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Wahlomat – ein bisschen Spaß muss sein!

Mehr als eine halbe Million Mal ist bis heute der Wahl-O-Mat zur Europawahl gespielt worden. Damit sieht es so aus, dass bis zu den Wahlen in knapp zwei Wochen diese Wahl-O-Mat-Version die Zahl der Nutzungen des Tools vor der letzten Europawahl 2004, die bei rund 870.000 lag, toppen wird.

Der Wahl-O-Mat bleibt somit ein äußerst populäres Online-Angebot der politischen Vorwahlöffentlichkeit in Deutschland – und das ist er seit seinem ersten Einsatz im Jahre 2002. Bei den Bundestagswahlen 2005 ist er über fünf Millionen Mal gespielt worden. Auch für die Bundestagswahlen im September wird die Bundeszentrale für politische Bildung, die die Lizenz des Tools für Deutschland innehat, einen Wahl-O-Mat entwickeln. Vieles spricht dafür, dass auch dieser auf große Nachfrage stoßen wird.

Wie kann man diesen Erfolg erklären? Vielleicht damit, dass dieses Tool einer scheinbar einfachen Funktionslogik folgt: Der Wahl-O-Mat vergleicht entlang von 38 Wahlkampfthesen die Positionen des jeweiligen Users mit den entsprechenden Positionen der Parteien und zeigt als Ergebnis diejenige Partei an, der man mit Blick auf diese Thesen am nächsten steht – ein Ergebnis, das freilich keine Wahlempfehlung sein darf und kann, denn die 38 Thesen können nur einen Teil des politischen Präferenzspektrums abdecken.

Dass das Spielen des Wahl-O-Maten bei den Nutzerinnen und Nutzern Spuren hinterlässt, dafür gibt es empirische Hinweise. In Online-Befragungen derjenigen, die das Tool gerade gespielt haben, zeigen sich immer wieder ähnliche Tendenzen. Mehr als zwei Drittel der Befragten geben an, über das Ergebnis mit anderen sprechen zu wollen. Rund die Hälfte wird motiviert, sich weiter politisch zu informieren. Schließlich sagen bis zu zehn Prozent der befragten User, dass der Wahl-O-Mat sie motiviert habe, zur Wahl zu gehen, obgleich sie dies eigentlich nicht vorgehabt hätten.

Bemerkenswert stabil bleibt eine Zahl über alle Befragungen hinweg: Stets geben rund 90 Prozent an, das Spielen des Wahl-O-Maten habe Spaß gemacht. Man lernt daraus: Spaß und politische Bildung müssen sich nicht zwangsläufig ausschließen.

 

„Toll, Bundes-Hotte!!!!“

Ein Gastbeitrag von  Michael Metzger

Das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl wurde als erstes per Twitter bekannt. Während die zwitschernde CDU-Politikerin sich reuig zeigte, verteidigt ihr SPD-Kollege seine öffentliche 140-Zeichen Botschaft als demokratischen Akt.

Es war 14.13 Uhr am Samstag, als Ulrich Kelber es im Reichtstagsgebäude nicht mehr aushielt. Der Bonner Bundestagsabgeordnete zückte sein Mobiltelefon und tippte: „Auszählung dauert lange. Gerücht: Köhler hat 613 Stimmen. Das wäre genau die kleinste Mehrheit“. Wenige Sekunden später tickerte das Statement über Kelbers Twitter-Seite. Damit war ein Wahlergebnis in der Welt, das offiziell noch nicht verkündet worden war.

Ulrich Kelber war schnell. Nicht viel langsamer aber waren sein Parteifreund Garrelt Duin, der SPD-Chef aus  Niedersachsen, und Julia Klöckner von der CDU. Duin schrieb nur eine knappe Minute später als Kelber: „613 für Köhler. #bpw“. Und Klöckner fast zeitgleich: „#Bundesversammlung Leute, Ihr könnt in Ruhe Fußball gucken. Wahlgang hat geklappt!“.

Nicht alle freute das Gezwitscher. Schließlich verkündete Bundestagspräsident Norbert Lammert das Ergebnis offiziell erst um 14.30 Uhr, eine gute Viertelstunde später. Die Christdemokratin Klöckner entschuldigte sich inzwischen. In ihrer Partei hatten sich manche bei der „Twitter-Sünderin“ (BILD) beschwert. Sie habe ihr Amt als Wahlfrau für Publicity missbraucht.

