er plötzlich vor John McCain.

Die Forschung sagt, dass in einem Wahlkampf Person, Partei und Programm zusammenpassen müssen. Zudem haben diese Studien auch gezeigt, dass es für eine Partei von Vorteil ist, früh mit dem Wahlkampf zu beginnen – so haben die Wähler mehr Zeit, diese Verbindungen von Personen und Inhalten (die „information shortcuts“) zu verinnerlichen. Für die Union heißt das, dass sie sich nicht allein auf die Beliebtheit und den Amtsbonus der Kanzlerin verlassen kann. Sie hat dadurch sicherlich einen Startvorteil. Aber ohne die passenden Inhalte wird sie diesen Vorsprung nicht halten können.

 

Zwei rechts, zwei links – wo steht die SPD unter Frank-Walter Steinmeier?

Die Veröffentlichung des SPD-Wahlprogramms am vergangenen Wochenende zur Bundestagswahl hat nicht nur ein breites Medienecho ausgelöst, sondern auch die parteipolitischen Mitbewerber zu Äußerungen zum politischen Kurs der Sozialdemokratie im Hinblick auf künftige Koalitionen veranlasst. Die Unionsparteien und insbesondere die Liberalen kritisierten vor allem die wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen der SPD als zu staatsinterventionistisch. Den FDP-Vorsitzenden Westerwelle veranlasste das programmatische Konzept der Sozialdemokraten sogar zu einer Absage an die Adresse der Sozialdemokraten: Ein Bündnis mit der SPD sei auf der Grundlage dieses Programms „völlig ausgeschlossen”, das SPD-Programm sei für „die Linksfront” geschrieben, so zitiert ihn die Süddeutsche Zeitung heute.

Ist die SPD mit ihrem Wahlprogramm 2009 wirklich nach links gerutscht, wie die bürgerlichen Parteien suggerieren? Oder stehen die Sozialdemokraten mit dem Schröder-Vertrauten Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidaten nach wie vor in der Tradition der „Agenda 2010“-Politik? Ein vergleichender Blick auf die Wahlprogramme der SPD zeigt: Tatsächlich ist das vorgelegte Programm der SPD vergleichsweise links. Auf einer Skala von von 1 (links) bis 20 (rechts) erhält „Sozial und Demokratisch“ – so der Titel des Programms – einen Wert von 6,1.

Zum Vergleich: Die SPD-Programme der jüngeren Vergangenheit lassen sich bei 7,1 (1990 unter Oskar Lafontaine), 8,6 (1994 unter Rudolf Scharping) sowie 8,4 (1998 und 2002) und 8,1 zur Wahl 2005 unter Gerhard Schröder verorten. Die SPD ist unter Frank-Walter Steinmeier tatsächlich nach links gerutscht.

Aber Vorsicht vor zu schnellen Schlüssen – gemeinsam mit der SPD könnten auch alle anderen Parteien im Zuge der Wirtschaftskrise nach links gerutscht sein. Inwiefern dies ein genereller Trend über alle Parteien hinweg ist, wird die Analyse der Programme der anderen Parteien zeigen müssen (bei der FDP etwa deutet sich dies bereits an). Festzuhalten bleibt aber: Ganz falsch lagen die Einschätzungen von FDP- und Unionsvertretern zur inhaltlichen Ausrichtung des aktuellen SPD-Wahlprogramms nicht. Ebenso aber gilt: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.

Hinweis zur Methode: Den Werten liegt eine computergestützte Inhaltsanalyse der Wahlprogramme (basierend auf Wordscores) aller im Bundestag vertretenen Parteien seit 1976 zugrunde, die auf relativen Worthäufigkeiten in den jeweiligen Dokumenten basiert. Zur Eichung der Skala wird das Jahr 2002 verwendet: Die auf einer Expertenbefragung basierende Einstufung der Parteien auf einer allgemeinen Links-Rechts-Achse zu dieser Wahl dient als Ankerpunkt für die Textanalyse.

