Heute schreibe ich aus Wien. Dem Billigflieger-Trend zum Trotz bin ich auf dem Landweg beziehungsweise mit dem Nachtzug in die Donaumetropole gefahren. Beinahe hätte ich den Zug gestern Abend verpasst. Obwohl der Taxifahrer es zuerst unglaublich eilig hatte. Das Taxi war auf halb sieben bestellt, um eine Minute nach halb zog ich die Tür hinter mir zu, da fing jemand an, Sturm zu klingeln. Es war der Taxifahrer. „Man muss sich ja um seine Fahrgäste kümmern, wenn sie das Taxi auf halb bestellen und dann nicht um halb unten sind“, ermahnte er mich zur Begrüßung. Dennoch glaubte ich bereits nach der Hälfte der Strecke nicht mehr daran, den Ostbahnhof rechtzeitig zu erreichen. Das lag an den „Schleichwegen“ des Fahrers, die in diesem Fall wortwörtlich zu nehmen waren.
Ich rannte zum Bahnsteig. Dort stapelten sich die Wartenden. Alle schien eine aggressive Form des Reisefiebers gepackt zu haben. Als durchgesagt wurde, dass der Zug Verspätung habe, gab es kein Halten mehr. Bahnaufsichtspersonen wurden zusammengestaucht, vor dem Wagenstandsanzeiger kam es zu Rangeleien. Auch ich wurde unsanft zur Seite geschubst. Ich war froh, hier weg zu kommen.
Nach einigen weiteren Drängeleien innerhalb des Waggons hatte ich mich endlich zu meinem reservierten Fensterplatz durchgekämpft. Ein junger Mann, vielleicht Anfang zwanzig, setzte sich neben mich. Wir kamen ins Gespräch. Er sagte, dass er Bio-Chemie-Student sei, was ich nicht gerade als ideale Gesprächsgrundlage empfand. Wir unterhielten uns über Berlin, vor allem über die Architektur. Während ich am Beispiel des Potsdamer Platzes und des Regierungsviertels kritisierte, dass die neue Berliner Architektur zu konservativ, glatt und wenig wagemutig sei, lobte er diese in den höchsten Tönen. Das Regierungsviertel sei ein Gesamtkunstwerk und in dieser Form einzigartig auf der Welt. Das Kanzleramt, dass ich als monströse Betonwaschmaschine bezeichnete, war für ihn „ein gelungenes Beispiel moderner Baukunst“. Und der Potsdamer Platz sei genauso schön wie die Wolkenkratzer in Frankfurt am Main. Die Dresdner Bank habe dort einen kleinen Wald in ihr Hochhaus eingebaut, dass sei doch genial. „Die Stadt bräuchte eher mehr Bäume am Boden, als in Hochhäusern“, erwiderte ich. Wir kamen auf keinen grünen Zweig. In Halle stieg er aus. Damit stand einer gemütlichen Nachtfahrt nichts mehr im Wege.
Seit heute früh wandle ich auf anderen Pfaden. Trotz aller Nähe zwischen Deutschland und Österreich gibt es doch einige gravierende Unterschiede. Als ich mir heute früh eine Zeitung kaufte und der Verkäufer zum Abschied „Ba, Ba“ sagte, brauchte ich einen Moment, um darin die Wienerische Version von „Bye, Bye“ zu erkennen. Und im Gegensatz zu unserer Hauptstadt ist es in der österreichischen viel wahrscheinlicher, in einen Pferdeapfel zu treten als in einen Hundehaufen. Aber das ist ein anderes Thema. Mehr dazu am Montag, wenn ich wieder an der Spree bin – falls ich bis dahin nicht von einem Fiaker überfahren worden bin.
Rana Göroglu