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Islamistischer Kulturkampf in Ägypten?

Die Tatsache, dass das islamistische Lager bei den Wahlen in Ägypten einen Zweidrittelsieg davonzutragen scheint, ist für alle Beobachter (innen wie außen) frappierend. Mit einem so eindeutigen Ergebnis hatte kaum jemand gerechnet. Die Muslimbrüder würden sehr gut abschneiden, das war klar. Aber dass die Salafisten auch derartig abräumen würden, hatten die wenigsten auf der Rechnung.

Nun sind zwei wichtige Fragen zu klären: Gibt es ein islamistisches „Lager“ – und ist das Ergebnis tasächlich so eindeutig? Mit anderen Worten: Um welche Art von Mandat des Wählers handelt es sich? Beziehungsweise: Wie werden die siegreichen Parteien es auslegen?

Die Muslimbruderschaft steht vor einer Wahl, die sie sich so wohl auch nicht vorgestellt hatte. Man war darauf eingestellt, nun endlich den Lohn für Jahrzehnte der Untergrundarbeit einzuheimsen und den Sieg über die verhassten Säkularen einzufahren. Das ist zwar einerseits gelungen, aber die Freude ist getrübt durch das erfolgreiche Abschneiden der Salafisten, die die MB gesellschaftspolitisch locker in allen Belangen rechts überholen. Die MB wird also überhaupt keine Zeit haben, sich als konservativer Anker der islamischen ägyptischen Gesellschaft zu profilieren. Sie wird sich von Anfang an als Partei der Mitte profilieren müssen – analog zu den konservativen christlichen Parteien Europas.

Oder: Sie macht gemeinsame Sache mit den Salafisten und rückt entschieden nach extrem rechts. Das würde aber möglicherweise ihre Stellung als Partei der konservativen Aufsteiger gefährden (der Ärzte, Ingenieure und Studenten), die schon aus eigenem wirtschaftlichem Interesse keine Isolation Ägyptens im Zeichen der langen Bärte und Pumphosen wünschen.

Wie sich die MB entscheidet (und ob sie das tut), wird die eigentliche Zukunftsfrage Ägyptens werden. Das gute Abschneiden der Extremisten zu ihrer Rechten ist für die Muslimbrüder jedenfalls eine hoch ambivalente Angelegenheit. Einerseits bestätigt es das eigene Weltbild von Ägypten als einem zutiefst islamisch geprägten Land. Andererseits zwingt es die MB zur Präzisierung ihrer politischen Vorstellungen im Kontrast zum Salafismus – und nicht zu denen der säkularen Kräfte, wie man es gewohnt war. Das kann unangenehm werden, denn nichts scheut man unter islamistischen Brüdern so sehr wie eine offene Debatte über den rechten Weg.

Einen Vorgeschmack kommender Kulturkämpfe im islamistischen Lager liefern die Vorgänge um die selbst ernannte religiöse Sittenpolizei junger Salafisten. Diese Komitees, die sich an den saudischen Moralwächtern orientieren, haben begonnen, Inhaber von Geschäften zu terrorisieren. Natürlich geht es gegen den Verkauf von Alkohol, gegen Glücksspiel und dergleichen. Aber auch Schönheitssalons sind schon ins Visier der Bärtigen geraten. In der Stadt Benha im Nildelta ist eine Truppe von Sittenwächtern von den Frauen verprügelt worden, wie Bikyamasr berichtet:

„when they burst into a beauty salon in the Nile delta town of Benha this week and ordered the women inside to stop what they were doing or face physical punishment, the women struck back, whipping them with their own canes before kicking them out to the street in front of an astonished crowd of onlookers. (…)

In addition to invading shops, the ‚morality police‘ also smashed Christmas trees and decorations in front of stores and malls, declaring the celebration of Christmas ‚haram‘ or forbidden. Salafi sheiks have also banned the sending of Christmas greetings, prompting the more moderate Muslim Brotherhood to broadcast messages of Christmas cheer to their Christian brethren.“

Eine interessante Situation ergibt sich daraus auch für die Al-Azhar-Universität, die vom ägyptischen Staat kooptierte und kontrollierte, viel zitierte „höchste sunnitische Autorität“. Genau wie die MB muss sie nun eine Haltung zu den Salafisten finden, die sich anschicken, den reinen Islam nach ihrem Verständnis mit Straßenterror und Einschüchterung per Bambusrute durchzusetzen.

„Sunni sheiks from Cairo’s respected Al Azhar mosque and university called an emergency meeting January 4 to discuss the problem, and declared that the Salafi morality police had no legitimate or legal authority on the street, according to Ahramonline.

Two days later, Egyptian former mufti Nasr Farid who was once responsible for issuing religious edicts or fatwas based on Sharia law agreed, stating that the young vigilantes were usurping state authority and did not have the jurisdiction to impose their concept of religious law.

In response, the group pointed to the al Nour party’s recent election triumph in which they won nearly 30 percent of parliament seats, as giving them a mandate to enforce Sharia law. They claimed they not only had the backing of members of Al Nour’s leadership council, but that al Nour leadership had in fact provided the funding to mobilize young volunteers.

The Al Nour party’s Facebook page however denied financing the group.

In a desperate effort to gain control of their public message, Al Nour party officials have tried to control the actions of their followers and silence individual Salafi sheiks, like Abdel Moneim el Shahat in conservative Alexandria, who has suggested covering the “obscene” figures on Egypt’s ancient monuments with wax.

The young members of the morality police held their first meeting this week, according to a report in the Al Masry Al Youm newspaper, ‚to determine the tasks and geographical jurisdictions of the first volunteers, who would monitor people’s behavior in the street and assess whether they contradicted God’s laws. Volunteers would wear white cloaks and hold bamboo canes to beat violators and later would be provided with electric tasers‘.“

Wie auch immer der Machtkampf im islamischen Lager ausgeht, eines scheint fest zu stehen: Für Ägyptens Frauen, für religiöse Minderheiten und säkular gesinnte Bürger kommen harte Zeiten.

 

Freiheit für den ägyptischen Blogger Maikel Nabil!

