Zum 30. Todestag von Rudolf Heß riefen Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland zu einer Großdemonstration in Berlin-Spandau auf. Rund 800 Neonazis folgen dem Aufruf, konnten aber wegen mehreren Blockaden nur einen kleinen Teil der Strecke laufen.
Von Ney Sommerfeld
Die Heß-Demonstration sollte zum Standort des ehemaligen Kriegsverbrechergefängnisses in Berlin-Spandau führen, wo Rudolf Heß 50 Jahre inhaftiert war und den Freitod fand. Es fanden sich etwa 800-1000 Neonazis zum Aufmarsch in Spandau ein. Um ein mögliches Verbot der Demonstration zu umgehen, war der Aufmarsch explizit nicht als eine Gedenkveranstaltung angekündigt worden, sondern forderte unter dem Motto „Mord verjährt nicht“ die Herausgabe der Ermittlungsakten um den Tod des Hitler-Stellvertreters. An den vielfältigen Gegenprotest nahmen etwa 2.000 Demonstranten teil.
Huldigung eines NS-Verbrechers
Für die Neonazi-Szene gilt Rudolf Heß als Held, eine Figur mit enormer Symbolkraft und Gegenstand revisionistischer Bestrebungen und Mythen. Vor allem seine ideologische Treue zum NS-Regime ist charakteristisch für die Anziehungskraft seiner Person und die Glorifizierung des Nationalsozialismus über seinen Tod hinaus. Um die Umstände des Ablebens von Rudolf Heß ragen sich Mythen und Verschwörungstheorien. In dem Auflagenbescheid zum 19. August verbot die Versammlungsbehörde jegliche Glorifizierung von Heß. Dennoch stand auf dem Fronttransparent der Demonstration sein berühmter Ausspruch „Ich bereue nichts“, den er in seinem Schlusswort im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess äußerte. Von einem Verbot der Demonstration im Vorfeld sah der Innensenator Andreas Geisel (SPD) ab. Nach sorgfältiger Prüfung sei er der Meinung, dass die freiheitliche-demokratischen Grundordnung „leider auch für Arschlöcher“ gelte, so Geisel im Interview mit dem RBB-Inforadio.
Event für das Parteien- und Kameradschaftsspektrum
Erwartungsgemäß zog der Aufmarsch vor allem das Parteien- und Kameradschaftsspektrum der Szene an. Nur vereinzelt nahmen „Autonome Nationalisten“ an dem Aufmarsch teil. Nach Angaben des Tagesspiegels wurde der Aufzug durch Christian Malcoci aus dem nordrhein-westfälischen Grevenbroich angemeldet. Laut Wikipedia gilt er als einer der „führenden Köpfe der militanten Neonazi-Bewegung in Deutschland und in den Niederlanden“. Zuvor berichtete der Tagesspiegel, dass es sich bei dem Anmelder der Demonstration um Christian Häger handelte. Häger ist Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Mittelrhein und war eine zentrale Figur des ehemaligen Aktionsbüro Mittelrheins. Für seine Aktivitäten im Aktionsbüro war Häger zusammen mit weiteren Neonazis vor dem Landgericht Koblenz wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Weil der vorsitzende Richter in Rente geht, droht der nun fünf Jahre andauernde Prozess zu platzen.
Bereits im Vorfeld zeichnete sich ab, dass die Berliner NPD- und JN-Strukturen für die Durchführung des Aufmarsches die Verantwortung tragen sollten. Am 17. August, also direkt zum Todestag von Rudolf Heß, hielt die Berliner NPD in Zusammenarbeit mit Häger eine Kundgebung mit zwölf Teilnehmern vor der Britischen Botschaft am Pariser Platz ab. Erwartungsgemäß hielt dasselbe Spektrum um die Berliner NPD und JN Strukturen die Heß-Demonstration ab. Führend dabei war der ehemaligen Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke. Weitere Teilnehmer des NPD und JN Spektrums kamen aus dem gesamten Bundesgebiet. Auch Mitglieder der neonazistischen Kleinstpartei DIE RECHTE beteiligten sich an dem Aufzug. Aktivisten des verbotenen Frontbann 24, die in der Berliner Sektion ihre neue Heimat fanden, liefen bei der Demonstration in beinahe kompletter personeller Stärke auf. Obwohl der III. Weg sich im Vorfeld wenig zu dem Event äußerte, nahmen vereinzelt Mitglieder der Kleinstpartei an dem Heß-Aufmarsch teil, wie der Partei-Kader Matthias Fischer, der sich auf der Auftaktkundgebung mit dem NS-Rapper Makss Damage im Gespräch zeigte. Außerdem waren Neonazis aus Österreich, den Niederlanden, Frankreich und Schweden Teilnehmer der Demonstration.