Gleichwohl: Die Trittwer-Gemeinschaft war stolz auf den neuen Coup. Erneut ein Ereignis, das zuerst durch das Mikroblog publik wurde. Wie in den USA beim Unfall des Airbus über dem Hudson-River oder in Deutschland beim Schul-Attentat in Winnenden. Unter dem Tag „#BPW“, freuten sich diesmal die Nutzer, bei der „Bundespräsidentenwahl“ schneller informiert zu sein als die TV-Zuschauer.

Twitter ist aber auch risikobehaftet. Redaktionelle Medien prüfen und filtern Informationen meist. Bei Twitter fällt das weg. Was passiert, wird mitgeteilt – ohne Zeitverlust. Für den Wahrheitsgehalt trägt deshalb zwar allein der Schreiber die Verantwortung, sagt Klas Roggenkamp, Geschäftsführer von Compuccino, einer Berliner Medienberatungsagentur. „Aber auch der Leser steht in der Pflicht, zu prüfen, woher er seine Informationen hat.“ Informationen bei Twitter sind subjektiv, geprägt von der Sicht des Senders – und eben nicht immer wahr. Wie der hessische SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel feststellen musste, der im Landtagswahlkampf bald mindestens einen Twitter-Imitator hatte.

Wenn Informationen dank Twitter schneller und freier verfügbar sind, sei das dennoch wünschenswert, sagt Roggenkamp. Informationen, die früher auf den Fluren von Bundestag und Bundesrat kursierten, finden nun in Windeseile ihren Weg ins Netz. Die ganze Welt hört so den politischen Flurfunk.

Aber es wird auch viel banaler Stuss gezwitschert, nicht zuletzt von Politikern. So schreibt Frederic Schneider von der CDU Hessen: „käuft sich am Donnerstag das #Objektiv #Canon EF 70-200mm, f/4 L USM :)“. Oliver Fink von der FDP Schleswig-Holstein schreibt: „Wie jetzt? Lieber 0 Grad und strömender Regen?!? Kommt wieder, musst nur warten…“ Und  Gabriele Hiller-Ohm von der SPD Schleswig-Holstein teilt mit: „ist nach dem Nautischen Abend nicht mehr ins Büro gefahren um den Schreibtisch leerzufegen, was sich morgen rächen wird.“

Ulrich Kelber, der SPD-Abgeordnete mit dem schnellen Twitter-Daumen am Köhler-Tag, hält davon wenig. Niemals würde er die Farbe seiner Socken der Welt mitteilen, sagt er im Gespräch zu ZEIT ONLINE. Lieber beschränke er sich auf Politik.

Mit Twitter könne man Menschen in kleinen Häppchen die große Politik schmackhaft machen, sie für Themen begeistern und die eigene persönliche Einschätzung gleich mit transportieren, sagt Kelber. „Im Reichstagsgebäude wussten die anwesenden Wahlhelfer und Journalisten schon vor meiner Nachricht, wie die Wahl ausgegangen ist. Warum soll ich das meinen Twitter-Lesern dann vorenthalten?“, fragt er rhetorisch.

Doch ständiges Geschnatter nervt auch Kelber. Auf Parteisitzungen stören ihn die „Leute, die einen Zwischenstand aus einer laufenden Debatte in ihr Handy tippen – statt sich mal selber an der Diskussion zu beteiligen“. So etwas mache Diskussionen kaputt. Der Politik nehme es die Verschnaufpause, die gebraucht wird, um Gedanken zu Ende zu denken.

Aber am Samstag sei es schließlich nicht um Diskussionskultur gegangen, sondern vor allem um die von vielen bemängelte Einhaltung des protokollarischen Rahmens im Reichtstag: Die Gratulationen an Horst Köhler wurden zu früh ausgesprochen, das Orchester positionierte sich, ehe Bundestagspräsident Norbert Lammert die Ergebnisse offiziell verkündet hatte. Ein Fauxpass!, alles via Twitter dokumentiert.

Etwa von Julia Klöckner um 14.36 Uhr: „#Bundesversammlung Protokollarisch ging eben einiges schief – Blumen, Kapelle kamen rein vor Ergebnisbekanntgabe“. Nach der Rede des alten wie neuen Staatsoberhaupts konnte sie sich aber dennoch freuen: „Bundes-Hotte hält Dankes/Antrittsrede – toll!!!!“

Update: Julia Klöckner hat sich inzwischen nicht nur entschuldigt sondern auch auf ihr Amt als Schriftführerin im Parlament verzichtet.