 

Brutale Gewalt gegen Demonstranten in Kairo

Kristin Jankowski, freie Mitarbeiterin des Goethe-Instituts in Kairo, schickt mir soeben folgenden Bericht von den Ausschreitungen in der ägyptischen Hauptstadt:

Die Blutspur zieht sich über den Tahrir-Platz. Es ist das Blut eines Demonstranten, der bei den gewalttätigen Ausschreitungen mit den ägyptischen Sicherheitskräften ums Leben kam. Am vergangen Freitagmorgen wurde ein Sitzstreik vor dem Parlament von der Polizei brutal aufgelöst. Seitdem zeigt das ägyptische Regime, wie es mit denjenigen umgeht, die eine zivile Regierung und Freiheit in ihrem eigenen Land fordern.
Es wird mit Schlagstöcken auf wehrlose Frauen eingeschlagen, es wird mit Stiefeln auf Demonstranten eingetreten, die bereits verletzt am Boden liegen. Es werden Straßenkinder festgenommen und geschlagen. Es wird scharf geschossen. Es sind Bilder, die nicht nur Gänsehaut und Schauer erregen. Es sind Bilder, die Tränen in die Augen treiben.

In diesem Video sieht man die ungeheure Brutalität der Sicherheitskräfte.

Am vergangen Freitag standen Männer in ziviler Kleidung und Soldaten auf dem Dach des Parlaments. Sie hatten mit Steinen und Glas auf die Demonstranten geworfen, die unter ihnen auf der Straße standen. Auf Fotos ist zu sehen, wie diese Männer lachen und johlen, während sie wehrlose Menschen verletzten und töten. Die Demonstranten trugen Helme, schützten sich mit herbei getragenden Gegenständen, die sie vor ihre Körper hielten. Es flogen sogar Molotov-Cocktails von den Dächern. Die Demonstranten, meist junge Männer oder sogar Kinder, warfen zurück, versuchten das Parlament anzuzünden. Auf der Straße tobte die Wut gegen die Militärregierung, die seit dem Rücktritt von Hosni Mubarak am 11. Februar 2011 die Macht über das Land am Nil besitzt.

„Ich wurde festgenommen, als die Polizei heute morgen den Sitzstreik auflöste“, sagte eine junge Demonstrantin am Nachmittag. Ihre schwarze Wimperntusche war verschmiert, ihre Augen weit aufgerissen. „Sie haben mich immer wieder in den Bauch und in den Unterleib geschlagen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich schwanger bin. Ich hatte gehofft, dass sie aufhören werden.“ Sie schnappte nach Luft. „Aber dann haben sie weiter auf mich eingedroschen. Immer mehr in den Unterleib. Sie haben mich schwer beschimpft. Schlampe, haben sie zu mir gesagt.“

Sie lächelte:„ Aber es geht mir gut. Ich stehe ja wieder hier.“ Dann verschwand sie in der Menschenmenge.

„Kommt doch runter“, rief ein junger Demonstrant den Männern auf dem Dach zu. Und winkte. „Kommt runter, damit wir euch endlich töten können.“ Er war aufgebracht, winkte ständig mit den Händen. Er nahm einen Stein und versuchte auf das Dach zu zielen. Aber es war zu hoch.

Immer wieder brachen einige Demonstranten zusammen, die von den Steinen oder von dem Glas getroffen wurden, die von oben runterflogen.
In Eile und Panik wurden sie davon getragen und zu dem Lazarett getragen, das sich in der Seitenstraße befand.
Auf den Wolldecken lagen meist Männer mit schweren Kopfverletzungen. Blutend. Weinend. Zitternd. Und schimpfend.

In den Abendstunden versammelten sich immer mehr Menschen auf dem Tahrir-Platz. Es roch nach Feuer. Das Parlament liegt nur einige hundert Meter entfernt. Eine Menschenmasse stand neugierig vor den Ausschreitungen. Sie applaudierten, wenn wieder neue Molotov-Cocktails auf die Sicherheitskräfte geworfen wurde. Das Hass gegen das Regime schien ungehalten zu sein.

„Ich bin am Samstagmittag schon wieder festgenommen worden“, sagte die selbe junge Frau, die am Freitag von den Sicherheitskräften verprügelt wurde. „Sie sind mir hinterher gelaufen. Irgendwann haben sie mich geschnappt. Sie haben mich auf den Boden geworfen“, erzählte sie weiter. Ihr rechter Arm war in einem weißen Verband eingewickelt. Sie humpelte. „Sie haben mir die Kleidung vom Körper gerissen. Ich war nackt. Und dann haben sie mich überall begrapscht und mich geschlagen.“
Es war am späten Samstagabend, als sie von dem Übergriff sprach. „Sie haben mich immer wieder gefragt, warum ich nicht weinen würde. Ich habe diese Hunde einfach nur beschimpft.“

Sie setzte sich auf eine der Verkehrsinseln und zündete sich eine Zigarette an. Auf dem Boden lagen Steine, Glassplitter. Einige Demonstranten hatten eine Barrikade in der Strasse gebaut, die zum Parlament führt. Vor ihnen standen große Betonklötze, die am Morgen herbeitransportiert wurden. Dahinter standen die Sicherheitskräfte.
Sogar Lichter hatten die Demonstranten herbeigebracht, um sie später an den Ampeln zu befestigen.
„Schaut“, rief ein ältere Mann. „Da kommen wieder Molotov-Cocktails.“ Er zeigte auf eine Gruppe von jungen Männern, die sich durch die Menge drängelten. „Die werden sie jetzt gleich über die Mauer auf die Polizei werfen“, sagte er johlend. Und klatschte in die Hände.

Seit den letzten Tagen häufen sich die Bilder von Schwerverletzten. Blutende Schädel, geschwollene Augen. Schussverletzungen. Tote.
Insgesamt hat es mehrere Hunderte Verletzte gegeben. Das ägyptische Gesundheitsministerium behauptet, es hätten bis jetzt 12 Menschen ihr Leben verloren.

In den Morgenstunden des vergangen Montags hatten ägyptische Sicherheitskräfte brutal den Tahrir-Platz geräumt. Es war gegen halb vier Uhr morgens, als sie kamen. Es wurde wieder geschossen. Trotzdem versammelten sich am Montag wieder tausende Menschen in Kairos Stadtmitte. Am Dienstag morgen stürmten die ägyptischen Sicherheitskräfte erneut auf den Tahrir-Platz. Rund zwei Stunden lang waren Schüsse zu hören.

