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„Allgida“ reloaded?

 

„Allgida“: Neonazis demonstrieren in Obergünzburg
„Allgida“: Neonazis demonstrieren in Obergünzburg

Beim ersten Versuch der Etablierung eines Pegida-Ablegers im Allgäu entpuppte sich „Allgida“ dank antifaschistischer Intervention Anfang des Jahres als Rohrkrepierer. Beim zweiten Versuch durch einen selbstständigen Tätowierer als selbsernannter „Division Kempten – Nationaler Widerstand“ war das nicht einmal nötig: Das Projekt „Allgida Kempten“ scheiterte an sich selbst und sagte die geplante Versammlung am 2.7. ab. Nazigegner mobilisieren trotzdem weiterhin zur Demonstration „Kein Platz für Rassimus“ an diesem Tag. Nun wollen es die Initiatoren der ersten „Allgida“ nochmal wissen und locken ihr Klientel zu Störaktionen – und kolportieren „schwere Unruhen“ durch gewaltbereite Nazigegner „mit Rohrbomben oder Schusswaffen“.

„Allgida“ 1.0 …

Im Februar mobilisierten Neonazis rund 150 Rechte zu einer unangemeldeten Kundgebung in die südbayerische Provinz Allgäu. Auf dem Marktplatz der Gemeinde Obergünzburg im Landkreis Ostallgäu wurden sie bereits von Antifaschisten erwartet, deren spontante Gegenkundgebung schnell auf etwa 50 Teilnehmer anwuchs. Mit einem Banner mit der Aufschrift „Rassismus aus den Köpfen – Nazis von der Straße jagen!“ stellten die sich dem Aufmarsch der teils bewaffneten und vermummten Neonazis entgegen. Unter den Rechten befanden sich Anhänger von „Voice of Anger“ und der lokalen NPD – aber auch „AfD, AfD, …“ wurde skandiert. Trotzdem der Aufmarsch der „Allgida“ lange im Vorfeld angekündigt wurde, war die Polizei hoffnungslos unterbesetzt. Sie konnte weder die Versammlung auflösen noch Personalien feststellen. So musste sie wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz gegen Unbekannt ermitteln. Offenbar wurde mehrmals der Hitlergruß gezeigt. Zum Schluss wurde gedroht: „Wir kommen wieder!“

Eine Woche später zeigten 1500 Menschen den Rassisten, dass sie in der Marktgemeinde mit 6000 Einwohnern unerwünscht sind und hielten einen „Lichterzug“ unter dem Motto „Hand in Hand für Menschlichkeit“ ab. Ein Vertreter der Bürgerschaft stellte während der Abschlusskundgebung einen Bezug der „Allgida“-Versammlung zum historischen Nationalsozialismus her indem er unterstrich, er wolle sich „klar von Fackelzügen distanzieren, deren Bezug zur Nazizeit unverkennbar ist. Und wir distanzieren uns von den simplen Wahrheiten einiger Schreihälse.“

… als Rohrkrepierer

Ihren zweiten Aufmarksch plante die „Allgida“ offenbar am 12.3. und mobilisierte nach Aitrach im Landkreis Ravensburg. So interpretierten Antifaschisten und die Polizei einen kryptischen Aufruf auf Facebook, der von 600 Teilnehmern phantasierte. Die Polizei, die bereits im Vorfeld stark vertreten war, und etwa 60 Nazigegner „besetzten“ den Ort, die Rassisten ließen sich nicht blicken. Statt dessen behaupteten die Neonazis einen stillen „Fackelmarsch“ durch Aitrang im Landkreis Ostallgäu. Falls dieser stattgefunden haben sollte – wofür nichts spricht – war dieser derart still, dass in Aitrang offenbar kein Mensch Notiz davon nahm.

Einen vorerst letzten letzten Anlauf unternahm die „Allgida“ am 19.3. gegen eine antirassistische Demonstration. „Hand in Hand gegen Rassismus“ demonstrierten etwa 450 Personen am 19.3. durch die Kemptener Innenstadt, „weil jeder Mensch das Recht hat, egal wo er leben möchte leben darf“, wie es eine Teilnehmerin ausdrückte. „Allgida“-Kreise riefen „zur Gegendemo auf!!! […] Wir würden uns über ein zahlreiches erscheinen von euch freuen […] Danke Kameraden“. Gesichtet wurde statt einer Gegendemo nur einer der Aufrufenden.