 

Die Sache mit den Blumen

Ein Gastbeitrag von Katharina Schuler

Dass Bundespräsidentenwahlen auch für den Bundestagspräsidenten eine Herausforderung sind, weiß man spätestens seit 2004. Damals war es Wolfgang Thierse (SPD), der – zur großen Empörung der Union – patzte. Thierse vergaß unter anderem, dem frisch gewählten Horst Köhler das Wort zu erteilen und wollte stattdessen sofort zur Nationalhymne übergehen. Erst das entsetzte Gesicht von Edmund Stoiber habe ihm verdeutlicht, dass er etwas vergessen hatte, war hinterher zu lesen.

Diesmal nun die Sachen mit den zu früh reingetragenen Blumen und dem Bläserquintett, die die Verkündung des Ergebnisses vorwegnahmen. Ist CDU-Bundestagspräsident Norbert Lammert in Protokollfragen also kein bisschen sattelfester als der stets etwas schluffig wirkende Bartträger Thierse?

Diesen Eindruck wollen Lammert und seine Getreuen freilich nicht auf sich sitzen lassen. An der Panne sei keinesfalls der Bundestagspräsident schuld, sagte ein Sprecher Lammerts ZEIT ONLINE. Schuld sei vielmehr die SPD. Schließlich habe Fraktionschef Peter Struck schon um 14:12 Uhr – also bevor Bläser und Blumen auftraten – Gesine Schwan auf die Schulter geklopft. Na, und da sei doch eigentlich schon alles klar gewesen, oder etwa nicht?

Auch Lammert selbst hat eine interessante Version der Geschichte beizutragen. Demnach hätte alles auch noch viel schlimmer kommen können. Köhler habe die Verkündung des Ergebnisses nämlich im Plenarsaal entgegennehmen wollen. Das wiederum habe Lammert ihm ausreden können. „Herr Präsident“, habe er ihm zu bedenken gegeben. „Wenn Sie da einfach in den Plenarsaal hineinlaufen, bevor das Ergebnis bekannt ist, dann können sie es auch gleich selbst vorlesen“. Köhler erwies sich als einsichtig und nahm von seinem Plan Abstand.

An der Sache mit den Blumen, so Lammert, seien aber nun wirklich die Fraktionen schuld. Er selbst habe keinen einzigen Blumenstrauß bestellt, folglich also auch keinen vorzeitig reintragen lassen.

Und nun zum Bläserquintett: Dieses habe sich, so Lammert, „im wörtlichen Sinne hinter meinem Rücken“ in den Saal begeben, während er vor dem Reichstag auf den ausbleibenden Präsidenten wartete. Die unmittelbare Verantwortung trägt offenbar ein Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, der einmal zu häufig durch selbständiges Denken auffiel. Dieser nämlich haben den Musikern nahegelegt, sie sollten schon jetzt in den Saal gehen. Wenn nämlich der Herr Bundestagspräsident erstmal mit der Verlesung des Ergebnisses begonnen hätte, könnten sie schließlich da nicht reinmarschieren und ihre Instrumente auspacken.

Dass wiederum die Ankunft des Präsidenten so lange auf sich warten ließ, dass drinnen die Abgeordneten von SPD und Grünen schon ungeduldig zu klatschen anfingen, ganz als wollten sie den Auftritt einer Popband beschleunigen, ist laut Lammert ein Ausweis für den demokratischen Charakter unseres Staates. Hier werde eben nicht die halbe Stadt lahm gelegt, bloß weil ein frisch gekürter Präsident die Wahl annehmen möchte. Und sich an einem Volksfesttag vom Schloss Bellevue mit dem Auto zum Reichstag zu quälen, das dauere eben…

Bleibt ein letztes ungelöstes Rätsel: Warum fuhr Köhler nach der Eröffnung überhaupt zurück ins Schloss Bellevue statt im Reichstag im eigens für ihn vorbereiteten Raum zu warten? Darauf gibt auch die minutengenaue Rekonstruktion der Ereignisse, die Lammerts Leute mittlerweile vorgenommen haben,  noch keine Antwort. Aber vielleicht findet es der Ältestenrat heraus, der sich demnächst mit der Problematik befassen muss. Und vielleicht sollte man den Bundespräsidenten in Zukunft zwar nicht direkt wählen – wie Köhler das nun gefordert hat – aber dafür einfach öfter? Dann hätten jedenfalls alle Beteiligten etwas mehr Gelegenheit zum Üben.