„Sie haben den Bruder meines Freundes getötet“, erzählt ein junger Demonstrant weinend. „Er war so mutig. Sie haben ihm einfach in den Nacken geschossen.“

Die ägyptische Zeitung „Al Shorouk“ zitierte am Montag den General Abdel Moneim Kato. Er sagte, die Demonstranten sollten in „Hitlers Ofen geworfen werden.“

 

Gegen den Mythos vom liberalen Tahrir-Platz

Die Hoffnungen, dass der „arabische Frühling“ zu einer liberalen Demokratie führen könnte, beruhen auf  (Selbst-)Täuschungen westlicher Beobachter, die keine Ahnung von der ägyptischen Realität haben. Davon sind Amr Bargisi und Samuel Tadros überzeugt, die in einem Essay anläßlich der massiven Gewinne der Islamisten das ägyptische Jahr Revue passieren lassen.

Beide sind Mitglieder der „Egyptian Union of Liberal Youth“, einer 2007 gegründeten NGO, die das Bewußtsein für die Philosophie des klassischen Liberalismus, den Rechtsstaat und die Menschenrechte in Ägypten schärfen will. Als Mitgliedern der liberalen Opposition, sagen Bargisi und Tadros, falle es ihnen besonders schwer, diesen Befund zu verkünden, aber die Chancen für eine liberale Ordnung im neuen Ägypten seien sehr schlecht.

When the Egyptian revolution came, we stayed home.

We are young, liberal Egyptian activists who have dedicated our lives to bettering our country. But from the moment in January the crowds took over Tahrir Square calling for President Hosni Mubarak’s ouster, we urged observers, particularly Western idealists already hailing the triumph of the new Egypt, to be cautious. We reminded them of Edmund Burke’s truism: Bringing down a tyrant is far, far easier than forming a free government.

It would be difficult to form such a government, we reasoned, in a society where the elite, with near unanimity, had just explained a series shark attacks in the Sinai as part of a Mossad-coordinated ploy to damage tourism. A free government must be based on universal rights, not least the right to freedom of conscience for all its citizens, and yet a Pew poll from December 2010 showed that 84 percent of the sampled Egyptian Muslims endorsed the death penalty as the appropriate punishment for Muslim apostates. For an entire country to change in one month, we argued throughout February, you need nothing short of magic.

Die Analyse der beiden ist sehr lesenswert, auch wenn sie mach meinem Dafürhalten die naive Euphorie der Beobachter etwas übertreiben. Dass Ägypten ohne Übergang zur liberalen Demokratie werden könnte, hat niemand ernsthaft behauptet. Auch die Möglichkeit, dass etwas ganz anderes daraus werden könnte, war stets präsent – eine offene Militärdiktatur oder ein islamistischer Totalitarismus. Aber sei’s drum. Die beiden Autoren gehen noch ein Stück weiter in ihrer Kritik. Sie halten die Unterstützung der Tahrir-Bewegung grundsätzlich für falsch. Sie glauben zeigen zu können, dass da ein Mythos aufgebaut wurde, der nun dringend zerstört werden müßte:

We must begin by deconstructing the Tahrir mythology. Namely: The Mubarak regime was pure evil; that it was brought down by “liberal” nonviolent activists; and that the Islamists had nothing to do with the revolution and emerged—suddenly—only to hijack it.

The early Tahrir Square crowd was comprised of leftists and various other groups that were in it for different reasons. Consider, for example, the fanatic soccer fans known as the Ultras. Known for engaging in fights with security forces after every Egyptian soccer game, the Ultras would not waste a chance to get back at the police in a much less controlled environment than the Stadium. At Tahrir, they had a major role in attacking the police and destroying the police stations. In the revolution’s aftermath, the Ultras led the mob in the rampage of the Israeli Embassy.

Other than the fact that a few dozen human-rights activists were present in Tahrir, there was nothing remotely liberal about the uprising. But that didn’t stop Western journalists from applying the term: Every Egyptian male without a beard was a John Stuart Mill, every female without a veil a Mary Wollstonecraft. Suddenly, Trotskyites were liberals, and hooligans nonviolent protesters.

The idea that there were no Islamists involved in the revolution is pure nonsense. The Muslim Brotherhood officially declared its decision to join the protests on Jan. 23, and its members were instrumental in the success of the revolution in the subsequent days and weeks. What’s more, over the past decade Islamist groups, particularly the Salafists, have been taking advantage of Egypt’s increasing media and Internet freedom to further influence the political discussion. Wondering where the all these Salafists came from? Go to YouTube, type in any possible Arabic term, from financial investment to marriage counseling, and see the sheer number of results that show a Salafist leader preaching, most often in a clip from the religious satellite channel. The message is always the same: A return to a purer form of Islam guarantees salvation in this life and the next.

Bargisi und Tadros hatten die Hoffnung, durch langfristige Aufklärungsarbeit die Basis für echtes liberales Denken in Ägypten zu verbreitern.

If Egypt was going to have any hope of becoming a liberal democracy, we had to face—and battle—the destructive totalitarian ideals that have taken hold of Egyptian society.

Das ist sehr ehrenwert, aber erstens war das Mubarak-Regime einfach nicht mehr zu halten – ganz egal, wie sich „der Westen“ zu ihm verhielt. Die Vorstellung eines allmählichen Wandels von innen her sind sicher sympathisch. Es gibt auch Beispiele für einen solchen Übergang zur Demokratie nach langen Phasen der Diktatur, wie etwa in Argentinien und Chile. Aber sie standen in Ägypten einfach nicht auf der Tagesordnung. Zweitens kann man nach der Beschreibung der beiden Zweifel haben, ob solch eine Liberalisierung von innen denn eine Chance gehabt hätte angesichts der angeblich nur „wenigen Dutzend“ Liberalen auf dem Tahrir.

Am Ende plädieren die beiden Autoren für eine Unterstützung des Militärs als des einigen Faktors, der das Land noch zusammenhalten und vor dem totalen Chaos bewahren könne. Sie müssen dabei allerdings zugeben, dass das für Liberale eine ziemlich „unangenehme Position“ sei:

the first priority should be defending the very existence of the Egyptian state, now solely represented by the military. This is certainly an awkward position for advocates of limited government, as we are. But if the military falls, nothing will stand between the Egyptians and absolute anarchy.