„Allgida“ 2.0: Alter Wein in neuen Schläuchen

„Allgida Division Kempten“ - Schlagring ©Screenshot
„Allgida Division Kempten“ – Schlagring ©Screenshot

Danach wurde es zunächst still um die Versuche, im Allgäu einen „Pegida“-Ableger zu etablieren – bis sich ein Tätowierer ohne Studio zur „Division Kempten – Nationaler Widerstand“ aufspielte und zunächst für den 25.6., dann für den 2.7. eine Demonstration „Deutsche zu erst Asyl Flut stopen“ ankündigte. Michael Kleemann tritt augenscheinlich seit dem 12.4. öffentlich auf Facebook als „Mobiles Tattoo Studio“ auf. Am 16.5. kündigte er dort eine Demonstration durch Kempten „Gegen die Überfremdung unserer Heimat“ an. Wenige Tage darauf gründete er online seinen eigenen Pegida-Ableger „Allgida Kempten“, der fortan zur Mobilisierung genutzt wurde. Auf selbst veröffentlichten Bildern droht er mit einem Schlagring in seiner geballten Faust vor einer schwarz-weiß-roten Fahne. In den selben Farben werden die Umrisse des des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 in einem Bild zur Demonstration dargestellt. Am Hals trägt der 37-jährige ein Tattoo „Keine Gnade“. Auf Facebook lässt sich nachlesen, dass er sowohl die NPD als auch die AfD mag. Weil „asilanten“ einem alles weg nähmen meint er, „das, das viehzeug ausgerottet gehört heil heil heil“. Damit hat er sich ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingehandelt. Auch wegen anderer Delikte wird gegen ihn ermittelt.

„Allgida Division Kempten“ ©Screenshot
„Allgida Division Kempten“ ©Screenshot

Nachdem der Störungsmelder den neuen Versuch bekannt machte, einen Pegida-Ableger im Allgäu zu gründen, verkündete der Bayerische Verfassungsschutz die Beobachtung der Gruppe. Eine Initiative gegen Rassismus teilte außerdem mit, gegen den rechten Aufmarsch demonstrieren zu wollen. Am 16.6. ließ der als Servicekraft tätige Kleemann dann via Facebook wissen, er trete als „erster Vorstand“ der „Allgida Kempten“ zurück und sagte die Versammlung ab. Er stellte dabei einen Bezug zu den angekündigten Gegenaktivitäten her. Telefonisch gibt Kleemann er zu verstehen, sein Rücktritt sei nur „vorläufig“ und meint, zu den nächsten Stadtratswahlen als „Allgida Kempten“ antreten zu wollen.

„Allgida“ reloaded?

Rechtschreibschwierigkeiten bei einem Anhänger von „Voice of Anger“... ©Screenshot
Rechtschreibschwierigkeiten bei einem Anhänger von „Voice of Anger“… ©Screenshot

... und Kleemann's Studio ©Screenshot
… und Kleemann’s Studio ©Screenshot

Daraufhin wurde die „Allgida“, die ursprünglich nach Obergünzburg mobilisierte online wieder aktiv. Seit dem 22.6. wird dort mit Horrorszenarien gedroht. Man befürchte „Plünderungen“ und „schwere Unruhen“. Nazigegner könnten am 2.7. „mit Rohrbomben oder Schusswaffen in Kempten auftreten.“ Es hätten „diverse Gruppen“ der Rechten ihr Erscheinen angekündigt, darunter: „“German Defence League“, „Identitäre Bewegung Allgäu“, „HoGeSa Ulm / Neu-Ulm“, „Freikorps – JS“, diverse Rocker, PEGIDA-Aktivisten, und natürlich auch Anhänger und Aktivisten diverser bekannter Parteien.“ Gemeint sein dürfte genau jenes Klientel, dass bereits zur ebenso unangemeldeten Versammlung in Obergünzburg erschien. Die Polizei will diesmal allerdings angemessen vorbereitet sein.

„Etz isch g’stuhlet!“

Aufkleber in Kempten „Allgida? Nein danke“ © S. Lipp
Aufkleber in Kempten: „Allgida? Nein danke“ © S. Lipp

Unter dem Motto „Etz isch g’stuhlet! (Hochdeutsch: Es reicht!)“ rufen Antifaschisten weiter zur Demonstration „Kein Platz für Rassismus“ auf. Sollten „Allgidas“ tatsächlich versuchen durch Kempten marschieren, werde man sich ihnen „entschlossen entgegenstellen“. Geplant ist kommenden Samstag eine Demonstration ab 14 Uhr vom August-Fischer-Platz in Kempten abzuhalten.