Weitere Informationen gibt es hier:
Thomas Bräuninger/Marc Debus: Der Einfluss von Koalitionsaussagen, programmatischen Standpunkten und der Bundespolitik auf die Regierungsbildung in den deutschen Ländern. Politische Vierteljahresschrift, 49 (2008), S. 309-338
Thomas Bräuninger, Marc Debus: Estimating Hand- and Computer-Coded Policy Positions of Political Actors Across Countries and Time, Vortrag auf der Jahrestagung der Midwest Political Science Association in Chicago, Illinois/USA.

 

Die SPD eröffnet den Wahlkampf – mit einem nüchternen aber im Wahlkampf belastbaren Programm

Endlich dürfen die Sozialdemokraten wahlkämpfen – das machen sie gerne, manche nennen sie auch eine Kampagnenpartei. Im Gegensatz dazu ist die CDU Wahlkämpfen gegenüber eher skeptisch gestimmt – zu schmerzhaft sind da noch die Erinnerungen an 2005, als von einem zeitweilig sehr großen Vorsprung am Wahlabend quasi nichts mehr übrig blieb. Und auch in der Wahl davor hat sich die SPD als die Partei erwiesen, der es gelingt, ihre Anhänger auf den Punkt hin zu mobilisieren.

Das Wahlprogramm hat – kurz gefasst – zwei wichtige strategische Botschaften: klare Abgrenzung nach links und Koalitionsoptionen nach allen Seiten. Die Themenfelder sind klar abgegrenzt und eher nüchtern. Spannend wird sein, auf welche zwei bis drei Themen die SPD im Wahlkampf setzen und mit welchen Personen sie diese besetzen wird. Die Themenhoheit über die Familienpolitik wird der CDU mit Ursula von der Leyen nicht zu nehmen sein; in der Außenpolitik und im Krisenmanagement wird (trotz eines SPD-Außenministers) Angela Merkel sichtbar werden – was bleibt dann noch?

Warum positioniert sich die SPD in Zeiten großer wirtschaftlicher Verwerfungen und dem Ruf nach mehr Politik, nach der starken Hand des Staates, nicht klarer links? Scheut sie hier die Auseinandersetzung oder die Nähe gar mit Oskar Lafontaine? Und die zentrale Frage lautet: Warum ist so wenig Inhaltliches von Frank-Walter Steinmeier erkennbar? Natürlich: Wahlkämpfe streiten sich um „Brot-und-Butter“-Themen. Innenpolitische Themen stehen bei den Wählern ganz oben auf der Agenda. Aber als Vizekanzler kann er auch diese für sich beanspruchen. Es geht nicht um den Außenminister sondern um den Vizekanzler. Und der muss sichtbarer werden – nur so hat die SPD eine reale Chance auf ein respektables Ergebnis im September.

Frank-Walter Steinmeier muss dabei nicht mit Gerhard Schröder brechen, um sich zu positionieren. Er hat die Agenda 2010 mitgeschrieben und verantwortet, als Kanzlerkandidat wäre daher auch die Weiterentwicklung seine Aufgabe. Mehr Steinmeier hätte dem Programm gutgetan – im Sinne des Wahlerfolges.

 