Sehr wertvoll scheint mir die Warnung vor dem Zweckoptimismus angesichts eines islamistischen Durchmarsches bei den Wahlen: Die Islamisten, einmal an der Regierung, würden schon vernünftig – oder sie würden eben entzaubert und dann nicht mehr wiedergewählt:

Western policy-makers and Egyptians who care about the country’s future should not push too hard for a total face-off between the military and the Islamists, which may develop into a civil war, nor should they seek to weaken the military to the extent that it is totally subdued by the Islamists. Finally, as the Islamists try to transform the legal and economic infrastructure of the country to their benefit, true liberals must be prepared to tackle them on every move, with detailed and convincing programs, not merely rhetorical speeches and empty polemics on talk shows. Islamism offers a coherent worldview; if liberalism cannot rise up to the same level, it will always be doomed to fail.

The gravest danger is for us to fall prey to complacency and believe that an Islamist government will either moderate or fail to deliver, and that the Egyptians will vote for someone else in the next elections. The very possibility of next elections is dependent on our capacity to avoid the total anarchy scenario. And the Islamists are not going to moderate. No matter how pragmatic the Muslim Brotherhood is, they will face a constant challenge by Salafists from the right to adhere a strict standard of religious purity. If the Islamists, now hugely popular, do fail to deliver, genuine liberals must be at the ready to offer voters a clear alternative.

 

 

Warum die Salafisten in Ägypten triumphieren

Während Tunesien kaum ein Jahr nach dem Beginn der Revolte mit Moncef Marzouki  einen ehemaligen Dissidenten, einen säkularen Menschenrechtler als Präsidenten hat, macht Ägypten weiter Sorgen. Mir gefällt Marzoukis Wahlspruch auf seiner Website: „Il est idiot de vouloir changer le monde, mail il est criminel de ne pas l’essayer.“ Hoffen wir, dass er nicht der neue Bazargan wird. Aber bisher sieht es in Tunesien nicht so schlecht aus. Schwer vorstellbar, dass sich dort die ohnehin moderateren Islamisten der Ennahda von Rashid Ghannouchi zu selbstmörderischen Forderungen hinreißen lassen würden, man brauche nun getrennte Strände für Männer und Frauen, ein allgemeines Alkohol- und Bikiniverbot und dergleichen. Für den Tourismus, eine der Lebensadern Tunesiens, wäre das tödlich.

In Ägypten spielen einige der siegreichen Muslimbrüder und noch mehr die Salafisten öffentlich mit solchen Gedanken. Der Rückgang des Tourismus um 35 Prozent im letzten Jahr wird sich fortsetzen, wenn die Verhüllten und die Bärtigen ans Ruder kommen sollten.

Auf dem sehr lesenswerten Blog The Arabist ist ein Bericht von AP dokumentiert, der die Lust von Teilen der MB und der Salafisten an der Kulturrevolution belegt:

 

Islamists are dominating Egypt’s elections and some of them have a new message for tourists: welcome, but no booze, bikinis or mixed bathing at beaches, please.

That vision of turning Egypt into a sin-free vacation spot could spell doom for a key pillar of the economy that has already been badly battered by this year’s political unrest.

„Tourists don’t need to drink alcohol when they come to Egypt; they have plenty at home,“ a veiled Muslim Brotherhood candidate, Azza al-Jarf, told a cheering crowd of supporters on Sunday across the street from the Pyramids.

„They came to see the ancient civilization, not to drink alcohol,“ she said, her voice booming through a set of loudspeakers at a campaign event dubbed „Let’s encourage tourism.“ The crowd chanted, „Tourism will be at its best under Freedom and Justice,“ the Brotherhood’s party and the most influential political group to emerge from the fall of Hosni Mubarak

(…)

Also, clerics like Yasser Bourhami, influential among hard-line Salafis, are presenting ideas for restrictions on tourism. Bourhami calls it „halal tourism,“ using the term for food that is ritually fit under Islamic law.

„A five-star hotel with no alcohol, a beach for women — sisters — separated from men in a bay where the two sides can enjoy a vacation for a week without sins,“ he said in an interview with private television network Dream TV. „The tourist doesn’t have to swim with a bikini and harm our youth.“

A leading member of Al-Nour, Tarek Shalaan, stumbled through a recent TV interview when asked about his views on the display of nude pharaonic statues like those depicting fertility gods.

„The antiquities that we have will be put under a different light to focus on historical events,“ he said, without explaining further.

He also failed to explain whether hotel reception clerks will have to start demanding marriage certificates from couples checking in together.

„Honestly, I don’t know the Shariah position, so I don’t want to give an answer,“ he said.

Nach dem ersten Schock über die Gewinne der MB, vor allem aber der Salafisten, hat die Suche nach den Gründen begonnen. Mir erscheint bisher ein Bericht von David Kirkpatrick in der NYT am überzeugendsten. Kirkpatrick beschreibt die Salafisten als erfolgreiche populistische Partei, die gezielt den Hass auf die liberale und säkularistische Elite schürt, die das Volk vergessen hat oder auf es herabschaut:

But when a few hundred men gathered last week in a narrow, trash-strewn lot between the low cinderblock buildings of this village near Cairo, what they heard from the sheiks, known as Salafis, was a blistering populist attack on the condescension of the liberal Egyptian elite that resonated against other Islamists as well.

“They think that it is them, and only them, who represent and speak for us,” Sheik Shaaban Darwish said through scratchy speakers. “They didn’t come to our streets, didn’t live in our villages, didn’t walk in our hamlets, didn’t wear our clothes, didn’t eat our bread, didn’t drink our polluted water, didn’t live in the sewage we live in and didn’t experience the life of misery and hardship of the people.”

“Brothers,” he continued, “we, the Salafis, the founders of Al Nour Party, were part of the silent majority.”

Die Muslimbrüder sind sehr viel mehr schon eine Mittelstandspartei geworden. Sie repräsentieren Ärzte, Ingenieure, Studenten, Geschäftsleute – lauter Menschen, die etwas zu verlieren oder zu gewinnen haben. Die Salafisten kümmern sich um die Vergessenen.