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Blockaden verhindern den Aufmarsch
Bereits eine Stunde vor dem Aufmarsch fanden sich etwas hundert Neonazis am Bahnhof Spandau ein. An dem Zugang zur Demonstration hatte die Berliner Polizei eine Schleuse eingerichtet, um die Teilnehmer einzeln unter anderem nach verbotenen Symbolen zu durchsuchen. Im Vorfeld der Demonstration forderten die Organisatoren die Teilnehmer auf, in weißen Hemden oder T-Shirts zur Demonstration zu erscheinen. Ein großer Teil der Teilnehmer kam der Anweisung nach, viele trugen weiße Solidaritäts-Shirts mit dem Aufmarsch Motto.
Nach mehreren Stunden Verspätung setzt sich der Aufmarsch vom Bahnhof Spandau in Richtung Klosterstraße in Bewegung. Mehrere Blockaden verzögerten den Start der Demonstration. Die Berliner Polizei schaffte es jedoch die Ansammlungen zu räumen, teilweise unter Anwendung von Gewalt. Durch ein aggressives Auftreten und zügigen Schritt versuchte der Neonazi-Aufzug zu Beginn die Journalisten an der Spitze der Demonstration wegzudrängen. Der Aufmarsch kam dann an der ersten Polizeiabsperrung zum Stehen. Grund war die verspätete Anreise sächsischer Neonazis.
Weit kam der Aufmarsch dann nicht. Nach etwa 150 Metern musste der Aufzug erneut stoppen, da Gegendemonstranten die Route in der Klosterstraße versperrten. Immer wieder drangen sie auf die Straße, sodass die Polizei aufgab sie zu räumen. Nach längeren Verhandlungen bot die Einsatzleitung den Neonazis dann eine Alternativ-Route an. Währenddessen wurde die Stimmung auf der Heß-Demonstration zunehmend gereizter. Als sich dann der Aufzug in Richtung Altonaerstraße in Bewegung setzte, eskalierte zeitweise das Geschehen. Wie ein Video des Jüdischen Forums für Demokratie und Menschenrechte dokumentiert, kam es zu kurzen Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Gegendemonstranten. Nach Eingreifen der Polizei beruhigt sich die Lage zunächst. Die Neonazi-Ordner hatten zeitweise Schwierigkeiten, die aufgebrachte Menge zu beruhigen. Aggressiv setzte sich der Aufmarsch dann fort über die Altonaerstraße in Richtung der Spandauer Arkaden über die Brücke in der Ruhlebener Straße. Immer wieder gelangten Gegendemonstranten an die Route, riefen Parolen und verzögerten den Aufzug. Nach einer Runde über die Havelbrücke machte die Demonstration dann eine Schleife und zog sich dann zurück in Richtung Bahnhof. Dort war dann endgültig Schluss.
Wieder am Bahnhof Spandau angekommen, hielten die Neonazis eine Abschlusskundgebung ab. Dort sprachen der NPD-Politiker Dr. Olaf Rose, sowie ein weiterer Redner aus Großbritannien, ein Vertreter der „Nordischen Widerstandsbewegung“ aus Schweden und ein Vertreter aus Frankreich. Danach löste Sebastian Schmidtke die Demonstration auf. Zeitweise hatte die Berliner Polizei keine Kontrolle über die Abreise der Neonazis, sodass es im Zuge dessen zu mehreren Übergriffen auf Gegendemonstranten kam. Bei mehreren Zusammenstößen wurden insgesamt 35 Neonazis festgenommen. Davon zwölf wegen Verstößen gegen das Verbot der Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Spontandemonstrationen in Falkensee
Währenddessen marschierten rund 250 Neonazis aus Nordrhein-Westfalen, dem Rheinland, Norddeutschland und Nordwestbrandenburg im nahegelegenen Falkensee auf. Durch eine Sabotageaktion an den Gleisanlagen war der Zugverkehr nach Spandau unterbrochen. Unter ihnen waren Westdeutsche Neonazi-Kader wie der Landesvorsitzende der NPD in Nordrhein-Westfalen, Claus Cremer, Dieter Riefling und Sigfried „SS-Siggi“ Borchard. In Falkensee hielten sie mehrere spontane Demonstrationen ab, im Zuge derer das Büro der Grünen angegriffen und erheblich beschädigt wurde.