Von den Großen lernen: Die kleinen Parteien rüsten sich für den „ground war“

Was die beiden großen Parteien im letzten Bundestagswahlkampf 2005 vorgemacht haben, hält in diesem Superwahljahr auch bei den kleinen Parteien in vollem Umfang Einzug: grassroots campaigning. Das heißt zu Deutsch so viel wie „Wahlkampf an der Wurzel“ und bedeutet, die Parteibasis und freiwillige Unterstützer zu aktivieren, die der Partei beim Wahlkampf unter die Arme greifen. Die Wahlkampfaktivitäten sind dabei ganz verschieden und erstrecken sich von der Verteilung von Werbematerial, der Veranstaltung von Hauspartys und der Unterstützung bei Großveranstaltungen bis hin zu Aktionen im Internet oder per Handy. Die Wahlkampfkommunikationsforschung bezeichnet diese Art von Kampagnenaktivität als „ground war“ und meint damit den Kampf um Wählerstimmen am „Boden“ mit Hilfe von dialogorientierter lokaler Wahlkreiskommunikation. Hiervon wird der „air war“ unterschieden, d.h. der Kampf um Wählerstimmen von „oben“ mit Hilfe der klassischen Massenmedien Fernsehen, Radio und Tageszeitungen. Die Koordination der Wahlkampfhelfer findet im „ground war“ primär über das Internet statt, vor allem mittels eigens eingerichteter Plattformen auf den Parteiwebsites. SPD und CDU haben dieses Wahlkampftool nach amerikanischem Vorbild in Form des „teAM Zukunft“ (CDU) und der „roten Wahlmannschaften“ (SPD) für ihre letzten Kampagnen systematisch genutzt und auf ein Kommunikationsmittel gesetzt, das seine Anfänge bereits in den Kinderschuhen der Wahlkampfkommunikation hatte: Die dialogorientierte lokale Wahlkreiskommunikation war schon in der vormodernen Phase der Wahlkampfkommunikation (ca. 1920-1945) das Mittel der Wahl, mit dem kleinen Unterschied, dass hier die direkte Kommunikation mit dem Wähler ausschließlich mittels interpersonaler Kommunikation stattfand. Heute wird diese direkte „Face-to-face“-Kommunikation mit dem Wähler durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien wie das Internet ergänzt, die zusätzlich eine gezielte und effiziente Koordination des Helferpools möglich machen.

Schaut man sich die Websites der kleinen Parteien in diesem Wahlkampf an, so scheint es, dass sie von den Großen gelernt haben. Die FDP hat mit ihrem Kampagnenportal „mit mach arena“ in Sachen Professionalität dabei die Nase vorn: Interessierte können sich auf einem ansprechend designten multimedial gestalteten Portal anmelden und haben die wichtigsten Unterstützerbereiche sofort im Blick: Online-Foren und communities wie facebook und youtube, Handy-Newsletter und Aktionen sowie weblogs – die FDP steht den beiden großen Parteien in diesem Jahr in nichts nach. Dabei präsentiert sich die FDP so, wie es auch empirische Studien zur Professionalisierung der Wahlkampfkommunikation in Deutschland belegen: Als fast gleichauf mit den großen Volksparteien, trotz geringeren Budgets und geringerer Mitgliederzahl (auf dem CAMPROF Professionalisierungsindex von Rachel Gibson und Andrea Römmele erzielten die FDP 21, die SPD 27 und die CDU 24 von insgesamt 30 Punkten im Rahmen des Bundestagswahlkampfes 2005). Die Grünen und die Linke legen dabei einen bei weitem nicht so professionellen Auftritt an den Tag. Das Kampagnenportal der Grünen „meine Kampagne“ ist zwar auch ansprechend gestaltet, deutlich weniger interaktive und multimediale Angebote bestätigen jedoch den empirisch bewiesenen abgeschlagenen vierten Platz der Grünen in Sachen Professionalität (13 von 30 Punkten im Rahmen des Bundestagswahlkampfes 2005 auf dem CAMPROF Professionalisierungsindex). Bedenkt man, dass die Grünen im Bundestagswahlkampf 2005 noch kein eigenes Mitgliedernetzwerk hatten, ist diese Kampagnenwebsite jedoch ein großer Schritt. Die Linke präsentiert sich im Trio der kleinen Parteien in Sachen grassroots campaigning als Schlusslicht, ihr Wahlkampfportal ist kaum elaboriert. Auf der Parteiwebsite erst auf den zweiten Blick zu sehen, finden sich kaum ansprechende und interaktive Elemente auf dem Kampagnenportal. Interessierte haben lediglich die Möglichkeit, sich für bestimmte Wahlkampfaktivitäten registrieren zu lassen, und erhalten dann von der Partei die entsprechenden Informationen. Doch von den Großen lernen lohnt sich, denn grassroots campaigning bietet gerade für kleine Parteien große Chancen. Durch den gezielten Einsatz des Internets ist kein großer Wahlkampfetat nötig, um effizienten Wahlkampf zu betreiben, kurzum: Das Internet bietet den kleinen Parteien die Möglichkeit, mit den beiden großen Parteien bei dieser Wahlkampfstrategie gleichzuziehen!