Kirkpatrick schreibt:

A closer examination of the Salafi campaigns, however, suggests their appeal may have as much to do with anger at the Egyptian elite as with a specific religious agenda. The Salafis are a loose coalition of sheiks, not an organized party with a coherent platform, and Salafi candidates all campaign to apply Islamic law as the Prophet Muhammad did, but they also differ considerably over what that means. Some seek within a few years to carry out punishments like cutting off the hands of thieves, while others say that step should wait for the day when they have redistributed the nation’s wealth so that no Egyptian lacks food or housing.

But alone among the major parties here, the Salafi candidates have embraced the powerful strain of populism that helped rally the public against the crony capitalism of the Mubarak era and seems at times to echo — like the phrase “silent majority” — right-wing movements in the United States and Europe.

“We are talking about the politics of resentment, and it is something that right-wing parties do everywhere,” said Shadi Hamid, director of research at the Brookings Doha Center in Qatar. They have thrived, he said, off the gap between most Egyptians and the elite — including the leadership of the Muslim Brotherhood — both in lifestyle and outlook.

Natan Field schreibt auf The Arabist, er sei nicht sehr überrascht gewesen über den Erfolg der Salafisten. Die populärsten TV-Kanäle seien bereits seit Jahren in den Händen der Salafi-Scheichs gewesen. Auch hätten sie nie die Politik gemieden, wie es die Legende vom salafistischen Quietismus will. Ihr Programm sei immer eminent politisch gewesen, nur nicht im den Termini der Mubarak-Herrschaft und des Widerstands gegen sie. Das macht sie jetzt gerade in der Zeit des Umbruchs so glaubwürdig. Field hält es für einen Fehler der Liberalen zu glauben, die Salafis seien eine fünfte Kolonne Saudi-Arabiens. Gewiß gebe es viele Spenden von dort (Zakat), aber der ägyptische Salafismus sei eine genuin einheimische Grassroots-Bewegung.

Wohin das alles führt, ist schwer zu sagen. Eien regierungsfähige Koalition mit diesen Leuten ist schwer vorstellbar. Sie würde das Land mit Sicherheit in den Abgrund führen, der sich jetzt schon auftut in Form einer drohenden wirtschaftlichen Katastrophe.

Jedenfalls scheint es, als würden die entscheidenden politischen Debatten über die Zukunft der arabischen Revolution zwischen verschiedenen Lagern des Islamismus ausgetragen (und nicht zwischen Säkularen und Religiösen). Hier ein Beispiel dafür, dass dieser Prozess schon begonnen hat. Der einflußreiche islamistische Intellektuelle Fahmi Howeidy schreibt sehr zugespitzt über einen salafistischen Kandidaten, der in Alexandria eine Stichwahl gegen einen Muslimbruder verloren hat, nachdem er zuerst haushoch in Führung gelegen hatte (Übersetzung auf Arabist.net):

 

I do not know Eng. al-Shahat personally, but whenever I heard him or followed him speaking in the media, I felt like he was launching a personal insult at me in my capacity as a researcher concerned with Islamic issues. When I learned of the final tally in the second round of elections in the al-Nuzha electoral district in Alexandria, I said that voters’ aversion to him was a sort of punishment vote against him for the statements he keeps spewing, especially as of late.  This is a story that deserves to be told.

In the first round of the election, Eng. al-Shahat captured about 191,675 votes, while his opponent, the independent lawyer Hosny Duwiedar — who received support from the Muslim Brotherhood — won 144,296 votes. He was known as an extremist ever since his days as a university student. We discovered him when he started appearing on satellite channels, and some newspapers vied with each other to shed light on him due to his perverse views that were considered rich game for those who like to hunt and provoke.

This was most evident when the host of a populist TV show invited him on and barraged him with questions that all focused on his views on people’s private lives, states of dress and undress, the hijab and the niqab, bathing suits, cabarets, alcohol, gambling, entertainment, etc. Our friend responded to all these questions in the negative, to the extent that it seemed like he wanted to overturn everything in society without any gradualism, moderation or compassion. The show’s host did not ask him about anything that concerns the masses like unemployment, education, health or development, but rather confined him to the problems of the elite and the interests of the upper class — which are the interests that most of the media still focuses on at the present time. The man subsequently attacked democracy and declared it to be bid’a, and he went back to talking about growing out beards, closing down banks, and banning bathing suits. We didn’t hear a word from him about what he could accomplish to benefit God’s creation. It was as if he didn’t want to leave the realm of bans and prohibitions, and give people hope in permissible and recommended acts (those which are encouraged or desirable).

Man kann nur hoffen, dass diese Debatten sich fortsetzen. Am Ende wird es nicht die schockierte Reaktion der Weltöffentlichkeit sein, die Ägyptens Islamisten auf einen mittleren Weg führt, wenn denn so etwas denkbar ist. Nur Kritik und Entzauberung von innen her können das leisten.

 

 

Ein islamistisches Ägypten?

Vor 6 Wochen hatte ich hier die These vertreten, dass die arabische Demokratie notwendiger Weise islam(ist)isch wird. Jetzt sehe ich mich vorläufig bestätigt durch das sich abzeichnende Ergebnis der ägyptischen Wahlen.

Etwas mehr bestätigt, als es mir lieb ist, offen gesagt. Nicht nur die sich abzeichnenden 40 Prozent für die Muslimbrüder, vor allem das voraussichtlich gute Abschneiden der Salafisten spricht dafür, dass die Islamisten jetzt in den arabischen Ländern einfach mal dran sind. Sie werden schon allein deshalb gewählt, weil sie die glaubwürdigsten Anti-System-Parteien sind, (noch) unkorrupt (weil sie keinen Zugang zu den Ressourcen hatten), umstrahlt vom Glorienkranz des Märtyrertums in den Zeiten der Diktatur.

Die interessante Frage ist, was passiert, wenn sie nun reale Politik machen sollen. „Der Islam ist die Lösung“ zu rufen ist ja nicht gerade abendfüllend. Und auch das bewährte Gefuchtel mit identitätsstiftenden Leib- und Magenthemen von der Scharia bis zu Israel macht niemanden satt und schafft keinen Job. Was nicht heißt, dass man mit dergleichen keine Chancen auf Mehrheiten hat. Denkbar ist, dass nun gerade die Identitätsthemen in den Vordergrund drängen, dass es ein großes islamistisches Aufwallen gibt – nun, da man endlich am Drücker ist. Für Frauen, für religiöse Minderheiten, für säkular und liberal gesinnte Menschen könnten harte Zeiten anbrechen.