 

Nachlese zur Wahl des Bundespräsidenten

Drei Dinge bestimmen im Nachgang zur Wahl des Bundespräsidenten vom vergangenen Samstag die Diskussion:

(1) Wer hat wie gewählt?
(2) Was sind die Konsequenzen dieser Wahl für die Wahl des Bundestages im September?
(3) Und sollte der Bundespräsident zukünftig direkt gewählt werden?

Was lässt sich aus einer „Wahlen-nach-Zahlen“-Sicht zu diesen Punkten sagen?

Zu (1) lässt sich nichts weiter sagen außer, dass Horst Köhler 613 Stimmen erhalten hat, Gesine Schwan 503, Peter Sodann 91 und Frank Rennicke 4. Alles andere ist pure Spekulation. Selbst die Aussage von Silke Stokar von den Grünen, sie habe Horst Köhler gewählt, ist eine nicht überprüfbare Behauptung. Tatsache ist, dass das Abstimmungsverhalten der Mitglieder der Bundesversammlung geheim ist und solange bleibt, bis der Abstimmungsmodus auf „offene Wahl“ umgestellt wird. Bis dahin haben alle Aussagen über das Abstimmungsverhalten den Status des Lesens von Kaffeesatz. Keine Frage, das macht Spaß, aber das ist auch alles.

Bezüglich (2) scheiden sich die parteipolitischen Geister: Während die Spitzen des bürgerlichen Lagers (natürlich) einen Einfluss sehen, verneinen das die Spitzen von SPD und Grünen mit Nachdruck. Die Bürger sehen dies entspannter. In einer Online-Umfrage unter rund 1.200 Deutschen sehen rund die Hälfte der Deutschen eher keinen Einfluss, ein Viertel der Befragten dagegen vermutet einen Einfluss der Präsidenten- auf die Bundestagswahl, ein weiteres Viertel gibt an, das nicht einschätzen zu können. Im Gegensatz zu den Parteien sind die Unterschiede in der Bevölkerung dabei vergleichsweise klein – zwischen Anhängern der SPD und Anhängern der Union etwa gibt es nur unmerkliche Unterschiede diesbezüglich. Von den Bürgern wird mal wieder nichts so heiß gegessen, wie die parteipolitischen Spitzen es kochen.

Bleibt drittens die Frage nach dem zukünftigen Wahlmodus für das Amt des Bundespräsidenten. Bundespräsident Köhler hat diesbezüglich einen Vorstoß in Richtung Direktwahl gemacht. Wie es sich für einen Bürgerpräsidenten gehört – durchaus im Einklang mit dem Stimmungsbild in der Bevölkerung, denn auch in der Bevölkerung stößt dies mehrheitlich auf Zustimmung. Selbst die Anhänger der Union (die bei dieser Frage am skeptischsten sind) stehen einer Direktwahl mehrheitlich positiv gegenüber. Ob die Bürger an einer solchen Wahl teilnehmen würden, steht allerdings auf einem anderen Blatt: Europawahlen, Landtagswahlen, Kommunalwahlen, gerade auch Direktwahlen von Oberbürgermeistern (siehe hierzu den Beitrag zur OB-Wahl in Kiel) erreichen zunehmend geringere Wahlbeteiligungsraten. Wäre es dem Amt des Präsidenten wirklich würdiger, wenn – sagen wir – 33 Prozent der Wahlberechtigten sich an der Bestellung des Inhabers beteiligten?

 

Mehr Demokratie wagen? Nein, wir haben schon genug…

Diese Forderungen sind populär und es verwundert nicht, dass auch Horst Köhler direkt nach seiner Wiederwahl in dieses Horn stößt: Man solle doch bitte schön den Bürger (noch) mehr entscheiden lassen: Der Bundespräsident solle demnächst direkt gewählt werden und die Bürger sollten bitte schön auch in anderen Fragen direkt entscheiden dürfen – ein Plädoyer für Volksbegehren, Volksentscheide und dergleichen.