 

Warum haben wir keinen Obama?

Sind wir doch mal ehrlich: So einen schicken, charismatischen Präsidenten hätten wir auch gerne. Einen, der uns begeistert, der die Welt begeistert und zu dem jeder (auf)schaut. Über den jeder spricht und sendet und schreibt. Die Reaktionen auf Barack Obamas Besuch in Europa haben wieder einmal unseren Wunsch nach charismatischer Führung gezeigt. Unser politisches System macht es aber schwer, uns diesen Wunsch selbst zu erfüllen – und vielleicht ist das auch gut so. Doch der Reihe nach:

In den USA wird der Präsident offen rekrutiert und selektiert. Er muss sich in der Rekrutierungsphase schon sehr früh die Unterstützung der Bevölkerung sichern. In Primaries (Vorwahlen) geht es darum, sich gegen Kandidaten aus dem eigenen Lager durchzusetzen. Mediale Qualitäten sind bereits sehr früh in der Bewerbung gefragt. In manchen Primaries sind es „nur“ die eigenen Parteimitglieder, manche amerikanischen Staaten haben aber auch offene Primaries, wo sich der Kandidat allen Bürgern stellen muss. Ohne Leidenschaft für das Amt und die Sache, ohne die Skills, auch in den Medien gut rüberzukommen, schafft es hier kaum jemand. Und dann ist da noch der große Show-down, die Presidential Election. Hier werden die Kandidaten direkt vom Volk gewählt (die Wahlmänner sind an das Votum der Wähler gebunden). Anders bei uns: Der Rekrutierungsprozess ist oft ein mühsamer, die Ochsentour durch die Parteien ist nach wie vor der zentrale Rekrutierungskanal des politischen Personals. Hier spielen nicht etwa mediale Qualitäten und Führungsstärke eine Rolle, sondern Sachkenntnis, Integrations- (und wohl auch Leidens-)fähigkeit, Verhandlungsgeschick und nicht zuletzt auch die Tatsache, den richtigen Moment abwarten zu können. Dies schließt zwar Charisma nicht aus, fördert es aber auch nicht gerade. Auf den ersten Blick sicherlich kein allzu attraktiver Weg für Politiker, die an großen Rädern drehen und klar abgezeichnete Karrierepfade und -optionen aufgezeigt bekommen möchten. Und auch die Kür unserer Spitzenkandidaten für das Kanzleramt ist nicht klar: „Der Parteivorsitzende hat das erste Zugriffsrecht“ heißt es so schön. Fest steht nur, wer keine guten Umfrageergebnisse hat, hat wenig Aussicht auf eine Kandidatur – wir alle erinnern uns noch an Kurt Beck.

Dennoch: In parlamentarischen Demokratien geht zum Glück kein Weg an den Parteien vorbei. Sie sind die zentralen Ausbildungsstätten der Politiker, das „training on and for the job“ findet hier statt. In Zeiten, in denen Politik immer vielschichtiger und komplexer wird, braucht es diese solide Basis. Hier werden weniger charismatische Führungsqualitäten gefragt, sondern Sachkenntnis, eine hohe Problemlösungskompetenz und Schnittstellenmanagement – also im Sinne Max Webers „rationale“ Qualitäten.

Das heißt nicht, dass das System nicht offener werden sollte: Wenn wir uns eines aus den USA abschauen sollten, dann ist es die Offenheit für Quereinsteiger – hier wird für politische Spitzenämter fachliches Spitzenpersonal aus Wirtschaft, Verwaltung, Medien und der Gesellschaft rekrutiert. Vielleicht wird die Personaldecke in der deutschen Politik bald so dünn werden, dass die Parteien quasi aus der Not heraus diesen Weg beschreiten. Schöner wäre es allerdings, die Positionen der Quereinsteiger würden überzeugen.