Ed Husain, dessen Buch über seine eigenen Erfahrungen in der islamistischen Szene (Hizb-ut Tahrir, MB) ein Klassiker ist (The Islamist), beobachtet Ägypten mit zunehmender Sorge. Er hat jetzt in einer sehr interessanten Kolumne für die Herald Tribune von seinen Gesprächen mit Muslimbrüdern in Ägypten berichtet:

In coming months, not only in Egypt but in other countries across the region, the war of ideas between liberal secularists and Islamists will rage about their visions for how to succeed the fallen, secular dictatorships. But what does an Islamic state look like? What does it mean in real terms for countries such as Egypt, Libya or Tunisia?

I went to Egypt after the revolution to put these questions to leaders of the Muslim Brotherhood. Many had served prison sentences for their cause. I spoke with old-school hard-liners within the Brotherhood, such as the 83-year-old former leader, Mehdi Akef. I also spoke with the renowned liberal Abdel Moneim Abou el-Fotouh (now an independent presidential candidate in Egypt). I met with younger members of the Brotherhood, and its parliamentarians, such as Mohammad El-Beltagy.

I asked each of them, “What is an Islamic state?” The answers differed widely. For Akef, it was about Shariah becoming state law; for Abou el-Fotouh it was vaguely about social justice; for Beltagy it was responding to the needs of the people. For younger members, it was a liberal state reflective of Islamic values. When pressed, however, none of them could articulate what this new society might look like.

In some ways, this is good news, because it means some Islamists are open to persuasion and influence. In other ways, I thought, it was this very intellectual inconsistency that had led me to leave the Islamic movement; this incoherent and muddled worldview for which they expected me and other members to give their lives. Like Marxists, they had all sorts of criticism of state and society, but when pressed to provide policies for alleviating poverty in Egypt, they had no answers. To my mind, they were clutching at straws, because Islam has no specific prescription for government.

Husain, der sich vom Islamismus losgesagt hat, bleibt bekennender Muslim. Er hat die Vorstellung, dass man Scharia auch anders verstehen kann denn als Umsetzung archaischer Familiengesetze und Strafvorschriften in der heutigen Zeit.

I raised with Abou el-Fotouh the 800-year-old debate within Islam about what are called the maqasid, or aims, of the Shariah, which are to preserve life, property, religious freedom, family and knowledge. The Shariah is not about stoning and killing, I argued, but about the preservation of these five things. (…)

What stops today’s Arab Islamists from taking this approach to an Islamic state instead of advocating outdated, cruel punishments and the denial of rights to women?

I know from my time inside the Muslim Brotherhood that it spent five decades trying to survive, to escape the crackdowns of military dictatorships in the Arab world. Its members have not had the time and leisure to develop in the real world. Where they have — for example in Turkey — they have tended to become centrists and realists.

Nun ist die Lage in Ägypten aber anders als in der Türkei. Die Türkei hat ein Militär, das sich als Hüter der Republik versteht (selbst bei seinen Putschen) und sich zugunsten der zivilen Herrschaft zurückzuziehen bereit war. Die Modernität der Türkei beruht auf der Modernisierung und Säkularisierung von oben durch das Militär sowie auf der ökonomischen Liberalisierung in Kombination mit behutsamer Re-Islamisierung, beginnend unter dem Ministerpräsidenten Turgut Özal. Die AKP Erdogans hat die Früchte dieser Reformpolitik geerntet und diese Politik fortgesetzt. Es gab schon ein türkisches Erfolgsmodell, als die islamisch geprägte AKP an die Macht kam. Sie hat, auch unter dem Sog der EU-Beitrittsperspektive, den Özalschen Modernisierungskurs beibehalten und forciert. Das Militär ließ sich, wenn auch der „tiefe Staat“ weiter dagegenhält, mehr und mehr zurückdrängen.

Ägypten hat kein bereits erfolgreiches Modernisierungsmodell, das die Islamisten variieren könnten. Das Militär ist Teil der Kleptokratie, mit enormen wirtschaftlichen Interessen. Die ägyptischen Islamisten sind in weiten Teilen wesentlich radikaler als die türkischen, bei denen auch diverse Sufi-Orden eine große Rolle spielen. Einen „islamischen Calvinismus“, wie er bei vielen Unternehmern in der Türkei gegeben ist, sucht man in Ägypten vergebens. Und nun sind die Muslimbrüder auch noch durch die erstaunlich starken Salafisten von rechts her getrieben. Das macht es in meinen Augen eher unwahrscheinlich, dass wir in absehbarer Zeit eine starke Wirkung des türkischen Modells auf die ägyptischen Islamisten erwarten können.

Dennoch sollte gerade diese Entwicklung ein Mahnruf sein – auch an die deutsche Politik -, zu erkennen, welch eine Chance darin liegt, dass die Türkei ein erfolgreiches Modell der Versöhnung von islamisch geprägter Politik und säkularer Demokratie ist. Bei allen beunruhigenden Entwicklungen in der Türkei (Verhaftungen von Journalisten, Kujonierung von unliebsamen Verlagen): Der Westen braucht eine offensive und aktive Türkeipolitik jenseits der leidigen Beitrittsfrage. Zum Glück beginnen das in der CDU langsam auch jene Außenpolitiker zu kapieren, die einem EU-Beitritt nach wie vor skeptisch gegenüberstehen. Die Türkei macht Druck auf Syrien, die Türkei wendet sich von Iran ab (s. Raketenabwehr), sie ist ein wichtiger Spieler in der arabischen Welt und ein Wachstumsmotor der Region. Gegenüber den Bärtigen, die jetzt in Arabien an die Macht drängen, ist sie ein Beispiel dafür, dass auch ein mittlerer Weg möglich ist.

Husain schreibt:

With time, the Islamists, too, can be steered toward a Turkey-style combination of Islam and secular democracy.

Die Frage ist nur, wieviel Zeit hat Ägypten?

 

 

 

Tahrir in Berlin

Deutsche Ägypter unterstützen die Demokratiebewegung

(Wer einen bekannten Autor erkennt, bekommt 100 Punkte.)

 

Mona Eltahawy misshandelt von der ägyptischen Polizei

Mona Eltahawy, eine meiner Heldinnen auf diesem Blog seit vielen Jahren, ist in Kairo brutal von der Polizei misshandelt worden. Sie wurde bei den Demonstrationen am Tahrir-Platz von Polizisten aufgegriffen, auf eine Wache verbracht, dort geschlagen und sexuell belästigt.