Warum eigentlich? Unsere parlamentarische Demokratie bietet den Bürgern viele Möglichkeiten der Partizipation. Auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Kontexten können sie am politischen Prozess teilhaben: regional, lokal und europäisch sowie auf unterschiedliche Themen und Formate bezogen. In den letzten Jahren ist es der Politik jedoch immer weniger gelungen, Bürger hierfür zu begeistern. Austritte aus den Parteien und wenig Wahlbeteiligung – insbesondere auch auf kommunaler Ebene – waren die Folgen. Wie es in knapp zwei Wochen um die Wahlbeteiligung in Europa stehen wird, werden wir sehen.

Dies hat jedoch nichts mit einer mangelnden Engagement-Bereitschaft der Bürger zu tun. Aus der Sozialkapitalforschung wissen wir, dass Bürger durchaus bereit sind, sich zu engagieren – etwa im Sportverein, im Chor oder im Kindergarten. Schon einige wenige Zahlen verdeutlichen die Partizipationsbereitschaft der Deutschen: 6,5 Millionen Mitglieder zählt allein schon der Deutsche Fußball-Bund, knapp 500.000 Menschen sind ehrenamtlich im katholischen Wohlfahrtsverband der Caritas tätig und eine Allensbach-Umfrage aus dem letzten Jahr schätzt, dass ca. jeder fünfte Deutsche ehrenamtlich tätig ist.

Das Problem, mit dem wir es zu tun haben, ist nicht ein Mangel an Partizipationsmöglichkeiten. Es muss vielmehr die Aufgabe der Politik in den nächsten Jahren sein, das vorhandene Partizpationspotential auszuschöpfen. Die Bürger müssen den Weg vom Fußballplatz zurück in die Politik finden und verstehen, was das eine mit dem anderen zu tun hat…

 

Happy B-Day, Deutschland

Thomas Steg weiß um die große Konkurrenz an diesem Tag. Aber er versucht, sie positiv zu deuten: Am Samstag, sagt der Sprecher der Bundesregierung, jage ein Höhepunkt den nächsten in Deutschland. Gut, da gebe es diese nicht unbedeutende Finale der Bundesliga, das einige Aufmerksamkeit absorbieren werde.

Aber republikanisch gesinnte Fußballfreunde könnten am Samstag ruhig ebenfalls zur Siegessäule kommen, sagt Steg. Auf großen Leinwänden kann man die Konferenzschaltung mitverfolgen.

Parallel zum Bundesliga-Finale steigt am Samstag nämlich eben auch eine große nationale Party. Am 23. Mai 1949 war das Grundgesetz in Kraft getreten, die Geburtsstunde der Bundesrepublik. Der 60. Geburtstag der Republik wird in Berlin mit einem großen Bürgerfest und etlichen prominenten Gratulanten gefeiert. Das Programm sehen Sie hier.

Zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule werden bis zu 250.000 Besucher erwartet. Thomas Gottschalk wird moderieren. Udo Jürgens wird singen, Otto Waalkes wird blödeln. Bundesländer, Ministerien, Parteien, Kirchen, Nachbarstaaten und andere Organisationen präsentieren sich dazwischen mit Ständen. Veranstalterin ist die Bundesregierung. Sie gibt für das Fest drei Millionen Euro aus.

Nicht zum Feiern, sondern zum Protest rufen linksradikale Demonstranten auf.

Die Reporter von ZEIT ONLINE werden an allen wichtigen Schauplätzen zugegen sein. Katharina Schuler ist im Reichstag. Sie berichtet von der Präsidentenwahl. Michael Schlieben und Simone Bartsch beobachten auf der Straße davor Gottschalk, Walkes und die Demonstranten. Und David Hugendick meldet sich aus der vermeintlich neuen Fußball-Hauptstadt Wolfsburg. Markus Horeld sitzt in der Berliner Zentrale von ZEIT ONLINE – und veredelt die Eindrücke, bevor er sie auf die Homepage stellt.