 

Obama als Wahlkämpfer der CSU?

Der Star der vergangenen Gipfelwoche war zweifelsohne US-Präsident Barack Obama. Ob auf dem NATO-Jubiläumsgipfel oder auf dem EU-USA-Gipfel, seine Reden fanden große öffentliche Aufmerksamkeit und Resonanz. Als inhaltlich bemerkenswert gelten vielen Beobachtern seine Plädoyers für eine atomwaffenfreie Welt und für eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei. Weitgehend unbeachtet blieb jedoch, dass der amerikanische Präsident mit seiner zweiten Forderung – vermutlich ungewollt – in den deutschen Europawahlkampf eingegriffen haben könnte, und zwar nicht zuletzt zugunsten der CSU.

Wie ist Obama zum Wahlkämpfer der Christsozialen geworden? Die CSU zieht in den Europawahlkampf unter anderem mit der Forderung, in Deutschland über europapolitische Fragen Volksabstimmungen abzuhalten. Dadurch würde Bürgern die Möglichkeit eröffnet, aus ihrer Sicht falsche Entscheidungen europapolitischer Eliten zu korrigieren. Diese Aussicht dürfte vielen Bürgern aber allzu abstrakt und akademisch erscheinen, solange nicht in eine konkrete europapolitische Fehlentscheidung droht. Die CSU weist daher gerne auf ausgewählte Beispielsfälle hin, in denen ein solches EU-Referendum seine segensreichen Wirkungen entfalten könnte. Besonders prominent wird stets der EU-Beitritt der Türkei genannt. Dabei rechnet die CSU-Führung offenbar damit, dass viele Deutsche (inner- wie außerhalb Bayerns) diesen Beitritt ablehnen und daher die Aussicht auf eine entsprechende Volksabstimmung als Verheißung begreifen dürften. Bis vor kurzem musste sich die CSU jedoch ernsthafte Sorgen darüber machen, ob dieses Kalkül aufgehen würde. Denn die Türkei-Frage schien von der politischen Tagesordnung verschwunden und damit auch ihres Mobilisierungspotentials beraubt: Warum sollten Bürger ihr Votum am 7. Juni von der Aussicht auf eine Volksabstimmung über eine europapolitische Entscheidung abhängig machen, wenn es zu einer solchen Entscheidung ohnehin nicht käme? Obamas Forderung hat die Lage deutlich verändert. Er hat dieser Frage neue Aktualität verliehen, so dass viele türkeikritische Bürger einen EU-Beitritt der Türkei als reale Gefahr ansehen könnten. Im Ergebnis dürfte die CSU-Forderung nach europapolitischen Volksabstimmungen werbewirksamer geworden sein. Die Partei hat nun einen Anreiz, die von Obama angestoßene öffentliche Diskussion über die Türkei-Frage zumindest bis zum Europawahltag am Köcheln zu halten.

Der einzige Pferdefuß dieser unerbetenen, aber wohl doch willkommenen Wahlhilfe könnte für die CSU darin liegen, dass Obamas Plädoyer aus manchen türkeikritischen Bürgern Beitrittsbefürworter machen könnte. Zwar deuten empirische Befunde darauf hin, dass die Deutschen sich in ihrer Haltung zum EU-Beitritt der Türkei von Parteinahmen politischer Eliten nicht wesentlich beeinflussen lassen. Doch stammen diese Ergebnisse aus der Vor-Obama-Zeit. Es bleibt abzuwarten, ob Obamas Stern so hell leuchtet, dass er diese Regelmäßigkeit außer Kraft setzt. Sollte ihm das nicht gelingen, kann sich die CSU weiterhin über Wahlhilfe von unerwarteter Seite freuen.