Das Ergebnis sieht man auf diesen Twitter-Bild: eine gebrochene Hand und ein gebrochener Arm. 

Mona Eltahawy, gestern in Kairo (in einem T-Shirt von Sandmonkey)   Foto: TWITTER

Weil Mona Eltahawy während ihrer gesamten Zeit in Kairo stets getwittert hat, konnte ihren Freunden auffallen, dass irgendetwas nicht stimmte. Erst setzten die Tweets aus, dann kamen sie von anderen Accounts aus. Monas Schwester schlug Alarm, sie befürchtete, dass der Account gehackt worden war. Aber irgendwie war es Eltahawy gelungen, mit Hilfe von anderen weiter Botschaften aus der Haft zu schicken.

Am Donnerstag morgen kam dann die Erleichterung. Mona Eltahawy twitterte: „I am free.“

Der Guardian fasst die Ereignisse zusammen:
Eltahawy was arrested on Wednesday night near Mohamed Mahmoud Street, the narrow street near Tahrir that has been the scene of some of the worst clashes between protesters and security forces.
Around 11pm GMT she wrote: „Pitch black, only flashing ambulance lights and air thick with gas.“
She then described the violence occurring around the gates of the American University in Cairo. „Can’t believe it. A cacophony of sirens, horns, flashing ambulance lights.“
In a penultimate tweet, she appeared to write „Beaten arrested in interior ministry.“
A series of dramatic tweets on Thursday morning began with the words: „I am free.“ A few minutes later she reported: „12 hours with interior ministry bastards and military intelligence combined. Can barely type – must go xray arms after CSF pigs beat me.“
As she would discover later, they had broken her left hand and her right arm, leaving one hand so badly swollen she could not close it.
Eltahawy continued: „Five or six surrounded me, groped and prodded my breasts, grabbed my genital area and I lost count of how many hands tried to get into my trousers. Yes, sexual assault. I’m so used to saying harassment but [they] assaulted me.“

Es scheint eine Rolle gespielt zu haben, dass Eltahawy neben der ägyptischen auch die amerikanische Staatsangehörigkeit besitzt. Als ihr amerikanischer Pass auffiel, ließen die Beamten ab von ihr.
Man kann sich entsprechend vorstellen, was mit einheimischen Frauen passiert, die den Sicherheitskräften in die Hände fallen. Sexuelle Belästigung als Mittel der politischen Repression ist spätestens seit den so genannten „Jungfrauentests“ bekannt, bei denen Demonstrantinnen im Frühjahr von Sicherheitskräften misshandelt worden waren. Mona Eltahawy gehört zu den international bekanntesten Kritikerinnen dieser besonders perfiden Form von Übergriffen.
Hier ein Clip von ihr aus dem Frühjahr als Gast bei Bill Maher:

 

CR-Gas gegen Demonstranten: Ärzte vom Tahrir-Platz erheben schwere Vorwürfe

Ein zweiter Augenzeugenbericht von Kristin Jankowski aus Kairo:

„Er spricht nicht“, sagt die junge Ärztin Hend Khattab. Vor ihr sitzt ein Mann, eingewickelt in eine Wolldecke. „Er hat einen Schock“, spricht die 26-Jährige weiter. Er verdreht die Augen, zittert. Hend Khattab zählt zu den Ärzten, die die verwundeten Demonstranten in dem Stadtzentrum in Kairo versorgen. Die Omar Makram Moschee, die sich hinter dem Tahrir-Platz befindet, wurde zu einem Lazarett umgebaut. An der Wand stehen acht Liegen. Am Ende des Raumes liegen Handschuhe, Spritzen, Flaschen. Medikamente. Sogar kleine Milchpakete und Schokolade. „Das sind alles Spenden“, erklärt die Ärztin Nermeen Refaat Ayad. Sie trägt eine Atemschutzmaske um den Hals. „Ich habe schon fünf Männer sterben gesehen. Jeden Tag kommen rund 500 Patienten zu uns.“

Plötzlich wird das Zittern des jungen Mannes, der vor den beiden Ärztinnen sitzt, immer stärker. Er schließt die Augen. Seine Beine schlagen gegeneinander. Ärzte kommen hastig angelaufen, greifen ihn und tragen ihn zu einer Liege. Sie drehen ihn zur Seite, hauen ihm auf den Rücken. Er bekommt eine Injektion. „Das kommt von dem Tränengas“, kommentiert Hend Khattab und schüttelt den Kopf. „Wir bezahlen gerade den Preis dafür, dass wir 30 Jahre lang leise waren. Und das Regime einfach akzeptiert haben.“

Nermeen Refaat Ayad zieht Hend Khattab am Ärmel: „Wir gehen jetzt.“
Gemeinsam mit zwei weiteren Ärzten verlassen die beiden Frauen das Lazarett. Sie tragen Atemschutzmasken, Schutzbrillen, Helme, weiße Handschuhe.

Hend Khattab und Kristin Jankowski gestern abend in Kairo  Foto: privat

 

Ahmed Khattab, der Cousin der Ärztin Hend Khattab, folgt ihnen. Er sammelt Spenden für das Lazarett. Nun begleitet er das Team zu den Ausschreitungen in den Seitenstraßen. Der Ingenieur ist müde. Er hatte die Nacht zuvor nicht geschlafen. „Und ich muss heute Nacht noch weitere Spenden abholen“, sagt Ahmed Khattab. Das Team geht durch die Massen auf dem Tahrir-Platz. Sie stoppen an einem weiteren Lazarett, das sich am Rande des Platzes befindet. Sie tauschen sich mit ihren Kollegen aus.

Nur einige Meter weiter reiben sich die Menschen die Augen. Sie husten, beugen sich nach vorne. Tränengasangriff. Einige der Demonstranten fallen einfach in sich zusammen. Hend Khattab und Nermeen Refaat Ayad atmen durch die Atemschutzmasken. Ihre Augen sind trotz Schutzbrille gerötet. Starkes Husten ist zu hören. „Das ist der Horror“, sagt Hend Khattab.