 

10 Dinge, die Sie schon immer über die Wahl des Bundespräsidenten wissen wollten

Am Samstag, den 23. Mai 2009, findet die 13. Bundesversammlung statt. Ihr alleiniger Zweck ist es, das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland, den Bundespräsidenten, zu wählen. Hier zehn Dinge, die Sie schon immer über die Wahl des Bundespräsidenten und die Bundesversammlung wissen wollten:
 

» Der Präsident der ersten Bundesversammlung hieß Köhler (er war – wie immer – zugleich der Präsident des Bundestages).
» Die erste Bundesversammlung 1949 war zugleich auch die kleinste, 804 stimmberechtigte Mitglieder versammelten sich damals in Bonn; die Bundesversammlung 1999 war die bislang größte: 1.339 Mitglieder.
» Die SPD stellte bislang nur einmal die stärkste „Fraktion“ in der Bundesversammlung – 1999 mit 566 Mitgliedern (gegenüber 547 Mitgliedern von CDU/CSU).
» In der Bundesversammlung 1974 waren nur drei „Fraktionen“ vertreten: CDU/CSU mit 501, SPD mit 470 und FDP mit 65 Mitgliedern. Es gab kein einziges Mitglied, das von einer anderen Partei entsandt wurde.
» Die FDP ist 2009 erstmals seit 15 Jahren wieder drittstärkste Kraft in der Bundesversammlung.
» CDU/CSU hatten in den Bundesversammlungen 1979 und 1984 eine eigene absolute Mehrheit.
» Bei der Wahl 1954 wurde SPD-Mitglied Alfred Weber – gegen seinen Willen – von der KPD vorgeschlagen. Er erhielt 12 Stimmen. Zu den Kandidaten gehörte auch Konrad Adenauer, er erhielt eine Stimme. Wiedergewählt wurde Theodor Heuss mit 85,6 Prozent der Stimmen – das beste Ergebnis bisher. Er war damit sogar besser als Richard von Weizsäcker, der 1984 ohne Gegenkandidaten mit 84,9 Prozent wiedergewählt wurde.
» 1959 wurde Heinrich Lübke zum Bundespräsidenten gewählt – im zweiten Wahlgang. Zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang hatte es dabei keine Änderungen der Kandidatenlage gegeben, es gab jeweils drei Kandidaten (neben Lübke noch Carlo Schmid (SPD) und Max Becker (FDP)). Identisch war das Szenario 1999: Johannes Rau wurde im zweiten Wahlgang zum Bundespräsidenten gewählt (gegen Dagmar Schipanski und Uta Ranke-Heinemann).
» Obwohl es 1969 nur zwei Kandidaten gab (Gustav Heinemann (SPD, vorgeschlagen von SPD und FDP) und Gerhard Schröder (CDU, vorgeschlagen von CDU und CSU)), waren trotzdem drei Wahlgänge nötig. Aufgrund von Enthaltungen, ungültigen und nicht abgegebenen Stimmen hatte zunächst keiner der beiden Kandidaten die nötige absolute Mehrheit der Mitglieder der Versammlung erreicht. Auch im dritten Wahlgang erreichte Heinemann nur 49,4 Prozent der Stimmen – ab diesem Wahlgang reicht allerdings die einfache Mehrheit.
» Richard von Weizsäcker und Johannes Rau unterlagen zunächst bei Bundesversammlungen (von Weizsäcker 1974 gegen Walter Scheel, Johannes Rau 1994 gegen Roman Herzog), um dann von einer späteren Bundesversammlung (1984 bzw. 1999) gewählt zu werden.

 

Mit halber Kraft ins Europaparlament

Stelle dir vor, es ist Wahl – und kaum einer bekommt es mit. Dies ist aus demokratietheoretischer wie politikpraktischer Sicht ein Horrorszenario. Schließlich sollten Wahlkämpfe nicht nur möglichst viele Wähler mobilisieren, sondern vor allem zur kollektiven Selbst-Verständigung und zum Austausch zwischen den politischen Eliten und dem Volk beitragen.

In diesem Licht betrachtet muss den deutschen Parteien für den vergangenen Europawahlkampf ein schlechtes Zeugnis ausgestellt werden. Schließlich nahm nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten an der Wahl teil (siehe hierzu auch die früheren Beiträge zu diesem Thema), vor allem fühlte sich aber die Mehrheit der Bürger (und vor allem der Nichtwähler) nicht ausreichend über die Wahl informiert und verfolgte auch in deutlich geringerem Maße die Berichterstattung über den Wahlkampf als bei der Bundestagswahl 2002 (vgl. Abbildung 1): 69 Prozent der Deutschen haben anlässlich der Bundestagswahl 2005 Berichte dazu im Fernsehen gesehen, anlässlich der Europawahl 2004 waren es nur 33 Prozent.

Abbildung 1: Wahlkampfinvolvierung im Vergleich

Zurückzuführen ist diese geringe Wahlkampfinvolvierung der Bürger zunächst auf eine bestenfalls als „flüchtig“ zu bezeichnende Wahlkampfberichterstattung: So bezogen sich, nach Auswertungen des Medien Tenors, im Wahljahr 2004 nur zwei Prozent der Nachrichtenbeiträge der sieben großen Fernsehanstalten und der überregionalen Printmedien auf die EU-Wahl – also nur jeder 50ste Beitrag. Damit rangierte Deutschland nicht nur EU-weit an letzter Stelle, sondern das Ausmaß der Berichterstattung lag deutlich unter der Wahrnehmungs- und Erinnerungsschwelle von durchschnittlich an EU-Politik interessierten Bürgern.

Die Berichterstattung selbst und der Gesprächsstoff, der den meisten Bürgern 2004 fehlte, reflektierten jedoch nicht zuletzt in hohem Maße die kommunikativen Stimuli, die die Parteien damals (wie auch bei vorangegangenen Europawahlkämpfen) kaum boten. So verdeutlichte eine vergleichende Analyse der Parteienkampagnen zur Europawahl 2004 und zur Bundestagswahl 2005 das Ausmaß der „Nebensächlichkeit“, mit denen die politischen Kontrahenten die EU-Wahl bestritten.* Diese hatte ihren Ursprung in einer finanziellen Unterausstattung: So füllten die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien 2004 ihre Wahlkampfkassen gerade einmal halb so voll wie zur darauf folgenden Bundestagswahl (29 Mio. vs. 62 Mio. Euro). Nur der FDP gelang es damals, mit einer auf ihre Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin zugespitzten Kampagne überdurchschnittliche Medienresonanz zu erzielen. Ansonsten galt für die Parteien 2004 anscheinend das Motto „Mit halber Kraft voraus!“.

Abbildung 2: Wahlkampfbudgets im Vergleich

Allein, der Europawahlkampf 2009 lässt diesbezüglich auf keine Trendwende hoffen. Eingebettet zwischen Bundespräsidenten- und (ressourcenschluckender) Bundestagswahl, in einer Zeit, in der die nationalen Folgen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise die Agenda bestimmen, konnten die Parteienkampagnen und die Medienberichterstattung über die anstehende EU-Wahl bislang nicht mehr als ein Hintergrundrauschen auslösen. So scheint sich rund zwei Wochen vor dem Wahltag das bekannte Szenario zu wiederholen: Stell dir vor, es ist (EU-)Wahl, und keiner bekommt es mit.

* Tenscher, Jens (2007): Professionalisierung nach Wahl. Ein Vergleich der Parteienkampagnen im Rahmen der jüngsten Bundestags- und Europawahlkämpfe in Deutschland. In: Brettschneider, Frank/Niedermayer, Oskar/Weßels, Bernhard (Hg.): Die Bundestagswahl 2005. Analysen des Wahlkampfes und der Wahlergebnisse. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 65-95.

 

Orientierung im Nebel

Europapolitik ist uninteressant? Die Parteien unterscheiden sich nicht? Abgesehen von einigen undurchsichtigen Regulierungen steht nichts auf dem Spiel? Diesen Vorurteilen möchte die Bundeszentrale für politische Bildung begegnen und ein sehr erfolgreiches Online-Instrument ist der „Wahl-O-Mat“: Anhand von kurzen und prägnanten Thesen können die Nutzer ihre politischen Positionen mit denen der Parteien vergleichen. Eine lautet beispielsweise: „In der EU sollen keine gentechnisch veränderten Lebensmittel produziert werden“, die Antwortmöglichkeiten sind stets „stimme zu“, „neutral“ und „stimme nicht zu“.

Der Thesenkatalog wird zunächst jeder Partei, die zur Wahl steht, zugeschickt. Anschließend können die Nutzer des Wahl-O-Mat zu ausgewählten Fragen Stellung nehmen und prüfen, welchen Parteien sie besonders nahe stehen. Allerdings möchte der Wahl-O-Mat nicht als Hilfe für die Wahlentscheidung verstanden werden. Vielmehr geht es darum, potenzielle Wähler zum Nachdenken und somit zur selbständigen Meinungsbildung anzuregen.