Das Team macht sich auf den Weg zu den Ausschreitungen am Falaky-Platz. Am Straßenrand befindet sich Müll, kleine Feuer sind gelegt. „Wir gehen direkt zu den Ausschreitungen“, fordert Nermeen Refaat Ayad das Team auf.
Sie gehen in die enge und dunkle Straße hinein. Nur einige Meter weiter stehen die ägyptischen Sicherheitskräfte. Auf der Straße werfen Demonstranten mit Steinen. Molotowcocktails.

Die Polizei verschießt Tränengas. Die jungen Ärzte stellen sich schützend an den Rand. Doch die Wirkungen sind zu intensiv. Sie müssen fliehen, drängen sich durch die Menge, halten sich die Atemschutzmasken dicht an den Mund. Sie rennen davon, da das Atmen kaum möglich ist. Herzrasen.

Nach rund 300 Metern können sie endlich stehen bleiben, nehmen sich die Masken vom Gesicht und atmen tief ein. „Das ist CR-Gas„, sagt Nermeen Refaat Ayad. „Das wird auch als chemische Waffe eingesetzt“, fügt ein junger Arzt aus Alexandria hinzu. „Das Gas ist ganz merkwürdig hier. Wir brauchen unbedingt internationale Beobachter, die das Zeug überprüfen“, fordert Hend Khattab.

Die Ärzte sind bereits wieder auf dem Weg zu den Ausschreitungen. Um die Straßenecke taumelt ihnen ein junger Mann entgegen, er hustet, spuckt auf den Boden. Er wird von Demonstranten gestützt, die Ärzte nehmen ihn entgegen. Er bricht zusammen. Nermeen Refaat dreht den Mann zur Seite, fühlt seinen Puls. Er würgt. „Huste, huste!“ fordert sie ihn auf. Er beginnt an zu zittern. Immer mehr. Dann verliert er das Bewusstsein.
„Motorrad, Motorrad“ ruft die 31-Jährige. Sie dreht sich um. Männer kommen angelaufen. Sie heben ihn auf den Sitz eines Motorrades, das den Bewusstlosen zu einem Lazarett fahren wird.

„Das ist ein Verbrechen!“ sagt Hend Khattab. Und sieht das Motorrad davon fahren.

 

Mut der Verzweiflung auf dem Tahrir-Platz

Diesen Augenzeugenbericht von den heutigen Ereignissen auf dem Tahrir-Platz schickt mir Kristin Jankowski, die in Kairo lebt und arbeitet:

Er beugt sich nach vorne, hustet kräftig. Er spuckt auf den Asphalt. Und hustet noch einmal. Er schaut nach vorne, reibt sich ein Taschentuch über die Augen.

Vor ihm schießen die ägyptischen Sicherheitskräfte mit Tränengas. Ein weiterer Demonstrant kommt hastig anglaufen, greift ihm an die Schulter und reibt ihm Essig ins Gesicht.

Es ist ein Junge, nicht älter als 12 Jahre, der mit den Wirkungen des Tränengases kämpft. Seine Hose ist dreckig, seine Augen stark gerötet. Er lacht kurz auf und rennt wieder davon. Mitten in die Menge hinein. Dort wo gekämpft wird. An die Front. Es ist lebensgefährlich.

Seit Samstag mittag riecht es nach Tränengas in den Straßen von Kairo Downtown. Auf dem Tahrir-Platz sammeln sich immer mehr Menschen. Muslime, Kopten, Atheisten, Liberale ,Linke, Frauen und Männer. Kinder. Mehr Arme als Reiche. Trotz der angeblichen Unterschiede haben sie meist nur eines im Sinn: Den Sturz des Feldmarschalls Hussein Tantway, der nach dem Sturz von Hosni Mubarak das Land am Nil regiert. Gemeinsam mit dem Militärrat.

„Wir haben es satt“, sagt ein junger Mann, der auf einer Wiese eine kurze Pause macht. Seine Augen sind gerötet. „Wir wollen endlich in Freiheit leben. Und wir bleiben so lange hier, bis wir frei sind.“Er sieht optimistisch aus. Trotz des Chaos, das sich nur einige Meter vor ihm abspielt. Ärzte haben ein Lazarett aufgebaut, Decken sind auf dem Boden ausgelegt. Sie tragen weiße Kittel, sie reagieren in Windeseile auf die zahlreichen Verletzten, die angetragen werden. Demonstranten haben sich schützend aufgestellt um den Weg für die Motorräder und Mofas frei zu machen, die die Verletzten von der Front zu den Ärzten bringen. Im Sekundentakt rasen sie hupend durch die Menge. Meist sitzen drei Personen auf dem Sitz. Der Verletzte befindet sich in der Mitte. Oft blutend im Gesicht oder am Kopf. Oder bewusstlos vom Tränengas.

Doch die Gefahr scheint viele Demonstranten nicht abzuhalten gegen die Sicherheitskräfte zu kaempfen. Mit Steinen und Molotov-Cocktails lassen sie ihrer Wut freien Lauf. „Mir ist es egal, ob ich sterbe“ behauptet eine junge Frau. „Die Regierung tritt uns seit Jahren in den Arsch. Nun ist es Zeit, dass wir alle zurücktreten“, sagt sie. Lächelnd.

Und das obwohl sie am Samstag morgen von Sicherheitskräften verprügelt wurde. „Ich hatte sie als Arschlöcher bezeichnet und dann haben sie mich mit ihren Stöcken verdroschen. Aber ich bin stark. Ich kämpfe weiter“.

Nicht nur die politischen Forderungen scheinen die Menschen auf dem Tahrir-Platz derzeit zu vereinen. Es ist ein unbeschreiblicher Mut, der die Demonstranten auf die Strassen treibt. Sie haben von den vergangen Protesten im Januar und Februar gelernt. Diesmal tragen viele von ihnen Taucherbrillen, oder sie haben sich Motorradhelme aufgesetzt um sich vor Tränengas und Gummigeschossen zu schuetzen. Auf dem Tahrir-Platz wird nicht nur Tee und heiße Kartoffeln verkauft, es gibt sogar Atemschutzmasken im Angebot. Die mit einem Schutzfilter gibt es für 10 Pfund. Und die mit zwei Filtern sind für zwanzig Pfund erhältlich.

Es scheint so, als ob sich die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz und den Seitenstraßen auf einen langen Kampf eingestellt haben.

Kristin Jankowski Foto: privat