Der erste Wahl-O-Mat wurde zur Bundestagswahl 2002 gestartet, zur Europawahl 2009 ist nun seit gut einer Woche die elfte Auflage online. Die bisher erfolgreichste Version (zur Bundestagswahl 2005) wurde insgesamt 5,1 Millionen Mal genutzt – der Wahl-O-Mat ist also durchaus ein ernst zu nehmender Faktor im politischen Geschehen. Und angesichts der seither stetig steigenden Internetnutzung und renommierter Medienpartner darf für 2009 wohl mit neuen Rekordergebnissen gerechnet werden.

Zunächst sind Anfang Juni Europawahlen – und die haben in Deutschland ein Imageproblem. Dies zeigt nicht zuletzt die niedrige Wahlbeteiligung, über deren Ursachen auch in diesem Blog bereits diskutiert wurde. Für manche Kommentatoren ist das Fernbleiben von den Urnen schlichtweg rational, da sich die Parteien in den Augen der Wähler nicht deutlich unterscheiden. Ist dem aber wirklich so?

Zu dieser Frage kann die Entstehungsgeschichte des aktuellen Wahl-O-Mat Erkenntnisse beitragen: Die Redaktion hat in Zusammenarbeit mit Experten einen Katalog von ursprünglich 86 Thesen entwickelt. Davon konnten aber 48 nicht in die Auswertung aufgenommen werden, da sie nicht trennscharf waren und/oder von den befragten Parteien nicht unterschiedlich beantwortet wurden. Die sieben Parteien, die sich Hoffnungen auf den Einzug in Europäische Parlament machen dürfen (CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke und die Freien Wähler) stimmen in drei der verbleibenden 38 Fragen überein. In weiteren sechs Fällen gibt es keinen echten Konflikt, da manche Parteien eine neutrale Position haben, während die übrigen einer Meinung sind. Wirkliche Kontroversen gibt es somit also nur in 29 von ursprünglich 86 Fragen. Betrachtet man nur die beiden großen Parteien, CDU und SPD, so zeigt sich noch einmal deutlich mehr Übereinstimmung: In 19 der 38 Thesen stimmen sie überein, in acht weiteren hat eine der beiden Parteien eine neutrale Position. So bleiben am Ende nur elf wirkliche Kontroversen – von anfangs über 80 möglichen.

Was sagen diese Zahlen? Zunächst zeigt sich, dass die Parteien tatsächlich keine grundverschiedenen europäischen Kurse verfolgen – das war aber auch nicht zu erwarten. Jenseits der Übereinstimmungen bleibt aber eine Anzahl kontroverser Themen: Gentechnik, Agrarsubventionen, Atomkraft und Mindestlohn gehören dazu. Es gibt also eine recht übersichtliche Menge von Themen, in denen sich die Parteien deutlich unterscheiden, und jedes einzelne hat es in sich. Emotionalisierende Themen gepaart mit einer grundsätzlichen Übersichtlichkeit – eigentlich wären das ideale Voraussetzungen für einen spannenden Wahlkampf und eine hohe Wahlbeteiligung…

 

Follower = Fans?

Die CDU hat soeben stolz gemeldet: „Die Sympathiewerte für Angela Merkel brechen immer neue Rekorde. Bereits 39.039 Menschen unterstützen die Vorsitzende der CDU Deutschlands im Internet.“ So viele „Freunde“ und „Fans“ nämlich habe die Kanzlerin bei StudiVZ und bei Facebook.

Super! Offenbart allerdings eine interessante Interpretation des Prinzips „follower“. Denn die Zahl meint nicht Menschen, die eine Liste unterschrieben haben, auf der irgendetwas in Richtung „Ich-find-Angela-toll“ stand. Auch wenn bei StudiVZ steht, „xxx Leute finden Angela Merkel gut“.

Die Zahl meint, 39.039 Menschen interessieren sich für Angela Merkel und was sie im Internet zu sagen hat. Sie wollen darüber auf dem Laufenden bleiben. Mehr nicht.

Merkel selbst scheint das im Gegensatz zu ihrem PR-Team verstanden zu haben. Immerhin rief sie in „einer persönlichen Mail“ an ihre StudiVZ-Follower dazu auf, dem „teAM Deutschland“ beizutreten und sie so aktiv im Wahlkampf zu unterstützen. Das werden sehr viel weniger machen als die 39.039 angeblichen Fans. Versprochen.